Durst | Das Bestiarium | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Durst Das Bestiarium

Erzählungen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-5355-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erzählungen

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-7526-5355-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Man wußte, wie schnell Gott in Zorn geriet, wie kleinlich und bösartig er war. Wenn es ihm gefiel, starb das Vieh, und die Äpfel faulten an ihren Zweigen. Man mußte sich vorsehen, und Mama lächelte stets freundlich, wenn der Geistliche unseren Laden betrat. Zehn Geschichten des Grauens.

Uwe Durst, geb. 1965, Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft sowie der Kunstgeschichte, lebt in Stuttgart

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DER SCHNEIDER
I.
In einer süddeutschen Stadt lebte vor Jahren ein Schneider namens Achaz Bebel. Er war dürr, weil er sich nur von Brot und gelben Suppen ernährte, die Arbeit in gebeugter Haltung hatte ihm den Rücken gekrümmt, und seine schwach gewordenen, von zahllosen Falten umkränzten Augen schauten hellblau durch eine dicke Brille. Da Schneider ebenso rasch welken wie ihre Finger an Hornhaut gewinnen, war sein Alter nicht an seinem Gesicht abzulesen. Die linke Hand aber, die täglich von Nadeln zerstochen wurde, verriet, daß er um die dreißig Jahre zählte und sich nicht über einen Mangel an Arbeit beklagen konnte. Er hatte viele Kunden, in deren Kleidersäumen er feinste Tropfen seines Bluts zurückließ. Trotzdem lebte er in grausamer Armut. Die Kleider, die er selbst am Leibe trug, waren abgewetzt, und die Suppen, die er schlürfte, verdünnte seine Frau, denn der Schneider war mit einem bösen Weib gestraft und hatte ein feiges Herz. Sooft Una vor ihn hintrat und ihn zwang, ihr die Einnahmen Münze für Münze in die Hand zu zählen, klopfte es schwer in seiner Brust; sein Rücken krümmte sich noch mehr, und ein Ausdruck der Angst trat ihm in die Augen, weil seine Frau immerzu neue Wege ersann, ihm etwas anzutun. Darüber hinaus hatte es dem Teufel gefallen, sie mit großer Schönheit zu begaben. Ihre Augen strahlten, sie hatte volle Lippen, ihr Haar war pechschwarz, und sie tat, was immer notwendig war, um diese Pracht zur Geltung zu bringen. Das Schneiderlein vergoß sein Blut für wohlriechende Wässer, teure Seifen und farbige Stifte, mit denen sie ihr Gesicht bemalte. Einen Schrank voll herrlicher Kleider hatte er ihr nähen müssen, in denen sie gleich einem Edelstein funkelte und blitzte, und wenn sie sich herbeiließ, gemeinsam mit ihm auf die Straße zu treten, bildete ihre Köstlichkeit einen schroffen Gegensatz zu dem eingeschrumpften Männlein an ihrer Seite. Freilich hatte Bebel so viel zu arbeiten, daß er die Werkstatt kaum verließ und recht eigentlich in ihr wohnte, zumal es ihm verboten war, die anderen Räume des Hauses zu betreten. Nur am späten Abend durfte er hervorkommen, um seiner Frau das Haar zu bürsten und ihre erstaunlich rasch nachgewachsenen Nägel zu schneiden. War dies getan, mußte er in die Werkstatt zurückkehren und sich auf dem Schneidertisch zur Ruhe legen, während Una ihn einsperrte und den Schlüssel zweimal umdrehte. Bebels einziges Vergnügen bestand darin, seiner Frau jeden Abend einige Haare, die sich in der Bürste verfangen hatten, zu stibitzen, sie hernach auf ein fein gewebtes Tuch zu knüpfen und sich an der wachsenden Fülle zu ergötzen, die gleich einem schwarzen Bach über seine liebkosenden Finger glitt. Tagsüber versteckte er die Perücke in einer Schublade, um sie nachts auf den Kopf einer fleischfarbenen Stoffpuppe zu setzen, die er sich angefertigt und mit zwei grünen Knöpfen als Augen versehen hatte. Dann legte er sich das Menschlein zärtlich auf den Leib und küßte es. Der Schneider hatte schon viele Jahre an der Seite seiner Gemahlin verbracht, sich nie beklagt, nie zu seufzen gewagt und süßen Trost aus der Tatsache gezogen, daß seine Gattin die allerschönste Frau auf Erden war, als er eines Nachts von einer lauten Unterhaltung geweckt wurde. "Du sollst selbst Tote behexen können", sagte jemand. "So geht die Rede. Und es ist wahr", bestätigte Una. "Was verlangst du für deinen Zauber?" "Kommt darauf an, was du begehrst", erwiderte die Gattin des Schneiders. Bebel war über diese Worte ebenso erstaunt wie über den nächtlichen Besuch eines Fremden. Er erhob sich vom Tisch, auf dem er sich ausgestreckt hatte, und die Puppe, die er liebkost und im Schlaf an sich gedrückt, fiel zu Boden. Una und ihr Gast verstummten. Das Gesicht des Vollmonds spähte durchs Fenster und erleuchtete die Werkstatt, die Nacht war still. Nur das Miauen verliebter Katzen war zu hören. Was man nicht alles träumt, dachte der Schneider kopfschüttelnd, tastete nach der Brille und erhob sich, um die Puppe wieder an sich zu nehmen und ihr Haar zu streicheln. Doch kaum hatten seine Finger die Locken berührt, waren die Stimmen wiederum vernehmlich und so laut, als sprächen sie ihm unmittelbar ins Ohr. "Deine Künste sind hoffentlich vier Taler wert." Der Schneider fuhr zusammen. "Sei unbesorgt", erwiderte Una. Was geschieht hier? staunte Bebel. Er schlich zur Tür der Werkstatt und blickte durchs Schlüsselloch. Im Schlafzimmer seiner Frau stand ein feister, rotgesichtiger Herr in mittleren Jahren. Er öffnete seine Börse und legte einige Münzen in Unas Hand. "Dein Geld ist gut angelegt", versicherte sie. "Nun laß mich sehen, was du vermagst", forderte das Doppelkinn. "Weck' die Leiche auf!" Des Schneiders Frau lächelte, und indem sie die Halsschließe ihres Kleids öffnete, fiel es zu Boden. Dann faßte sie mit einer Hand die obere Lippe ihres Munds, während die andere die Unterlippe ergriff, und zog die Haut unters Kinn und über den Schädel zurück, so daß der blutbedeckte Kopf eines häßlichen und tierhaften Wesens zum Vorschein kam; sie packte die Haut zu beiden Seiten des Halses, um sie sich über die Schultern zu zerren, und streifte sie endlich, gleich einem engen Gewand, über Brust und Bauch und Beine ab, so daß die Gattin zuletzt von allem Menschlichen entkleidet und blutig vor dem Fremden stand. Dem Schneider wurde schwindlig. Ein Kreisel begann, sich in seinem Kopf zu drehen, und eine Steifheit befiel seine Glieder, indessen ihm das Herz bis zum Halse pochte. Mit jedem Schlag erzitterte die Welt, Una küßte den Rotgesichtigen auf den Mund, und der Kerzenschein, der ihr Schlafzimmer beleuchtete, zersprang in tausend Scherben. II.
Der Morgen fand Achaz Bebel auf seinem Tisch. Er hatte die Zudecke um den krummen Leib geschlungen und lauschte angestrengt. Im Haus waren die Schritte seiner Gattin zu hören. Dann knackte das Türschloß, und Una trat herein. In der Hand hielt sie ein kleines Tablett, auf dem sie eine Tasse Bucheckernkaffee und ein Stück Graubrot balancierte, das sie, wie jeden Morgen, kaum sichtbar mit Butter bestrichen hatte. "Was sitzt du hier herum, du Taugenichts?" rief sie zornig. "Warum bist du nicht längst an der Arbeit?" "Ich habe gestern nacht kaum geschlafen", flüsterte Bebel. "Dann hast du zu wenig gearbeitet", versetzte Una. "Wer arbeitet wird müde, und wer müde ist, dem fallen die Augen von selber zu." Bebel erschauerte, denn seine Frau liebte es, ihn mit dem Rohrstock zur Rechenschaft zu ziehen. "Du hast recht", antwortete er leise und nickte mit dem Kopf. "Gestern bin ich nicht vorangekommen. Vielleicht werde ich krank. Aber heute will ich mich doppelt anstrengen, und am Abend werde ich in Schlaf fallen, sollten auch alle Geschöpfe der Hölle vor meinem Fenster schreien." Seine Augen versuchten, unter Unas Haut das grauenhafte Wesen zu finden, das sie tatsächlich war. Zudem hatte er erwartet, daß ihr Fleisch zu beiden Seiten des Mundes eingerissen sei, konnte aber nichts dergleichen entdecken. "Daß du mir vor lauter Müdigkeit keinen Stoff vergeudest!" drohte seine Frau mit erhobenem Zeigefinger, und ihre kalten, grünen Augen schimmerten wie frisch polierte Knöpfe. Sie schloß die rückwärtige Haustür auf, durch die Bebels Kunden zum Schneider gelangten, ohne der Gattin lästig zu fallen. "An die Arbeit!" kommandierte sie und verschwand. Erst am Mittag würde sie zurückkehren, um ihrem Mann einen Teller gelber Suppe zu bringen. Bebels Augen schlichen zur Schublade, in der das Menschlein schlief. Ich muß prüfen, was es damit auf sich hat, dachte er. Vielleicht habe ich nur Fieber gehabt. Im Fieber sieht man die tollsten Dinge. Und er zog die Puppe heraus, löste das feine Tuch von ihrem Kopf, verwahrte sie wieder und schob seine zerstochenen Finger in das schwarze Haar. Nichts änderte sich: Sein alter Tisch stand wie eh und je in der Ecke, und die Werkzeuge, die seiner Arbeit dienten, hingen säuberlich an ihren Nägeln. Bebel betrachtete die Kommoden, die Regale, in denen er verschiedene Stoffe lagerte, die Kästen voll bunter Fadenspulen, seine Scheren und Nadelkissen. Über dem Tisch hing ein großer Kalender, in roten Buchstaben war vermerkt, daß er noch heute vormittag bei Bürgermeister Krahl erscheinen mußte, um für einen neuen Anzug Maß zu nehmen. Es ist doch ein Traum gewesen, überlegte er, da sich nichts zeigte. Der Dielenboden war mit Fädchen und abgeschnittenen Tuchkanten übersät. Bebel unterließ es oft wochenlang, mit dem Besen durch die Werkstatt zu gehen und die Staubmäuse aufzukehren, die unterdessen viel Nachwuchs hatten. Nur ein Traum, glaubte er und musterte die Reihen seiner Vorlagenbücher und das halb vollendete Festkleid, das er für die Gattin des Gerichtspräsidenten Fegebeutel genäht hatte. Vor wenigen Tagen war diese urplötzlich vom Schlag...



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