Diop | Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Diop Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson

Roman
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8412-2961-8
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2961-8
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Hymne auf die Liebe und auf die Freiheit - vom Gewinner des International Booker Prize.

David Diop erzählt die Lebensgeschichte des Botanikers Michel Adanson (1727-1806), der als erster weißer Naturforscher den Senegal bereist. Sein Ziel ist eine umfassende Enzyklopädie der afrikanischen Fauna. Als Adanson von dem tragischen Verschwinden einer jungen Frau erfährt, bekommt seine Expedition ein neues Ziel. Und er findet sie: Die mysteriöse Maram lebt als Heilerin in einem Dschungeldorf, um den Sklaventreibern zu entkommen. Adanson verliebt sich in sie und begreift immer mehr, dass sein weißes westliches Weltbild überholt ist. Trotzdem kann er Maram nicht vor ihrem Schicksal retten ... Erst nach Adansons Tod findet seine Tochter die Reisehefte und begreift, wer ihr Vater wirklich war. David Diop schreibt so eindrücklich über die Leidenschaft des Entdeckens wie über die Abgründe des Kolonialismus und formt daraus eine Ode an die Liebe. 

»Diop verbindet die Leidenschaft für die Pflanzen und für die Liebe mit den Wunden der Geschichte und führt uns an den Rand der menschlichen Vernunft.« LIRE



David Diop wurde 1966 in Paris geboren und ist im Senegal aufgewachsen. Er unterrichtet französischsprachige afrikanische Literatur an der Universität Pau. »Nachts ist unser Blut schwarz« wurde in Frankreich als literarische Sensation gefeiert. Dafür erhielt David Diop unter anderem den Prix Goncourt des lycéens 2018 und den International Booker Prize 2021. Andreas Jandl, geboren 1975, studierte Theaterwissenschaften, Anglistik und Romanistik in Berlin, London und Montreal. Er ist Übersetzer aus dem Französischen und Englischen, u. a. von J. A. Baker, Nicolas Dickner, Robert Macfarlane, Gaétan Soucy, Elisa Shua Dusapin und David Diop. Zuletzt wurde er mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis ausgezeichnet.
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V


Unweit der Stadt Moulins liegt am Fuße des Bourbonnais-Massivs gleich neben dem Siebenhundert-Seelen-Dorf Villeneuve-sur-Allier das Château de Balaine. Als Girard de Busson Aglaia zum ersten Mal dorthin mitnahm, waren sie nur zu zweit. Jean-Baptiste, ihr zweiter Ehemann, wollte lieber alleine in Paris bleiben und Émile, ihr ältester Sohn, war für solch eine Reise noch zu klein, weshalb er in die Obhut seiner Großmutter Jeanne gegeben wurde.

Sie verließen das Haus am frühen Morgen des 17. Juni 1798 in Girard de Bussons luxuriöser Karosse, einem Vierspänner, geführt von Jacques, dem altgedienten Kutscher der Familie. Girard de Bussons herrschaftliches Stadthaus befand sich in der Rue du Faubourg-Saint-Honoré nahe der Folie Beaujon. Also querten sie die Seine über die Pont de la Concorde. Doch jenseits des Faubourg Saint-Germain bog Jacques zunächst nach Süden, dann nach Osten ab, um entlang der einstigen Mur des fermes von Zolltor zu Zolltor zu fahren, unter Vermeidung der populären Viertel Saint-Michel, Saint-Jacques und vor allem Saint-Marcel, durch die sie über die Rue Mouffetard ebenso zur Barrière d’Italie hätten gelangen können. Girard de Bussons Gefährt stellte seinen Reichtum allzu deutlich zur Schau. Zu Zeiten des Direktoriums waren die einfachen Leute von Paris, die sich die Revolution bereits zurückwünschten, noch empfindlich und sehr reizbar.

Jenseits des Zolltors der Barrière d’Italie lag in all seiner Breite der »Große Königsweg«, der von Paris nach Lyon führte und unter Napoleon I. in »Kaiserliche Straße Nr. 8« umbenannt wurde. Aglaia hatte Paris selten über die Straße zum Bourbonnais verlassen. Weiter als bis nach Nemours, wo die feinen Großstädter mit dem Beginn des schönen Wetters im Frühling gern ihre Sonntage verbrachte und in Kabrioletts ihre Paraden fuhr, war sie nie gekommen.

Sie hatte die lange Reise zum Château de Balaine mit halb geschlossenen Augen begonnen, hatte sich selbst prüfen wollen. Da saß sie, entgegen der Fahrtrichtung, gegenüber von Girard de Busson, der ihre aufgesetzte Schläfrigkeit schweigend respektierte, beachtete in keiner Weise die langsam hinter den Fenstern vorbeiziehende Landschaft und ließ sich vom Schlingern des Gefährts hin und her wiegen. Nach und nach stellte sie sich vor, das Knarren der Wagenfederung verbunden mit dem dumpfen Hufschlag der Pferde stamme vom Pfeifen des Windes in den Segeln und dem Knarren der Takelage eines Schiffes, das fast bis ans äußerste Ende des Atlantiks gefahren war. Dann erlosch plötzlich das Licht, das den Innenraum der Kutsche immer mehr eingenommen hatte, als hätte sich der Lauf der Zeit umgedreht und die Nacht wäre zurückgekehrt. Eine Welle fahlen Lichts hatte sich über sie ergossen, hatte sie in einen für Wachträume anfälligen Halbschlaf gezogen. Die Kreuzung des Obelisken hatten sie hinter sich gelassen und gerieten auf der geradlinigen Straße langsam immer tiefer in den Wald von Fontainebleau. Sie stand auf der Brücke eines mit großen weißen Segeln geflügelten Schiffs. Der Wald unter ihren Füßen war brennend heiß. Über ihr zeigte sich ein Morgenhimmel aus blau-, grün-, orangefarbenen Wolken die zu goldenem Nebel verschmolzen. Schwärme fliegender Fische, denen unsichtbare Räuber nachstellten, bespritzten den Schiffsrumpf mit Gischt. Ihre Flossen trugen sie nicht weit genug von der Gefahr weg, die unter der Wasseroberfläche auf sie lauerte. Wild aufschnellend flohen sie vor rosafarbenen, weit aufgerissenen Mäulern, die aus der Tiefe kamen. Doch auch weiße Vögel, Kormorane oder Möwen, hatten es auf sie abgesehen. Und die silbernen Pfeile, weder ganz Fische, noch ganz Vögel, wurden als Gefangene der aufspritzenden Gischt, mal von Kiefern, mal von Schnäbeln geschnappt.

Ähnlich verzweifelt wie die seltsamen Fische, die ihren Platz weder im Wasser noch in der Luft hatten, kämpfte sie mit weiterhin geschlossenen Augen gegen die Tränen.

Von ihrer ersten Reise zum Château de Balaine im Juni 1798 erinnert sich Aglaia nur an diesen traurigen, von ihrem Gewissen geleiteten Halbtraum, dem sie, kraft ihres Willens, hätte entkommen können. Doch hatte sie ihn damals bis zur Ankunft am Reiseziel in seiner Gänze ertragen. Erst nach vielen weiteren, oft einsamen Reisen, die sie im Lauf der Jahre bis zum 4. September 1804, an dem sie für die Dauer der Renovierung des Château de Balaine einen angrenzenden Bauernhof bezog, verband sie mit den kleinen Städten und Dörfern, die sie von Paris aus bis nach Villeneuve-sur-Allier durchquert hatte, persönliche Erinnerungen.

Montargis im Regen. Das schwarze Wasser des Canal de Braire. Cosne-Cours-sur-Loire, wo sie mehr als ein Mal angehalten hatte, um Wein aus Sancerre für ihren Schwiegervater und Vater zu kaufen. Maltaverne, wo ein Gewitter sie in einem düsteren Gasthof, der sich vollkommen zu Unrecht Im Paradies nannte, als Geisel gehalten hatte. An La Charité-sur-Loire, wo der Zufall einer morgendlichen Abreise ihr den schönsten Ausblick auf den Fluss gewährte, der ihr je untergekommen war. Im Nebel verloren, erinnerte die Loire sie an die geisterhafte Themse, die ihr vor ihrer ersten Ehe während eines einjährigen Aufenthalts in London vertraut geworden war. In Nevers hatte sie das Nötigste des blau-weißen Steingutgeschirrs fürs Château gekauft. Von all den übrigen Orten war ihr nichts in bleibender Erinnerung geblieben.

Girard de Busson hatte ihren ersten Besuch in Villeneuve-sur-Allier auf den Johannistag gelegt. Kurz vor ihrer Ankunft hatte er ihr erklärt, dass sich an diesem Festtag in fast allen Dörfern des Bourbonnais Bäuerinnen und Bauern mitten auf dem Marktplatz auf zusammengezimmerten Podesten drängten, in der Hoffnung, sie würden als Domestiken in einem Bürgerhaus oder als Arbeitskräfte auf einem Bauernhof Anstellung finden. Möglichst gut gekleidet und mit einem Feldblumenstrauß an der Hüfte verkauften sie ihre Arme für die Dauer eines Jahres an den Meistbietenden. Nach zähen Verhandlungen über die Höhe des Arbeitslohns gab ihnen die Herrin oder der Herr, die sie engagieren würden, im Tausch gegen ihren Blumenstrauß ein Fünf-Francs-Stück, das »Scherflein Gottes«. Ohne die Blumen waren sie vergeben, standen nicht mehr zur Verfügung. Als der seltsame Tausch von Blumen gegen Arbeit abgeschlossen war, und die Gemüsegärtner und Bauern ihre Stände abbauten, begann die Jugend einen großen Ball, ein Charivari, ein Tohuwabohu. Und genau zu diesem Zeitpunkt waren Aglaia und Girard de Busson mit ihrem Gefährt auf dem Dorfplatz erschienen.

Wie vom Himmel gefallenen Göttern wurde ihnen eine große Anzahl der Sträuße angeboten, die am Vormittag den Besitzer gewechselt hatten, und einige Dörfler machten sich einen Spaß, einige auf das Dach der Karosse hinaufzuwerfen. So folgte ihnen eine Zeitlang ein heiteres Trüppchen und sie hinterließen, je nach der Ruckeligkeit des Weges hier und dort Feldblumen, bis sie am Ende einer mit Maulbeerbäumen gesäumten Allee das Château de Balaine entdeckten.

Aglaia hatte sich nicht sofort auf Balaine eingelassen. Sie begnügte sich damit, alles zu beobachten, mit etwas Distanz, um erste Bilder des Schlosses einzufangen, die sie später mit guten oder schlechten Erinnerungen überlagern würde. So hatte sie den Ort zunächst nur begrenzt mit ihren Sinnen erfasst, um das noch einmal intensiv nachholen zu können, wenn sie später mit sich allein wäre. Spitze Türmchen standen auf beiden Seiten eines großen, U-förmigen Schlosshofes. Unkraut überwucherte die für Besucher weit geöffnete Fläche. Auch die Farben der rot und weiß eingefassten Türmchenfenster waren nicht mehr zu erkennen, da alles von einem Gewirr aus Efeu und Moos bedeckt war. Eine unmäßig große Durchfahrt quer durch das Gebäude verschandelte die Fassade.

Girard de Busson hatte die Namen einiger Vorbesitzer von Balaine aufgezählt, bis ins 14. Jahrhundert zurück. Die ersten, die Pierreponts, die Erbauer einer Burg, hatten sich die Anlage über vierhundert Jahre von Generation zu Generation weitergegeben. Nachdem die Linie der Pierreponts im Jahr 1700 ausgestorben war, wechselten sich die Besitzer ab bis zu einem gewissen Ritter von Chabre, der 1783 unter der Federführung von Évezard, einem Architekten aus Moulins, den vollständigen Umbau des Gebäudes anging. Doch angesichts des Ausmaßes der notwendigen Arbeiten hatte der Ritter seine Meinung geändert und alles verkauft.

Vergeblich...



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