Dorph | Heimkehr der Furcht | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

Dorph Heimkehr der Furcht


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8025-9825-8
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 350 Seiten

ISBN: 978-3-8025-9825-8
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Katrine führt ein Leben, von dem andere nur träumen: Sie ist eine erfolgreiche und unabhängige Verlegerin. Als sie den attraktiven Thomas kennenlernt, scheint ihr Glück perfekt. Doch dann wird Katrine schwanger, und alles ändert sich: Sie leidet unter Depressionen und Angstzuständen und fühlt sich verfolgt. Sie glaubt, dass jemand sie umbringen will. Ist alles nur eine Illusion, oder hat es wirklich jemand auf sie abgesehen?

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»Katrine!«

Irgendwo ruft jemand nach ihr. Sie dreht sich nach der Stimme um.

»Katrine. Hör mir zu!«

Jemand packt sie an der Schulter. Was soll sie denn hören? Was will die Stimme ihr sagen?

Dann erwacht sie. Zuerst weiß sie nicht, wo sie ist. Ein Duft nach Gras und Wasser. Lange helle Vorhänge, die von einer leichten Brise aufgebauscht werden. Sie ist in ihrem Elternhaus. Dann schaut sie auf. Ihre Mutter sitzt auf der Bettkante.

»So. Da bist du. Es ist ganz schön schwer, dich zum Leben zu erwecken. Du warst ja fast bewusstlos.«

Die Mutter erhebt sich, geht zum Fenster und öffnet die Vorhänge. Katrine setzt sich im Bett auf und schaut hinaus. Eine zitronengelbe Sonne tanzt im spiegelblanken hellblauen See am Ende des Gartens. Die dänische Flagge ist gehisst und flattert im Wind.

»Es ist halb zehn. Du hast elf Stunden lang geschlafen.«

Die Mutter dreht sich vom Fenster weg und sieht sie an.

»Ich bin eben das geborene Murmeltier«, brummt Katrine und reckt sich.

»Ja. Das warst du schon immer.« Die Mutter lässt ein Handtuch auf das Bett fallen. »Und jetzt mach, dass du ins Badezimmer kommst. Papa möchte da sein, ehe die Gäste eintreffen.«

Sie lässt das Wasser über ihr Gesicht strömen. Dreht es auf und spürt es auf ihrer Haut prickeln. Dann wäscht sie ihre langen blonden Haare und verreibt den Rest des Seifenschaums unter ihren Armen, um die Brüste, zwischen den Beinen, an den Oberschenkeln, zwischen den Zehen. Setzt sich auf die warmen Bodenfliesen und hebt ihr Gesicht wieder ins Wasser. Berührt sich. Ihr Körper erwacht und lässt den Schlaf los. Wird warm. Sie senkt den Kopf und lässt ihn auf ihren Knien ruhen. Das Wasser prickelt in ihrem Nacken. Der Schlaf sitzt noch immer irgendwo in ihrem Körper. Wie ein sanfter, behaglicher Schlummer. Sie ist auf null gestellt. Sie ist wieder sie selbst.

Sie trocknet sich schnell ab und streicht die blonden Haare nach hinten. Zieht das gelbe Kleid an. Es lässt ihren Körper in einem goldenen Schein strahlen. Das Dunkle und das Helle. Blonde Haare, dunkle Augen. Sie schiebt die Füße in ein Paar verschlissene rote Sneakers und geht hinaus.

Die Terrassentüren im Wohnzimmer sind geöffnet. Von der Küche her duftet es nach Kaffee. Ihr Vater steht im Anzug auf der Terrasse, raucht eine Camel, trinkt Kaffee und schaut zu seinem See hinüber.

Auf dem Esstisch steht sein Teller, die Zeitung ist aufgeschlagen.

Die Mutter dreht sich um, als Katrine in die Küche kommt.

»Wärst du so lieb?« Sie hebt ihre schwarzen Haare hoch.

Katrine schließt den Reißverschluss des roten Kleides. »Schönes Kleid. Hast du das nähen lassen?«

»In Hongkong. Im Winter«, sagt ihre Mutter und dreht sich um.

»Die da willst du doch wohl nicht anbehalten?« Sie nickt zu den roten Turnschuhen hinunter und lächelt. Die Mutter ist so schön, wenn sie froh ist. Doch das ist sie zu selten.

»Nein. Ich ziehe Sandalen an, es ist ja Frühling.«

Katrine schenkt sich Kaffee ein. Nimmt sich ein Brötchen.

»Aber für heute Nachmittag ist Regen angesagt.«

Katrine achtet nicht auf diese Bemerkung, sondern geht ins Wohnzimmer hinüber. Hebt die Zeitung hoch und begegnet dem lächelnden Gesicht ihres Vaters. »Ein Schoßkind des Glücks wird 70.« Sie beißt in ihr Brötchen. Das ist das berüchtigte Porträt ihres Vaters. Sie sucht nach dem Namenszug. Stine Nielsen. Nie von der gehört. Sicher jung und ehrgeizig, aber offenbar keine besonders tüchtige Journalistin:

Er hat alles, dieser John Liller Thorsen. Das denkt man, wenn man vor seiner großen schönen Villa am Stadtrand von Birkerød auf der Terrasse sitzt und den See, den parkähnlichen Garten und den Mann ansieht, der sich trotz seiner Siebzig überraschend gut hält. Die graue Mähne. Die dunklen Augen. Ein Silberrücken.

Die Villa hat er natürlich selbst entworfen, und sie berichtet in ihren schlichten Linien und der strengen Prägung von dem Stil, der in den vergangenen Jahrzehnten die dänische Architektur mitgeprägt hat. Freundlich und höflich ist er, und er redet auch gern über sich selbst, wie die meisten großen Männer. Aber nur bis zu einer gewissen Grenze, merke ich bald. Denn als ich ein wenig später frage, wie es war, in einen verschworenen, geschlossenen Kreis aus kulturradikalen Architekten einzudringen, wenn man selbst als Sohn eines Bauarbeiters in Herlev geboren und aufgewachsen ist und die Mahlzeiten seiner Kindheit nicht im Schein einer Poul-Henningsen-Lampe eingenommen hat, sinkt zum ersten, aber nicht zum letzten Mal im Laufe des Gesprächs die Temperatur um einige Grad.

»Lies doch diesen Unsinn nicht.«

Ihr Vater ist von der Terrasse gekommen und steht in der Tür.

»Hilf mir lieber mal eben«, sagt er und wedelt mit dem losen Ende seiner Krawatte.

Katrine wirft die Zeitung hin.

»Siebzig Jahre, und hat noch immer nicht gelernt, sich den Schlips zu binden.«

Er riecht nach Rasierwasser. Old Spirit. Das hat er immer schon benutzt. Sein Hals ist noch leicht feucht vom Duschen.

Die Mutter kommt aus der Küche. Sie hält einen in Zellophan eingeschlagenen Strauß roter Rosen in der Hand und liest die Karte.

»Holst du mal eben die Aschenbecher, Katrine? Die stehen im Regal neben dem Waschbecken im Gästehaus. In der Waschküche.«

Sie stellt die Blumen in eine Vase auf den Tisch und rückt sie zurecht.

»Aschenbecher«, faucht der Vater und rückt seine Krawatte zurecht. »Wir brauchen ja wohl keine Aschenbecher mitzubringen. Das ist doch verdammt noch mal eins der teuersten Restaurants hier in der Gegend, Edith.«

Die Mutter mustert die Rosen. »Ja. Ich weiß ja, dass du das nicht mitgekriegt hast, John. Aber kein Mensch raucht noch, das ist inzwischen passé. Im Restaurant gibt es nur drei Aschenbecher, und wie ich dich und deine Freunde kenne, reicht das vorn und hinten nicht.«

Sie verschiebt die Vase. »Ihr dürft übrigens nur an den Tischen draußen rauchen. Also. Holst du jetzt die Aschenbecher, Katrine? Wir haben nicht mehr so viel Zeit.«

Die Tür des kleinen Gästehauses klemmt. Kälte und ein moderiger feuchter Geruch schlagen Katrine entgegen, als sie sie endlich aufreißen kann. Das Haus dient mittlerweile nur noch als Abstellraum. Sie nimmt die Aschenbecher aus dem Regal. Sie friert in ihrem dünnen Kleid. Die Glastür rechts. Sie geht nie dort hinein.

Jon. Alles ist noch genau wie damals. Durch das Glas kann sie das schwarze Sofa sehen, das er aus seinem Elternhaus in Silkeborg geholt hatte. Sie fand den schwarzen seidigen Stoff so vornehm. Die Armlehne ist jetzt von der Sonne so stark gebleicht, dass es fast grau aussieht. Der kleine Tisch. Die großen Vögel auf der Fensterbank, die er sich hat ausstopfen lassen. Sie hatte immer Angst vor ihnen und ihren runden gelben Augen. Der Teppich, den er von seiner Mutter geerbt hatte. Man durfte ihn nicht mit Schuhen betreten. Er im Sessel.

Sie dreht sich um. Draußen der grüne Garten, der blaue See, das lange weiße, vom Vater selbst entworfene Haus und ihr Vater, der jetzt in seinem feinen Anzug auf der Terrasse steht und eine letzte Zigarette raucht, ehe es losgeht.

Sie will schon gehen, öffnet dann aber doch die Glastür. Klick. Ein unsichtbares Tor aus Spinnweben reißt vor ihrem Gesicht, als sie die Tür öffnet. Sie bläst die Spinnweben weg und wischt sie sich von Gesicht und Kleid. Ein süßlicher, warmer Geruch. Nach Bier. Nach verkohltem Holz. Nach Zigarettenrauch. Nach Tee. Nach ihm. Wie viele Jahre ist es her? Zwanzig. Hier kann sie ihn doch nicht mehr riechen. Sicher bildet sie sich alles nur ein.

Sie verspürt ein Stechen im Bauch. Dort sitzt sie auf dem Sofa. Dort sitzt er in seinem Sessel. Sein Tee auf dem kleinen Tisch. Ein Duft nach Nelken und Kardamom im silbrigen Licht des Wintermorgens. Das Geräusch des Schnees, der draußen von der Dachrinne tropft. Das Holz, das im Kachelofen in sich zusammenfällt. Die Bücherstapel auf dem Regal. Der graue Plastikspaten auf dem Boden riecht faulig nach den Rotaugen, die Jon unten im See fängt. Ihr Vater hatte dafür nur ein Kopfschütteln übrig. »Rotaugen kann man doch nicht essen!«

Der Sessel mit der Nackenlehne. Der Richterstuhl. Der Königssitz. Auch den hatte er sich aus Silkeborg bringen lassen. Er saß niemals selbst darin. Er fürchtete sich davor.

Das war, ehe alles schiefgegangen ist. Sie lief aus der Birkerød Privatschule nach Hause. Weg von Simone, Vera, Louise und ihren kreischenden Mädchenspielen.

Er konnte alles verwandeln. Die blonden Haare, die ihm immer wieder ins Gesicht fielen. Die schönen grauen Augen. Er schien einem Märchen entsprungen zu sein. Er war ein Märchen. Damals.

Jetzt kann sie die Mutter rufen hören. Katrine schaut auf und geht zur Tür. Die Angeln stehen noch immer im Schilfkorb in der Ecke. Seine gelben Wasserstiefel hängen in dem kleinen Gang zu der Kammer, in der er geschlafen hat. Wenn er geschlafen hat.

Sie trinken Champagner auf der Terrasse vor dem Restaurant, während die letzten Gäste eintreffen. Der Øresund liegt im Hintergrund und glitzert hellblau in der Sonne. Die Boote sind ausgefahren und haben an diesem zeitigen Frühlingstag die Segel gesetzt. Katrine trinkt Champagner und sieht die Autos an, die noch immer in einem langsamen Strom eintreffen. Erkennt ihre Cousine, die auf dem Parkplatz steht, mit einem großen Paket in der Hand, und in ihrem knallrosa Kleid in der Brise zu frösteln scheint. Die Cousine sagt etwas zu ihrem Mann und wartet darauf, dass er das Auto abschließt.

Man braucht nicht in...


Dorph, Vibeke
"Heimkehr der Furcht" ist das Debüt der 1965 geborenen Vibeke Dorph. Sie war an der Dänischen Filmschule tätig, hat einen eigenen Verlag gegründet und als freie Journalistin geschrieben. Heute arbeitet sie neben dem Schreiben als Redaktionssekretärin und betreibt einen eigenen Blog.

"Heimkehr der Furcht" ist das Debüt der 1965 geborenen Vibeke Dorph. Sie war an der Dänischen Filmschule tätig, hat einen eigenen Verlag gegründet und als freie Journalistin geschrieben. Heute arbeitet sie neben dem Schreiben als Redaktionssekretärin und betreibt einen eigenen Blog.



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