E-Book, Deutsch, 284 Seiten
Dostojewski Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner
Verbesserte Ausgabe
ISBN: 978-80-268-0528-1
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Klassiker der russischen Literatur des Autors von Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Dämonen und Die Brüder Karamasow
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-80-268-0528-1
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner ist ein 1858 entstandener Kurzroman von Fjodor Dostojewski. Der Kurzroman wurde nach seiner Fertigstellung in der Zeitschrift Otetschestwennyje Sapiski veröffentlicht und 1860 erstmals als Buch gedruckt. Damals stieß das Buch bei der Kritik überwiegend auf ein kühles Echo. Erst nach Dostojewskis Tod wurde insbesondere die Schilderung der Figur des scheinheiligen Heuchlers Foma Opiskin überaus populär. Vereinzelt sahen Literaturkritiker in dieser Figur Anleihen an den Molièreschen Tartuffe oder auch an den Schriftsteller Nikolai Gogol.
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II
Herr Bachtschejew Inhalt
Ich näherte mich schon dem Ziel meiner Reise. Als ich durch das kleine Städtchen B. kam, von wo ich nur noch zehn Werst bis Stepantschikowo hatte, war ich gezwungen, bei der Schmiede dicht am Schlagbaum anzuhalten, weil die Schiene an dem einen Vorderrad meines Reisewagens gebrochen war. Sie konnte in verhältnismäßig kurzer Zeit so weit festgemacht werden, daß sie für die noch fehlenden zehn Werst vorhielt, und daher beschloß ich, nicht erst in ein Wirtshaus zu gehen, sondern bei der Schmiede zu warten, bis die Schmiedegesellen mit der Arbeit fertig sein würden. Als ich aus dem Wagen stieg, sah ich einen dicken Herrn, der, ebenso wie ich, genötigt war, wegen einer Reparatur seiner Equipage zu halten. Er stand schon eine ganze Stunde in der unerträglichen Sonnenglut da, schrie und schimpfte und trieb mit mürrischer Ungeduld die Schmiedegesellen an, die an seiner schönen Kutsche arbeiteten. Gleich beim ersten Blick machte mir dieser ärgerliche Herr den Eindruck eines ewigen Nörglers. Er war ungefähr fünfundvierzig Jahre alt, von mittlerer Größe, sehr wohlbeleibt und pockennarbig. Seine Dicke, sein Doppelkinn und die quabbligen Hängebacken zeugten von dem behäbigen Leben eines Gutsbesitzers. Etwas Weibisches lag in seiner ganzen Erscheinung und fiel einem sogleich ins Auge. Sein Anzug war weit, bequem und sauber, aber durchaus nicht modern. Ich begriff nicht, warum er auch auf mich ärgerlich war, um so weniger, da er mich zum ersten Mal im Leben sah und noch kein Wort mit mir gesprochen hatte. Ich bemerkte das, sowie ich aus dem Wagen stieg, an seinem ungewöhnlich zornigen Blick. Ich jedoch hatte die größte Lust, seine Bekanntschaft zu machen. Denn aus den Reden seiner Diener entnahm ich, daß er eben aus Stepantschikowo von meinem Onkel kam, und ich hatte daher die Möglichkeit, mich nach vielem zu erkundigen. Ich lüftete also die Mütze und bemerkte in möglichst liebenswürdigem Tone, wie unangenehm doch manchmal ein solcher unfreiwilliger Aufenthalt unterwegs sei; aber der Dicke musterte mich nur mit einem unzufriedenen, mürrischen Blick vom Kopf bis zu den Füßen, brummte etwas vor sich hin und wandte mir schwerfällig den Rücken zu. Diese Seite seiner Person war zwar ein sehr interessanter Gegenstand für einen Beschauer; aber natürlich war ein angenehmes Gespräch von ihr nicht zu erwarten. »Grischka! Was brummst du da vor dich hin! Ich lasse dich durchpeitschen! …« schrie er auf einmal seinen Kammerdiener an, als hätte er das, was ich über unerwünschten Aufenthalt auf der Reise gesagt hatte, gar nicht gehört. Dieser ›Grischka‹ war ein grauhaariger, altmodischer Diener mit einem langschößigen Rock und einem sehr großen, grauen Backenbart. Nach einigen Anzeichen zu urteilen, war er ebenfalls sehr ärgerlich und murmelte verdrießlich etwas vor sich hin. Zwischen dem Herrn und dem Diener fand nun sofort eine Auseinandersetzung statt. »Durchpeitschen willst du mich lassen! Na, schrei doch noch lauter!« brummte Grischka, anscheinend nur so für sich, aber so laut, daß alle es hörten. Dann wandte er sich entrüstet ab, um etwas im Wagen in Ordnung zu bringen. »Was? Was hast du gesagt? ›Schrei doch noch lauter‹? Welche Unverschämtheit!« schrie der Dicke, dunkelrot im Gesicht. »Warum fahren Sie mich denn eigentlich so an? Man darf wohl nicht einmal mehr ein Wort sagen?« »Warum ich ihn anfahre! Hört ihr das? Er brummt über mich, und ich soll ihn nicht einmal anfahren!« »Weshalb sollte ich denn brummen?« »Weshalb er brummen sollte! Gar nicht brauchst du zu brummen. Ich weiß aber, worüber du brummst: darüber, daß ich weggefahren bin, ehe das Mittagessen zu Ende war. Das ist der Grund!« »Was geht das mich an! Meinetwegen brauchen Sie überhaupt nicht zu Mittag zu essen. Ich brumme nicht über Sie, ich habe nur den Schmieden ein Wort gesagt.« »Den Schmieden … Aber was hast du denn über die Schmiede zu brummen?« »Über die brumme ich auch nicht; ich brumme über die Kutsche.« »Aber was hast du über die Kutsche zu brummen?« »Weil sie entzweigegangen ist! Sie soll künftig nicht wieder entzweigehen, sondern hübsch ganz bleiben.« »Über die Kutsche … Nein, du hast über mich gebrummt, und nicht über die Kutsche. Er ist selbst schuld, und dann will er noch schimpfen!« »Aber warum sind Sie denn eigentlich über mich hergefallen, gnädiger Herr? Bitte lassen Sie mich doch in Ruhe!« »Aber warum hast du denn während der ganzen Fahrt wie eine Eule dagesessen und kein Wort mit mir gesprochen, he? Du redest doch sonst auch!« »Es war mir eine Fliege in den Mund gekrochen; darum schwieg ich und saß wie eine Eule da. Soll ich Ihnen etwa Märchen erzählen? Dann nehmen Sie doch die Märchenerzählerin Malanja mit, wenn Sie gern Märchen hören!« Der Dicke machte schon den Mund zu einer Erwiderung auf, fand aber offenbar keine Antwort und schwieg daher. Der Diener aber, der mit seiner eigenen Schlagfertigkeit und mit seiner vor Zeugen bewiesenen Macht über seinen Herrn sehr zufrieden war, wandte sich mit verdoppelter Gravität zu den Gesellen und begann, ihnen etwas auseinanderzusetzen. Mein Versuch, die Bekanntschaft des Herrn zu machen, war erfolglos geblieben, namentlich wegen meiner Ungeschicklichkeit; aber ein unvorhergesehener Umstand kam mir zu Hilfe. Aus dem Fenster eines geschlossenen Wagenkastens, der seit undenklichen Zeiten ohne Räder bei der Schmiede stand und täglich, aber vergeblich auf seine Reparatur wartete, blickte auf einmal ein verschlafenes, ungewaschenes und ungekämmtes Gesicht heraus. Bei dem Erscheinen dieses Gesichtes erhob sich unter den Schmiedegesellen ein allgemeines Gelächter. Die Sache war die, daß der Mensch, der aus dem Wagenkasten heraussah, darin fest eingesperrt war und jetzt nicht herauskonnte. Nachdem er darin seinen Rausch ausgeschlafen hatte, bat er jetzt vergebens um seine Befreiung; schließlich fing er an zu bitten, es möchte ihm jemand sein Handwerkszeug holen. Alles dies diente zu großer Erheiterung der Anwesenden. Es gibt Naturen, denen recht sonderbare Dinge die größte Freude und das größte Vergnügen machen. Die Grimassen eines betrunkenen Bauern, ein Mensch, der auf der Straße stolpert und hinfällt, das Gezänk zweier Weiber und so weiter rufen bei manchen Leuten aus nicht recht verständlichem Grunde ein durchaus gutmütiges Entzücken hervor. Der dicke Gutsbesitzer gehörte gerade zu dieser Menschenklasse. Allmählich verwandelte sich seine Miene aus einer mürrischen und ingrimmigen in eine zufriedene und freundliche und hellte sich schließlich vollständig auf. »Ist das nicht Wassiljew?« fragte er lebhaft interessiert. »Wie kommt denn der da ‘rein?« »Jawohl, gnädiger Herr Stepan Alexejewitsch; es ist Wassiljew!« wurde von allen Seiten gerufen. »Er hat sich in den Schenken umhergetrieben, gnädiger Herr«, fügte einer der Gesellen hinzu, ein schon älterer, hochgewachsener, hagerer Mann mit pedantisch solidem Gesichtsausdruck; unter den Gesellen schien er der oberste zu sein. »Er hat sich in den Schenken herumgetrieben, gnädiger Herr; vorgestern ist er von seinem Meister weggegangen, nun versteckt er sich bei uns, hat sich an uns herangemacht! Jetzt fragt er nach seinem Stemmeisen. Na, wozu brauchst du jetzt das Stemmeisen, du Dummkopf? Gewiß will er sein letztes Handwerkszeug versetzen!« »Ach, lieber Archip! Das Geld ist wie die Tauben: sie kommen zugeflogen und fliegen wieder weg! Laß mich ‘raus, um des himmlischen Schöpfers willen!« bat Wassiljew mit hoher, zitternder Stimme, indem er den Kopf aus dem Wagenkasten herausstreckte. »Bleib du nur da sitzen, du Taugenichts, es ist zu deinem Besten, daß wir dich da eingesperrt haben!« antwortete Archip finster. »Schon seit vorgestern ist er sinnlos betrunken; von der Straße haben wir ihn heute frühmorgens hergeschleppt; danke Gott, daß wir dich versteckt haben! Und zu Matwej Iljitsch haben wir gesagt, du wärest krank geworden; du hättest bei uns das Faulfieber bekommen.« Wieder lachte alles. »Aber wo ist mein Stemmeisen?« »Unser Küchenjunge hat es an sich genommen! Immer dieselbe Frage! Er ist ein richtiger Trunkenbold, gnädiger Herr Stepan Alexejewitsch.« »He-he-he! Ach, du Kanaille! Also so arbeitest du in der Stadt: dein Handwerkszeug versetzt du!« rief der Dicke mit seiner heiseren Stimme; er erstickte fast vor Lachen, fühlte sich höchst zufrieden und war auf einmal in die vergnügteste Stimmung geraten. »Und dabei ist er ein Tischler, wie man ihn selbst in Moskau lange suchen kann! Aber so führt er sich immer auf, der Schurke«, fügte er hinzu, indem er sich völlig unerwarteterweise an mich wandte. »Laß ihn heraus, Archip: vielleicht hat er auch ein leibliches Bedürfnis.« Man gehorchte dem Herrn. Der Nagel, mit dem sie den Wagenschlag zugemacht hatten, um sich über Wassiljew nach seinem Aufwachen zu amüsieren, wurde herausgezogen, und Wassiljew erschien im Freien, beschmutzt, unordentlich und mit zerrissenen Kleidern. Er kniff die Augen vor der hellen Sonne zusammen, nieste und taumelte; dann hielt er sich die Hand als Schirm über die Augen und blickte um sich. »So ‘ne Menge Menschen, so ‘ne Menge Menschen!« sagte er, den Kopf hin und her wiegend, »und alle nüchtern, glaub ich«, fügte er, die Worte dehnend, hinzu, als ob er in trübes Nachdenken versunken sei und sich selbst Vorwürfe...