Doyle Professor Zamorra - Folge 1025
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-4915-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Am Ende des Tunnels
E-Book, Deutsch, Band 1025, 64 Seiten
Reihe: Professor Zamorra
ISBN: 978-3-8387-4915-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zamorra ging vom Gas und drosselte die Geschwindigkeit. Langsam fuhr er in das nächtliche Dorf ein. In keinem der Häuser, an denen er vorbei kam, brannte Licht. Es ging auf Mitternacht zu.
Hier liegt der sprichwörtliche Hund begraben, dachte Zamorra. Das Dorf ist der perfekte Gegenentwurf zur hektischen Großstadt.
Die Nacht war eine Spinne, die ihre Netze aus Schatten wob, mal mehr und mal weniger engmaschig. Und mit jedem Meter, den Zamorra weiter vordrang, verdichtete sich das Gefühl, dass außerhalb des Wagens eine Gefahr lauerte, die mit dem Mann zu tun hatte, den er gerade jagte: Paul!
Geradeaus schälte sich das 'Moustache' aus der Dunkelheit. Die Kneipe unterschied sich in einem wesentlichen Detail von allen umliegenden Bauten: Hinter ihren Scheiben brannte Licht ...
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Als Zamorra die Kneipe erreichte, vor der Moustache neuerdings auch im Freien Tische und Bänke aufgestellt hatte, trat er zunächst an eines der Fenster, von denen aus man in die Schankstube blicken konnte und aus denen das typisch schummrige Licht in die Nacht fiel, das die Gäste zu vorgerückter Stunde bevorzugten.
Schon der erste flüchtige Blick verriet Zamorra, dass das Publikum nicht typisch für das »Moustache« war, erst recht nicht um diese Zeit, kurz vor Mitternacht. Zwischen Erwachsenen saßen auch etliche Kinder an den Tischen und sogar vorn an der Theke auf dem Dutzend Barhockern, das dort platziert war. Auffällig war überdies die Kleidung sowohl der Männer und Frauen als auch der Kinder, die die Kneipe bevölkerten. Gute die Hälfte der Versammelten trug Schlafkleidung – Pyjama oder Nachthemd. In einem Fall hatte eine junge Frau sogar nur BH, Höschen und Strümpfe am Leib, ohne dass dies offenbar von den anderen als anstößig empfunden wurde.
Sie konnte es tragen – was aber nichts an dem Umstand änderte, dass dies kein Aufzug war, in dem man üblicherweise die Dorfkneipe besuchte.
Aber Pyjama und Negligé waren kaum weniger ungewöhnlich, es sei denn hier hätte eine diesbezügliche Themenparty stattgefunden.
Und obwohl die Menge, die sich im Schankraum drängte, nicht wirklich nach Party aussah, entschied Zamorra sich, einzukehren.
Der Weg zum »Moustache« hatte ihn an mehreren Autos vorbeigeführt, die mitten auf der Straße abgestellt worden waren. Auch die ein oder andere Unfallsituation war dabei gewesen. Aber in keinem der Fahrzeuge hatte sich auch nur ein einziger Insasse befunden.
Ein weiteres Steinchen in der Indizienkette, dass Paul sich hier aufhielt – zumindest aufgehalten hatte – und für Chaos sorgte. Zamorra konnte nicht ausschließen, dass Paul sich eines der Autos »geliehen« hatte und damit längst über alle Berge war.
Dann würde es richtig haarig werden. Wer weiß, wo er seinen Todeszauber als nächstes wirkt.
Er ging zur Tür, öffnete sie und trat ein. Nur dem Umstand, dass es schon vor seinem Erscheinen keine Gespräche gegeben hatte, war es geschuldet, dass auch keine verstummen konnten. Was allerdings geschah, war, dass sich ihm die teilnahmslosen Gesichter zuwandten.
Ausnahmslos.
Jedoch verzog niemand eine Miene, alle gafften ihn nur an, auf eine Weise, die unter die Haut ging, obwohl – oder weil – sich auch jetzt keinerlei Regung darin spiegelte.
Zamorra versuchte, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Dennoch wuchs seine Sorge sekündlich.
Hatte Nicole nicht gesagt, William habe bei Moustache Quartier bezogen? Der Butler und die Köchin waren aus dem Schloss befördert worden, weil Pauls »Todesstrahlung« sie dort alle drei Stunden niederstreckte – außerhalb der Mauern hatte er, solange er sich auf dem Château aufhielt, keine Gewalt über sie gehabt.
Der Knackpunkt war: Solange er sich auf dem Château aufgehalten hatte.
Inzwischen hatte er es verlassen, und Zamorras Annahme, er könnte sich stattdessen im Dorf herumtreiben, wurde immer wahrscheinlicher, denn …
… das Amulett vor seiner Brust war seit der Ankunft bei den ersten Häusern stetig wärmer geworden. Und Wärme bedeutete im Falle der Silberscheibe: Alarm!
Während er Ausschau nach William hielt, ihn aber nicht unter den Anwesenden entdecken konnte, ging er zügig auf den Tresen zu, hinter dem der Wirt ihm entgegen schaute.
Moustache sah fast aus wie immer: Sein lockig graues Haar umrahmte ein schnauzbärtiges, zerfurchtes Gesicht, das im Normalfall unerschütterliche Gutmütigkeit und Freundlichkeit ausdrückte.
Unerschütterlich wirkte es auch jetzt, allerdings auch irgendwie eingefroren.
»Moustache«, sagte Zamorra, als er die Theke erreichte, und nickte dem Wirt zu. »Lange nicht gesehen. Alles in Ordnung bei euch?«
Er warf einen vielsagenden Blick in die Runde.
Moustache schwieg, während er mechanisch mit einem sauberen Tuch über ein bauchiges Weinglas polierte.
»Moustache!«
Moustache starrte nicht auf ihn, sondern durch ihn hindurch.
Zamorra spielte angelegentlich mit Merlins Stern. Verschob dabei fast unmerklich die ein oder andere Glyphe und nahm, ohne die Anwesenden aus den Augen zu lassen, geistigen Kontakt mit dem Amulett auf.
Treffer!
Der Dämon, der mutmaßlich in Paul Hogarth gefahren und mit ihm aus Eden hierher gelangt war, gab sich offenbar keine große Mühe mehr, seine Präsenz zu verbergen, wie er es noch auf dem Schloss getan hatte.
Das konnte verschiedene Gründe haben: Möglicherweise hatte ihn die Tarnung so viel Kraft gekostet, dass er sich erst wieder regenerieren musste. Oder – und das war die sehr viel kritischere Erklärung – er fühlte sich so sicher und mächtig, dass er meinte, sich nicht mehr verbergen zu müssen.
»Ist William bei dir abgestiegen?«
Keine Reaktion.
»Sagt dir der Name Paul Hogarth etwas? Ein Engländer.«
Zamorra spulte seine Fragen ab, während sein Geist mehr und mehr mit dem Amulett verschmolz und das Gasthaus auf magische Weise scannte.
Wider Erwarten bewirkte Pauls Erwähnung eine Veränderung bei Moustache – oder war es Zufall, dass es ausgerechnet jetzt geschah? Sein Blick jedenfalls wurde hart wie Glas, und dann – brach er hinter der Theke zusammen.
Zamorra kämpfte ein kurzes Schwindelgefühl nieder. Er hatte eine starke dämonische Präsenz im Haus geortet, ohne eine bestimmte Stelle festmachen zu können. Paul mochte sich in einem der oberen Stockwerke aufhalten, von denen es zwei gab, oder sich in der Küche verbergen, in die man durch eine Schwingtür hinter der Theke gelangte.
Moustaches Sturz war nur der Auftakt zu weiteren Stürzen. Überall im Schankraum glitten plötzlich Menschen von ihren Stühlen oder kippten nach vorn, um auf den Tischplatten zum Liegen zu kommen. Dumpfe Geräusche begleiteten den unheimlichen Vorgang; hier und da stießen Köpfe zusammen, ohne dass das die Betroffenen noch scherte, denn …
Zamorra war sich seiner Sache sicher, ohne sich bei jedem Einzelnen überzeugen zu müssen.
… der Blitztod hatte sie alle hinweggerafft.
Gleichzeitig.
Männer, Frauen, Kinder.
Moustache inbegriffen.
Und mit dem Sterben ringsum erhitzte sich das Amulett so stark, dass Zamorra meinte, sich daran zu verbrennen.
Aber das hinderte ihn nicht, gezielt daran zu manipulieren, und schon wenig später baute sich ein magisches Schutzfeld um ihn herum auf. Als nächstes flankte über den Tresen und kniete neben Moustache. Auf seinen Gedankenbefehl hin erweiterte sich der Schutzschild auf den Wirt, in der Hoffnung, ihn damit aus seinem Todesschlaf reißen zu können.
Es sah so aus, als habe er Erfolg. Moustache blinzelte, dann schlug er die Augen auf. Verwirrt blickte er zu Zamorra empor. »Was -«
»Keine Zeit für Erklärungen, Moustache. Du musst mir helfen. Ich suche einen Mann, vielleicht war er früher schon mal bei dir, als er noch im Schloss lebte – aber das wäre ein Jahr her. Ungefähr. Der Mann -«
Moustache nickte heftig. »Paul! Paul … ja, ich kannte ihn. Und er ist … wieder da. Er …«
Der Wirt suchte merklich nach Worten. Was hatte er erlebt? Zamorra half ihm, sich aufzurichten. Als Moustache in seine Gaststube blickte, quollen ihm die Augäpfel hervor. Die Dörfler, die überall verteilt lagen, muteten ihm offenbar ebenso grotesk an wie Zamorra. »Was machen dir alle hier? Die … die Kinder! Wer -«
»Paul«, drängte Zamorra. »Ich suche Paul. Weißt du, wo er steckt? Wenn er hier war – wohin ist er gegangen?«
Von irgendwoher klang Gelächter. Eine Stimme, so dunkel und kalt, als wehe sie geradewegs aus einem offenen Grab heraus.
Zamorra zuckte zusammen, als die Pendeltür zur Küche mit solcher Wucht aufgestoßen wurde, dass die Lamellenflügel beim Aufprall auf das angrenzende Mobiliar fast zertrümmerten.
Er rechnete damit, Paul heraustreten zu sehen. Zu seiner Verblüffung war es jedoch eine korpulente ältere Dame, die er trotz ihres offensichtlichen »Fehlers« sofort erkannte.
»Madame … Claire?«
Mit resoluten Schritten stapfte die Köchin auf ihn zu und blieb vor Moustache stehen, der zur Statue erstarrt war.
Die Stimme der Köchin erklang, gespenstisch verfremdet, im Rücken der drallen Person – als stünde jemand hinter ihr, den sie verdeckte. Der Grund dafür war jedoch ein anderer: Obwohl Zamorra auf die Vorderansicht ihres Körpers blickte, war ihr Gesicht nach hinten gedreht – so weit nach hinten, dass es für jeden Menschen den Tod bedeuten musste. Zamorra blickte auf Hinterkopf und Busen gleichzeitig, während Madame Claire mit ihrer maskulin gefärbten Stimme erklärte: »Alle diese Menschen werden sterben, wenn du deine Waffe nicht augenblicklich ablegst – ich inbegriffen. Willst du das? Willst du schuld an meinem endgültigen Tode sein …?«
Eden
Das Beben kam warnungslos.
Nele erwachte und wurde so heftig durchgeschüttelt, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand. Im Dunkeln neben sich hörte sie Nikolaus, dem es nicht besser erging. Mattes Licht erfüllte die...