E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Drescher / Hebsacker / Leitgeb Learning for the Future
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95749-510-5
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zukunftskonferenz für die Darstellenden Künste
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-95749-510-5
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Hans-Jürgen Drescher war von 2014 bis 2022 Präsident der Theaterakademie August Everding und Leiter des Masterstudiengangs Dramaturgie. Seit 2016 ist er Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Er war verantwortlich für die Gesamtkonzeption der Zukunftskonferenz. Johannes Hebsacker studierte bis 2023 Dramaturgie (M.A.) an der Theaterakademie August Everding und der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet seitdem als wissenschaftlicher Volontär bei der Kulturstiftung des Bundes. Antonia Leitgeb ist stellvertretende Leiterin des Studiengangs Dramaturgie an der Theaterakademie August Everding und war Kuratorin der Zukunftskonferenz. Daniel Richter ist Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und war Kurator der Zukunftskonferenz.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Wissen produzieren / Seite 30
2 Diversität entwickeln / Seite 64
3 Theater organisieren / Seite 102
4 Digitalität gestalten / Seite 148
5 Zukunft denken / Seite 178
Für die Zukunft lernen, schon heute
Die Dokumentation
Johannes Hebsacker, Hans-Jürgen Drescher, Antonia Leitgeb und Daniel Richter
In einer sich permanent wandelnden Umgebung ist zentral, mit immer wieder neuen Situationen umgehen zu können und auf unvorhergesehene Entwicklungen reagieren zu können. Lernfähigkeit wird zu einer vorrangigen Fähigkeit von Theaterschaffenden und Theaterbetrieben, aber auch zu einem wichtigen Ausbildungsinhalt für Theaterstudierende.
Für die Zukunft zu lernen bedeutet dabei nicht nur, als Individuum oder Organisation Veränderung oder Wandel zu üben, mit Komplexität umzugehen und Neues aufzunehmen. Lernfähig zu sein bedeutet, sich Zeit zu nehmen und Zeit zu geben1, Fehler zu machen, Fehlerkulturen zu pflegen2 und Feedbackprozesse zu gestalten. Es bedeutet, in Szenarien denken und Perspektiven wechseln zu können. Lernfähigkeit erfordert demnach innere Diversität und interdisziplinären Austausch, aber auch Konnektivität von Individuen, Organisationen oder Systemen zwischen ihrem jeweiligen Innen und Außen.3 Lernfähig zu sein bedeutet, offen und damit verletzlich zu sein.4 Lernfähigkeit beschreibt in diesem Sinne ein bestimmtes „Weltverhältnis“: Lernfähige Individuen oder Betriebe sind responsiv, sie lassen sich von ihrer Umwelt betreffen, sie gehen auf Äußeres ein, reagieren,5 sie sind flexibel und beweglich. Lernfähige Menschen oder Betriebe begreifen die Prämissen ihrer Arbeit und ihres Handelns als kontingent,6 das bedeutet, dass auch professionelles Wissen nicht mehr als vorgegeben, sondern ebenfalls als kontingent verstanden wird.7 Die Frage: „Könnte es anders sein?“8 wird zur ständigen Begleiterin in Lernprozessen. Lernfähig zu sein ist demnach kein Zustand und keine Methode, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern ein nie abgeschlossener Prozess.9
Vom 15. bis zum 17. Juni 2022 trafen sich Praktiker:innen und Forschende mit internationalen Studierenden an der Theaterakademie August Everding, um verschiedene Visionen für die Darstellenden Künste, ihre Institutionen und die Ausbildung zu diskutieren. In Workshops, bei Open Tables, Impulsvorträgen, Tischgesprächen und künstlerischen Interventionen wurde deutlich: Lernen bedeutet, Wissen zu produzieren, Digitalität zu gestalten, Diversität zu entwickeln, Theater neu zu organisieren und Zukunft gemeinsam zu denken. Der vorliegende Band dokumentiert Visionen und Wünsche, bereits erprobte oder noch zu erprobende Strategien, Impulse aus (vermeintlich) theaterfernen Disziplinen mit dem Ziel, davon schon heute für die Zukunft zu lernen.
Wissen produzieren
In betonen Amelie Deuflhard, Hayat Erdogan, Barbara Gronau, Marijke Hoogenboom, Steffen Jäger und Antonia Tretter die Notwendigkeit des bewussten Abbaus oder der kritischen Infragestellung von bestimmten Machtstrukturen, Gewohnheiten oder Überzeugungen. Die Teilnehmer:innen betonen, dass „Unlearning“ kein einmaliges Ereignis ist, sondern ein fortlaufender, manchmal schmerzhafter Prozess des Hinterfragens von etabliertem Wissen und Normen, der zu einer inklusiven und diversen Praxis von Theatern und Theaterhochschulen beiträgt. Wissen wird durch künstlerische Praxis hergestellt und erfahrbar. In unterstreicht er deshalb die Notwendigkeit, Studierende zu ermächtigen, ihre eigene Praxis des Wissenserwerbs zu gestalten, anstatt vorgefertigtes Wissen zu konsumieren. Aus einer soziologischen Perspektive plädiert er für einen Übergang von einer institutionalisierten Weitergabe von Wissen zu einer Praxis der Wissenserkundung, in der Studierende aktiv an der Strukturierung, Subjektivierung und Pluralisierung von Wissen teilhaben. Adrienne Goehler entwirft in ihrem Brief , die Lernumgebung junger Theaterschaffender und Studierender als geprägt von vielfältigen Herausforderungen wie der Coronapandemie, der Klimakrise und gesellschaftlichen Veränderungen. In diesem Umfeld können junge Menschen besonders dazu befähigt werden, etablierte Normen zu hinterfragen, neue Allianzen zu bilden und den Fokus auf künstlerische Prozesse über den Produktionszwang zu stellen. In reflektieren ehemalige Studierende der Theaterakademie August Everding ihre Ausbildung anhand ihrer Erfahrungen in ihren ersten Berufsjahren. Demjan Duran, Jana Gmelin, Danae Kontora, Antonia Tretter und Nicolas Fethi Türksever fragen sich: Worauf habe ich mich vorbereitet gefühlt, worauf nicht? Was hätte ich gerne früher gewusst? Ihre Auseinandersetzung verdeutlicht die Komplexität der Theaterwelt und die vielfältigen Herausforderungen, mit denen Absolvent:innen beim Berufseinstieg konfrontiert sind. Sie wirft auch Fragen nach der Weiterentwicklung der Theaterausbildung und den Arbeitsbedingungen in der Branche auf. Sieben Theaterstudierende aus verschiedenen europäischen Ländern erörtern im Rahmen eines mehrtägigen Workshops während der Zukunftskonferenz, wo sie bereits in der Gegenwart Zukunft entdecken, was an ihren Hochschulen schon heute gut funktioniert, was sie dort vermissen und wodurch sich gute Freund:innen auszeichnen. Manolis Tsipos dokumentiert ihren gemeinsamen Arbeitsprozess. Das entstandene Lexikon gruppiert sich um Begriffe wie Sensibilität, Kooperation, Vertrauen, Unsicherheit, Flexibilität oder Neugier. Es beschreibt die Suche nach einer gemeinsamen Sprache über die Zukunft und einer geteilten Vision für eine neuartige Theaterakademie.
Diversität entwickeln
Wie gelingt im Theater? Max Dorner, Angelica Fell, Nele Jahnke, Malte Jelden, Johanna Kappauf, Georg Kasch und Jutta Schubert diskutieren den Begriff Inklusion, Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung, das Werkstattsystem, in dem Menschen mit Behinderung meist arbeiten, und die Herausforderungen auf dem Weg zu einem inklusiven Theaterbetrieb. Die mangelnde Verfügbarkeit von Ausbildungsangeboten sowie finanzielle und bürokratische Hürden werden als zentrale Barrieren identifiziert. Die Diskussionsteilnehmer:innen sprechen sich dafür aus, dass Menschen mit Behinderung Zugang zu bestehenden Arbeits- und Ausbildungssystemen erhalten sollten, anstatt für sie separate Systeme aufzubauen. In zeichnen Josef Bairlein, Pinar Karabulut, Georg Kasch und Philipp Moschitz die Geschichte der Queerness im Theater von Shakespeare bis heute nach, diskutieren Rollenfächer, Rollenklischees und Besetzungspolitiken auf der Bühne und in der Theaterausbildung, im Schauspiel und in der Oper. Die Gesprächspartner:innen weisen darauf hin, dass das Leitungspersonal in Theatern und Hochschulen institutionelle Veränderungen fördern muss, um Queerness besser zu integrieren. Çagla Sahin beobachtet jedoch, dass sich gerade Theaterhochschulen zwar vielfältiger präsentieren, für gelebte Diversität erforderliche Anpassungen im Lehr- und Probenbetrieb jedoch ausbleiben. In plädiert sie für umfassende Veränderungen in der Schauspielausbildung, um Diversität nachhaltig zu integrieren. Sie beschreibt Konzepte queerer Lehre, inklusiver Lehre und antirassistischer Lehre und fordert geschulte Dozierende, einen bewussten Umgang mit Queerness, Anpassungen für Studierende mit Behinderung und eine Auseinandersetzung mit rassistischen Denkstrukturen. Yener Bayramoglu skizziert , eine Vision für das Jahr 2040, in der die Gesellschaft gelernt hat, die Fragilität des eigenen Seins, die Verletzlichkeit der Demokratie und die Fragilität der Hoffnung anzuerkennen. Vor dem Hintergrund der queeren und der postkolonialen Theorie plädiert er für einen epistemischen Wandel, der Peripherien in den Mittelpunkt rückt und eingeübte Grenzziehungen hinterfragt. In präsentiert Clothilde Sauvages mit dem Leitbild der Ouishare Community einen Ansatz, künstlerische und politische Praktiken zu verbinden. Das internationale Netzwerk vernetzt Akteur:innen aus unterschiedlichen Bereichen und versucht so, Themen möglichst ganzheitlich zu betrachten. Dass Diversität nicht nur hinsichtlich der im Theater versammelten Personen gedacht werden kann, sondern auch hinsichtlich der dort vertretenen Formen und Dramaturgien, zeigen zwei Beiträge von Carolin Wirth und Teresa Martin. Carolin Wirth weist darauf hin, wie immersive Bühnenanordnungen, in denen sich ein Publikum frei bewegen kann, eine Möglichkeit von darstellen können. Teresa Martin plädiert in für eine aktive Teilhabe des Publikums am künstlerischen Prozess, indem Zuschauer:innen an einer Szene mitwirken, indem unterschiedliche stellvertretende Akteur:innen in die Konzeption und/oder Probenarbeit eingebunden werden oder indem Teilhabe durch unterschiedliche Angebote der Barrierearmut ermöglicht wird. Sie illustriert ihre Argumentation...




