Dölling Je mehr ich dir gebe
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5285-3
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-3-8387-5285-3
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Julia ist verliebt. Ihr Freund Jonas nimmt sie ernst und zusammen mit ihm erlebt sie zum ersten Mal bisher ungekannte körperliche Lust. Doch dann verunglückt er tödlich und Julia wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Bei der Beerdigung lernt sie Kolja kennen, der sich als Jonas' bester Freund vorstellt. Wenn Julia mit ihm zusammen ist, wird Jonas wieder lebendig für sie. Kolja kümmert sich rührend um sie, aber schon bald will er mehr. Er bestärkt Julia darin, dass Jonas eine Beziehung zwischen ihnen gutheißen würde - und so lässt Julia sich schließlich auf ihn ein und schläft mit ihm. Nach und nach fordert Kolja immer mehr von ihr und er wird immer eifersüchtiger. Als Julia entdeckt, dass Kolja in Wirklichkeit gar kein guter Freund von Jonas war, sondern sein Konkurrent, ist es fast schon zu spät. Sie ist längst in einem Netz aus Abhängigkeiten gefangen und kann Kolja kaum noch etwas entgegensetzen. Julia steht vor einer schwierigen Entscheidung: Sie erkennt, dass sie zuerst ihren toten Freund innerlich loslassen muss, wenn sie es schaffen will, sich endlich auch von Kolja zu lösen...
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL 1
Faire l’amour Jonas hat diese französische CD eingelegt, von Benjamin Biolay, die sie so gern hört. Seine Stimme ist so weich wie das Sofakissen in ihrem Rücken. Warmer Wind bläht das Laken vor dem offenen Fenster. Julia schlägt die Beine übereinander, wippt mit dem Fuß. Sie hat nur eine Bluse an, ärmellos, aufgeknöpft, sie lehnt sich zurück und streicht die zwei Blusenhälften an die Seite. Sie hat Lust, sich Jonas zu zeigen. Er sitzt ihr gegenüber, auf dem Sessel, sieht, wie ihre Brüste zum Vorschein kommen, zwei halbe Zitronen, ihm zugereckt. Die weiße Bluse rahmt ihre Silhouette ein. Die Luft zittert. Es soll heute noch ein Gewitter geben. Er darf sich nicht rühren, noch nicht, nur schauen. Mit den Augen Liebe machen. Schön, dass er so was mag, hat Julia gedacht, später, als sie im Bett lagen, gestillt voneinander, ein Freund, dem du dich zeigen kannst und der sich Zeit zum Schauen lässt. Für die anderen, vor Jonas, war sie eher so was wie Fastfood gewesen. Die Jungs waren hitzig, schnell, manchmal auch albern. Da hätte sie am liebsten vorher schon STOPP gesagt, aber irgendwann kann man nicht mehr STOPP sagen. Es gibt kein Zurück, nie, obwohl sie den letzten Nachmittag mit Jonas wie einen Film immer und immer wieder zurückspult. – Wie sie da saß, erst auf dem Sofa, Beine noch übereinandergeschlagen und mit diesem Kribbeln auf der Haut, von seinem Blick. Sie war gleich nach dem Sprechunterricht zu ihm gekommen. Sie hatten das Stimmpotenzial von Nina Hagen analysiert. Bei dem Lied Heiß hatte Julia an Jonas gedacht. Besser konnte man es gar nicht ausdrücken, wie es war, wenn Jonas ihr zuschaute. Mir ist heiß! Ich bin heiß! Ach, warum sind denn nicht alle so heiß? Ja, ist es denn ein Wunder? Sie schloss die Augen, legte den Kopf nach hinten, auf die Sofalehne. Es war wie Schweben und Flattern – sie war ein Kolibri. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich traute, sich vor einem Jungen so gehen zu lassen. Wenn es eine höhere Kraft gibt, dann die zweier Körper, die Liebe machen, faire l’amour. Eine Erkenntnis, die sie in den letzten Wochen das erste Mal gehabt hatte und die sie sich seitdem nicht oft genug bestätigen konnte. Jonas war ihr Boot, mit dem sie sich auf alle Meere wagte. Sie lagen im Bett, noch klebrig voneinander. »Du bist ein Wunder«, sagte er. Wie er sie anschaute, mit verwuschelten Haaren und verrutschtem Blick – verzaubert von ihr. Ihre Hände spielten miteinander, streiften umeinander, hielten sich, lösten sich, Fingerspitzen an Fingerspitzen, purzelten übereinander wie kleine Kätzchen. – Manchmal gibt es keine Worte, nur Momente. Das Laken flatterte wie eine Fahne am Mast. Sie waren auf hoher See und ließen sich schaukeln. Der Wind wurde kühler; die CD war zu Ende. Draußen fuhren Autos vorbei, sangen Kinder. Spatzen zwitscherten. Sie kehrten langsam ins Zimmer zurück. Er reichte ihr die Wasserflasche. »Und wie war es bei deinem Sprechkurs?« »Ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu«, ratterte Julia in einem Affenzahn runter und fing wieder von vorn an. Dann holte sie tief Luft. »Ich habe nur an dich gedacht.« Sie lag auf der Seite, den Kopf auf die Hand gestützt. Ihr hellbraunes Haar fiel aufs Kissen. »Ich konnte gar nicht schnell genug zu dir kommen.« Er lag auch auf der Seite, Kopf auf den Ellenbogen gestützt, und schaute auf ihren Mund. »Ma me mi mo mu«, sagte sie ohne Ton und er küsste ihr die Fortsetzung weg. Dann wollte sie ihm unbedingt was von Nina Hagen vorsprechen. Er stand nicht so auf Nina Hagen. »Das ist doch diese Durchgeknallte, die überall Ufos sieht und ihre Tochter Cosma Shiva genannt hat.« »Ja, und ihr Sohn heißt Otis, nach der Fahrstuhlmarke, weil sie in der Schwangerschaft mal im Fahrstuhl stecken geblieben ist.« »Krass.« »Aber eine Wahnsinnsstimme! Mit einer Modulationsbandbreite, das haut dich um! Sie kommt in ihrem Lied Naturträne sogar höher als die Arie der ›Königin der Nacht‹ aus der Zauberflöte. Dort geht es bis ans F und Nina Hagen schafft sogar ein G! Und die Lieder sind einfach …« Julia fand keine Worte, ihr saß noch der Refrain von Heiß in der Kehle: Mir ist heiß, ich bin heiß, ach, warum sind denn nicht alle so heiß … Zauberworte, jede Silbe, und Jonas war empfänglich dafür, ließ sich streicheln, allein von dem, was sie sagte und wie sie es sagte. »Du hast eine Wahnsinnsstimme«, sagte Jonas. »Und so einen wunderschönen Mund und wunderschönen Busen und …« Er fuhr mit der Fingerspitze über ihr Schlüsselbein. »Jonas, hör mal zu!« Sie musste ihm unbedingt noch erzählen, wie sie heute Schauspieler und Filme analysiert hatten. »Weißt du, was mein absoluter Lieblingsfilm ist?«, unterbrach er sie und wartete. »Nun sag schon.« »Der Himmel über Berlin«, sagte er und seine Augen leuchteten. Und ausgerechnet den kannte sie nicht. »Musst du unbedingt sehen! Gerade du, als angehende Schauspielerin.« Er küsste sie auf die Nase. »Das ist nicht nur ein Film, das ist …« Und schon war Jonas aufgestanden und es wurde kühl an ihrer Haut. Sie zog sich die Decke über den Bauch. »Bin gleich wieder da«, hat er noch gesagt, und sie hat sich nichts dabei gedacht, keine Vorahnung, kein mulmiges Gefühl. Noch ganz satt von ihm, lag sie im Bett und schaute zu, wie er in seine Klamotten stieg. Graue Bruno-Banani-Boxershorts, Jonas wollte, als er klein war, Astronaut werden und Bruno Banani hatte mal Unterhosen für Astronauten entwickelt. Jetzt war davon nur noch die Vorliebe für die Unterwäsche übrig geblieben, und Jonas war sich auch nicht mehr so sicher, was er werden wollte. Musiker vielleicht, oder Ingenieur, oder Speiseeisdesigner. »Du hast es gut, du wolltest immer schon Schauspielerin werden.« Wie selbstverständlich er das sagte. Keiner aus ihrer Familie hatte sie diesbezüglich so ernst genommen. – Alle Mädchen wollen in ihrem Leben mal Model oder Schauspielerin werden – das ist Mamas Spruch –, doch irgendwann kommen sie darüber hinweg und werden was Richtiges. Lehrerin zum Beispiel, wie ihre Mutter. Immerhin bezahlen ihre Eltern den Sprechunterricht, die Improvisationsworkshops und, wenn sie Glück hat, auch noch den »Spielen-vor-der-Kamera-Kurs«, damit sie für die Filmschauspielschule Berlin gerüstet ist, denn dahin möchte sie, gleich nach dem Abi, unbedingt! »Schauspielerinnen müssen sich doch heute alle prostituieren«, pflegt Papa zu sagen. »Mit jedem ins Bett gehen und sich dabei noch filmen lassen. Sogar im Tatort wird ja schon gevögelt. Findest du das nicht eklig?« So ein Quatsch! Aber wahrscheinlich ertragen Väter es nicht, ihre Töchter vögeln zu sehen, ob im Tatort oder sonst wo. Umgekehrt wäre es für die Töchter ja auch komisch, absurder Gedanke. Natürlich würde sie auch nicht jede Szene spielen, dabei gehört Sex zum Leben wie Essen und Trinken – und zur Schauspielerei. Fragt sich nur, wie weit man geht. Aber darüber muss sie sich jetzt noch keine Gedanken machen, erst mal auf das Sprechtraining konzentrieren. – Unter dunklen Uferulmen wurdest durch Blut und Wunder ruhmlos ruhend du gefunden. Mit Sprachkunst und Präsenz, sagt ihr Lehrer, Herr Lambosi, überzeugt man das Publikum. Ihre Eltern bestimmt auch. All die Familienfilme, die sie seit ihrem sechsten Lebensjahr gedreht hat, fanden sie ja auch toll. »Schatz, bringst du Zigaretten mit?«, sagt Julia mit rauchiger Stimme und versucht lasziv zu lächeln, mit Augenaufschlag natürlich. »Und ein Eis.« Jonas spielt mit. »Was für ein Eis hätte sie denn gern?« »Irgendwas Fruchtiges, Frisches, was am Stiel – Solero? – Das können wir zu zweit schlecken.« Er schmunzelt, verbeugt sich vor ihr, sagt: »Ouí, Madame, avec plaisir.« Und dann eine Zigarette danach, im Bett, so wie in diesen prähistorischen Filmen wie Der blaue Engel, mit Marlene Dietrich. Kann es etwas Schöneres geben? Sie hatten den ganzen Tag Zeit. Snickers und Rudi, seine WG-Kumpels, kamen erst am Abend von der Ostsee wieder, also könnten sie später sogar noch nackt in der Küche sitzen. Jonas schlüpfte in die Jeans, zog das hellblaue T-Shirt an, das seinen Augen so schmeichelte, und schnappte sich seinen Helm. Dann kam er noch mal ans Bett und küsste Julia auf die linke Brustspitze. »Ich liebe dich«, sagte er. Und verschwand. Später, als er nicht wiederkam, ging ihr alles Mögliche durch den Kopf, auch dass sie das mit den Zigaretten nicht hätte sagen sollen. Wegen diesem blöden Scherz, wo der Mann Zigaretten holen geht und nicht wiederkommt. Aber Jonas wollte nur den Film holen. Der Himmel über Berlin. Noch war der Himmel blau. Sie drehte sich auf die Seite. Auf einer Holzkiste stand eine Beck’s-Flasche mit einer rosa Mohnblume. Jonas hatte sie gekauft, weil sie ihn an Julia erinnerte, an ihre Blütenblätter. Julia schaute an die Wand. Mehrere Fotos von ihr hingen dort. Auch ein Nacktfoto, als sie aus dem Badezimmer kommt. Das Handtuch liegt hinter ihr. Sie geht direkt auf den Fotografen zu. Das war im April, an dem Nachmittag, als er ihr das erste...