Drees | Sandbergs Liebe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 190 Seiten

Drees Sandbergs Liebe

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-906910-50-5
Verlag: Secession Verlag für Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 190 Seiten

ISBN: 978-3-906910-50-5
Verlag: Secession Verlag für Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kristian Sandberg, ein begabter junger Geisteswissenschaftler, schafft den ersehnten Berufseinstieg als Mitarbeiter einer Literaturagentur – das vereinbarte Gehalt stimmt, die Aufstiegschancen sind gut, auf die Arbeit freut er sich. Sämtliche Zeichen stehen auf Aufschwung.

Doch Sandberg ist einsam. Sein Traum von der großen Liebe blieb bislang unerfüllt, in langen Nächten kippt seine Verlorenheit ins Bodenlose. Mensch seiner Zeit, nutzt er Dating-Apps, getrieben von der Hoffnung, endlich jener Frau zu begegnen, die ihn glücklich macht und beschützt.

Eines Abends dann sitzt er auf der Außenterrasse eines Hamburger Cafés und hat ein Match. Wenig später trifft er sich mit Kalina. Eine romantische Beziehung beginnt, deren sexuelle Intensität und zärtliches Miteinander Sandberg wähnen lassen, in Kalina tatsächlich die Frau seines Lebens gefunden zu haben.

Innerhalb weniger Wochen jedoch gerät er in emotionale Abhängigkeit zu seiner ›gefährlichen Geliebten‹, während er selbst alles nur Erdenkliche tut, um ihr seine Liebe zu beweisen.
Fast unmerklich scheint diese ihm den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen wegzuziehen. Die anfänglich euphorisch erlebte Beziehung entpuppt sich als Höllenfahrt in die Abgründe eines emotionalen Missbrauchs.
.
Jan Drees spürt in seinem dritten Roman den perfiden Manipulationsstrategien nach, mit denen emotionale Gewalt ihre Wirkungskraft entfaltet.
Sandbergs Liebe, dem eine persönliche Erfahrung zugrunde liegt, führt in beinahe protokollarischer Genauigkeit und mit großer psychologischer Kenntnis vor Augen, wie Manipulation das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung zerstören und infolgedessen die Psyche eines Menschen in ihren Grundfesten erschüttern kann.

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Once
Daheim sehe ich den Poststapel der vergangenen Wochen durch und öffne die Pakete mit den Büchern der Frühjahrsprogramme. Ich putze meine Wohnung, fülle den Kühlschrank und setze mich aufs Sofa, um zu lesen. Stück für Stück komme ich an. Ich beschäftige mich mit den hölzernen Zettelkästen. Ich sortiere beschriebene Karteikarten. Jeder Notiz ordne ich eine Zahl zu. Ich schreibe Schlagworte auf die Rückseite und übertrage sie in einen Index-Kasten. Mal geht es um Zucht, Moral, Form, wenige Karten weiter um Schönheit, Begehren, Ewigkeit. Ich hatte mit dieser Technik des Sortierens während des Studiums begonnen, in der Hoffnung, eine Struktur für all jene Ideen und Gedanken zu finden, die damals im Stundentakt auf mich eindrangen und kaum zu fassen, zu verbinden waren. Ich bin erfüllt von der Vorstellung, dass die modernen Internet-Suchmaschinen ebenso wertlos sind wie das Wikipedia-Archiv, weil allein zählt, was der einzelne Mensch, der sich hineinwirft in die Welt mit seiner Neugier, seinem Schmerz und Intellekt, finden kann, was nützlich ist für andere, vor allem aber für sich selbst. Die Welt erscheint im Kopf, nur da kann sie geordnet werden. Ich schreibe Bewerbungen – und mit einer habe ich Glück. Ende Mai werde ich zu einem Gespräch in einer Hamburger Literaturagentur eingeladen. Der Chef heißt Walter Dierks. Ein wohlmeinender Mann, der sein Geschäft vor wenigen Monaten angemeldet hat, nachdem er jahrelang als Lektor eines wichtigen Publikumsverlages tätig war. Ich ziehe ein weißes Hemd an und begebe mich zum Hauptbahnhof. Nervös versuche ich während der Fahrt, meinen Blick auf der flachen Weite vorbeiziehender Felder ruhen zu lassen. Doch es gelingt mir nicht, ich bin zu angespannt. Vor dem Agenturgebäude schließlich, einem alten Hanse-Kontor, habe ich das Gefühl leichter Übelkeit. Einer meiner Backenzähne pocht, mir ist unwohl. Ich lindere die Schmerzen mit zwei Citalopram, melde mich beim Pförtner und frage, wo man sich die Hände waschen könne. Im Spiegel kontrolliere ich den Sitz meines Kragens. Ich knöpfe das Jackett zu und lasse den untersten Knopf offen stehen, wie es üblich ist in geschlossenen Räumlichkeiten. Dann trete ich aus dem Toilettenbereich. Der Agenturchef erwartet mich bereits und geht vom anderen Ende des Vestibüls auf mich zu. Er ist Anfang sechzig und trägt sein graues Haar halblang. Monaco Walter wird er im Betrieb genannt, auf Empfängen, Lesungen, Verleihungen, sofern er nicht in Hörweite steht. Ab achtzehn Uhr hat er stets ein Bierglas in der Hand. Seine Garderobe besteht aus dunkelblauen Hemden, die er mit Hosen aus hellem Stoff und Segeltuchschuhen kombiniert. Sein Klingelton ist ein alter Schlager aus Italien. »Wie schön«, sagt er, »wie schön.« Wir nehmen die Treppe. Ich werde gefragt, ob ich je in diesem Haus gewesen sei, wo die Redaktion einer angesehenen Wochenzeitung zwei Etagen belegt. Ich verneine schüchtern. »Es wird Ihnen gefallen, kommen Sie mit, hier entlang.« Dierks spricht mit jovialer Selbstverständlichkeit, als hätten wir beide bereits auf etlichen Verlagsveranstaltungen zusammengestanden. »Setzen Sie sich«, sagt er, als wir sein Büro betreten haben. Er deutet auf einen Freischwinger, der leicht schräg an der Besucherseite eines Eichenholzschreibtisches platziert steht, auf dem ein flacher Computermonitor, ein altes Telefon mit Wählscheibe und etliches Papier, ausgedruckte Romanfahnen, verschiedene Waschzettel, einige Bestellformulare für die Herbstauslieferungen dieses Jahres ihre Ordnung einhalten. An der Wand linker Seite hängt eine goldgerahmte Panoramaansicht von Düsseldorf um 1830, an der rechten stehen Bücherregale aus Metall. Die Sekretärin bringt Kaffee. Dierks lehnt sich zurück und schaut mich an, als überlegte er noch, was anzufangen sei mit mir, während ich ein wenig steif, die Beine übereinandergeschlagen, bemüht bin, einen guten Eindruck zu hinterlassen. »Sie fragen sich möglicherweise, weshalb ich Sie eingeladen habe«, sagt er, »wir beide wissen, dass die Zeiten schwer und Sie, wie so viele andere in unserer Branche auch, auf Jobsuche sind.« Ich schweige. Meine Übelkeit kommt wieder. Ich öffne das Jackett. Der Hemdkragen scheint sich enger um meinen Kehlkopf zu schließen. Ich versuche, bedachtsam durch die Nase ein und den Mund auszuatmen. Ich warte ab. »Es ist so«, sagt er, »wir wollen jemanden, der sich nicht nur mit Literatur gut auskennt, sondern jemanden, der zwischen den modernen Medien pendelt, der das Internet konstruktiv benutzen kann, wir brauchen jemanden, der unsere jüngeren Klienten begreift, verstehen Sie?« Ich verändere meine Sitzposition, schlage das linke Bein über das rechte, in der Hoffnung, meine Übelkeit werde nicht bemerkt. Meine Hände zittern. »Was müsste ich tun?«, frage ich. »Ein wenig reisen, sehr viel lesen, auswählen, die Verlagskollegen hier und da bei Laune halten.« »Aber warum ich?« Ich habe das Gefühl, die Entscheidung könnte schon vor diesem ersten Treffen auf mich gefallen sein. »Ich hab’ mich auf der Leipziger Messe umgehört, mir Tipps geben lassen, ich will schließlich nicht allein hier rumsitzen.« Meine Pupillen weiten sich. »Natürlich wurden viele Namen ins Spiel gebracht, aber«, Dierks beugt sich nach vorn und sieht mich an, »jeder Zweite hat von Ihnen gesprochen.« Auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof denke ich über jenen letzten Satz nach, den Walter Dierks fallen ließ, als wir wieder im Vestibül standen, um uns voneinander zu verabschieden. »Wenn sie den Job annehmen, lieber Kristian, dann ist das irgendwann wie eine Professur: und wird auch so bezahlt.« Ich war von der Selbstverständlichkeit ergriffen, mit der im späteren Verlauf des Gesprächs Vokabeln wie Nebentätigkeiten, Prozente oder vermögenswirksame Leistungen aufgekommen waren, wie Dierks freimütig von seiner Villa in Rotherbaum und dem weißen Mercedes-Coupé erzählt hat. »Leasing, kein Neid bitte.« Es ist später Mittag. Ich gehe, nachdem ich auf die Lange Reihe eingebogen bin, in einen Supermarkt und löse einen der Einkaufswagen aus der Reihe, den ich dann langsam über den Steinfußboden rollen lasse. Im Bereich der Obst- und Gemüseabteilung bleibe ich stehen und schaue über die angebotenen Waren. Es gibt dickblättrigen Mangold und ockerfarbene Tomaten aus Süditalien, chinesische Knoblauchknollen, die zwischen französischen Schalotten und weißen Perlzwiebeln aus heimischem Anbau leuchten; vis-à-vis süß duftende Juni-Kirschen, frische Erdbeeren und fein gemaserte Gravensteiner Äpfel aus dem Alten Land. Ich lege eine Handvoll schwarzer Tomaten in den Wagen, zwei Bündel Rauke, Salbeiblätter und ein Pfund mehliger Agria-Kartoffeln. Dazu stelle ich einen Topf Basilikum, bevor ich weitergehe Richtung Kühltheke, wo ich dünnes Kalbfleisch ordere, zwei Lagen Parmaschinken, ein Stück vom kräftigen Gruyère und ein halbes Dutzend Freiland-Eier. Ich lasse mir Zeit, kaufe eingelegte Taggiasca-Oliven, Eiswürfel und eine Kühlbox, zwei Flaschen Lugana Bianco, Mascarpone, eine Packung Löffelbiskuit. Nach einer Dreiviertelstunde, die ich von Gang zu Gang schlendernd im Supermarkt verbracht habe, steuere ich die Kasse an, um mit meiner Kreditkarte zu zahlen. Als ich im Bordbistro sitze, schreibe ich zwei meiner besten Freunde, Michael und Olivia, über WhatsApp an: »Es gibt Saltimbocca, kühlen Wein und Neuigkeiten. 19 Uhr bei mir? Ich koche.« Danach bestelle ich einen halben Liter Weizenbier, schalte HVOB an und höre das komplette Trialog-Album bis zur Einfahrt in den Bremer Hauptbahnhof. Zu dritt sitzen wir später am Küchentisch meiner Wohnung. In der Pfanne liegt eine letzte Scheibe des Kalbfleischs, mit der Unterseite getaucht in bereits erstarrter Butter, die matt schimmernd den schwarzen Teflonboden bedeckt. Nach meiner Ankunft in Bremen hatte ich sofort mit den Vorbereitungen für das Abendessen begonnen, die Kartoffeln aufgesetzt, meine Cafetière auf die Kochplatte gestellt, Löffelbiskuit in einer Glasschale ausgelegt und wenige Minuten später mit frisch gebrühtem Espresso und einigen Esslöffeln Amaretto übergossen. Das Kalb wurde mit San Daniele und Salbei gespickt, der vorsichtig gesäuberte Salat angerichtet, Eischnee unter die Mascarpone-Creme gehoben. Zum Ende des Abends nehme ich eine Flasche Single-Malt-Whisky von der Arbeitsplatte und schenke drei Gläser ein. Gemeinsam gehen wir auf den Balkon, um zu rauchen. Dort stehen wir beisammen, trinken den Glenrothes und sind so still wie es nur möglich ist bei...


JAN DREES, geboren 1979 in Haan, ist seit 2016 Moderator der Literatursendung Büchermarkt und Redakteur in der Deutschlandfunk-Buchredaktion.
Er hat Reportagen, Features und Rezensionen unter anderem für MDR Kultur, 1LIVE, Bayern 2, die FAZ und den Rolling Stone verfasst.
Jan Drees lebt und arbeitet in Köln.



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