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E-Book

E-Book, Deutsch, 250 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 208 mm

Reihe: schwarz bewegt

Dudley Race Relations

Essays über Rassismus
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-949545-76-4
Verlag: Orlanda Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Essays über Rassismus

E-Book, Deutsch, 250 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 208 mm

Reihe: schwarz bewegt

ISBN: 978-3-949545-76-4
Verlag: Orlanda Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Pointiert und fesselnd!
Michaela Dudleys Refl exionen über Rassismus


Michaela Dudley entführt die Lesenden auf eine bewegende Exkursion, die komplexe Facetten von Rassismus und die Gefühlswelten von Opfern und Tätern vor Augen führt. Das Entsetzen, welches der Tod von George Floyd oder der Anschlag von Hanau auslösen, wird ebenso zum Thema, wie Mikroagressionen, die stets im Windschatten solcher Vorfälle laufen und gleichermaßen auf Hautfarbe oder Herkunft zielen. Zugrunde liegende Rassismen und Vorurteile stehen der gesamten Gesellschaft und deren sozialen Frieden im Wege. Nur gemeinsam können sie bewältigt werden.

Die Berliner Kolumnistin, Kabarettistin und Blacktivistin mit afroamerikanischen Wurzeln bringt diese Themen in der Tradition von Maya Angelou und May Ayim stilsicher und selbstbewusst zur Sprache und auf den Punkt. Ihre Reflexionen führen die Lesenden an die Ursprünge, helfen, die Wurzeln von Rassismus zu verstehen, und tragen dazu bei, ihn effektiv zu bekämpfen – eloquent und unterhaltsam auf den Punkt gebracht.

»Wir, die vom Rassismus unmittelbar betroffen sind, befinden uns tagtäglich auf einem Parcours, der uns nicht nur physisch, sondern auch psychisch zermürbt. Sprengen wir hier die Ketten, sollten wir da über die Klinge springen. Die Ziellinie wird stets in weite Ferne gerückt, immer mehr Hindernisse werden aufgestellt. Und wer nicht mehr atmen kann, bleibt ohnehin auf der Strecke.« Michaela Dudley
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1. Grabenkämpfe


Mississippi, 1964. Die Baumwollfelder dehnten sich endlos aus. Unter der sengenden Sonne entfalteten sie sich wie ein schimmerndes Meer. Millionen flauschiger Wattebäuschchen tanzten auf einem leichten Windhauch und verwandelten die Landschaft in ein Gemälde der Natur, gemalt mit unzähligen weißen, welligen Pinselstrichen. Eine Idylle, traumhaft und zugleich trügerisch. Der Anblick gaukelte eine Unschuld vor, die in diesem Staat eigentlich längst verloren gegangen war.

Etwas lag so oder so in der Luft. In der drückenden Hitze schwebte der Geruch verblühter Magnolien und vergorener Melasse. Ortsfremde, die es hierher verschlagen hatte, empfanden das Aroma als betörend und nicht minder beklemmend. Dies war ein süßlich-fauler Duftcocktail, dem häufig ebenfalls eine rauchige Note innewohnte. Die Hiesigen störte es nicht. Damals war es gang und gäbe, überwucherte Weiden kontrolliert anzuzünden, um Platz für neue Triebe zu schaffen. So stachen Mulch und Stroh immer wieder in die Nase, kitzelnd und sogar quälend.

Bisweilen aber konnte man auch verbranntes Holz wittern. Verbranntes Holz, das unheimliche Rituale ins Gedächtnis rief. Es waren Rituale wie aus Geistererzählungen. Diese Geistererzählungen entstammten jedoch der Gegenwart und entsprachen der Wahrheit. Nachts auf den offenen Hügeln loderten Kreuze, während weiße Schatten im Mondlicht herumschwirrten. Manchmal erfassten die Flammen eine Blockhütte. Eine bewohnte, übermäßig belegte Blockhütte, deren Überreste am nächsten Morgen als graue, wabernde Aschewolken in das Firmament emporstiegen, durchsetzt von den beißenden Aromen der Verwesung.

Wer gedachte, in der Kühle der Wälder Zuflucht zu suchen, konnte plötzlich auf ein aufgeschnittenes, zerfranstes Galgenseil stoßen. Das verräterische Exponat der Selbstjustiz lag entweder auf dem Laubteppich unter den Eichen oder hing, sogar leicht baumelnd, noch von den Ästen. Jedweder Hain konnte sich zu jedweder Stunde in eine Hinrichtungsstätte verwandeln.

Man hatte schon mehrmals eindringlich davor gewarnt, das Reich der Rednecks zu besuchen. Das Vorhaben, ausgerechnet Mississippi, Schauplatz der grausamen Morde an Emmett Till (1941–1955) und Medgar Evers (1925–1963), zu besuchen, glich einem Sprung in den Abgrund. Doch James Earl Chaney, 21, sowie Michael Schwerner, 24, und Andrew Goodman, 20, ließen sich partout nicht beirren.

Chaney, ein schwarzer Katholik, kam sogar ursprünglich aus Meridian, Mississippi. Seine Mitreisenden Schwerner und Goodman, zwei weiße Juden, stammten aus New York City. Die drei Idealisten streiften in ihrem blauen Ford-Kombiwagen nicht planlos umher. Nein, sie hatten ein festes Ziel. Es ging um die Demokratisierung des Dixielands, und zwar, wohlbemerkt, ein Jahrhundert nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei.

In Mississippi, damals wie auch heute dem ärmsten Bundesstaat der USA, und in den anderen Staaten der ehemaligen Konföderation hatte ein Geflecht aus Gesetzen, wirtschaftlichem Druck und Gewalt ein Wahlsystem errichtet, das Schwarze systematisch marginalisierte. Die Möglichkeit zur politischen Partizipation blieb der afroamerikanischen Bevölkerung also weitgehend verwehrt. Gerade in Mississippi machten Schwarze sogar 45 Prozent der Bevölkerung aus, und trotzdem galten nur etwa 15 Prozent von ihnen als wahlberechtigt. Der Congress of Racial Equality (CORE), eine bereits 1942 gegründete NGO, trat diesem Unrecht entgegen und gründete Freedom Schools, um die entrechteten Bürger*innen zu befähigen und zu mobilisieren. Ziel war es, durch Bildung und Ermutigung die Hürden der Wählendenregistrierung zu überwinden. CORE-Aktivist*innen unternahmen den mutigen Schritt, im tiefsten Süden eine solche Schule zu etablieren, um Schwarze gezielt auf die staatlich vorgeschriebenen Lese- und Schreibtests vorzubereiten.

Anno dazumal, in einer Ära ohne die digitalen Werkzeuge, die heute die Koordination von Protesten erheblich erleichtern, war es eine enorme Herausforderung, Menschen für eine gemeinsame Sache zu mobilisieren. Statt Flashmobs gab es Flugblätter, Poster statt Posts und Telegramme statt TikTok und Tweets. Trotzdem gelang es dem Organisationsteam, zahlreiche Freiwillige in kurzer Zeit zusammenzutrommeln.

Der Freedom Summer 1964 war ein Wendepunkt im amerikanischen Bürgerrechtskampf. Tausende junge Menschen, vorwiegend weiße Studierende, reisten in den tiefen Süden der USA. Sie kamen nicht als Protestierende mit Plakaten, sondern als Freund*innen mit Formularen. Denn es war ihr Ziel, schwarze Bürger*innen bei der Registrierung für die im November anstehenden Wahlen zu unterstützen. Angetrieben von einem tiefen Glauben an Gerechtigkeit und Gleichheit, konfrontierten sie den rohen Rassismus. Ihre Motivation? Sie wollten die Welt ändern. Die Welt – oder zumindest einen Teil davon. Immerhin trug ihre Arbeit maßgeblich dazu bei, das Bewusstsein für die Ungerechtigkeiten im Süden zu schärfen und die Bürgerrechtsbewegung zu stärken.

Das Fleckchen Erde, das dem Trio Chaney, Schwerner und Goodman zuteil und zum Verhängnis wurde, lag in Neshoba County. Dort in der Kleinstadt Longdale pflanzten die jungen Männer einen Samen der Hoffnung. Ihre Rede in der Mount Zion Methodist Church war ein leidenschaftlicher Appell zur Emanzipation. Schwerner flehte die Gemeinde an, die Ketten der Unterdrückung abzuschütteln und ihre Rechte einzufordern. »Ihr wart zu lange Sklaven«, rief er aus. »Wir können euch helfen, euch selbst zu helfen.«

Doch dieser Funke der Freiheit entzündete nicht nur Hoffnung, sondern auch den Hass der weißen Dominanz. Sam Bowers, Anführer der White Knights of the Ku Klux Klan, erteilte den Befehl, den mittlerweile abgereisten Bürgerrechtlern eine Falle zu stellen. Selbst der örtliche Sheriff, Lawrence Rainey, und dessen Stellvertreter, Cecil Price, beide Mitglieder des Klans, waren in die Verschwörung eingeweiht. Um die CORE-Aktivisten zurück nach Neshoba County zu locken, verübte der Klan einen gewaltsamen Überfall auf Gemeindemitglieder der Mount Zion Methodist Church. Gleich im Anschluss daran erfolgte ein Brandanschlag auf die Kirche. Der Zwischenfall rief Chaney, Schwerner und Goodman tatsächlich wieder auf den Plan. Vom CORE-Büro in Meridian aus eilten sie dahin und begutachteten die verkohlte Ruine aus nächster Nähe. Das Gotteshaus, in dem sie jüngst zum Widerstand aufgerufen hatten, war nunmehr nichts als Schutt und Asche. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr rund zwanzig weiteren Kirchen für Schwarze in Mississippi, und zwar schon alleine in demselben Sommer.

Entsetzt, jedoch nicht entmutigt, beteuerten die drei Bürgerrechtler ihre Verbundenheit mit der Kirchengemeinde. Die Zeit war allerdings knapp. Aus Angst davor, nachts vor Ort erwischt zu werden, hatten sie für den Besuch nur wenige Stunden anberaumt. Es war der 21. Juni, der längste Tag des Jahres. Dies bot ihnen aber wenig Trost. Sie hatten allen Grund zur Annahme, dass sie heimlich verfolgt wurden. Wahrhaftig waren die Geister der Finsternis ihnen schon lange auf der Spur.

Da Chaney, der in Mississippi aufgewachsene Schwarze, bessere Ortskenntnisse hatte als seine beiden Kollegen, diente er als Fahrer. Er vermied auf dem Rückweg ganz bewusst die direkte Straße, weil diese schmal, unbefestigt und von verfallenen Gebäuden gesäumt war. Zu wenig Komfort, zu wenig Sicherheit. Schließlich wäre jener Weg auch zu langsam gewesen. So fuhren sie durch das 5.000-Seelendorf Philadelphia, den Verwaltungssitz von Neshoba County.

Zu allem Überfluss platzte ein Reifen des Kombis in Philadelphia. Aus dem Nichts erschienen blinkende rote Lichter. Deputy Price in seinem Polizeikreuzer stürzte sich auf sie und funkte nach Verstärkung. Dass der Negro am Steuer des Kombis saß, passte sehr gut. Chaney wurde wegen einer angeblichen Geschwindigkeitsüberschreitung festgenommen. Goodman und Schwerner wurden zur Vernehmung mitgenommen. Nach etlichen Stunden in Polizeigewahrsam und der Zahlung einer Geldstrafe von 20 Dollar kam Chaney wieder auf freien Fuß. Mit der Aufforderung, sich nie wieder in Neshoba County erwischen zu lassen, wurden sie in die Nacht gestoßen – und dem Ku Klux Klan übergeben. Deputy Price jagte die drei jungen Männer nach wenigen Kilometern Freiheit in die Arme eines Mordkommandos.

»You that nigger lover?«, fragte Alton Roberts, als er eine geladene Pistole auf Michael Schwerner richtete.1

Roberts, ein Verkäufer und unehrenhaft entlassener Marine, drückte binnen Sekunden ab. Er feuerte ebenfalls auf Andrew Goodman und schoss Chaney dann in den Kopf, wobei Chaney bereits von James Jordan in den Unterleib getroffen worden war. Drei Tage später wurde der Ford-Kombiwagen gefunden, völlig ausgebrannt und ohne Insassen.

Der ausgebrannte Kombi der drei CORE-Aktivisten. (Quelle: Public Domain. FBI).

Mehr als sechs Wochen lang schien die Erde Mississippis Chaney, Schwerner und Goodman verschlungen zu haben. Doch auch...


Dudley, Dr. Michaela
Michaela Dudley, Berlinerin mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Kolumnistin, Kabarettistin, Keynote-Rednerin und Beraterin. Ihre wortgewandte sozialkritische Kolumne »Frau ohne Menstruationshintergrund« erscheint regelmäßig in der taz. Außerdem schreibt sie für den Tagesspiegel, das LGBTQMagazin Siegessäule sowie für MISSY-Magazin und Rosa Mag. Die Blacktivistin, Queerfeministin und gelernte Juristin (Juris Dr., USA) setzt sich facettenreich für die Würdigung der Vielfalt ein. Als »Diva in Diversity« referiert sie und leitet Workshops mit intersektionalen Ansätzen gegen Diskriminierung u.a. für große deutsche Unternehmen und diverseInstitutionen.



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