E-Book, Deutsch, Band 45, 341 Seiten
Reihe: Pulp Master
Edgerton Primat des Überlebens
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-927734-94-4
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 45, 341 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-94-4
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jake Bishop ist voll resozialisiert und träumt gemeinsam mit seiner Frau Paris den amerikanischen Traum, der sich als eigener Friseursalon materialisieren soll. Doch seine kriminelle Vergangenheit holt Bishop ein, und zwar in Gestalt seines ehemaligen Zellenkumpels Walker, der ihm im Knast das Leben rettete und nun, frisch entlassen, im Gegenzug etwase Starthilfe einfordert. Sich des über seinem Kopfe schwebenden Damoklesschwertes bewusst - einer bei der nächsten Verurteilung anstehenden lebenslangen Haftstrafe -, lehnt Jake entschlossen ab. Doch der Auftraggeber im Hintergrund hat Jakes Schwachstelle längst ausgemacht und zwingt ihn, den Einbruch bei einem lokalen Juwelier durchzuziehen ...
Ein rabenschwarzer Noir des US-Autors Les Edgerton, der hier eindrucksvoll zeigt, wie schnell Stigmatisierung und gesellschaftliche Unfreiheit in ein Pandämonium menschlicher Abgründe führen können.
Les Edgerton hat einen etwas unkonventionellen Hintergrund für einen Literaten. Bevor er seinen Abschluss an der Indiana University in South Bend machte, sich mit creative writing beschäftigte und fünfzehn Bücher veröffentlichte, hatte der in Odessa, Texas, geborene Edgerton über vier Jahre in der Navy zugebracht und wegen Einbruchs, bewaffneten Raubüberfalls und versuchter Hehlerei zwei Jahre im berüchtigten Pendleton Reformatory abgesessen. Der Vater zweier Töchter aus früherer Ehe lebte mit Frau und Sohn in Ft. Wayne, wo er im August 2023 verstarb.
Autoren/Hrsg.
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1. Kapitel
Alles begann mit einem Telefonanruf. Die anderen Stylisten hatten bereits Feierabend gemacht, aber ich hatte Probleme mit der Haarfarbe meiner letzten Kundin, probierte verschiedene Nuancen, während sie mich die ganze Zeit zur Schnecke machte. Irgendwie kam immer der falsche Rotton heraus, aber schließlich hatte ich es so hinbekommen, dass es ihr gefiel, und jetzt war ich allein im Salon, packte meine Utensilien weg, auch die Skelettbürste, die ich in dem Moment an die Wand geschmissen hatte, als die Kundin den Laden verließ. Ich rief meine Frau Paris an, fragte, ob ich auf dem Weg nach Hause irgendwas aus dem Supermarkt holen solle. Zu dieser Zeit wusste ich, dass, wenn sie etwas wollte, es sich voraussichtlich nicht um Milch und Brot handeln würde. Über siebeneinhalb Schwangerschaftsmonate angekurbelte Hormone forderten exotischeres Essen, obwohl es sie bis jetzt noch nie nach sauren Gurken verlangt hatte. Ansonsten jedoch nach so ziemlich allem ... Nicht so heute. Sie meinte, sie werde vermutlich alles wieder auskotzen, was ich mitbringen würde, und dann entschuldigte sie sich, um der Porzellangöttin ein weiteres Opfer zu bringen, vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass sie mich liebe und mein Sperma hasse, und legte auf. Ich war auf dem Weg zur Tür, als das Telefon klingelte. Ich hätte es klingeln lassen sollen. »Tangerine Z Hair Designs«, sagte ich im Abheben. »Jake am Apparat.«
Mein Gedächtnis ließ mich für mindestens volle zehn Sekunden komplett im Stich, bevor ich die Stimme erkannte, die am anderen Ende der Leitung losplapperte. Dann ging mir ein Licht auf. Walker Joy. Ein Typ, mit dem ich jeden einzelnen Tag meiner letzten zwei Jahre in Pendleton verbracht hatte. Mein ehemaliger Zellenkumpel. »Walker? Walker Joy?«
Die Stimme am anderen Ende machte eine Pause, legte wieder los, mit diesem Maschinengewehr-Sprech, den ich auf Anhieb hätte erkennen müssen. »Zum Teufel, wer, hast du gedacht, is hier wohl, Arschloch? Der Geldeintreiber?« Er schnaubte, angepisst, weil ich ihn nicht erkannt hatte. Er hing noch immer dieser Kriminellendenke an. Notorische Straftäter knüpfen auf eine Weise an Beziehungen an, die sich von der Gesetzestreuer unterscheidet. Da sie von den Mitgliedern ihrer Gemeinde jeweils über Jahre getrennt sind, ist es, als wären sie nur ein oder zwei Tage weg gewesen, wenn sie sich wieder einklinken. In dem Moment, als ich Walkers Stimme erkannte, hatte ich überdeutlich das Bild der grauen Wände Pendletons im Kopf und ich spürte Schweiß auf meinen Handflächen. »Gott verdammt, Walker«, sagte ich. »Zum Teufel, wie lange ist das her? Drei Jahre? Vier? Verdammt. Es sind vier Jahre, Walker.«
Vier Jahre. Das Ende meiner zweiten Haftstrafe und, wie ich beabsichtigte, mein letztmaliger Aufenthalt hinter Gittern. Beim ersten der beiden Male, als sie mich aus dem Knast entließen, stolzierte ich hinaus – jung und großspurig, ganz der krasse Typ –, und ich brach mit der ältesten Gefängnisregel. Der Regel, die besagt, dass du zurückkehrst, blickst du zurück. Ich blickte zurück. Spazierte durch das Eingangstor, machte etwa zwanzig Schritte bis zum Flaggenmast davor, drehte mich direkt um, die Fresse zu einem breiten Grinsen verzogen. Blickte trotzig auf die drei Meter fünfzig dicken Mauern des Pendleton Reformatory, das sich gegen die hellere Schieferschattierung des Winterhimmels von Indiana abhob. Beim zweiten Mal hatte ich dazugelernt. Beim zweiten Mal zog ich mir den Kragen über die Ohren, verkroch mich in meiner State-Issue-Jacke aus Seersucker und marschierte entschlossen zum Eingangstor hinaus, durch den Schneematsch auf dem Parkplatz, weiter zur Straße, die zum Highway führte, über die Bahngleise und dann zur Bushaltestelle auf dem Highway 38. Blickte kein einziges Mal zurück. Setzte nicht einmal auf mein peripheres Sehen, um zur Seite zu schielen. Beim ersten Mal besaß ich die Unsterblichkeit der Jugend. Beim zweiten – und letzten – Mal war ich dahintergekommen, dass Pendleton kein Ort war, wo ich mich jemals wieder würde einfinden können. Und leben. Etwas geschah während meiner zweiten Haftstrafe, was den Sterblichkeitsmüll komplett versenkte. Das letzte Mal, dass ich Walker Joy gesehen hatte. Oder überhaupt an ihn gedacht hatte. Er tauchte vor meinem inneren Auge auf, auf seiner Pritsche hockend, öffnete er die Packung Oreo, die ich ihm als Abschiedsgeschenk überreicht hatte. Eine Menge Schnee von vor vier Jahren. »Ich werde mich verspäten«, erklärte ich Paris eine Minute später am Telefon. »Ein alter Freund hat mich gerade angerufen. Ich werde ihm ein Bier ausgeben. Du und Bobby, fangt schon mal an und esst ohne mich.«
Bobby, mein kleiner Bruder, der bei uns wohnte. Ich legte schnell auf, bevor sie mich fragen konnte, wer dieser »Freund« sei. Ein eisiger Windstoß erfasste mich in dem Moment, als ich hinaustrat. Ich krümmte mich in meiner Jacke zusammen und zitterte. Überall lagen Haufen schmutzigen Schnees herum, die an vulkanische Asche erinnerten, und in der Luft hing ein grau-gelber Dunst, den die Dezembersonne in einem tapferen Kampf zu durchdringen suchte. Der Notre-Dame-Campus befand sich direkt oben an der Straße und es musste eine Pep-Rally für die Notre Dame Fighting Irish gegeben haben, denn während der Verkehr vor dem Tangerine eine sich nach Norden, in Richtung Uni fortbewegende Masse aus Stoßstange an Stoßstange und im schwarzen Schneematsch zischenden Reifen zu sein schien, fuhren nur wenige Wagen auf der Gegenfahrbahn vorbei. Als ich die Tür meines weißen Lumina öffnete, zog im selben Moment eine düstere Wolkenbank vorüber und die Temperatur sank um weitere Grade, entsprach dem Gefühl, das mich begleitete, seit ich Walkers Stimme erkannt hatte. Eine halbe Stunde nachdem Walker meine Welt via Ma Bell wieder betreten hatte, saßen wir in einer Nische der Boat-Club-Bar nahe dem Howard Park. Mein alter Zellenkumpel kippte sich einen Pfefferminzschnaps nach dem anderen hinter die Binde, während ich an einem Ginger Ale nippte. Ein paar Meter entfernt beschäftigten sich die örtlichen Stricher mit dem Pooltisch und auch miteinander. »Tja, Walker. Wie lange bist du draußen?«, fragte ich. Soweit ich wusste, war ich der Einzige, der ihn mit seinem Vornamen ansprach. Die meisten Leute nannten ihn Spitball. Das hatte ihm sein Gesicht eingebracht. Es sah aus wie diese Papierkügelchen, mit denen wir uns auf der Highschool zu bewerfen pflegten. Seine Gesichtszüge waren in diesem Ball, der für sein Gesicht durchging, irgendwie zusammengeknautscht. Außerdem war er kahl wie ein pochiertes Ei und hatte überall diese Hautfalten, wo zuvor seine Haare gewesen waren, was aus der Distanz betrachtet wie eine Dudley-Do-Right-Haartolle aussah. Eine Sache bei Walker, die ich vergessen hatte, war mir in der Sekunde präsent, als ich mich hinsetzte. Sein Geruch. Er roch immer wie ein Wald nach einer Woche Dauerregen. Ich hatte stets gedacht, das sei so, weil er nicht oft duschte – ich konnte mich kaum daran erinnern, ihn im Knast unter der Dusche gesehen zu haben. Manche Leute, die das so halten – wenig zu baden –, entwickeln keinen Körpergeruch, sondern eher den Geruch, der immer an ihm haftete. Nach dem ersten Erschnuppern fiel er mir dann kaum noch auf. Ich hatte Walker etwas zu verdanken. Eines Nachts hatte er mir im Knast das Leben gerettet. Eine wirklich üble Nacht, die ich jahrelang zu vergessen suchte, die jedoch in Gestalt von Albträumen immer wieder zurückgekrochen kam, trotz des zeitlichen Abstandes. »Ein paar Monate«, sagte er und nuckelte dabei an seinem Kurzen, den ich ihm gerade ausgegeben hatte. Das hatte ich mir gedacht. Er trug noch immer die schwarzen Schuhe Marke Knast und ein Hemd, das seit zehn Jahren aus der Mode war. Bevor wir Zellenkumpel wurden, war mir Walker bereits von den Straßen hier in Downtown ein Begriff gewesen, und er hatte nie die Art von Garderobe besessen, die man im GQ präsentieren würde. Den einzigen Unterschied zwischen dem, was er im Knast getragen hatte und nun hier draußen, beim Pflastertreten trug, stellten seine Hemden dar. Draußen bevorzugte er Flanellhemden im Winter, wie sie Holzfäller trugen und Möchtegerncowboys, und in den wärmeren Jahreszeiten hatte er gewöhnlich ein schwarzes T-Shirt an. Jeans, zu jeder Jahreszeit. Aktuell trug er seine Aufmachung für den Winter. Ein rotes Flanellhemd direkt aus dem Winterschlussverkauf von J.C. Penney. »Schon flachgelegt worden?«
Er lachte. »Gleich am ersten Abend. Das wird wohl das hässlichste Mädchen bleiben, das ich bis zum Ende meines Lebens gefickt haben werde.« Ich lachte darüber. Ich wusste, was er meinte. Am ersten Tag nach der Haftentlassung würde ein Typ eine Schlange ficken, sofern er jemanden dazu brächte, sie für ihn festzuhalten. Für die nächste Nummer würde die Messlatte höher gelegt. Obwohl ... ein wählerischer Walker war kaum vorstellbar, nicht bei dem Gesicht, mit dem er sich in der...