Ebbinghaus / Wiele | Drop It Like It's Hot. 33 (fast) perfekte Popsongs | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Ebbinghaus / Wiele Drop It Like It's Hot. 33 (fast) perfekte Popsongs


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-15-961994-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-15-961994-1
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
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»Die Antwort auf die ?Was hörst du??-Frage ist fast schon ein schicksalhafter Moment.« Was ist das Geheimnis großer Popsongs, und um welche Themen kreisen ihre Texte? Spricht einem das, was da gesungen wird, aus der Seele oder wird da irgendein Quatsch erzählt? In »Drop It Like It's Hot« schreiben versierte F.A.Z.-Autorinnen und -Gastbeiträger über ihre Lieblings-Popsongs - von Simon and Garfunkel bis zu Snoop Dogg, von Nick Cave über Fiona Apple und Reinhard Mey bis zu Ideal. Mit Beiträgen von Rose-Maria Gropp, Jürgen Kaube, Annette Humpe, Oliver Jungen, Christina Dongowski, Joachim Bessing, Miryam Schellbach und vielen anderen.

Uwe Ebbinghaus , geb. 1971, ist seit 2006 Feuilleton-Redakteur der F.A.Z. , 2011 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis für die Reportage »Der Zugnomade« ausgezeichnet. Jan Wiele , geb. 1978, ist seit 2015 Feuilleton-Redakteur der F.A.Z. mit den Schwerpunkten Literatur und Popmusik.

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»Sie können ja wirklich singen!«
Vorwort von Uwe Ebbinghaus und Jan Wiele Pop und Feuilleton: Das ist noch gar nicht so lange eine harmonische Verbindung. 1964 noch war angesichts der »Beatlemania« im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) von einer »landesweiten Mistkäferplage« die Rede. »Selbst die fanatischsten Anhänger der Beatmusik bestreiten nicht, daß ihre Texte und Melodien ziemlich minderwertig sind«, hieß es dort weiter. Und kurz darauf erschien in jenem Feuilleton ein sehr bemerkenswerter Text von Richard Huelsenbeck – dem Mann also, der 1918 das Dadaistische Manifest verfasst hatte und inzwischen als Psychoanalytiker in New York tätig war. Huelsenbeck sah in den »knabenhaften, kindischen Gitarre- und Paukenspielern von Liverpool« und der gesellschaftlichen Reaktion auf sie den Ausdruck einer pathologischen Gegenwart: In seiner Sicht erfüllten sie »ein Bedürfnis unserer Zeit, in dem Sinne, daß diese Zeit diesen ungehobelten, platten, ungeistigen Wahnsinn braucht«. Diese Diagnose war aber weniger negativ gemeint, als es zunächst schien – Huelsenbeck sagte nämlich auch noch: »Ich bin der Ansicht, daß die Beatles der Zeit etwas Gutes tun, daß sie eine Art Medizin sind, so ähnlich wie die Dadaisten es in ihrer Zeit waren.« Diese Charakterisierung der Band und ihrer Wirkung ist sehr aufschlussreich, auch noch für unsere Gegenwart fast 60 Jahre danach. Die Popgruppen sind andere geworden, die Musik klingt komplett anders, längst kann man mit Blick auf die Kulturredaktionen feststellen, dass Pop dort angekommen und integriert ist. Und doch fällt Ihnen, wenn Sie einmal kurz darüber nachdenken, wohl sofort ein aktuelles Beispiel für Popmusik ein, die Sie für »platten, ungeistigen Wahnsinn« halten. Wenn es so ist, kann dies Verschiedenes bedeuten: Zum einen, dass Popmusik teilweise und allen Versuchen zum Trotz, sie im Sinne von Leslie Fiedlers Essay »Cross the Border – Close the Gap« auf eine Stufe mit der Hochkultur zu stellen, sich manchmal auch dagegen wehrt und einfach das Gegenteil sein will: nämlich Paukenspiel zur Triebabfuhr. Oder es kann bedeuten, dass Sie doch noch zur alten Schule vor Leslie Fiedler gehören, die Pop an sich für einen zu niedrigen Gegenstand hält, um sich ästhetisch mit ihm zu beschäftigen. Im besseren Fall gehören Sie zu einer Gruppe von Menschen, die sich für Pop interessieren, auch im Sinne einer bewussten und nicht nur beiläufigen Rezeption, die also glauben, dass Pop Kunst und damit auslegebedürftig sein kann, ohne dass Sie deswegen allen Pop oder alles an Pop zur Kunst erklären würden – denn manches an Pop ist ja einfach nur Kitsch oder nicht weiter kommentarbedürftig. In diesem Spannungsfeld muss sich jede Popkritik bewegen, die ihren Gegenstand ernst nimmt. Und dieser Anspruch, Pop ernst zu nehmen, steckte auch hinter der Idee zur Frankfurter Pop-Anthologie. Die Analogie zur etablierten Frankfurter Anthologie, in der seit der Begründung durch Marcel Reich-Ranicki 1974 jede Woche ein Gedicht interpretiert wird, legt nahe, dass auch die Pop-Anthologie Lyrik interpretiert. Aber man wird schnell darauf kommen, und es sind schon geisteswissenschaftliche Tagungen darüber abgehalten worden, dass ›Lyrik‹ und ›Lyrics‹, so viel sie gemein haben, doch nicht dasselbe sind. Beim Nachdenken darüber, was einen guten, erstaunlichen, poetischen Songtext ausmacht, hilft vielleicht die folgende Brecht-Anekdote weiter: Ein Schauspieler sprach Herrn B. vor, und Herr B. fragte ihn: »Können Sie auch singen?« Der Schauspieler sagte ja, er habe es gelernt, und begann, ein Lied vorzutragen. Nach den ersten Takten unterbrach Herr B. ihn erschrocken: »Hören’s auf, hören’s auf. Sie können ja wirklich singen!« Mit dieser von Gerd Semmer und André Müller senior wiedergegebenen Szene kann nicht nur der Verfremdungseffekt des epischen Theaters erklärt werden, sondern auch die Wirkungsweise von Songtexten. Niemand erwartet von ihnen, dass sie vollendet lyrisch, episch oder dramatisch sind (auch Kurzgeschichten und Mini-Dramen gibt es ja in der Popmusik), im Gegenteil: Wenn der Zuhörer ihnen die Absicht, poetisch zu sein, anmerkt, haben sie meist schon verspielt. Gibt es in Songtexten aber für den Zuhörer etwas zu entdecken, im Zusammenspiel mit der Performance und der Musik, etwas, das die Gattung ›Pop‹ vermeintlich nicht vorsieht, ist der Zuhörer plötzlich ganz offenes Ohr. Auf die Brecht-Anekdote übertragen hieße das: Der Schauspieler hätte Herrn B. vormachen sollen, dass er nicht singen könne, und die Bühne hätte ihm gehört. Popmusik ist nicht naiv, sie hat immer etwas Verkleidetes an sich. Sie fällt einem nicht einfach so ein, hinter ihr steckt, unterschiedlich stark, das Kalkül, den Publikumsgeschmack in einer bestimmten Situation, einer bestimmten Zeit zu treffen und manchmal sogar, ihn zu revolutionieren. Wenn Songtexte stimmig sind, zur Musik passen, haben sie, was schwer genug ist, ihren Auftrag meist schon erfüllt. Wenn in einem Songtext darüber hinaus Lyrik sozusagen widerfährt, ohne sich aufzudrängen, eröffnet sich ein neuer Spielraum. Dann sind die Lyrics von doppeltem Wert – wobei ein dritter, vielleicht der entscheidende Aspekt darin besteht, dass sich der Hörer jederzeit von der reflektierten auf die naive Ebene zurückziehen kann; er erlebt dabei eine besondere Form ästhetischer Ungezwungenheit, eine besondere Art der Freiheit. Große Pop-Lyrics sind so etwas wie die Schnäppchen für Lyriksuchende. Umgekehrt kann es große Popwerke mit banalen, völlig unlyrischen Texten geben. Dass ein Kalenderspruch wie »Music makes the people come together« ganz anders klingt, wenn er von Madonna gesungen wird, unterlegt mit Elektrobeats, wieder anders, wenn das in einem Musikvideo stattfindet, und noch einmal verschieden, wenn zu diesem Song auf einer Theaterbühne sexuelle Handlungen vorgeführt werden, mag ansatzweise die ambivalente Wirkung von Popmusik beschreiben.   Noch deutlicher zeigt sie sich, wenn mehrere Interpreten beteiligt sind. Hat »Personal Jesus« von Depeche Mode aus dem Jahr 1989 einen beeindruckenden Text? Wenn man Dave Gahan ihn singen hört, mit dieser tonlosen, von einem treibenden Gitarren-Synthie-Rhythmus fast verschluckten Stimme, würden manche das wohl zurückweisen. Bei der Coverversion des späten Johnny Cash aus dem Jahr 2002, mit dessen gebrechlicher, abwägender Stimme, sieht es schon anders aus. Plötzlich nimmt man jedes einzelne Wort bewusst wahr, Zeilen wie »Reach out, touch faith« bekommen einen prophetischen Klang, es entstehen völlig neue Bezüge zu Cash und seinem Lebenswerk. Was sich hier einstellt, ist ein Modus des ›zweckentfremdet brauchbar‹, wie man ihn von der Pop-Art her kennt. Die erste Ebene ist die Oberfläche des stimmigen Popsongs, des Gebrauchsartikels; die zweite Ebene kommt durch den neuen Kontext hinzu, durch das Aufstellen eines vergrößerten Alltagsgegenstands im Museum, durch die Neuentdeckung des Chart-Hits auf Betreiben einer Countrylegende. Aus der Oberflächlichkeit wird plötzlich Tiefe, neue Räume öffnen sich. Cashs unbefangener Zugang, sein Neubuchstabieren entspricht dabei der Haltung in vielen der folgenden 33 Songinterpretationen, in denen Lyrics meist so behandelt werden, als seien sie unentdeckte Lyrik. Freilich wird nicht alles zur Lyrik, wenn man es nur richtig anschaut, aber das macht gerade den Reiz von Songinterpretationen aus: Überzeugt der Aufwand den Leser oder schießt er über das Ziel hinaus? Natürlich ist »Da Da Da« von Trio ein erstaunliches Kunstwerk. Nur wenige würden das leugnen. Wenn es aber doch geleugnet wird, ist niemand beleidigt oder in seiner Ehre gekränkt, niemand verliert sein Gesicht. Alles ist nur Spiel. Popsongs wollen immer nur fast perfekt sein. Wahrscheinlich begründet gerade diese listige Bescheidenheit ihre ungebrochene Attraktivität. Woher kommt diese List? Bei dieser Frage muss der Name Bob Dylan fallen. Ohne ihn hätte die Interpretation von Songdichtung sicher nicht den Stellenwert, den sie heute hat. Ironischerweise kam in mehr als fünf Jahren Pop-Anthologie, in denen wir im Zweiwochenrhythmus auf FAZ.net insgesamt mehr als 130 Interpretationen veröffentlicht haben, keine zu einem Lied von Dylan vor. Dabei hatten wir in der von Kat Menschik entworfenen Illustration zur Serie das berühmte Video von »Subterranean Homesick Blues« zitiert, in dem Bob Dylan in einem Hinterhof große Pappbögen mit Textversatzstücken in die Kamera hält und im Takt von Gesang und Musik fallen lässt. Der Text ist hier zwar der Hauptdarsteller, wird im nächsten Moment aber achtlos auf den Boden geworfen, und die Lyrik – in Person des Beatpoeten Allen Ginsberg – quert am Ende dieses frühesten Videoclips der Musikgeschichte zaghaft die Straße. Eine Schlüsselszene für das Verhältnis von Text und Musik im Pop. Warum haben sich die vielen Fans unter unseren Interpreten nie für einen Text von Bob Dylan entscheiden können? Liegt es daran, dass es kaum noch originell ist, Dylans Texte poetisch zu finden? Oder macht es nur eingeschränkt Spaß, einen Songwriter zu interpretieren, der von Beginn seiner Karriere an die Deutbarkeit seiner Texte brüsk zurückgewiesen und alle Bemühungen in dieser Hinsicht verspottet hat – womit er freilich die Poetizität seiner Texte keinesfalls leugnete, sondern eher bestärkte? Bob Dylan will nicht interpretiert...



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