E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Disney. Twisted Tales
Disney / Lim Disney. Twisted Tales: Geheimnisvolle Liebe (Cinderella)
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-646-93698-8
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was wäre, wenn Cinderella niemals den gläsernen Schuh anprobiert hätte? | Der Märchen-Klassiker mal anders - für Fans der Villains
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Disney. Twisted Tales
ISBN: 978-3-646-93698-8
Verlag: Carlsen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Walt Disney (1901-1966) war einer der einflussreichsten und meistgeehrten Filmproduzenten und Trickfilmzeichner des 20. Jahrhunderts. Dafür sorgten Figuren wie Micky Maus oder Donald Duck. 1937 erschien mit »Schneewittchen und die sieben Zwerge« ein Meilenstein der Filmgeschichte: der erste abendfüllende Zeichentrickfilm. Viele weitere folgten und begeistern noch heute ein Milliardenpublikum jeder Altersklasse. Disneys Name entwickelte sich zu einer internationalen Marke, die für ein umfassendes Spektrum an Produkten der Unterhaltungsindustrie steht.
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Kapitel 1
Es war das Ereignis der Saison – ein königlicher Ball im Palast von König Georg, zu dem jedes heiratsfähige Mädchen eingeladen war. Und Cinderella würde dabei sein. Sie konnte es kaum glauben.
Einen Tanz, versprach sie sich selbst, während ihre Kutsche auf den Palast zufuhr. Wenn ich nur einmal tanzen kann – und sei es allein –, bin ich glücklich. Ich möchte mich nur daran erinnern, wie es sich anfühlt, frei zu sein, sich im Mondlicht zu drehen, zu drehen und immer weiter zu drehen.
Der Palast war gigantisch, eine Stadt für sich. Cinderella hätte den ganzen Abend damit verbringen können, nur den Hof zu erkunden, in dem ihre Kutsche sie absetzte.
Aber dafür war es Stunden zu spät, so spät, dass niemand sie am Eingang empfing.
Sogar die Hallen im Inneren waren leer, bis auf Dutzende Palastwachen, die mit ernsten Gesichtern ihren Dienst versahen. Cinderella hatte keine Einladung. Als sie auf der Suche nach dem Ballsaal die Prunktreppe hinaufging, wagte sie nicht, eine der Wachen nach dem Weg zu fragen, vor lauter Angst, sie würde sie hinauskomplimentieren.
Ohne den charmanten jungen Mann, der ihr auf der Suche nach dem Fest des Königs begegnete, wäre sie wahrscheinlich die ganze Nacht fröhlich im Palast herumgeirrt.
„Zum Ballsaal geht es hier entlang“, sagte er und berührte sanft ihre Hand.
Erschrocken drehte sie sich um und sah ihn an. Sie hatte eine der Palastwachen erwartet und stellte erleichtert fest, dass er zu den Gästen des Balls gehörte, so wie sie selbst.
„Ich danke Euch!“, erwiderte sie. Ihre Wangen waren bereits warm und vom langen Treppensteigen gerötet, aber nun schienen sie noch mehr zu erglühen.
Wie albern sie aussehen musste. Warum war sie nicht einfach der Musik gefolgt? Ganz in der Nähe vernahm sie Orchesterklänge und das leise, gedämpfte Gemurmel der Gäste des Königs.
Aber der junge Mann wirkte nicht so, als hielte er sie für ein Dummchen. Vielleicht war er aber auch einfach nur höflich. Das könnte seine hochgezogenen Schultern und die steife Haltung erklären. Seine Augen sahen warm und freundlich aus. Als er sich am Eingang zum Ballsaal vor ihr verbeugte, spürte Cinderella ein unbekanntes, aber wundervolles Flattern in ihrer Magengrube.
„Danke“, sagte sie noch einmal und machte instinktiv einen Knicks.
„Würdet Ihr … möchtest du tanzen?“
Cinderella blinzelte. „Du kannst wohl meine Gedanken lesen. Alles, was ich mir für heute Abend gewünscht habe, war ein Tanz. Ich habe schon so lange nicht mehr getanzt, dass ich befürchte, ich weiß nicht mehr, wie es geht.“
Da grinste der junge Mann. Er schien sich zu entspannen, und die Förmlichkeit zwischen ihnen löste sich. Ein Lächeln, so warm wie seine Augen, erhellte sein Gesicht, und er bot ihr seinen Arm. „Dann erinnere ich dich daran, wenn du erlaubst.“
Die nächsten Minuten vergingen wie im Flug. Sie waren wunderschön und berauschend. Schon jetzt wusste Cinderella, dass sie diesen Walzer, der den Saal erbeben ließ und dessen beschwingte Melodie sie von ganzem Herzen genoss, niemals vergessen würde. Sie würde auch nie vergessen, wie ihr Tanzpartner sie ansah, als sei sie die Einzige im ganzen Ballsaal. Hin und wieder bewegte er seine Lippen, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Ein Wunder, dass sie mit niemandem zusammenstießen. Oder waren sie wirklich die Einzigen auf der Tanzfläche?
Cinderella registrierte es kaum.
Als der Walzer zu Ende war, kam es ihr vor, als erwache sie aus einem wunderschönen Traum. Das Gemurmel von Gesprächen ersetzte die schwungvolle Orchestermusik. Ein Potpourri aus Parfüm verdichtete die Luft. Die Kronleuchter leuchteten schwindelerregend hell.
Fast hätte sie erwartet, dass ihr Tanzpartner sich von ihr verabschiedete, aber stattdessen beugte er sich vor und flüsterte ihr zu: „Machst du draußen einen kleinen Spaziergang mit mir? Ich würde dir gern den Garten zeigen.“
Wieder hatte er ihre Gedanken gelesen. Oder empfanden sie einfach dasselbe? Ihr Vater hatte über sich und ihre Mutter immer gesagt, dass es sich von dem Moment an, an dem sie sich begegnet seien, so angefühlt habe, als würden sie sich schon ewig kennen.
Vielleicht fühle ich mich auch so, weil ich schon so lange mit niemandem mehr befreundet war, dachte Cinderella, während sie den Palast verließen. Eine kühle Brise kitzelte ihren Nacken. Sie atmete ein und genoss die Frische des Gartens.
„Hier ist es herrlich friedlich“, sagte sie, strich mit den Fingern über die fein geschnittenen Hecken und fragte: „Findest du es schlimm, dass ich mich hier draußen besser fühle als im Ballsaal?“
„Und woran liegt das?“, antwortete er mit einer Gegenfrage.
Sie zögerte einen Moment, weil sie darüber nachdachte, was er wohl von ihrer ehrlichen Antwort halten würde. „Ich glaube, ich fühle mich in der Nähe von Blumen und Bäumen wohler. Ich war schon lange nicht mehr unter so vielen Menschen“, gab sie schüchtern zu. „Ich wüsste nicht einmal, was ich zu den meisten von ihnen sagen sollte.“
„Du bist nicht zum Ball gekommen, um einen – um neue Bekanntschaften zu machen?“
„Nein, ich bin vor allem zum Schauen gekommen. Um der Musik zu lauschen und den Palast zu sehen. Aber ich muss sagen, hier draußen ist es noch schöner als drinnen.“
„Die Luft ist jedenfalls nicht so stickig.“
Sie lachten zusammen. Wieder spürte Cinderella dieses Flattern im Bauch.
„Ich möchte alles von heute Abend in Erinnerung behalten“, sagte sie. „Den Walzer, die Blumen, die Brunnen …“
„Und mich?“, neckte ihr Begleiter sie.
Sie lächelte, war aber zu verlegen, um zu antworten. Cinderella wollte sich an alles erinnern, was sie mit ihm erlebt hatte. An die Art, wie er ihre Hand hielt, sanft und doch fest, als wollte er sie nie wieder loslassen. An die Art, wie sich seine Schultern hoben, wenn sie ihn anlächelte.
Aber sie kannte nicht einmal seinen Namen. Sie hätte ihn sofort danach fragen sollen, aber ihre Gedanken stürmten – auch jetzt noch – wie ein Wirbelwind durcheinander. Nachdem sie getanzt hatten und aus dem Ballsaal in diesen schönen Garten geflohen waren, fühlte es sich außerdem so an, als erlebten sie zusammen ein großes Abenteuer. Und sie wollte keinen Schritt zurück machen, um Höflichkeiten auszutauschen.
Ehrlich gesagt hatte sie auch Angst, dass er sie fragen könnte, woher sie kam.
„Was hast du?“, fragte er, als er spürte, dass ihre Gedanken abgeschweift waren.
„Ich möchte einfach nicht, dass der heutige Abend zu Ende geht“, antwortete sie ehrlich.
Er näherte sich ihr, und Cinderella neigte den Kopf und wartete ab, was er sagen würde. Doch er schloss seine Lippen, räusperte sich, und seine Wangen erröteten seltsam.
„Ich auch nicht.“ Er zögerte. „Ich war schon seit Jahren nicht mehr in Valors. Ich hatte keine Lust, wieder nach Hause zu kommen, aber gerade fange ich an, meine Meinung zu ändern.“
„Oh? Wo warst du denn?“
Es überraschte ihn, dass sie das nicht wusste, aber er fing sich schnell wieder. „Weg, an der Universität. Das war nicht sehr spannend. Willst du noch ein Stück gehen?“
Sie nickte. „Mir gefällt es hier draußen. Merkwürdig, dass nicht noch mehr Leute im Garten sind. Sind wir die Einzigen?“
„Ja, alle sind drinnen“, bestätigte er.
„Tanzen?“
„Das – oder sie wollen den Prinzen treffen.“
„Ich verstehe. Nun, ich bin froh, hier zu sein. Wir hatten früher einen Garten, keinen so prächtigen wie diesen, aber … oh!“ Cinderella war der Weg mit den Rosenbüschen in ihrer unmittelbaren Nähe aufgefallen.
„Du magst Rosen?“, fragte er.
„Jeder mag Rosen, oder etwa nicht?“ Cinderella kniete sich hin und achtete darauf, dass ihr Kleid nicht an den Dornen hängen blieb. „Meine Mutter hat in ihrem Garten Rosen gezüchtet. Wir haben jeden Morgen zusammen einige gepflückt.“
Sie schwieg und erinnerte sich daran, wie sie diese Tradition nach dem Tod ihrer Mutter mit ihrem Vater fortgeführt hatte. Sie hatten eine Blüte nach der anderen abgeschnitten, jede so frisch, dass der noch auf den Blütenblättern glitzernde Tau an ihren Fingern heruntergelaufen war.
„Acht rosa Rosen, sieben weiße und drei Myrtenzweige“, murmelte sie und zeigte auf die rosa und weißen Rosenbüsche im Beet.
„Was bedeutet das?“
„Das habe ich Mama immer mitgebracht. So einen Strauß schenkte mein Vater ihr, als er um ihre Hand anhielt.“
Die Geschichte des Heiratsantrags war ihre Lieblingsgeschichte gewesen. Ihr Vater hatte sie ihr wieder und wieder erzählt. Sie konnte nie genug davon bekommen. Bevor ihre Mutter gestorben war, hatte er jedes Mal lächelnd das Ende der Geschichte erzählt und dann gesagt: „Deine Mutter ist meine große Liebe.“
Nach ihrem Tod wurde er ernst, Schatten legten sich auf seine Stirn, er biss die Zähne zusammen, um seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, und sagte dann: „Deine Mutter war meine große Liebe.“
So hatte Cinderella erfahren, wie ein Wort alles verändern konnte.
Und ihren Vater seitdem nicht mehr gebeten, die Geschichte zu erzählen.
„Ich hatte es fast vergessen“, sagte sie leise und mit angespannter Stimme. „Es ist schon so lange her …“
„Acht...