E-Book, Deutsch
Doyle Sherlock Holmes
1. Auflage, Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst 2016
ISBN: 978-3-95870-226-4
Verlag: nexx verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das getupfte Band und andere Detektivgeschichten
E-Book, Deutsch
Reihe: nexx classics - WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
ISBN: 978-3-95870-226-4
Verlag: nexx verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der vorliegende Band ist eine Sammlung von 6 Sherlock Holmes-Geschichten: 'Das getupfte Band', 'Der Daumen des Ingenieurs', 'Die verschwundene Braut', 'Die Geschichte des Beryll-Kopfschmuckes', 'Silberstrahl' und 'Das Landhaus in Hampshire'. nexx classics - WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
Sir Arthur Ignatius Conan Doyle M.D. (1859-1930) war ein britischer Arzt und Schriftsteller. 1887 veröffentlichte er die erste Geschichte des Detektivs Sherlock Holmes und seines Freundes Dr. Watson: Eine Studie in Scharlachrot. Doyle, selbst Arzt, lehnte die Rolle des Dr. Watson an sich selbst an, Sherlock Holmes stattete er mit Eigenschaften seines Lehrers an der Edinburgher Universität, Joseph Bell, aus.
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Der Daumen des Ingenieurs
Von all den schwierigen Kriminalfällen, die meinem Freund Sherlock Holmes zur Lösung übertragen wurden, erhielt er nur zwei durch meine Vermittlung. Einer davon betraf Hatherleys Daumen. Wenn sich auch das großartige Kombinationstalent meines Freundes, dem er so wunderbare Erfolge zu verdanken hatte, hier weniger dabei entfalten konnte, so fing diese Aufgabe doch so toll an und verlief so dramatisch, dass sie mir wohl der Aufzeichnung wert erscheint. Jedenfalls hat sich der tiefe Eindruck, den ich damals erhielt, noch heute, nach zwei Jahren, kaum abgeschwächt. Es war an einem Sommertag. Ein Bahnbeamter, den ich bei einem Unfall behandelt hatte, verkündete mein Lob in allen Tonarten und hätte mir am Liebsten jeden Patienten geschickt, dessen er habhaft werden konnte. Eines Morgens, kurz vor sieben, wurde mir gemeldet, dass eben jener Bahnbeamte mit einem andern, offenbar verletzten Herrn gekommen wäre, um mich zu sprechen. Ich eilte die Treppe hinunter, da ich vermutete, es könne sich wieder um einen Eisenbahn-Unfall handeln, bei dem rasche Hilfe notwendig sei. Mein alter Freund kam mir vor dem Zimmer schon entgegen. »Ich hab' ihn hergebracht«, flüsterte er, mit dem Daumen über die Schulter deutend, »den hätten wir sicher.« »Was fehlt ihm denn?« fragte ich, denn das sonderbare Benehmen des Bahnbeamten verriet mir, dass es eine ganz besondere Bewandtnis mit dem Verletzten haben musste, den er so sorglich in mein Zimmer gesperrt hatte. »Es ist 'n neuer Patient«, raunte er mir in seiner treuherzigen Art leise zu. »Ich hielt es für schlauer, ihn gleich selbst herzubringen. Aber jetzt muss ich gehen, Doktor, die Pflicht ruft.« Und weg war er, ehe ich noch Zeit gefunden hatte, ihm für diese gutgemeinte Belebung meiner gar nicht beabsichtigten Praxis zu danken. Im Empfangszimmer fand ich einen Herrn am Tisch sitzen, der einen schlichten, bräunlichen Anzug trug, seine einfache Tuchmütze hatte er auf die dort aufgelegten Bücher gelegt. Eine seiner Hände war in ein völlig mit Blut durchtränktes Taschentuch gewickelt. Er war vielleicht 25 Jahre alt; sein Gesicht war ernst und männlich, aber so bleich, dass es mir den Eindruck machte, als wenn er eben eine schwere Nervenerschütterung durchgemacht hätte, die er trotz aller Anstrengung noch nicht überwinden konnte. »Verzeihen Sie die frühe Störung, Herr Doktor«, sagte er, »ich habe in dieser Nacht einen ernsten Unfall gehabt. Ich kam heute Morgen mit dem Zug hier an und erkundigte mich bei einem Bahnbeamten, wo ich einen Arzt finden könnte. Dieser Herr hatte die Güte, mich hierher zu begleiten. Ich übergab dem Mädchen meine Karte, doch wie ich sehe, liegt sie noch dort auf dem Tischchen.« Ich nahm sie auf und las: Victor Hatherley, Ingenieur, Victoria Street 16a III. Das war also Namen, Beruf und Wohnung meines Morgenbesuches. Dann setzte ich mich zu ihm. »Sie sind also die Nacht durchgefahren?« fragte ich. »Das ist gewöhnlich recht ermüdend und langweilig.« »Oh, in diesem Falle trifft das nicht zu«, sagte er und dann lachte er, so laut und gellend, dass er sich im Stuhl zurückwarf und sich die Seiten halten musste. Es lag etwas Krankhaftes in dieser übertriebenen Heiterkeit, das erkannte ich sofort. »Hören Sie auf«, rief ich, »reißen Sie sich zusammen!« Er hatte einen regelrecht hysterischen Anfall, wie er zuweilen bei sehr starken Naturen vorkommt, die eine große Aufregung hinter sich haben. Erst allmählich beruhigte er sich und nun wurde er dunkelrot vor Verlegenheit. »Ich habe mich schön lächerlich gemacht vor Ihnen«, keuchte er. »Durchaus nicht. Bitte, nehmen Sie.« Ich gab ihm etwas Kognak mit Wasser zu trinken. »Das tut gut«, sagte er. »Und nun haben Sie vielleicht die Güte, Herr Doktor, und sehen sich einmal meinen Daumen an oder vielmehr die Stelle, wo er gesessen hat.« Er band das Tuch ab und hielt mir die Hand entgegen, deren Anblick selbst mich erschütterte. Neben den vier ausgestreckten Fingern war statt des Daumens nur eine fürchterlich rote, schwammige Fläche. Er musste bis zur Wurzel abgehackt worden sein. »Das ist ja eine furchtbare Wunde, Sie müssen einen bedeutenden Blutverlust gehabt haben.« »Oh ja«, antwortete er. »Ich wurde sofort ohnmächtig, nachdem es geschehen war, und muss wohl längere Zeit besinnungslos gelegen haben. Ich blutete noch, als ich wieder zu mir kam, und umschnürte deshalb mein Handgelenk mit dem Taschentuch, das ich mit einem Holzpflock möglichst fest drehte.« »Das war sehr richtig. Die Wunde wurde jedenfalls durch ein schweres und scharfes Instrument verursacht?« »Durch eine Art Schlächter-Beil.« »Vermutlich ein unglücklicher Zufall?« »Oh nein, ganz und gar nicht.« »Also ist es mit Absicht geschehen?« »Sehr richtig geraten.« »Aber das ist ja fürchterlich!« Ich wusch die Wunde aus und legte dann einen antiseptischen Verband an. Er zuckte nicht mit der Wimper und biss sich nur zuweilen auf die Lippen. »Wie fühlen Sie sich jetzt?« fragte ich nach beendeter Arbeit. »Es ist mir jetzt wieder viel besser. Ich war wirklich der Ohnmacht nahe, aber ich habe auch recht viel durchgemacht.« »Vielleicht wäre es richtiger, Sie würden jetzt nicht davon sprechen. Es greift Sie sicher sehr an.« »Jetzt durchaus nicht mehr. Ich muss die Sache so bald wie möglich der Polizei melden, aber wenn meine Wunde nicht einen sehr deutlichen Beweis lieferte, würde ich wahrscheinlich mit meiner Erzählung dort wenig Glauben finden, besonders da ich so gut wie keine sicheren Anhaltspunkte geben kann.« »Oho!« rief ich, »falls die Geschichte etwas rätselhafter Natur ist und einer Lösung bedarf, dann würde ich Ihnen eigentlich raten, zuerst mit meinem Freund Holmes zu sprechen, ehe Sie zur Polizei gehen.« »Von diesem Herrn habe ich schon gehört«, sagte mein Patient, »und ich würde ihm nur zu gern meine Angelegenheit übergeben, obgleich die Polizei natürlich auch benachrichtigt werden muss. Würden Sie so freundlich sein und mir einige Empfehlungsworte mitgeben?« »Herr Holmes wohnt hier im Hause, ich kann Sie gleich zu ihm führen«, antwortete ich. Wir gingen nach oben. Sherlock Holmes saß noch im Schlafanzug im Wohnzimmer, las die Polizeiberichte in der »Times« und rauchte seine Morgenpfeife, die er mit allen Stummeln der Zigarren stopfte, welche er tags zuvor geraucht hatte und sorgfältig zu sammeln und auf dem Kaminsims zu trocknen pflegte. Er empfing uns in seiner urgemütlichen Art und Weise und ließ frisch gerösteten Speck und Eier bringen, so dass wir uns bald recht behaglich fühlten. Als wir fertig waren, musste unser neuer Freund in einem bequemen Liegestuhl Platz nehmen, Holmes unterstützte seinen Kopf mit einem Kissen und stellte ihm ein Glas Wasser und Kognak in die Nähe. »Es scheint mir, Herr Hatherley, als wäre Ihre Angelegenheit nicht ganz gewöhnlicher Natur«, sagte er. »Bitte, machen Sie es sich vollständig bequem und betrachten Sie sich ganz wie zu Hause. Erzählen Sie uns alles so genau wie möglich, aber halten Sie bei der geringsten Ermüdung ein und gebrauchen Sie ab und zu dies kleine Stärkungsmittel.« »Besten Dank«, sagte mein Patient. »Nachdem Doktor Watson mir den Verband angelegt hat, fühle ich mich wieder ganz gut, und Ihr Frühstück hat die Kur vollendet. Ich will mich so kurz wie möglich fassen, um Ihre Zeit nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen.« Holmes saß in seinem Lehnstuhl; sein gleichgültiges Gesicht mit den halb geschlossenen Augen verriet nichts von seiner scharfsinnigen Forschernatur. Ich saß ihm gegenüber, und wir hörten beide stillschweigend dem seltsamen Bericht des Fremden zu. »Zuerst muss ich Ihnen sagen«, begann er, »dass ich alleinstehender Junggeselle bin und in einer Mietwohnung in London lebe. Von Beruf bin ich Ingenieur und habe während der sieben Jahre, die ich bei der Ihnen sicher bekannten Firma Venner & Matheson in Grennwich beschäftigt war, mir gute Kenntnisse angeeignet. Als vor zwei Jahren meine Ausbildung beendet war und ich durch meines Vaters Tod in den Besitz seines Vermögens kam, entschloss ich mich, selbständig zu werden und ließ mich in der Victoria Street nieder. Vermutlich wird jeder Mensch bei diesem ersten Schritt auf die Bahn der Unabhängigkeit ziemlich trübselige Erfahrungen machen; mir ging es jedenfalls nicht anders. In zwei Jahren wurde mein Rat im Ganzen dreimal begehrt, und nur einmal wurde mir ein sehr unbedeutender Auftrag erteilt, das war Alles! Meine Gesamteinnahmen beliefen sich auf 27 Pfund, 10 Schillinge. Von neun Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags lag ich täglich auf der Lauer, bis ich wirklich mutlos wurde und sich der Gedanke in mir festsetzte, dass ich es in einem selbständigen Geschäft nie zu etwas bringen würde. Gestern jedoch, als ich eben im Begriff stand, das Büro zu verlassen, meldete man mir, es wäre ein Herr draußen, der mich zu sprechen wünschte. Ich sah mir seine Karte an, sie trug den Namen Oberst Lysander Stark. Ich ließ den Oberst herein bitten. Er war etwas über Mittelgröße und von erschreckender Magerkeit, ich entsinne mich nicht, jemals einen so hageren Menschen gesehen zu haben. Sein Gesicht bestand eigentlich nur aus Nase und Kinn, und die Haut war straff über die Backenknochen gespannt. Und doch sah er eigentlich nicht krank aus, denn seine Augen blickten völlig klar, sein Schritt war sicher und sein ganzes Benehmen sehr selbstbewusst. Seine Kleidung war ziemlich einfach, aber sauber; er mochte ungefähr vierzig Jahre zählen. ›Herr Hatherley?‹ fragte er mit deutschem Akzent. ›Sie sind mir als ein Mann empfohlen worden, der nicht nur in seinem...