E-Book, Deutsch, Band 33, 240 Seiten
Reihe: Penguin Edition
Doyle Sherlock Holmes
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-32101-7
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erzählungen - Penguin Edition (Deutsche Ausgabe) – Die kultige Klassikerreihe – Klassiker einfach lesen
E-Book, Deutsch, Band 33, 240 Seiten
Reihe: Penguin Edition
ISBN: 978-3-641-32101-7
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kein perfider Plan ist so wohl ersonnen und keine Untat so perfekt ausgeführt, als dass Sherlock Holmes dem Übeltäter nicht auf die Schliche käme. Mag ein Verbrechen auch rätselhaft erscheinen, mag die englische Polizei mit ihren herkömmlichen Ermittlungsmethoden noch so sehr im Dunkeln tappen, der scharfsinnigen Beobachtungs- und Kombinationsgabe des genialen Meisterdetektivs entgeht nichts. Und von Fall zu Fall sieht Dr. Watson, sein Freund und Assistent - und wir mit ihm -, staunend zu, wenn Sherlock Holmes den Verbrecher überführt.
Arthur Conan Doyle schuf mit seinem unfehlbar kombinierenden Privatdetektiv eine Ikone der Weltliteratur.
PENGUIN EDITION. Zeitlos. Kultig. Bunt.
Arthur Conan Doyle (1859-1930) war Arzt im südenglischen Southsea. 1887 erfand er die Figur des genial-exzentrischen Detektivs Sherlock Holmes, der allein mit Hilfe seines überragenden Intellekts, durch genaue Beobachtung und logisches Kombinieren seine Fälle löst. Ab 1891 erschienen die Abenteuer des Meisterdetektivs als Serie im 'Stand Magazine', eroberten schnell eine große Fangemeinde und erlaubten es Doyle, fortan als freier Schriftsteller in London zu leben.
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1
Für Sherlock Holmes ist sie immer nur die Frau. Ich habe selten gehört, dass er sie mit einem anderen Namen bezeichnet hätte. In seinen Augen überstrahlt und überragt sie alle anderen Vertreterinnen ihres Geschlechts. Nicht, dass er für Irene Adler irgendetwas wie Liebe empfunden hätte. Seinem kalten, präzisen, bewundernswert ausgeglichenen Geist waren alle Gefühlsregungen und besonders diese fremd. Er war meiner Meinung nach die vollkommenste Denk- und Beobachtungsmaschine, die die Welt je gesehen hat, aber als Liebhaber wäre er falsch am Platz gewesen. Von den zarteren Gefühlen sprach er einzig mit Spott und Hohn. Für den Beobachter wären sie sehr zu begrüßen – großartig geeignet zur Entschleierung der menschlichen Beweggründe und Handlungen. Aber sie in seinen eigenen, aufs Höchste verfeinerten Geist einzulassen, das hätte für den analytisch geschulten Denker bedeutet, einen verwirrenden Faktor anzunehmen, der alle seine Denkresultate möglicherweise infrage gestellt hätte; Sand in einem Präzisionsinstrument oder ein Sprung in einer seiner haarscharfen Vergrößerungslinsen hätte nicht störender wirken können als eine heftige Gemütsbewegung in einer Natur wie der seinen. Trotzdem gab es für ihn «die einzige Frau», und diese Frau war die verstorbene Irene Adler, zweifelhaften und fragwürdigen Angedenkens.
Ich hatte in der letzten Zeit wenig von Holmes gesehen. Meine Heirat hatte bewirkt, dass wir uns sacht auseinanderlebten. Mein vollkommenes häusliches Glück und die neuartigen Interessen eines Mannes, der sich zum ersten Mal als Haupt eines eigenen Hausstandes sieht, nahmen mich ganz in Anspruch, während Holmes, dessen Bohemienseele jede Form von Gemeinschaft zutiefst verhasst war, weiterhin, unter seinen alten Schmökern vergraben, in unserer Junggesellenwohnung in der Baker Street hauste und von einer Woche zur anderen zwischen Kokain und Ehrgeiz, zwischen der einschläfernden Droge und der aufpeitschenden Energie seiner kühnen Natur hin und her getrieben wurde. Nach wie vor fesselte ihn vor allem die Erforschung von Verbrechen, und er verwandte seine gewaltigen Geisteskräfte und außerordentliche Beobachtungsgabe darauf, die Anhaltspunkte zu verfolgen und die Geheimnisse aufzuklären, die von der regulären Polizei als aussichtslos aufgegeben wurden. Von Zeit zu Zeit kam mir irgendein vager Bericht von seinem Tun und Treiben zu Ohren: seine Berufung nach Odessa im Mordfall Trepow, die Aufklärung der sensationellen Tragödie der Brüder Atkinson in Trincomalec und schließlich die delikate Mission, die er für die holländische Königsfamilie so diskret und erfolgreich ausgeführt hatte. Doch über diese Nachrichten hinaus, die ich mit sämtlichen Lesern der Tagespresse teilte, hörte ich wenig von meinem früheren Freund und Gefährten.
Als ich eines Abends – es war der 20. März 1888 – von einem Patientenbesuch zurückkehrte (denn ich hatte meine privatärztliche Praxis wieder aufgenommen), führte mich mein Weg zufällig durch die Baker Street, und als ich an der vertrauten Tür vorbeikam, deren Bild in meiner Erinnerung mit der Zeit meines Werbens und den düsteren Ereignissen der «Studie in Scharlachrot» untrennbar verknüpft war, überkam mich der heftige Wunsch, Holmes wiederzusehen und zu erfahren, womit er jetzt gerade seinen hervorragenden Verstand beschäftigte. Seine Wohnung war hell erleuchtet, und während ich dastand und hinaufschaute, sah ich seine hohe, schlanke Gestalt zweimal wie einen Schattenriss hinter dem leichten Vorhang erscheinen. Er ging mit raschen, lebhaften Schritten, den Kopf auf die Brust gesenkt und die Hände auf dem Rücken verschränkt, im Zimmer auf und ab. Seine Haltung und seine Bewegungen verkündeten mir, der ich jede seiner Stimmungen und Gewohnheiten kannte, ihre eigene Geschichte. Er war wieder an der Arbeit. Er war aus seinen von der Droge gezeugten Träumen erwacht und hatte sich auf die Fährte eines neuen Rätsels gestürzt. Ich zog an der Klingel und wurde in das Zimmer geleitet, das ich früher mit ihm geteilt hatte.
Holmes zeigte sich nicht überschwänglich – das lag nicht in seiner Art; aber ich glaube, er freute sich, mich zu sehen. Fast wortlos, aber mit liebevollem Blick, wies er mich in die Richtung eines Fauteuils, warf mir sein Zigarrenetui zu und zeigte auf das Likörschränkchen und eine Siphonflasche im Winkel. Dann blieb er vor dem Kamin stehen und musterte mich mit dem ihm eigentümlichen, nach innen gekehrten Blick.
«Der Ehestand bekommt dir», bemerkte er. «Watson, du musst, seit wir uns zuletzt sahen, mindestens siebeneinhalb Pfund zugenommen haben.»
«Sieben», entgegnete ich.
«Ich hätte es ein bisschen höher geschätzt, Watson – gerade nur eine Kleinigkeit mehr. Und du dokterst wieder, wie ich sehe. Du hattest mir ja gar nicht gesagt, dass du deine Praxis wieder aufnehmen wolltest.»
«Woher weißt du es dann?»
«Ich sehe es, ich ziehe meine Schlüsse. Woher weiß ich, dass du vor kurzer Zeit stark verregnet worden bist und dass du ein sehr ungeschicktes und nachlässiges Dienstmädchen hast?»
«Mein lieber Holmes, das geht zu weit!», rief ich. «Vor ein paar Hundert Jahren hätte man dich gewiss als Hexenmeister verbrannt! Es stimmt, dass ich Donnerstag aufs Land hinausmusste und völlig aufgeweicht nach Hause kam, aber da ich mich seither immerhin umgezogen habe, begreife ich nicht, woraus du es ersiehst. Was unsere Mary Jane betrifft, ist sie unverbesserlich, und meine Frau hat ihr bereits gekündigt, aber auch da ist mir nicht klar, woran du es merkst.»
Er rieb leise lachend seine langen, nervösen Hände.
«Nichts könnte einfacher sein», sagte er. «Meine Augen sagen mir, dass dein linker Schuh an der Innenseite, gerade wo die Flamme sie beleuchtet, sechs beinahe parallele Schnittspuren zeigt. Offenkundig hat jemand auf höchst nachlässige Weise mit einem Messer am Rand der Sohle herumgekratzt, um den Schmutz zu entfernen. Daher meine doppelte Schlussfolgerung, dass du erstens bei besonders garstigem Wetter unterwegs warst und zweitens ein besonders schlimmes Muster des Londoner schuheaufschlitzenden Dienstbotenstandes in deinem Haus beherbergst. Und was deine Praxis betrifft – wenn ein Herr meine Wohnung betritt, der nach Jodoform riecht, einen schwarzen Silbernitratfleck auf dem rechten Zeigefinger hat und dessen Zylinderhut seitlich ausgebaucht ist, damit man sieht, wo er sein Stethoskop verwahrt –, müsste ich wahrhaftig sehr dumm sein, um in ihm nicht sofort einen aktiven Vertreter des Ärztestandes zu erkennen.»
Die Leichtigkeit, mit der er seine logischen Schlussfolgerungen erklärte, brachte mich zum Lachen. «Wenn ich dich so räsonieren höre», bemerkte ich, «scheint mir das Rätsel immer so lächerlich einfach, dass ich es selber hätte lösen können; dabei stehe ich auf jeder neuen Stufe deiner Deduktion ratlos da, bis du mir dein Vorgehen erklärt hast. Schließlich sollten meine Augen ebenso gut sehen wie die deinen.»
«Das tun sie auch», erwiderte er, während er sich mit einer Zigarette im Fauteuil niederließ. «Du siehst, aber du beobachtest nicht. Der Unterschied ist klar. Du hast doch zum Beispiel oft die Stufen gesehen, die vom Hausflur in diese Wohnung führen?»
«Gewiss.»
«Wie oft wohl?»
«Viele hundert Mal, möchte ich meinen.»
«Und wie viele Stufen sind es?»
«Wie viele? Keine Ahnung!»
«Eben! Du hast sie gesehen, aber nicht beobachtet. Genau, was ich sage. Ich hingegen weiß, dass es siebzehn Stufen sind, weil ich sie nicht nur gesehen, sondern auch beobachtet habe. Übrigens, da du dich für diese kleinen Probleme interessierst und sogar so freundlich warst, ein paar von meinen unbedeutenden Erlebnissen aufzuzeichnen, könnte dich vielleicht dies hier interessieren.» Er warf mir einen kleinen Briefbogen aus starkem, rosa getöntem Büttenpapier zu, der offen auf dem Tisch lag. «Das ist mit der letzten Post gekommen», sagte er. «Bitte lies es mir vor.»
Die Notiz war undatiert und trug weder Unterschrift noch Anrede. Sie lautete folgendermaßen:
«Heute Abend, Viertel vor acht, wird ein Herr Sie aufsuchen, um Sie in einer Angelegenheit von außerordentlicher Tragweite zu konsultieren. Die Dienste, die Sie in jüngster Zeit einem der europäischen Königshäuser leisteten, haben gezeigt, dass man Sie unbesorgt mit Aufträgen von nicht zu überbietender Bedeutung betrauen kann. Dieses Zeugnis über Sie wurde uns von allen Seiten bestätigt. Seien Sie zur angegebenen Stunde zu Hause und nehmen Sie es nicht übel, dass Ihr Besucher eine Maske tragen wird.»
«Das klingt wahrhaftig geheimnisvoll genug!» rief ich. «Was, glaubst du, kann es bedeuten?»
«Ich weiß noch nichts Näheres. Es ist der größte Fehler, Theorien aufzustellen, bevor man genauere Angaben hat, denn dann beginnt man unmerklich die Tatsachen nach den Theorien zurechtzubiegen. Aber sieh den Zettel selbst an. Was schließt du daraus?»
Ich prüfte sorgfältig die Schrift und das Papier.
«Der Schreiber ist offensichtlich ein wohlhabender Mann», begann ich, im Bemühen, die Gedankengänge meines Freundes nachzuahmen. «Dieses Papier muss mindestens zweieinhalb Shilling pro Paket kosten. Es ist auffallend stark und steif.»
«Auffallend ist das richtige Wort», bemerkte Holmes. «Das ist kein englisches Papier. Halt es einmal gegen das Licht.»
Ich gehorchte und sah das Wasserzeichen: ein großes E mit einem kleinen g, ein P und ein G mit einem kleinen t.
«Nun, was bedeutet...