E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Durst-Benning Die Salzbaronin
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0411-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0411-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Petra Durst-Benning ist eine der erfolgreichsten und profiliertesten deutschen Autorinnen. Seit fast 30 Jahren laden ihre historischen Romane die Leserinnen ein, mit mutigen Frauenfiguren Abenteuer und große Gefühle zu erleben. Auch im Ausland und im TV feiern ihre Romane große Erfolge. Petra Durst-Benning lebt mit ihrem zweiten Mann und ihren Hunden in der schönen Kurstadt Bad Kreuznach. Mehr erfahren Sie auf Facebook und unter: www.durst-benning.de
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2
Als Dorothea durch das Portal ins kühle Innere des Hauses trat, spürte sie, wie im selben Moment drei kleine Schweißtropfen hintereinander zwischen ihren Brüsten hinabrannen und unangenehm kitzelten. Zu gern hätte sie sich die juckende Haut gerieben, doch das hätte nur einen dunklen Fleck auf ihrem grünen Kleid hinterlassen. So winkelte sie wenigstens die Arme etwas ab und genoß den kühlen Luftzug, der jedesmal, wenn sie an einer weit geöffneten Zimmertür vorbeiging, ihren Leib umspielte. Einen heißeren Tag zum Heiraten hätte sich Georg nicht aussuchen können!
Das Kaminzimmer lag am Ende des Ganges auf der linken Seite. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum ihr Vater sie unter den Hunderten von Gästen hatte suchen lassen. Heute war Georgs Tag – der von Elisabeth natürlich auch –, und das war auch gut so. Was also wollte er da von ihr? Um die Saline würde es gerade heute doch sicher nicht gehen, oder?
Mit feuchter Hand fuhr sie sich über ihre hochgesteckten Haare, deren Nervenenden schmerzten, als würde Dorothea mit tausend Nadeln gepikst, und tastete ab, ob noch jede Locke an ihrem Platz war. Sie hätte auch vor einen der vielen Spiegel treten können, die abwechselnd mit den Portraits verblichener Grafen von Graauw den Gang zierten, doch dazu war Dorothea zu uneitel.
Ihr Vater war nicht allein.
»Da bist du ja endlich!« Mit weit ausgestreckten Armen kam er ihr entgegen, und sein Grinsen zog sich von einem Ohr zum andern.
Es mußte wohl um Rehbach gehen, beschloß Dorothea, als sie Fredericks Gegenüber erkannte. Alexander, der Baron von Hohenweihe, war nicht nur ihr Nachbar, sondern lieferte auch das Holz für die Rehbacher Siedehäuser. Sie nickte ihm kurz zu, wandte sich dann aber an ihren Vater. »Du hast mich rufen lassen?« Im gleichen Atemzug ärgerte sie sich über die fehlende Festigkeit in ihrer Stimme. Sie hörte sich ja fast an wie Georgs Angetraute, als diese ihr »Ja« dahingehaucht hatte. Wütend räusperte sie sich.
»Komm näher, liebes Kind! Alexander und ich freuen uns über deine Gesellschaft.« Frederick von Graauw winkte sie zu sich hin. »Ich hoffe, ich habe dich nicht beim Verspeisen eines Stückes der Hochzeitstorte gestört? Oder gehört meine Tochter neuerdings auch zu den Damen, deren Taillen so schlank sein sollen wie Hungerhaken?« Seine Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt.
Etwas ging hier vor sich, das spürte Dorothea. Diese Überschwenglichkeit, das zu laute Lachen hätten eher zu einem Kaffeekränzchen gepaßt – aber unter Jagdkumpanen? Leises Mißtrauen stieg in ihr hoch. Es war nicht so, daß ihr Vater sonst unfreundlich zu ihr wäre, ganz im Gegenteil: Dorothea genoß bei ihm eine Art Narrenfreiheit, die für sie längst zur Gewohnheit geworden war. Lediglich wenn Viola sich bei ihm über ihre Widerspenstigkeit beklagte und er auf ihr Drängen hin »ein ernstes Wörtchen« mit ihr redete, ahnte sie, wie groß die Freiheiten wirklich waren, die sie sich täglich herausnahm.
Unter Alexanders amüsiertem Blick wurde sie von ihrem Vater durch das Zimmer dirigiert. Der Druck seiner Hand auf ihren Arm ließ erst nach, als sie die Sessel, die kreisförmig vor dem Kamin plaziert waren, erreicht hatten. Dorothea zog die Augenbrauen in die Höhe. Ohne besondere Grazie ließ sie sich auf dem Sessel, der dem Fenster am nächsten stand, nieder – man war schließlich unter sich. »Was ist denn so wichtig, daß du mich bei dieser Hitze durch den ganzen Garten hast jagen lassen?« Dorotheas Stimme verriet nichts von ihrer inneren Anspannung, sondern klang eher gelangweilt.
Das Lächeln des Grafen verschwand. »Ma chère«, er holte tief Luft. Sein Blick wechselte zwischen ihr und Alexander hin und her.
Dorothea verzog den Mund. Sie haßte es, wenn ihr Vater französisch sprach! Dieses Getändel paßte so gar nicht zu ihm, er war doch ansonsten so … Ihre Gedanken wurden so jäh unterbrochen, daß sie zuerst gar nicht richtig aufnahm, was er sagte.
» … jedenfalls ist es an der Zeit, daß auch du endlich heiratest!«
Dorothea schaute sich um. Wohin? Violas liebevoll gepflanzten Blütenmeere aus Hortensien, Rosen und anderem Blumenzeugs wie auch die Wege waren zwischen den dichtgedrängten Menschenleibern kaum mehr auszumachen. Am liebsten hätte sie ihre Ellenbogen benutzt, um sich ihren Weg zu bahnen. Die schneeweißen Blumenrabatten, welche die einzelnen Gartenabteile voneinander trennten, wurden unter Spitzenpantoffeln und feinstem Gerbleder niedergetrampelt. Wie Hummeln flatterten die Gäste umher, um nur ja keinen Punkt im Programmheft von Georgs und Elisabeths Hochzeit zu verpassen. Nach der Hochzeitszeremonie am Vormittag, bei der sich der Pfarrer weiß Gott genug Zeit gelassen hatte, war nun Amüsement angesagt! Zurück blieben verschmierte Blütenleichen, deren austretender Saft gierig vom ausgedörrten Sommerboden aufgesaugt wurde. Wie mußte Violas Herz angesichts dieses Frevels bluten! Sonst hätte Dorothea für ihre Stiefmutter Mitleid empfunden, statt dessen ging sie heute wie betäubt durch die Menge. Die Mittagshitze kam ihr nach der Kühle des Hauses um so unerträglicher vor. Der Schweiß rann ihr in Bächen den Leib hinab, aber um nichts in der Welt hätte sie im Haus bleiben wollen!
Das Kinn fast auf die Brust gedrückt, den Blick tief aufs Programmheft gesenkt, damit sie ja keine Menschenseele zuviel grüßen mußte, schlängelte sich Dorothea quer durch den Garten zum Ufer des Flusses. Wenn ihr der Sinn gerade nach etwas nicht stand, dann war es das ewige Lächeln und Parlieren.
Trotzdem kam sie nur langsam voran, mußte alle paar Schritte stehenbleiben und Luft holen. Ihr war so schwindlig, daß sie Angst hatte, auf der Stelle umzufallen und sich vor allen Gästen zu blamieren. Immer wieder mußte sie Spucke hinunterschlucken, aber die aufsteigende Übelkeit verging nicht. Langsam hatte sie das Gefühl, als würde die Wut in ihr überkochen.
Endlich wurde es stiller, wurde das Stimmengemurmel der Gäste vom trägen Gezwitscher der Vogel verdrängt, die in den Baumkronen der riesigen Pappeln ausharrten. Hin und wieder trug ein schwacher Windhauch ein paar Takte Musik des herzöglichen Kammerorchesters, das im Rosenpavillon aufspielte, zu ihr herüber. Wie eine Marionette von unsichtbaren Fäden gezogen, ging Dorothea ein Stück den Kocher entlang, dessen sonst so tiefes Dunkelblau einem schlammigen Braun gewichen war. Wo normalerweise Strudel und Stromschnellen das Holztriften zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit machten, entblößten nun beide Seiten des Flußufers in Dutzenden von Schichten bröckeliges Erdreich. Dorothea konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen so niedrigen Wasserstand gesehen zu haben.
Je weiter sie ging, desto spärlicher wurden Violas Blumenbeete. Hier und da stand ein vereinzelter Rosenbusch in Blüte, oder klammerten sich ein paar dunkelviolette Hortensien an einen aus der Erde ragenden Findling, der den wachsamen Augen der Gärtner bisher entgangen war. Ansonsten beherrschten riesige Brombeerhecken, die jedem Rodungsversuch getrotzt hatten, das Bild. Die überreifen, tiefschwarzen Beeren waren bis in Kniehöhe abgefressen – ein Zeichen dafür, daß wilde Tiere dieses Stück Garten aufsuchten. Es roch nach getrockneten Algen und letztjährigem Laub. Hierher verirrte sich selten jemand, gleich dahinter begann das offene Land. Dorothea spürte, wie sich ihr zugeschnürter Hals ein wenig weitete.
An der Stelle, wo der Fluß einen Schlenker nach links machte und hinter einer Brombeerhecke verschwand, stand eine winzige Gartenbank. Das verwitterte Holz ihrer Rückenlehne war vor vielen Jahren von kundigen Händen auf kunstvolle Weise gedrechselt und geschnitzt worden, doch niemand hatte sich die Mühe gemacht, das gute Stück vor den Unbilden des Wetters zu schützen, und so war es dem Zerfall nahe. Schon beim Hinsetzen spürte Dorothea, wie sich die feinen Fasern ihres Kleides an dem rauhen Holz rieben, aber das war ihr gleich.
Eine Zeitlang schaffte sie es, jeden Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie beobachtete einen Reiher, der innerhalb kürzester Zeit drei Fische aus dem träge dahinfließenden Kocher holte – zumindest für ihn schien der niedrige Wasserstand etwas Gutes zu haben!
»Es ist eine Schande, daß ein so hübsches Kind wie du nicht längst verheiratet ist.« Frederick von Graauws Worte wurden jetzt wie ein Echo von ihren Schädelwänden zurückgeworfen. »Viola hat vollkommen recht mit ihrem Vorwurf, ich hätte dich wie eine Wilde erwachsen werden lassen. Schau dich doch um: All deine Cousinen sind längst verheiratet, bald giltst du als alte Jungfer!« Ratlos hatte er den Kopf geschüttelt, so als habe er erwartet, daß sich die Frage von Dorotheas Zukunft mit der Zeit von selbst lösen würde.
Schon bei der Erinnerung wurden Dorotheas Wangen wieder heiß. »Aber Vater«, hatte sie geantwortet, »ich bin doch erst neunzehn Jahre alt!« Frederick von Graauws Behauptungen waren ebenso abwegig wie peinlich! Warum mußte er gerade heute dieses Thema anschneiden? Und dann noch vor ihrem Nachbarn? Sie kannte Alexander von Kindesbeinen an, gemeinsam waren sie durch die Hohenweihschen Wälder getobt, bis Viola dem einen Riegel vorgeschoben hatte. Eine Zeitlang war Alexander sogar mit ihnen zusammen unterrichtet worden. Jeden Tag hatte eine Kutsche ihn morgens zum Unterricht ins Haus der Graauws gebracht und nachmittags wieder abgeholt. Alexander war für sie wie ein zweiter Bruder – vielleicht lag es an dieser Vertrautheit, daß Dorothea die Worte ihres Vaters so peinlich waren.
Alexanders Miene war undurchsichtig gewesen, der Wortwechsel zwischen Vater und Tochter schien ihn weder zu amüsieren, noch schien er ihm...