E-Book, Deutsch
Dostojewski / Lagerlöf / Ury So war Weihnachten früher
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-944543-32-1
Verlag: mikrotext
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Geschichten der Weltliteratur
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-944543-32-1
Verlag: mikrotext
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Unbekannte, bewegende, alte Weihnachtsgeschichten über das Fest der Liebe in Dänemark, Deutschland, Russland, Schweden. Texte von Hans-Christian Andersen, Henriette Davidis, Fjodor Dostojewski, Peter Hille, Selma Lagerlöf, Theodor Storm, Else Ury. Falsche Liebe. Verbotene Liebe. Allzu späte Liebe. Tod, Armut, Reichtum: Es sind starke Themen, die diese Weihnachtsgeschichten von Autorinnen und Autoren der Weltliteratur behandeln. Und es sind auf den ersten Blick keine heimeligen Geschichten, obwohl sie in einer vertrauten Tannenbaum-Welt stattfinden. Aber sie handeln von erweichten Herzen und erzählen von winterlichen Nächten. In einer früheren Zeit.
Andersen, Hans-Christian, geboren 1805 in Odense, gestorben 1875 in Kopenhagen, ist wahrscheinlich der bekannteste Dichter und Schriftsteller Dänemarks. Berühmt wurde er durch seine zahlreichen Märchen. Davidis, Henriette, geboren 1801 in Wengern, gestorben 1876 in Dortmund, gilt als berühmteste Kochbuchautorin Deutschlands. Ihr "Praktisches Kochbuch" gehörte zur Küchengrundausstattung im 19. und 20. Jahrhundert. In Wetter-Wengern erinnert ein Museum an sie. Dostojewski, Fjodor, geboren 1821 in Moskau, gestorben 1881 in Sankt Petersburg, gilt als einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller. Hille, Peter, geboren 1854 in Erwitzen bei Nieheim, Westfalen, gestorben 1904 in Berlin, war ein deutscher Schriftsteller. Er nannte sich selbst ein 'Meerwunder an Erfolglosigkeit'. Im Winter 1902/03 gründete Hille, der bald eine Kultfigur der Berliner Bohème wurde, mit Hilfe seiner Freunde, unter anderem Else Lasker-Schüler, Erich Mühsam, Richard Dehmel, Otto Julius Bierbaum, das Cabaret zum Peter Hille, in dem er literarisch-musikalische Abende von hohem Anspruch hielt. Lagerlöf, Selma, geboren 1858 auf Gut Mårbacka in der heutigen Gemeinde Sunne, Värmland, Schweden, gestorben 1940 ebenda, war eine schwedische Schriftstellerin. 1909 erhielt sie als erste Frau den Nobelpreis für Literatur und wurde 1914 als erste Frau in die Schwedische Akademie aufgenommen. Eines ihrer bekanntesten Werke ist "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen", das sie 1906 schrieb. Storm, Theodor, geboren 1817 in Husum, gestorben 1888 in Hanerau-Hademarschen, war ein deutscher Schriftsteller, der als Lyriker und als Autor von Novellen und Prosa des deutschen Realismus mit norddeutscher Prägung bedeutend war. Im bürgerlichen Beruf war Storm Jurist. Er erlebte die Annexion Schleswig-Holsteins durch Preußen. Ury, Else, geboren 1877 in Berlin, gestorben 1943 im Konzentrationslager Auschwitz, war eine deutsche Schriftstellerin und Kinderbuchautorin. Ihre bekannteste Figur ist das "Nesthäkchen", von dessen Leben sie in insgesamt zehn Bänden erzählt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ein Weihnachtsgast. Von Selma Lagerlöf
Einer von denjenigen, welche als Kavaliere auf Ekeby gelebt hatten, war der kleine Ruster, der Noten transponieren und Flöte spielen konnte. Er war aus niederem Stande und arm, ohne Heimat und ohne Angehörige. Es kamen schwere Zeiten für ihn, als die Kavalierschar sich zerstreute. Er hatte nun nicht länger Pferd und Wagen, weder Pelz noch Esskorb. Er musste zu Fuß von Hof zu Hof gehen und trug seine Habe in einem blaugewürfelten Baumwollenschnupftuche eingeknotet. Den Rock knüpfte er bis unter das Kinn zu, damit keiner sehen konnte, wie es mit Hemd und Weste bestellt war, und in seinen weiten Taschen verwahrte er seine kostbarsten Güter: die auseinandergeschrobene Flöte, die flache Taschenflasche und die Notenfeder. Sein Beruf war das Notenabschreiben, und wenn alles noch so wie in alten Zeiten gewesen wäre, würde es ihm nicht an Arbeit gefehlt haben. Doch mit jedem Jahre, das dahinging, wurde droben in Värmland weniger Musik getrieben. Die Gitarre mit ihrem morschen Seidenbande und das gewundene Waldhorn mit verblichenen Quasten und Schnüren wurden in die Rumpelkammer auf den Boden gebracht, und der Staub legte sich zolldick auf die langen, eisenbeschlagenen Geigentasten. Doch je weniger der kleine Ruster mit der Flöte zu tun hatte, desto mehr musste er sich mit der Taschenflasche beschäftigen, und schließlich wurde er der reine Säufer. Es war sehr schade um den kleinen Ruster. Einstweilen wurde er auf den Gütern noch als ein alter Freund aufgenommen, doch es herrschte Trauer, wenn er kam, und Freude, wenn er ging. Er roch nach Schnaps und Branntwein, und sowie er ein paar Appetitschnäpse oder ein Glas Grog getrunken hatte, bekam er einen Spitz und erzählte widerwärtige Geschichten. Er war die Plage der gastfreien Gutshöfe. Einmal um Weihnachten ging er nach Löfdala, wo Liljekrona, der große Geigenspieler, wohnte. Liljekrona war auch einer der Ekebykavaliere gewesen, doch nach dem Tode der Majorin war er auf sein schönes Gut Löfdala gezogen und dort geblieben. Jetzt kam Ruster in den Tagen vor Heiligabend, mitten in der Räumerei, zu ihm und bat um Arbeit. Liljekrona beschäftigte ihn mit dem Abschreiben einiger Notenhefte. »Du hättest ihn lieber gleich wieder gehen lassen sollen,« sagte Liljekronas Gattin, »jetzt wird er die Arbeit wohl so langsam ausführen, dass wir ihn Heiligabend hier behalten müssen.« »Irgendwo muss er ihn ja verleben,« antwortete Liljekrona. Und er setzte Ruster Grog und Branntwein vor, leistete ihm beim Trinken Gesellschaft und lebte die ganze Elebyzeit wieder mit ihm durch. Doch er war verstimmt, und der Gast war ihm, wie allen anderen zuwider, wenn er es sich auch nicht merken lassen wollte, weil ihm alte Freundschaft und Gastfreiheit heilig waren. In Liljekronas Heim aber rüstete man sich seit drei Wochen zum Empfang des Christkindes. Man hatte in Ungemütlichkeit und Hetzerei mit Arbeit gelebt, sich die Augen bei Talglichtern und Kienspänen rot gewacht, im Vorratshause beim Fleischeinsalzen und im Brauhause beim Bierbrauen gefroren. Doch sowohl die Hausfrau wie die Dienerschaft hatten alles dieses ohne Murren hingenommen. Wenn alle Arbeit fertig war und der heilige Abend kam, würde sich ein süßer Zauber auf sie herabsenken. Das Weihnachtsfest würde die Wirkung haben, dass Scherz und Neckerei, Reime und lustige Reden ihnen ganz ohne Anstrengung auf die Zunge kämen. Jeder Fuß würde Lust verspüren, sich im Tanze zu drehen, und aus den dunklen Winkeln des Gedächtnisses würden die Worte und Melodien der Reigen hervorschlüpfen, obwohl man jetzt gar nicht glauben konnte, dass sie noch dort vorhanden seien. Und dann würden sie alle gut, ach so gut sein. Doch wie nun Ruster kam, hatten sämtliche Hausgenossen in Löfdala das Gefühl, dass ihnen das Weihnachtsfest gestört werden würde. Die Hausfrau, die älteren Kinder und die langjährigen Diener waren alle gleicher Meinung. Ruster erregte in ihnen erstickende Angst. Sie fürchteten überdies, dass, wenn er und Liljekrona die alten Erinnerungen wieder zu durchleben anfingen, das Künstlerblut in dem großen Geiger aufwallen und sein Heim ihn verlieren würde. Früher hatte er es ja nie lange daheim ausgehalten. Niemand kann beschreiben, wie der Hausherr, seit sie ihn ein paar Jahre ganz hatten behalten dürfen, jetzt auf dem Gute geliebt wurde. Und was gab er ihnen auch! Wieviel war er den Seinen, vor allem im Weihnachtsfeste! Er hat seinen Platz nicht auf einem Sofa, oder in einem Schaukelstuhl, sondern auf einer hohen, schmalen, glattgescheuerten Holzbank in der Kaminecke. Wenn er dort saß, ritt er auf Abenteuer aus. Er fuhr rund um die Erde, stieg zu den Sternen empor und flog noch höher. Er spielte und erzählte abwechselnd, und alle Hausgenossen versammelten sich um ihn und hörten zu. Das ganze Leben wurde stolz und schön, wenn der Reichtum dieser einen Seele es bestrahlte. Daher liebten sie ihn, wie sie das Weihnachtsfest, den Frohsinn und die Frühlingssonne liebten. Und als der kleine Ruster kam, war ihr Weihnachtsfrieden gestört. Wenn er den Hausherrn fortlockte, hatten sie vergeblich gearbeitet. Es war ungerecht, dass der Säufer in einem frommen Hause am Weihnachtstische sitzen und alle Weihnachtsfreude verderben durfte. Am Vormittage des Heiligen Abends war der kleine Ruster mit dem Notenschreiben fertig und sagte nun einige Worte vom Fortgehen, obwohl er natürlich die Absicht hatte, zu bleiben. Liljekrona war von der allgemeinen Verstimmung beeinflusst worden und sagte daher recht lau und gleichgültig, es sei wohl das beste, dass Ruster das Weihnachtsfest über bleibe, da er ja einmal hier sei. Der kleine Ruster war ein stolzer Hitzkopf. Er zwirbelte seinen Schnurrbart und warf das schwarze Künstlerhaar, das wie eine dunkle Wolke über seiner Stirn lag, zurück. Was Liljekrona damit sagen wollte? Solle er nur bleiben, weil er sonst nirgends hinkönne? Oh, bitte sehr, auf den großen Hammerwerken im Kirchspiele Bro werde er sehnsüchtig erwartet! Das Fremdenzimmer sei in Ordnung, der Bewillkommnungsbecher gefüllt. Er habe es sehr eilig. Er wisse nur nicht, zu wem er zuerst fahren solle. »Du liebe Zeit,« antwortete Liljekrona, »du kannst gern fahren.« Nach dem Mittagessen bat der kleine Ruster um Pferd und Schlitten, Pelz und Fußsack. Ein Knecht aus Löfdala sollte ihn nach irgendeinem Orte im Broer Kirchspiele fahren und das Pferd schnell antreiben, da es nach Schneegestöber aussah. Niemand glaubte, dass er erwartet werde oder dass es in der Gegend auch nur ein einziges Haus gebe, in welchem er willkommen war. Doch sie wollten ihn so gern los sein, dass sie sich dies verhehlten und ihn fahren ließen. »Er hat es selbst gewollt,« sagten sie. Und dann dachten sie, jetzt wollten sie fröhlich sein. Doch als sie sich gegen fünf Uhr im Saale versammelten, um Tee zu trinken und um den Christbaum zu tanzen, war Liljekrona still und verstimmt. Er setzte sich nicht auf die Abenteuerbank, er rührte weder Tee noch Punsch an, er konnte sich keiner Polska erinnern und die Geige war nicht in Ordnung. Die, welche in der Stimmung seien, zu tanzen und zu spielen, möchten es ohne ihn tun. Da wurde die Hausfrau unruhig, da wurden die Kinder verdrießlich, alles im ganzen Hause ging verkehrt. Es wurde ein sehr trüber Heiligabend. Die Grütze käste, die Lichter zischten, die Holzscheiter rauchten, der Wind brachte Schneetreiben und wehte recht bittere Kälte in die Zimmer. Der Knecht, der den kleinen Ruster gefahren hatte, kam nicht wieder. Die Haushälterin weinte, die Mägde zankten sich. Schließlich fiel es Liljekrona ein, dass keine Garbe für die Sperlinge hingelegt worden sei, und er beklagte sich laut, dass alle Weiber seines Haushaltes alte Bräuche fallen ließen und neumodisch und herzlos seien. Sie aber begriffen recht gut, dass das, was ihn quälte, Gewissensbisse darüber waren, dass er den kleinen Ruster am Heiligabende selbst hatte abreisen lassen. Plötzlich ging er nach seinem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und begann zu spielen, wie er, seit er zu wandern aufgehört, nicht gespielt hatte. Hass und Hohn, Sehnsucht und Sturm lag darin. »Ihr dachtet, mich zu binden, aber ihr müsst andere Fesseln dazu schmieden. Ihr dachtet, mich kleinlich zu machen, wie ihr es selbst seid. Doch ich ziehe hinaus in das Große, in das Freie, Alltagsmenschen, Haussklaven, fangt mich, wenn es in eurer Macht steht!« Als die Hausfrau diese Töne hörte, sagte sie: »Morgen ist er fort, wenn Gott nicht heute Nacht ein Wunder tut. Jetzt hat unsre Ungastlichkeit gerade das bewirkt, was wir vermeiden zu können glaubten.« Inzwischen fuhr der kleine Ruster im Schneetreiben umher. Er fuhr von einem Gute zum andern und fragte, ob man dort Beschäftigung für ihn habe, wurde aber nirgends aufgenommen. Er wurde nicht einmal zum Aussteigen aufgefordert. Einige hatten das Haus voll Besuch, andere wollten am ersten Festtage selbst verreisen. »Fahre zum nächsten Nachbar,« sagten sie alle. Er konnte gern kommen, wenn er ihnen nur die Gemütlichkeit einiger Alltage störte, aber nicht am Heiligabend. Das Jahr hatte nur einen Heiligen Abend, und auf diesen hatten die Kinder sich schon den ganzen Herbst gefreut. Diesen Menschen konnte man doch nicht mit Kindern an einen Weihnachtstisch setzen. Früher hatten sie ihn gern aufgenommen, aber jetzt, seit er so trank, nicht mehr. Was sollte man auch mit dem Gesellen anfangen? Die Knechtstube war nicht gut genug für ihn und der Salon zu fein. So musste der kleine Ruster in dem peitschenden Schneetreiben von Hof zu Hof fahren. Der nasse Schnurrbart hing ihm schlaff über die Lippen herab, seine Augen waren gerötet und trübe,...