E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Dietz Glitzernde Nächte
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-86361-679-3
Verlag: Himmelstürmer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
ISBN: 978-3-86361-679-3
Verlag: Himmelstürmer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Leben in der Kleinstadt als schwuler Junge ist so ungefähr das Letzte, was Timo sich wünscht. Am liebsten würde er einfach abhauen und mit seinem besten Freund Sebastian durch die Welt reisen. Wenn da nicht Lennart aus Berlin, der Neue in der Klasse, in sein Leben platzen würde.
Gemeinsam versuchen die beiden Jungen dem Kleinstadtmief zu entfliehen und zwischen Party und Prüfungsstress kommen sie sich ziemlich nahe. Als Timo sich auch noch in Lennart verliebt und eine richtige Beziehung möchte, flüchtet Lennart zurück nach Berlin. Dort wartet nicht nur sein Ex-Freund Christoph auf ihn, den er immer noch liebt, sondern auch jede Menge offener Fragen zu der Nacht, in der er wegen einer Überdosis ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Und dann ist da ja noch die Sache mit Timo und das Lennart ihn doch sehr viel mehr vermisst, als er gedacht hatte ...
Autoren/Hrsg.
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Wie in der Luft schweben. Dieses Gefühl, wenn man verliebt ist. Wie ertrinken, wenn dir das Herz gebrochen wird. Ein ätzendes Gefühl. Lässt sich nur mit viel Alkohol ertragen. Mir wurde das Herz gebrochen. Am letzten Wochenende vor dem Schulbeginn. Meinem letzten Schuljahr. Von meinem ersten Freund. Er hieß Tobias und war 19. Er hatte sich auf so einen Typen eingelassen, weil es ihm bei mir wohl nicht schnell genug ging. Dabei war ich der erste Junge, mit dem er rumgemacht hatte. Vorher war er hetero. Zumindest hatte er sich das eingeredet und dann traf er mich. Timo, 17 Jahre alt, schwul. Schon immer. Auch wenn ich mir das lange nicht eingestehen wollte. Tobias war nicht der erste Junge, aber der erste mit dem ich zusammen war. Ich war richtig verknallt. Drei Monate. Und dann zerplatzte die Seifenblase. Ich war einer von diesen Jungs, die an die Liebe glaubten. Davon gab es ja nicht so viele. Ich hätte es einfach wie mein bester Freund Sebastian machen sollen. Er glaubte nicht an die Liebe. Sebastian sagte immer, Mädchen stehen auf Arschlöcher. Und irgendwie hatte er auch recht. Er konnte sie noch so mies behandeln, sie wollten trotzdem mit ihm schlafen. Er war mein einziger Freund. Tobias hatte per Telefon mit mir Schluss gemacht. Wahrscheinlich hätte er sich gar nicht mehr gemeldet, wenn ich ihn nicht angerufen hätte. Er brauchte seine Freiheit, versuchte er mir zu erklären. Und nur, weil er diesen Typen kennengelernt hatte. Ich fühlte mich leer. Liebe - was für ein beschissenes Gefühl. Sebastian und ich lagen auf dem angewärmten Teerdeich an der Nordsee. Der Wind wehte hier etwas stärker als in der Kleinstadt, in der wir wohnten, aber es war ein warmer angenehmer Wind. Die Sonne stand noch hoch über dem Meer und das Wasser schwappte gleichmäßig gegen die Buhnen. Wir hatten zwei Flaschen Bier dabei, genau das richtige bei Kater und prosteten uns zu. Die Möwen kreischten laut, wenn ein Kutter durch die Schleuse fuhr und umkreisten ihn, immer in der Hoffnung, etwas vom Fang abzubekommen. Ich habe das Meer immer geliebt. Es ist so weitläufig und grenzenlos. Wie lange man wohl schwimmen müsste bis man ans nächste Festland kam? Für einen kurzen Moment überlegte ich einfach loszurennen zum Wasser hin, einzutauchen und nie wieder zu kommen. Ob ich jemals hier wegkommen würde? Sebastian lag neben mir und hatte die Augen geschlossen. Ich beobachtete ihn einen Moment. Er sah gut aus und er wusste das. Ich fand mich eher so mittelmäßig. Gestern Abend waren Sebastian und ich in unserer Stammdisko. Clubs, so wie in der Großstadt, gab es hier nicht. Hier gab es nur Diskotheken mit dem Charme einer dieser Hitparaden-Sendungen aus den Siebzigern oder superfuturistisch mit Lasershow und Nebelkanone. Basti war der beste Weggefährte, den ich mir zu dem Zeitpunkt vorstellen konnte. Wir hatten den ganzen Abend getanzt und gesoffen, bis ich Tobias vergessen hatte und irgendwann kotzen musste. Dann kam der Filmriss und die Party war vorbei. Und jetzt lagen wir hier in der Sonne am Meer, an diesem Spätsommernachmittag, und ich wünschte mir, dass die Zeit stehen blieb, zumindest für eine Minute, dass morgen nicht der erste Schultag war und Tobias sich aus meinen Gedanken verpisste. Als ich am nächsten Morgen mit meinen Eltern am Küchentisch saß, fühlte ich mich unfähig, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Scheiß Liebeskummer. „Hast du schlecht geschlafen, mein Schatz?“, fragte meine Mutter. Ich nickte nur und schwieg. „Du solltest zumindest ein bisschen was essen“, schob sie hinterher. Aber ich hatte keinen Hunger und schüttelte den Kopf. Meine Mutter war eine von diesen Hausfrauen, die nicht arbeiten mussten, weil ihre Männer so viel Geld verdienten, dass sie nicht wussten, wohin damit. Sie putzte den ganzen Tag die Wohnung, wenn ihr langweilig war oder sah sich diese schrecklichen Doku-Soaps im Fernsehen an. Oder sie ging zum Golfen mit anderen gelangweilten Hausfrauen. Ich war nur einmal mit ihr auf dem Golfplatz und fand es furchtbar. Meine Mutter gackerte mit den anderen Frauen um die Wette und flirtete mit ihrem Golflehrer. Mein Vater las in seiner Zeitung. Er war Chefarzt der Chirurgie im Krankenhaus. Als ich noch kleiner war, habe ich ihn kaum gesehen, weil er die ganze Zeit gearbeitet hat. Nun war er öfters zu hause, zumindest am Wochenende und ging dann mit meiner Mutter Golfen oder Tennis spielen. Ich fühlte mich wie das Krebsgeschwür in dieser Familie. Der schwule Sohn, der gerne Schwänze lutschte. Meine Mutter wusste es. Sie hatte mich und Tobias überrascht. Ich traute mich danach eine Woche lang nicht, ihr in die Augen zu sehen. Sie wollte es nie wahrhaben, auch jetzt nicht. Mein Vater wusste es nicht. Ich habe mich bisher nie getraut, es ihm zu sagen. Und ich war mir sicher, dass meine Mutter das Thema noch nie bei ihm angesprochen hatte. Es machte mir nicht gerade Mut, mich zu öffnen. Ich hatte verdammt schlechte Laune, als ich beim Schulgebäude ankam, und sah Sebastian schon von weitem vor der Eingangstür zur Pausenhalle. Missmutig schlurfte ich auf ihn zu. Wozu sollte ich überhaupt heute zur Schule gehen? Erster Tag nach den Ferien im neuen Schuljahr und es hätte nicht schlimmer beginnen können. Sebastian erwartete mich im Eingangsbereich. „Hi, wie geht’s?“, fragte er mich eher obligatorisch. An meinen Augenrändern erkannte er, wie mies es mir ging. „Schlecht! Ich habe keine Sekunde geschlafen“, murmelte ich. „Ich habe gehört, wir bekommen einen Neuen.“ „Aha“, sagte ich gelangweilt. „Ich glaube von heute an auch nur noch ans Ficken. Scheiß auf Liebe!“ Sebastian rollte mit den Augen. „Glaubst du etwa immer noch daran? Timo, Liebe ist ... aua!“ Ich knuffte ihn hart in die Seite. „Halt einfach die Klappe!“ Die erste Stunde war Mathe und ich hatte keine Lust darauf. Ich hasste Mathe. Das würde ich später eh nicht brauchen. Wofür sollte ich es dann lernen? Müde und traurig legte ich den Kopf auf meine Arme auf den Tisch, zog meine schwarze Mütze, die ich eigentlich so gut wie immer trug, über die Ohren und verfluchte die anderen um mich herum, dass sie so einen Lärm machten. Wäre ich doch bloß einfach zuhause geblieben, in meinem Bett, für den Rest meines Lebens. Eigentlich wollte ich gar nicht hinhören, aber die Mädchen hinter mir tuschelten so laut, dass ich nicht weghören konnte. Der Neue war wohl im Anmarsch. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Noch jemand, der sich gegen mich verschwören und mir das Leben schwermachen könnte. Darauf konnte ich im Moment echt verzichten. Hoffentlich setzte er sich nicht neben mich. Neben mir wollte sonst auch niemand sitzen. Die Mädchen unterhielten sich völlig aufgeregt über sein Aussehen. Ein bisschen neugierig war ich ja schon. Ich drehte meinen Kopf so, dass ich mit den Augen Richtung Tür sehen konnte. Da stand er und wirkte so, als würde er gar nicht hierher passen. So anders als die anderen. Er war dünn. Seine Haare waren blond und kurz. Er hatte eine dunkle schmale Jeans an und trug ein weißes Shirt mit Streifen, das ihm zwei Nummern zu groß war. Der war ganz sicher ‘ne Hete. Der Neue sah zum freien Platz neben mir und dann zu mir. Seine Augen waren eisblau. Das fiel mir sofort auf. Er musterte mich kurz und ging dann an den anderen vorbei. Ich sah ihn nicht weiter an, schaute sogar bewusst in eine andere Richtung. „Ist hier noch frei?“, fragte er mit angenehm kratziger Stimme. Ich sah flüchtig zu ihm. Sein Gesicht war sehr hübsch und sein Kinn zierten ein paar Bartstoppeln. Ich nickte nur kurz und sah dann alibihalber auf mein aufgeschlagenes Heft. Er legte seine Tasche ab und setzte sich neben mich. „Ich bin Lennart“, begrüßte er mich kurz. „Timo“, gab ich mürrisch zurück. Dann kam unser Lehrer, Herr Lorenz, herein und es wurde ruhiger. Er wünschte uns einen guten Morgen. Ich fragte mich immer, wie es für einen Lehrer sein musste, die erste Stunde am Montagmorgen zu unterrichten. Die Stunde, auf die niemand Bock hatte, vor allem nicht die Schüler. Herr Lorenz genoss es wahrscheinlich so richtig. Er konnte ein echter Sadist sein. Wenn irgendjemand die Aufgabe nicht lösen konnte, bohrte er noch zwei- und dreimal in die Wunde. Bei mir bohrte er besonders gerne. Wie ein Zahnarzt, nur ohne dieses schrecklich quietschende Geräusch vom Bohrer. Obwohl seine Stimme dem schon sehr nahekam. „Wie ihr sicherlich mitbekommen habt, haben wir einen neuen Schüler. Er heißt Lennart Radowitz. Lennart, vielleicht kannst du kurz etwas über dich erzählen?“, startete Herr Lorenz die Vorstellung. „Und Timo, du kannst jetzt auch gerne deine Mütze abnehmen. Wir haben Sommer“, beendete er sie. Alle kicherten, bis auf den Neuen, während ich die Augen rollte und die Mütze widerwillig vom Kopf zog. „Ich bin 18 Jahre alt, komme aus Berlin und werde bis zum Abi hierbleiben“, sagte Lennart. Sein Blick schweifte durch den Raum, blieb an einigen Mitschülern hängen. Dann traf sein Blick wieder mich. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Wenigstens lenkte mich seine Anwesenheit für einen Moment von Tobias ab. Die...




