2003
ENDSTATION OHNE SEHNSUCHT
Der erste Haken an der Sache zeigte sich sofort. Bei der Feinabstimmung des Entführungsplans, als Tommy verkündete, wir sollten dreiteilige Anzüge tragen wie Versicherungsvertreter. Falls schon einer der Nachbarn auf den Beinen wäre, denen es seltsam vorkommen könnte, dass zwei Männer, die aussehen wie Krabbenfischer, so früh am Morgen beim Haus dieses Typen herumlungerten. Ich hatte keinen dreiteiligen Anzug, nicht mal einen zweiteiligen. Und wenn ich genau darüber nachdachte, hatte ich noch nicht mal ein Jackett. Und auf Nachfrage bei Tommy stellte sich heraus, dass er ebenfalls nichts davon besaß. Ich war dafür, einfach so angezogen, wie wir waren, ans Werk zu gehen, aber das ließ Tommy nicht gelten. »Herrgott noch mal, Pete. Das können wir nicht machen. Dieser Typ lebt in einer Gegend, wo alle eine Riesenkohle haben. Die haben Swimmingpools hinterm Haus, falls du verstehst, was ich meine. Wenn wir da so ankommen, wie wir sonst immer aussehen, wird sofort irgendein Schwachkopf von gegenüber die Cops anrufen, wegen der zwei Typen, die wie Einbrecher aussehen.« Es stellte sich heraus, dass er bereits einen Plan hatte, wie wir an ein paar Kröten für die Anzüge kommen könnten. Die Idee war absurd genug, sodass ich glaubte, sie könnte sogar funktionieren. Schätze, man musste dabei gewesen sein. Damals hat sich das gar nicht so verkehrt angehört. Ich meine, der Typ war schließlich Indianer ...
***
Eine Stunde später saßen Tommy und ich in der Straßenbahn, im St. Charles Streetcar, an der Haltestelle beim Zoo, wo der Club 4141 ist, und beobachteten die Leute, die vorne einstiegen. Als Letztes kam ein Touristenpärchen im Partnerlook mit gelben Bermudashorts.
»Cool«, meinte Tommy, »Touristen. Die haben wenigstens Geld bei sich.« Er zog an seiner Zigarette. Er saß direkt unter einem Schild, auf dem Rauchen verboten stand, und hielt die Kippe aus dem Fenster.
Ich widersprach ihm nicht. Im Wagen befanden sich vielleicht fünfzehn Leute, dazu noch wir und der Fahrer. Gar keine so schlechten Aussichten. Da könnten schon ein paar Tausender für uns rausspringen. Und Anzüge, die nicht vom Grabbeltisch im Kaufhaus stammten.
»Siehst du das?« Ich folgte seinem Blick, der sich an der vollbusigen Touristin festgesetzt hatte – ein echter Hingucker.
»Ja. Na und?«
»Na, das.« Er hob seinen Unterarm und tat so, als ob er sich darin verbeißen würde.
»Davon kannst du doch nur träumen«, sagte ich grinsend.
»Ja, ja. Ich hab was, was ihr Freund da nicht hat.«
Ich lachte laut los: »Klar, Tommy. Du bist hässlich. Aber ich schätze, sie ist vielleicht eine von diesen spinnerten Weibern, die eher auf Intelligenz und gutes Aussehen stehen, oder zumindest auf eins von beiden.«
Tommy drehte sich um und sah mich an. »Ich rede hier von Technik«, sagte er. »Ich habe nämlich die Technik drauf.«
»Technik?«
»Ja, Technik.«
»Was denn für eine? Wie es drauf geht und dann wieder runter, oder was?«
»Nee, Mann«, sagte er und schüttelte dabei den Kopf, als könne er nicht glauben, wie dämlich ich bin. »Das ist wie mit einem großen Schwanz. Den hat ja jeder.«
Ich kicherte: »Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du in dieser Hinsicht so gut weggekommen wärst.«
»Na ja, da war es ja auch kalt. Wir sind gerade aus dem See gestiegen, was erwartest du denn? Schau mal, Pete, um ein Champion beim Sex zu sein, muss man es genauso machen wie beim Basketball. Du musst ihn jederzeit versenken können.«
Hinter uns saß eine junge Frau, der ich ansah, dass sie sich Mühe gab, das, was Tommy sagte, so gut wie möglich zu überhören. Sie rutschte auf ihrem Sitz hin und her und starrte aus dem Fenster, auf die prächtigen Villen, an denen wir vorbeikamen.
Ich konnte es nicht abwarten, etwas über Tommys »Technik« zu erfahren und fragte nach.
»Ich pisse in sie rein.«
Das Mädel hinter uns schnappte sich die Handtasche, schnaubte hörbar und setzte sich drei Reihen weiter nach hinten.
»Leck mich, Lady«, murmelte Tommy. »Wenn dir unsere Unterhaltung nicht gefällt, dann setz dich halt woanders hin.«
Ich musste lachen. »Hat sie ja gemacht. Also, was hat es jetzt mit der Pisserei auf sich?«
Ich sah das Straßenschild aufblitzen. Wir kamen in die Gegend, wo wir unser Ding durchziehen wollten. Die Ecke, wo die St. Charles auf die Carrollton Avenue abbog, beim Camelia Grill. Drei Blocks von der Stelle entfernt, wo wir Tommys Chevy Nova als Fluchtwagen abgestellt hatten.
»Vergiss es«, sagte ich. »Wir sind da. Bist du bereit?«
»So bin ich doch schon zur Welt gekommen«, meinte Tommy. Er stand auf und griff in seinen Hosenbund.
Das Mädel, das sich umgesetzt hatte, brüllte: »Der Mann hat eine Pistole!«
Scheiße.
Die Leute in der Straßenbahn drehten durch. Die Hölle brach los – Fahrgäste schrien auf, die Bremsen quietschten, als der Fahrer in die Eisen ging. Die Touristenfrau vor uns heulte auf wie am Spieß – Ayyyiiiiieaaahhhh! Ein einziger langer Schrei, der nur unterbrochen wurde, wenn sie Luft holen musste.
Iiiiiiiiiaaaaaayaaaaah! Ayaayaaya! Aaaaaaaayaiiiie!
»Halt’s Maul!«, schrie Tommy zurück. »Halt verdammt noch mal die Fresse!«
Er sah runter zu mir. Ich saß immer noch da, wie vom Blitz getroffen.
»Machst du gerade ein Päuschen, oder was ist los, Pete?«
Ich glotzte ihn nur an. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Er sah von mir hoch, und ich folgte seinem Blick zu dem Mädel in der letzten Reihe, das uns verraten hatte. Sie hatte eine Pistole gezogen und hielt sie, mit beiden Händen umfasst, auf ihn gerichtet, ganz wie man es aus dem Fernsehen kennt. Ich war wie gelähmt. Es war nicht so, dass mein ganzes Leben vor meinen Augen vorbeizog, aber ungefähr 26 Jahre und drei Monate davon.
»Mir kommt gerade die Kotze hoch, das ist los«, antwortete ich ihm. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?
»Dann solltest du dir die Zähne putzen, bevor du wieder eine Braut küsst.«
Tommy hob seine Pistole und zielte auf die Frau in der letzten Reihe, auch er hielt die Waffe mit beiden Händen. Unentschieden. Mexican Standoff.
Er neigte den Kopf leicht zu mir, hielt seinen Blick aber immer noch auf die Frau gerichtet. »Erschieß sie!«, befahl er. Jetzt war alles am Arsch.
»Du hast doch die Knarre, du Superhirn«, entfuhr es mir schließlich, »erschieß du sie doch.«
Statt mir zu antworten oder zu schießen, bewegte er sich rückwärts auf die Einstiegstür zu, die Waffe immer noch auf die Frau gerichtet. Ich stand auf, um ihm zu folgen. Es kam noch schlimmer. Hinten zogen vier Leute ihre Waffen und richteten sie auf uns.
»Scheiße, scheiße, scheiße!« Mehr fiel Tommy nicht ein. Besser hätte ich es auch nicht sagen können.
Aber eines musste ich ihm lassen: Er verlor nicht den Kopf.
»Hört zu, Leute«, sagte er, »wir werden jetzt ganz einfach aussteigen und euch alle in Frieden lassen. Nur die Ruhe.«
Einer der bewaffneten Fahrgäste am hinteren Ende stand auf. »Nix da! Jetzt bist du dran, Cowboy!«
Mir war, als würde ich gleich ohnmächtig.
Der Fahrer öffnete per Knopfdruck die hintere Tür und stand auf. »Lasst sie laufen«, sagte er, »ich will kein Blutvergießen in meiner Karre!«
Dem Typen mit der Pistole gefiel das nicht besonders. »O Mann«, lamentierte er mit nörgeliger Stimme, »man darf diese Kriminellen doch nicht einfach laufen lassen. Wir müssen uns wehren. Wir sind hier in New Orleans, nicht im schwuchteligen New York. In dieser Stadt werden keine Gefangenen gemacht.«
»Hör mal zu, Dirty Harry«, sagte der Fahrer. »Das hier ist meine Straßenbahn. Und ich mache hier die Regeln. Hinsetzen, Maul halten und die Leute durchlassen!«
Tommy rannte zur Tür, ich folgte ihm schneller als sein Schatten, sprang eine Nanosekunde hinter ihm aus der Bahn. Und dann hetzten wir über die Straße.
Das Großmaul und die Frau aus der letzten Reihe feuerten los, ich drehte mich nicht um, rannte nur, so schnell ich konnte, aber ich hörte Glas splittern, Leute schreien und das Pop-pop-pop von...