E-Book, Deutsch, Band 3, 224 Seiten
Reihe: Kommissar Johann Kranzfelder
Eckstein Bärnauer Schatten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98707-266-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 224 Seiten
Reihe: Kommissar Johann Kranzfelder
ISBN: 978-3-98707-266-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Yvette Eckstein lebt mit ihrer Familie in den westlichen Wäldern von Augsburg und verbringt viel Zeit auf dem Bauernhof der Schwiegereltern in der nördlichen Oberpfalz. Seit ihrer frühesten Kindheit liebt sie es, Geschichten zu erzählen. Dafür absolvierte sie ein Studium an der Schule des Schreibens. www.yvetteecksteinschreibt.de
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1
»Einen harten Knopf aufzulösen, erfordert einen spitzigen Löser.«
(Besondere Herausforderungen erfordern einen klugen Kopf.)
»Name?«
»Meindl, Chef. Renate Meindl.«
»Ausweis?«
»Leider nein.« Klara Stern kniete neben der leblosen Frau, ehe sie sich erhob. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, schüttelte sie den Kopf, und ihr langer Pferdeschwanz schlug dabei wie eine wild gewordene Schlange um sich. »Es wurden bei ihr keine Wertgegenstände gefunden. Kein Geldbeutel, kein Handy, nicht mal ein Schlüsselbund.«
»Raubmord?« Kriminalhauptkommissar Johann Kranzfelder trat fragend an die Tote heran, die neben einem Stapel Holzbretter hinter der großen Halle vor dem Geschichtspark Bärnau-Tachov gefunden worden war. In der Hand hielt er eine Papiertüte, gefüllt mit »Hexentanz«, einer bunten Mischung aus pikantem Nussallerlei. Die hatte er sich nachmittags oben auf dem belebten Marktplatz an einer der Buden gekauft.
»Möglich.«
»Und woher wissen wir dann überhaupt, um wen es sich bei der Dame handelt, wenn keine Ausweise bei ihr gefunden wurden?«
»Scheint bekannt zu sein. Allein die zwei Sanitäter, die sofort zur Stelle waren, haben ihre Identität bei den Kollegen der Schutzpolizei bestätigen können«, antwortete die junge Kriminalkommissarin.
Kranzfelder ging in die Hocke, um sich die Frau mittleren Alters genauer anzusehen und mit ihr auf einer geistigen Ebene in Verbindung zu treten. Ihm half es, nicht nur hinzusehen, sondern auch hinzuhören.
Seine ausladende Körpermitte störte ihn dabei ein wenig. Er setzte sich die Brille auf die Nase, und jetzt kam ihm die Tote auch bekannt vor. Sie lag ausgestreckt hinter den aufgetürmten Bohlen und trug ein aufwendiges Gewand aus goldenem Brokat, das ihr bis über die Füße reichte. Das Haar war zu einem Zopf geflochten, die weiße Haube mit dem transparenten Schleier vom Kopf gerutscht. Er war mit Blut durchtränkt, genau wie der Boden unter ihr. Daneben lag eine abgerissene Halskette, an der ein schimmernder roter Knopf befestigt war.
»Hat die jemand bewegt?«, wollte Kranzfelder wissen, während die Spurensicherung um ihn herum weiter ihrer Arbeit nachging. Ihr dunkles Einsatzfahrzeug mit der Aufschrift »Kriminaltechnik« versperrte den langen und schmalen Weg.
Seine Kollegin nickte und zeigte an der Absperrung vorbei auf die zwei jungen Männer, die etwas abseits in Uniform neben ihrem Erste-Hilfe-Koffer standen. Sie unterhielten sich angeregt mit einem Polizisten. »Als die Frau gefunden wurde, lag sie mit ihrem Kopf Richtung Boden«, sagte sie.
»Hat denn irgendjemand Fotos von der Auffindesituation gemacht?« Kranzfelder wandte sein Augenmerk von der Leiche ab und erhob sich mit einem Stöhnen. Die sommerlichen Temperaturen stauten sich unangenehm, und eine Auffrischung in Form eines Gewitters ließ auf sich warten. Irgendwann würde ihn die Hitze umbringen, war er sich sicher.
Er legte die Brille, die mit einem Bändchen um den Hals vor dem Verlegen bewahrt wurde, wieder auf seiner Brust ab.
»Einer der Sanitäter, mit dem Handy«, antwortete die Stern auf seine Frage hin, und Kranzfelder verließ gefolgt von ihr die Absperrung.
»Wer hat die Leiche gefunden?«
»Eine Mitarbeiterin des Geschichtsparks. Sie ist im Sanitäterzelt. Hat einen ordentlichen Schreck erlitten.«
Kranzfelder beobachtete eine illustre Runde an Rittern in schwarzgelben Kostümen, die mit Steinkrügen in der Hand an ihnen und dem eilig aufgebauten Sichtschutz vorbeitorkelten. Sie nahmen keine Notiz von dem Aufgebot an Polizei, Sanitätern und Feuerwehr. Dass hier ein Todesopfer geborgen wurde, schien sie wenig zu beeindrucken. Nach einigen Metern verschwanden sie hinter der Kurve, die auf die Straße und hoch in die Altstadt führte.
Es war Sonntag und dies der letzte Abend des mittelalterlichen Treibens. Einige Besucher hatten bereits den Heimweg angetreten, andere ließen den Tag am Lagerfeuer oder oben vor der Bühne ausklingen. Morgen würde sie wieder der Alltag erwarten.
Kranzfelder folgte dem Weg um die Halle herum. Die Stern war ihm dicht auf den Fersen. Dabei ließen sie einen Wegweiser aus Holz links liegen: »Rittergelage«. Die mitgebrachten Falt- und Glockenzelte wurden dort von den Besuchern auf den grünen Wiesen rund um das Mittelalterdorf aufgeschlagen. Aufsteigender Rauch der Fackeln und Lagerfeuer, das metallene Geräusch aufeinandertreffender Klingen und das Schlagen des Stahls entführte die Menschen an diesem Sommerabend in längst vergangene Ritterzeiten.
Vor der Halle ließ Kranzfelder seinen Blick über den Parkplatz des Geschichtsparks schweifen. Hier parkten Wohnmobile und Autos, die vermutlich zu den Darstellern und Mitwirkenden gehörten, und hier befand sich auch die Anlaufstelle des Roten Kreuzes.
An diesem Wochenende fand in der Altstadt Bärnau das berühmte Marktspektakulum auf zwei Ebenen statt. Ein eindrucksvolles Mittelalterfestival, das die Menschen aus der ganzen Welt alle zwei Jahre in die Stadt einlud. Von Holzwiesenreuth aus war es eine knappe halbe Stunde, abhängig von dem Verkehrsaufkommen auf den Landstraßen, vorbei an Wiesen, Ackerland und Waldstücken.
Gestern hatte hier auch das Ritterturnier stattgefunden, ein Highlight des Festivals. Vom Marktplatz drang mittelalterliche Musik bis zu ihnen am Geschichtspark hinunter, und die Sonne begann dem Mond zu weichen. Kranzfelder dachte kurz an die Mittelalterbands, die Gaukler und Feuerspucker, die zu späterer Stunde oben, nur wenige Straßen entfernt, ihre Künste darboten. Und er dachte an den Zwiebelrostbraten, den er nebst seiner Frau Maria und der angeheirateten Familie dort in dem urigen Gasthaus überstürzt zurücklassen musste. Denn ausgerechnet an diesem Abend fand das Testessen von Marias Lieblingscousine Barbara statt, einer auf ewig geglaubten Jungfer, die am Ende des Tages doch ihren Deckel gefunden hatte. Was lange währt, wird endlich gut. Am darauffolgenden Wochenende würde hier in Bärnau das Hochzeitsfest stattfinden und er sich mit der buckligen Verwandtschaft seiner Frau herumschlagen müssen.
Zugegeben, er hatte sich das erste Mal in seiner langen Dienstzeit fast ein bisschen gefreut, als sein Handy vibriert hatte und er zum Einsatzort nur wenige Meter entfernt gerufen wurde. Nur um das bestellte Essen war es schade gewesen.
»Die sollen mir das einpacken«, hatte er seine Frau gebeten, darauf konzentriert, ihren tödlichen Blick zu ignorieren. Mit den Worten »Das Verbrechen schläft nie« hatte er sich von der Gesellschaft verabschiedet. Gerade rechtzeitig, um die aufflammende Diskussionsrunde »Feuchtes Toilettenpapier, ja oder nein?« zu verlassen. Beim Rausgehen hatte er sich dann gefragt, wie man überhaupt auf die Idee kam, ein Testessen während des Spektakulums auszurichten. Zuvor waren sie eingeladen worden, an den Marktständen vorbeizubummeln, und Marias Cousine hatte es geschafft, aus den Hochzeitsvorbereitungen ein kleines Event zu gestalten. Und wo sich am Nachmittag die Besucher noch mühelos verteilt hatten, wurde Kranzfelder beim Verlassen des Wirtshauses sofort in das Gedränge gezogen. Hier gab es eine Bühne, vor der Ritter, Edelfrauen und andere Zeitreisende zu elektronischer Mittelaltermusik tanzten. Dazu kam eine Horde wild gewordener Kinder, die ihn mit ihren Schwertern aus Laugengebäck über den Haufen gerannt hatten. Und der durchdringende Geruch nach Bratwürsten und Patschuli, der ihm in der Nase gekitzelt hatte. Er hatte sich mit dem Strom treiben lassen. Vorbei an Buden, in denen Kaufleute ihre Waren darboten, und Bierbänken, die dazwischen der Geselligkeit dienten. In der Mitte ein schwarzes Kreuz mit einem goldenen Jesus, der über sie wachte. Auf der Höhe einer zweiten, kleineren Bühne, auf der Künstler und Musiker in karierten Röcken und mit Dudelsack auftraten, wurde Kranzfelder von einer Traube Hexen umschlossen, die ihn die wenigen Gehminuten zu dem Geschichtspark mitgezogen hatten. Sie hatten keine Notiz von ihm genommen. Lebten die nicht ziemlich gefährlich im Mittelalter?, hatte er die kurze Zeit über sinniert und dabei an den Hexenkäfig gedacht, der heute durch die Reihen getragen wurde. Kranzfelder war schließlich erleichtert gewesen, als er an dem vermeintlichen Tatort am Rande des Mittelalterdorfes nebst Kinderschminken und Theaterdarbietungen angekommen war.
»Der Familie Meindl gehört eine Knopffabrik hier in Bärnau«, sagte die Stern und holte Kranzfelder in die Gegenwart zurück.
Er nickte wissend, denn der Name Meindl war im Stiftland und darüber hinaus nicht unbekannt. Dabei hatte er die junge Erbin des Knopfimperiums in ihrem Aufzug fast nicht erkannt. Auf den wenigen Fotos, die er bisher von ihr in der Zeitung gesehen hatte, wirkte sie neben ihrem Vater und Bruder eher unscheinbar. Kranzfelder warf sich eine Nuss in den Mund. Dann knüllte er die Papiertüte zusammen. »Wo ist jetzt unsere Zeugin?«, fragte er.
Die Stern zeigte auf das Sanitäterzelt und auf eine Frau im Magd-Kostüm, die dort mit einer Rettungssanitäterin sprach. »Der Park schließt am Abend, und sie war auf dem Weg in den Feierabend gewesen. Die Kollegen von der Schupo haben ihre Aussage bereits aufgenommen.«
Kranzfelder wartete darauf, dass sein Blick den der jungen Mitarbeiterin traf, und grüßte sie mit erhobener Hand.
»Ich habe mich auch mit ihr unterhalten«, sprach die Stern. »Ihr Deutsch reicht leider nur für das Nötigste.«
»Aus Tschechien?«
»Ihr ist bis auf die leblose Frau nichts aufgefallen. Sie ist sofort zum Sanitäterzelt und hat dort Hilfe geholt.« Die Stern zeigte auf ihre Handtasche. »Sie hat meine Karte und hat mir versprochen, dass sie sich melden wird, sobald ihr etwas...