E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Eaton Alltagsängste bei Kindern
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7495-0202-8
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie Eltern ihren Kindern Sicherheit geben können
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0202-8
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Alicia Eaton führte als AMI Montessori-Lehrerin (Association Montessori Internationale) fünf Jahre lang eine eigene Schule. 2003 ließ sie sich zur Integrativen Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Klinische Hypnose ausbilden. Seit 2004 führt sie eine erfolgreiche Praxis in London.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Pädagogik: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Kognitionspsychologie Emotion, Motivation, Handlung
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
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Einleitung
Wir hören oft, dass die Kinder von heute stärker unter Stress stehen als jene früherer Generationen. Sie wachsen in einer Umwelt auf, in der es besorgniserregende neue Faktoren wie die Bedrohung durch den Terrorismus und den Klimawandel gibt, sie müssen in der Schule unzählige Tests und Prüfungen machen und werden in den sozialen Medien mit Mobbing konfrontiert: All das trägt zu einem höheren Maß an Angst bei. Unsere neuen Vernetzungsmöglichkeiten sind allem Anschein nach Segen und Fluch zugleich.
Selbst wenn Kinder Spaß daran haben, sich mit Computerspielen zu vergnügen, schüttet ihr Körper dabei eine Menge an Adrenalin aus, die nicht wieder völlig abgebaut wird. Das Gefühl einer ständigen Beunruhigung und einer „generalisierten Angst“, wie man in der Psychologie sagt, kann dadurch rasch in alle Bereiche des Lebens überschwappen.
In meiner Praxis in der Harley Street helfe ich Kindern schon seit über 15 Jahren, besser mit Angstgefühlen umzugehen und sie zu überwinden, daher weiß ich um die schlimmen und lang anhaltenden Folgen, die sie haben können, wenn man ihnen nicht entgegenwirkt. Angst kann das emotionale Wachstum eines Kindes verzögern und seine Leistungen in allen Bereichen des Lebens hemmen. Sie wird Ihr Kind davon abhalten, Freundschaften zu schließen, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen, erfolgreich Prüfungen zu bestehen und sein Potenzial zu entfalten.
Ironischerweise sind Sorgen über die Ängste eines Kindes zu einer erheblichen Stressquelle für Eltern geworden. Angst verbreitet sich im Haus wie ein unsichtbares Gas – jeder kann sie spüren, aber niemand weiß so recht, was genau los ist. Wir wissen nur, dass sie ansteckend ist.
Jedes Mal, wenn ein Kind voller Angst zu mir kommt, sehe ich in ihm ein wenig mich selbst, denn ich weiß, was es heißt, ein ängstliches Kind zu sein. Ich weiß, wie es ist, wenn man sehr, sehr große Angst hat. Ich weiß, wie es ist, wenn man in den dunklen Ecken des Schlafzimmers schattenhafte Gestalten sieht und Stimmen hört, obwohl gar niemand da ist. Und wie es sich anfühlt, wenn das Herz so hämmert, dass man Angst hat, es zerspringe einem gleich in der Brust, denn ich habe den größten Teil meiner Kindheit so verbracht – in einem Zustand der Angst.
Ich wurde als Alicja Olszewska geboren – als Tochter polnischer Flüchtlinge. Mein Vater lebte während des ganzen Zweiten Weltkriegs in Warschau und musste sich als Kind jahrelang vor Nazisoldaten verstecken und ihren Kugeln ausweichen. Nach dem Ende des Krieges wurde er als 16-Jähriger zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder im Laderaum eines Lastwagens aus dem Land geschmuggelt. Als sie in England eintrafen, kamen sie dort wieder mit meinem Großvater zusammen, der als polnischer Offizier in der Royal Air Force war und auch für die polnische Exilregierung in London arbeitete. Daher konnte er, wie er wusste, nie mehr nach Polen zurückkehren, und die Familie konnte sich glücklich schätzen, dass sie sich in England wieder vereinen konnte.
Mein Vater hat immer gesagt, eigentlich hätte er schon viele Male zu Tode kommen müssen. Fast täglich war er in lebensgefährliche Situationen geraten, und doch war es ihm irgendwie gelungen, mit heiler Haut davonzukommen. Er fragte sich oft, wie er das fertiggebracht hatte und warum er zu den wenigen glücklichen Überlebenden zählte, und wenn ich mir das Ausmaß der Zerstörung ansehe, das der Krieg über Warschau gebracht hat, dann staune ich ebenfalls darüber. Das Haus seiner Familie steht dort noch heute, und ein Nachbarhaus weist als bleibende Kriegsnarben Einschusslöcher auf.
Im Gegensatz dazu war meine Kindheit in einem Vorort von London ein sehr sicheres Dasein, und doch wurde nicht nur das Leben meines Vaters, sondern auch unseres von dem beherrscht, was nach unserem heutigen Wissen eine Posttraumatische Belastungsstörung war.
Mein Vater wachte regelmäßig mitten in der Nacht auf, weil er Albträume hatte, und schrie: „Die Soldaten kommen!“ Unser Küchenschrank quoll fast über von Reis-, Nudel-, Zucker- und Mehlpaketen – Kriegsvorräte für alle Fälle. Mein Vater wurde zornig, wenn die Vorräte zu weit zusammenschmolzen – wir würden es ihm eines Tages danken, sagte er immer, wenn es Krieg gäbe und die Menschen nichts zu essen hätten. Wir hatten auch Gasmasken auf dem Dachboden … „für alle Fälle“.
Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem er zur Bank ging und einen Teil seiner Ersparnisse in Krügerrand-Münzen umtauschte. „Gold wird die einzig wahre Währung sein, wenn es Krieg gibt“, pflegte er immer zu sagen. Eine Goldmünze konnte einem das Leben retten, denn mit ihr konnte man den Laib Brot kaufen, der darüber entschied, ob man weiterlebte oder verhungerte. Er hob unter der Eiche am Ende des Gartens ein tiefes Loch aus und vergrub dort all seine Goldmünzen.
Obwohl er als Sohn eines Luftwaffenoffiziers auf einem Militärflugplatz aufgewachsen war, hatte er große Angst vor dem Fliegen und stieg nie in ein Flugzeug. Noch in späteren Jahren wurde er zornig, wenn er herausfand, dass ich eine Urlaubsreise ins Ausland machen und mit dem Flugzeug reisen wollte, denn er war ständig in Sorge um uns. Paradoxerweise sah er sehr gerne bei Flugschauen zu und sammelte auch Modelle von Spitfires – aber er zog automatisch den Kopf ein, wenn er über sich das Dröhnen eines Flugzeugs hörte.
Die Kindheit meiner Mutter war ebenso traumatisch, sie lebte zeitweise in sibirischen Arbeitslagern, und so wurde das Leben in höchster Alarmbereitschaft für meine Familie zu einer normalen Daseinsform.
Als wir Kinder waren, ging nie jemand mit meinen Schwestern und mir in ein Schwimmbad – Schwimmbäder mussten unbedingt gemieden werden, denn „Wasser ist sehr, sehr gefährlich.“ Wir durften auch kein Fahrrad besitzen und nicht Rad fahren – denn wir könnten herunterfallen und „uns den Hals brechen“! Und wenn nicht, würde uns spätestens das nächste Auto, das vorbeikam, totfahren.
Als ich fünf Jahre alt war, entwickelte ich eine Hundephobie. Ein freundlicher Labrador sprang bei einem Familienausflug ans Meer an mir hoch. In seinem Überschwang kratzte er mich an den Beinen. Als ich daraufhin Blutstropfen auf meinen Schenkeln sah, geriet ich in Panik und rannte los – und der Hund natürlich hinterher. Doch wie schnell ich auch rannte, der Hund war schneller. Ich konnte seinem heißen Atem und seinem Keuchen dicht hinter mir nicht entkommen. Und je lauter ich schrie, desto lauter bellte er.
Es dauerte über 30 Jahre, bis ich das Gefühl von Panik kontrollieren konnte, das mich jedes Mal überflutete, wenn ein Hund in meine Nähe kam.
In den 1970er-Jahren, als ich groß wurde, war es üblich, Hunde auf der Straße frei laufen zu lassen, deshalb konnte mein eigentlich kurzer Schulweg von 15 Minuten sich bis zu einer Stunde ausdehnen, da ich oft einem seltsamen Zickzackkurs folgte, weil ich jedes Mal die Straßenseite wechselte, wenn ich einen Hund kommen sah. In den 1970er-Jahren legten Terroristen in London auch regelmäßig Bomben, sodass uns meine Mutter warnte, nie dicht an einem Briefkasten vorbeizugehen, „denn er kann explodieren!“ Dadurch wurde der Schulweg noch länger.
Also weiß ich über Angst Bescheid. Und ich kenne Albträume. Ich kenne das Gefühl von Panik, denn ich bin damit aufgewachsen. „Angsthase“ war mein Spitzname. Ich weiß, wie sehr Angst einen schwächt und wie weit sie das Leben von Menschen einschränkt.
Meine Angst hielt sich bis ins Erwachsenenalter, und leider entwickelte ich auch eine Furcht vor dem Aufzug- und dem U-Bahn-Fahren – sehr unpraktisch, wenn man rechtzeitig am Arbeitsplatz erscheinen will. Und, ach ja, ich hatte auch Angst im Dunkeln … und vor dem Fliegen (logisch – das hatte mir mein Vater ja anerzogen) und vor Spinnen und … also, Sie verstehen schon.
Angst ist eine merkwürdige und ungewöhnliche Emotion. Obwohl mein Vater sein Leben lang mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu kämpfen hatte, war er kein Hasenfuß. Er war ein starker, vitaler Charakter, der das Leben jeden Moment voll auskosten wollte – das hatte er während des Krieges gelernt. Schließlich wusste man nie, wann das Leben zu Ende war, deshalb musste man jeden Tag so leben, als sei er der letzte. Und obwohl er so leicht in Panik geraten und beim Anblick einer Spinne in einer Zimmerecke aufschreien konnte, war er vollkommen furchtlos, wenn es um sein Geschäft ging – ein großes und sehr erfolgreiches Elektronikunternehmen. Die Leute fragten sich oft, ob er einfach „Glück gehabt“ hatte, aber wir wussten, der eigentliche Grund für seinen Erfolg war, dass er bereit war, Risiken einzugehen, vor denen die meisten Menschen zurückschrecken würden. Er hatte sicherlich das Gefühl, er sei ein Glückspilz – wie hätte er sonst den unzähligen Kugeln und Bomben entrinnen können –, und auf seltsame Weise trieb ihn seine Angst an, Großes zu leisten. Er führte sein Geschäft in Vollzeit, bis er 86 Jahre alt war.
Als ich meine Ausbildung in klinischer Hypnose und Neurolinguistischem Programmieren begann, fing ich an zu verstehen, wie Furcht, Phobien und Ängste entstehen, und – was noch viel wichtiger war – wie man sie wieder loswerden kann. Ich war fasziniert von der Entdeckung, dass es tatsächlich möglich ist, eine Spinnen- oder Schlangenphobie an einem einzigen Tag aus der Welt zu schaffen. Wenn man lernte, die Reaktionen des Körpers zu kontrollieren, bedeutete das, dass jemand, der sein Leben lang beim Anblick einer harmlosen Hausspinne zu schreien begonnen hatte, lernen konnte, nach...




