Drumbl | Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erste scheint zu schön | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Drumbl Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erste scheint zu schön


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-903005-52-5
Verlag: Edition Atelier
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

ISBN: 978-3-903005-52-5
Verlag: Edition Atelier
Format: EPUB
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Ein kraftvoller und feinsinniger Roman über Menschen und deren Schicksale, Männer und Frauen, Anfang und Ende, das Leben und den Tod. »Andrea Drumbl hat mit ihrer ?Vogelfreiheit? eine oft genug unheimliche, manchmal auch schön-morbide Prosawelt geschaffen. - Eine Prosawelt, die ich immer wieder, Kapitel für Kapitel gelesen habe.'

Andrea Drumbl, Jahrgang 1976, erhielt 2010 den Kärntner Lyrikpreis, 2011 das Startstipendium für Literatur des bmukk und 2012 das Jahresstipendium für Literatur des Landes Kärnten. Geboren in Lienz/Osttirol, Kindheit und Jugend in Kärnten (Kötschach-Mauthen), Studium der Deutschen Philologie und der Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Universität Wien. Lebt in Wien, Linz und Kärnten. 2013 erschien ihr Romandebüt »Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erste scheint zu schön'.

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Eigentlich ist es ein ganz normaler September. Aber nur scheinbar. Denn vier Menschen sterben in diesem September unabhängig voneinander innerhalb weniger Tage und im Umkreis von nur wenigen Kilometern von eigener Hand. Zuvor jedoch halten sie alle noch für einen Augenblick inne und denken daran, was ihr Leben erfüllt hat und was es unmöglich macht - Momente voll tiefer Schönheit und unumstößlicher Vergänglichkeit.
Ein kraftvoller und feinsinniger Roman über Menschen und deren Schicksale, Männer und Frauen, Anfang und Ende, das Leben und den Tod.


Günter oder
Der Flügeltanz
Angefangen hatte das alles damals, als er noch ein kleiner Junge war, in seinem Kindsein, da hatte es angefangen. Es hatte damals, in diesem Augenblick, tief unter seinen Augenlidern angefangen, denn dort unten saß er, dieser Blick in seinen Augen, mit dem alles seinen Lauf genommen hatte, denn schon damals saß sie dort, unter seinen Augenlidern, diese Verzweiflung, die ihn anstarrte, aus seinen Augen heraus, und die er sich später so sehnlich wegwünschte, mit einem verzweifelten Wunsch auf seinen purpurnen Lippen mit dem jungenhaften Flaum darauf. Schon damals war es für ihn zu spät zu leben, schon damals gab es für ihn diese tödliche Stille, die nachts an seine Fensterscheibe klopfte und an dunklen Wänden hochhüpfte und die er wie Zungenspitzen im Nacken spürte – ihn umschmeichelnd und liebkosend, ein verheißungsvoller Zauber. Ein Flügeltanz. Später dann hatte er sich fallen lassen, nachdem ihm die Tabletten im Hals stecken geblieben waren und ihm einen ungeheuerlichen Brechreiz verursacht hatten, einen Brechreiz auf das Leben. Er hatte sich fallen lassen, hatte sich fallen lassen aus diesem verdammten Fenster, das im vierten Stockwerk lag und das ihm alles versprach und alle Farbe erdrückte, als das Dunkle vom Himmel stürzte und alle Wolken mit sich riss. Und dort ein Seufzer, hängengeblieben in einer Ecke, ein Schluchzen, das gegen die Scheibe prallte – ein viel zu Müdes, ein viel zu Vieles mit viel zu viel Erregung in der Luft, sie nagte zu sehr an seiner Haut. An jenem Abend in diesem September aber, da erwachten die Silhouetten der Stadt wieder einmal so müde und matt wie so oft zuvor im fahlen Schein der Abenddämmerung, und immer mehr entfernte sich das Tageslicht, bis sich die Häuser in der grauen Dämmerung verloren und die Schleier, die durch die Fensterscheibe fielen, vom Grau ins Schwarze wechselten. Eine laue Septembernacht hing über der Stadt. In der Dunkelheit schlichen die Stunden dumpf und träge dahin, während sich draußen eine unheimliche Finsternis über die Straßen spannte. Irgendwo schwirrte noch ein kleines Insekt, ein kurzes Surren, dann nichts mehr. Kein Ton war mehr zu hören in dieser Stille, die bedrohlich war. Und hinter dünnen Wolken stand der Mond, stumpfgrau und fahl, ein schwerer Schatten, der aus dem Nichts herauszukriechen schien und vor dem sich ein uralter Baum in die Nacht hinein erhob. Er sah bedrohlich aus mit seinem knorrigen Stamm voller Furchen und Risse, und die Luft um ihn herum schwamm in Nebeln, die wie dünne Schatten einen Walzer tanzten, die wie dünne Schatten einen Wiener Walzer tanzten, während trübe Luft vom Boden aufstieg und sich mit der Dunkelheit zu einer verzerrten Fratze vermischte. Langsam und leise pirschte sich diese Fratze der Dunkelheit an Günter heran, der wie betäubt in die Finsternis starrte, in dieses furchtbare Grauen, bei dem er sich so verlassen, so alleingelassen fühlte, bis sich das schwarze Loch der Nacht endgültig über die Stadt ausbreitete. In diesem Moment war Günters Gesicht so grau und leer wie seine Zukunft, und der Blick in seinen verhangenen Augen war ein dunkler. Es war der Blick eines Verzweifelten, eines zutiefst gebrochenen Menschen. Günter schaute in das Dunkel, blickte direkt in den Rachen dieses schwarzen Grauens, das ihn umgab, doch der Himmel dieser Nacht starrte ihn nur an, tat ihm nicht mehr weh. Dann trat Günter ans Fenster und sah, wie die Umrisse der Häuser aus den dunklen Schatten hervortraten. Lange schaute er diese Gemäuer an, die vergeblich der Nacht trotzten, bevor sie im Sog der Dunkelheit allmählich verschwanden. Verletzt und von großem Schmerz erfüllt dachte Günter, als er am Fenster stand, daran, dass es, seit er Janka nun zum ersten Mal nach Jahren wieder zufällig auf der Straße gesehen hatte, so war, als habe er selbst keinen eigenen Willen mehr. Er spürte, dass er sie tief in seinem Herzen immer noch liebte. Er war betäubt in einem Wirbel sinnlicher Verwirrungen. Und er verzehrte sich nach ihr. Sie jedoch hatte ihn unmissverständlich zurückgewiesen, auch dann noch, als er ihr sein Herz zu Füßen legte. Tief in seinem Inneren fühlte er nun sein Wesen wie eine verschmutzte Wunde, die nicht mehr heilen konnte. Er fühlte sich ratlos und hilflos, er fühlte sich zutiefst verloren, und sein Leben kam ihm so trostlos und unsinnig, vor allem aber so durch und durch verlogen vor. Als Kinder, da waren sie wie Bruder und Schwester gewesen, Günter und Janka, das Mädchen, deren Großeltern Emigranten aus Bulgarien waren. Und als sich Jankas Eltern trennten, da schwörten sie sich ewige Freundschaft, wollten immer füreinander da sein, Mädchen und Junge, und als Freundin und Freund berührten sie mit der rechten Hand das Herz des anderen. Die hübsche und so schlanke Janni, wie er sie früher nannte, im viel zu engen T-Shirt, die immer bei ihm war – sie berührte ohne Weiteres mit ihrer schmalen zarten Hand sein viel zu empfindsames Herz. Vieles war so viel einfacher früher, heute war vieles so viel schwieriger geworden, komplizierter, funktionierte nicht mehr so einfach wie früher. Und dennoch waren sie später dann immer noch wie Bruder und Schwester, wenngleich inzwischen ein durch und durch inzestuöses Geschwisterpaar. Plötzlich wurde Günter aus seinen Gedanken gerissen, und er merkte, dass er trotz der Wärme im Raum am ganzen Körper fröstelte. Der Boden, auf dem er stand, war kalt, und er spürte auch eine Kälte in der Luft, die unnatürlich war für diese Jahreszeit. Wie scharfes Gift schoss ihm die Kälte in den Kopf, verteilte sich in seinem Körper und bereitete ihm einen stechenden Schmerz. Und am Himmel blickte der Mond zwischen zerrissenen Wolken hervor, warf einsam sein schales Licht in die nachtschwarze Finsternis und verklärte mit seinem blassen Schimmer die ganze Umgebung. Die nächtliche Stadt mit ihren schwarzen Schatten hatte etwas Gespenstisches. Günter schauderte, und eine sonderbare, fieberhafte Unruhe füllte nicht nur das Zimmer, sondern auch seinen ganzen Körper aus. Gedankenfetzen schlichen sich in seinen Kopf und blieben dort hängen. Wie Blut gespuckt. Er wollte hinaus aus diesem Zimmer, fort von dieser Stadt und weg von diesem Ort, der so bitter schmerzhaft alle nur erdenklichen Gefühle in sich vereinte. Er musste fort, fort von diesen Dingen, die ihn an so vieles erinnerten, fort von diesen Menschen in dieser Stadt, die er beneidete, da sie nur Angst vor dem Tod hatten, während er sich vor dem Leben fürchtete, das er nicht mehr länger ertragen konnte, weil es einsam machte. Ein zwingendes Gefühl trieb ihn vorwärts und jagte ihn durch das Zimmer, ein zwanghafter, ein unbezwingbarer Drang. Kalten Atem keuchend lief er durch den Raum, riss Schubladen auf und schlug sie wieder zu, starrte auf das Mobiltelefon auf der Kommode und beschloss, es doch nicht zu verwenden. Schweißgebadet zog er weiter seine rasenden Runden, immer wieder und immer mehr, bis er vor einem Fenster endlich wieder zum Stehen kam. Hastig öffnete er es und sah tief unten den dunkelgrauen Fleck Beton vorm Haus, der ihn plötzlich sanft und friedlich stimmte und eine richtige Attraktion für ihn war, ein unwiderstehlicher Kitzel, bei dem ihm schwindelte. Die Versuchung war enorm und die Begierde unersättlich. Günter war fasziniert von diesem dunklen Loch, das sich vor ihm auftat und aus dem eine Melodie traurig und ernst in die Nacht hineintönte. Aber nur Günter konnte diese Musik hören, sie spielte sozusagen nur für ihn ein letztes Stück. Verzweiflung und Einsamkeit waren das Ergebnis, denn die schweren Takte füllten sich mit Angst, Unheil und Schmerz, bis alle Töne in seinem einsamen und verlassenen Herzen erstarben und nur noch eine Ahnung von dieser Musik zurückblieb. Und ein aussichtsloser Wunsch drängte sich ihm auf: Janka, seine Janni, seine Janka – nur noch ein Mal ihren Atem haben, nur noch ein einziges Mal ihre Ruhe spüren. Es wäre so friedlich. Es war ein zu einsamer Wunsch. Vorsichtig kletterte Günter auf das Fensterbrett. Die schroffen Kanten der Hausmauer und die seltsame Stille der sonst so belebten Stadt hatten etwas Lustvolles, das er begehrte, und mit einem Mal fühlte er sich unendlich frei, frei von allen Zwängen, die ihn so lange nicht leben ließen, die ihn ein ganzes Leben lang nicht leben ließen – sein Leben lang. In diesem Moment lag die Zeit in eisernen Ketten. Mondheller Schein fiel auf den Boden, und Erinnerungen donnerten in Günter wirr gegeneinander und durchzuckten seinen Kopf beißend und brennend. Atemerschöpft riss er seine Augen auf, und für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl, wesenlosen Schmutz in sich zu spüren. Sauer und heiß begann es, in ihm zu wühlen, in ihm zu stechen und den Ekel der vergangenen Tage aufzustoßen, und er fühlte sich völlig schwerelos, körperfremd und vom Leben eingeengt. Der dunkle Himmel über ihm war voller Schatten mit einem Wind, der sich durch die Lüfte in die Nacht erhob. Es war nur ein einziger zwischen den stillen Häusern erstickter Klagelaut aus Günters von all den unerfüllten...


Andrea Drumbl, Jahrgang 1976, erhielt 2010 den Kärntner Lyrikpreis, 2011 das Startstipendium für Literatur des bmukk und 2012 das Jahresstipendium für Literatur des Landes Kärnten. Geboren in Lienz/Osttirol, Kindheit und Jugend in Kärnten (Kötschach-Mauthen), Studium der Deutschen Philologie und der Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Universität Wien. Lebt in Wien, Linz und Kärnten.
2013 erschien ihr Romandebüt »Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erste scheint zu schön«.



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