Didion | Wie die Vögel unter dem Himmel | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Didion Wie die Vögel unter dem Himmel

Roman | Der wichtigste Roman der amerikanischen Ikone - ein zeitloser Klassiker
23001. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8437-3073-0
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | Der wichtigste Roman der amerikanischen Ikone - ein zeitloser Klassiker

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-8437-3073-0
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gibt es Unschuld in einer Welt voller Gewalt? Die Amerikanerin Charlotte Douglas hat zwei gescheiterte Ehen hinter sich, ihre Tochter ist mit einer Guerillatruppe in den Untergrund gegangen. Dennoch ist Charlottes Vertrauen in die gutbürgerliche Welt durch nichts zu erschüttern. In der vagen Hoffnung, wieder mit ihrer Tochter vereint zu werden, reist sie in eine scheiternde mittelamerikanische Republik. Zwischen Dinnerpartys, Wohltätigkeitsarbeit und gedankenlosen Affären übersieht sie geflissentlich, was sich vor ihren Augen abspielt und droht, sie mit in den Abgrund zu reißen: Eine Spirale der sinnlosen Gewalt.  Ein bedeutender und zeitloser Roman über die schicksalhafte Verknüpfung von Politischem und Privatem. 

Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion starb im Dezember 2021 in New York.
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2


Nennen Sie das meinen eigenen Brief aus Boca Grande.

Nein. Nennen Sie es, wie ich Ihnen gesagt habe. Nennen Sie es mein Zeugnis von Charlotte Douglas.

Ein oder zwei Fakten über den Ort, an dem Charlotte starb und ich lebe. Boca Grande bedeutet »großer Mund« oder große Bucht und benennt das wichtigste physische Merkmal des Landes exakt als das, was es ist. Beinahe alles in Boca Grande nennt sich selbst exakt so, wie es ist, als würde jede Mehrdeutigkeit in der Benennung die Gegenwart ebenso spurlos versinken lassen wie die Vergangenheit. Der Rio Blanco sieht weiß aus. Der Rio Colorado sieht rot aus. Die Avenida del Mar führt am Meer entlang, die Avenida de la Punta Verde führt am Grünen Punkt entlang. Der Grüne Punkt ist wirklich grün. Genau betrachtet, kenne ich nur zwei Ortsnamen in Boca Grande, die an eine Idee oder ein Ereignis oder eine Person erinnern, die entweder an eine Vergangenheit der Eingeborenen oder an die der Kolonialzeit rühren.

Eine der beiden Ausnahmen ist »Millonario«.

Wie in Millonario Province.

So benannt, weil dort unsere Palmen wachsen und unsere Kopra gemahlen wird und der Vater meines Mannes der Reiche war, der , der Hochstapler aus St. Louis namens Victor Strasser, der im Alter von dreiundzwanzig Jahren Geld in Missouri auftrieb, um Ölrechte zu kaufen, im Alter von vierundzwanzig Jahren nach einem gescheiterten Versuch, Sonora zu erobern, aus Mexiko floh, und im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach Boca Grande kam. Nach seiner Genesung von der Cholera heiratete er eine Mendana und veräußerte ihrer Familie das Landesinnere von Boca Grande.

Victor Strasser starb mit fünfundneunzig, und in den letzten sechzig Jahren seines Lebens bestand er darauf, Don Victor genannt zu werden.

Ich nannte ihn Mr Strasser.

Es gibt Millonario, und es gibt außerdem »Progreso«. Eigentlich gibt es zwei Progresos, El Progreso und El Progreso . Das erste Progreso war der große Entwurf meines Schwagers Luis, das Spielzeug seiner fünfzehnmonatigen Präsidentschaft, seine neue Stadt, seine Hauptstadt, zwanzig aufeinander abgestimmte Glaspyramiden, durchschnitten von vier achtspurigen Boulevards, die alle in der Bucht aufgeschüttet und bis vor Kurzem durch einen Damm mit dem Festland verbunden waren. Die aufeinander abgestimmten Glaspyramiden wurden nie fertiggestellt, aber die achtspurigen Boulevards schon. Bis vor wenigen Jahren, als der Damm einstürzte, nahm ich meinen Lunch mit hinaus ins erste Progreso und aß dort allein zu Mittag, wobei ich an der Stelle eines geplanten Denkmals saß, an der alle vier leeren Boulevards zusammenliefen. Auf der Aufschüttung zwischen den Boulevards wuchs Bambus durch die großen Bechtel-Kräne, stillgelegt seit dem Tag, an dem Luis erschossen wurde. Luis war der letzte meiner Schwäger, der sich in eine so exponierte Position wie die des brachte. Seit Luis bevorzugen sie für sich tendenziell das Verteidigungsministerium und überlassen die Präsidentschaft entbehrlichen angeheirateten Cousins. Nachdem Luis erschossen wurde, verstopften Wasserhyazinthen jahrelang die Abflusskanäle in Progreso, und nach einem Regen standen die Boulevards den ganzen Tag unter Wasser, der Wasserfilm schimmerte von Mückenlarven und regenbogenfarbenem Schlick aus rostenden Öltanks. Bis zum Kollaps ging ich vielleicht einmal die Woche dort hinaus und blieb fast den ganzen Nachmittag. Mir kommt es vor, als wäre ich der einzige Mensch in Boca Grande, dem der Kollaps des Progreso-Damms ungelegen kam.

Irgendwann nach dem Kollaps nahm Gerardo Charlotte im Boot mit nach Progreso.

Ich erinnere mich, dass ich Charlotte beim Abendessen fragte, ob sie Progreso als ebenso friedlich empfunden habe wie ich.

Charlotte fing an zu weinen.

Progreso , das Charlottes eher teleologische Sicht auf menschliche Siedlungen wohl noch radikaler herausgefordert haben dürfte, habe ich seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Auch sonst niemand. Dieses zweite Progreso war eine weitere neue Stadt, im Landesinneren von einem amerikanischen Aluminiumkonzern auf Pachtland gebaut (unserem) während der hiesigen Bauxit-Schimäre. (Es gab Bauxit, ja, aber nicht so viel, wie die Geologen vorhergesagt hatten, nicht genug, um Progreso zu rechtfertigen.) Als die Minen geschlossen wurden, blieben eine Handvoll Ingenieure da und versuchten, irgendeinen wirtschaftlichen Nutzen aus den aluminiumhaltigen Lateritböden zu ziehen, die den Großteil des Vorkommens ausmachten, aber einer nach dem anderen bekam Fieber oder kündigte oder wechselte in die Konzernzentrale nach Venezuela. Die beiden letzten gingen 1965. Die Straße dorthin, deren Bau vierunddreißig Millionen amerikanische Dollar kostete, ist aus der Luft immer noch erkennbar, ziemlich deutlich, eine gerade Linie blasser Vegetation. Mein Mann wollte die Straße erhalten, sagte immer, dass das Landesinnere Dinge besäße, zu denen wir eventuell Zugang würden haben wollen, aber nachdem Edgar gestorben war, ließ ich sie zuwachsen. Was ich vom Landesinneren wollte, hatte mit Zugang nichts zu tun.

Edgar war der älteste der vier Söhne von Victor Strasser und Alicia Mendana.

Luis, der Bruder, der Edgar altersmäßig am nächsten war, war der, der im April 1959 auf den Stufen vor dem Präsidentenpalast erschossen wurde.

Sie werden erraten haben, dass ich in eine von drei oder vier zahlungskräftigen Familien in Boca Grande eingeheiratet habe. Genau genommen bewirkte Edgars Tod, dass ich die vermeintliche Kontrolle über neunundfünfzig Komma acht Prozent der Anbauflächen hatte und etwa zur gleichen Prozentzahl an den Entscheidungsprozessen in La Republica (neuerdings La Republica Libre) de Boca Grande beteiligt war. trägt dieses Jahr eine Seglermütze. Die beiden jüngeren Strasser-Mendana-Brüder, Little Victor und Antonio, die beiden, die Edgar und Luis nannten, sind nur mit einem Fonds am Vermögen beteiligt, den ich aufgelegt habe. Victor und Antonio gefällt dieses Arrangement nicht besonders, auch ihren Ehefrauen Bianca und Isabel gefällt es nicht oder Luis’ Witwe Elena, aber so ist es. (Ein kleines Beispiel dafür, warum es so ist. Am Tag, als Luis erschossen wurde, flog Elena ins Exil nach Genf, eine theatralische Geste, allerdings unnötig, da der Coup schon vorbei war, noch ehe ihr Flugzeug die Startbahn verlassen hatte, und Little Victor die vorläufige Kontrolle über die Regierung übernommen hatte. Die Ehefrau jedes anderen lateinamerikanischen Präsidenten hätte sofort gewusst, dass ein Coup, bei dem der Flughafen offen blieb, ein zum Scheitern verurteilter Coup war, aber Elena hatte keinen Instinkt für das Leben als Frau eines lateinamerikanischen Präsidenten. Sie ist auch keine besonders geeignete Präsidentenwitwe. Wie auch immer. Einige Wochen später kam Elena zurück. Edgar, sein Vater und ich holten sie vom Flughafen ab. Sie trug eine getönte Brille und einen neuen Balenciaga- Mantel, grasgrün. Sie hatte einen farblich dazu passenden Papagei dabei. Sie hatte diesen Papagei nicht aus Boca Grande mitgenommen. Sie hatte den Papagei an diesem Morgen in Genf gekauft, für siebenhundert Dollar.) Jedenfalls gibt es in ganz Boca Grande nicht so viel Geld, wie ich laut dem Vorwurf von Victor, Bianca, Antonio, Isabel und Elena in der Schweiz versteckt haben soll.

Streichen Sie Bianca.

Bianca wirft mir nicht vor, Geld in der Schweiz versteckt zu haben, weil Bianca an der Sacré Cœur in New Orleans gelernt hat, dass sich Diskussionen über Geld nicht gehören. Streichen Sie auch Isabel. Isabel wirft mir nicht vor, Geld in der Schweiz versteckt zu haben, weil Isabel so selten hier ist und ihr Arzt in Arizona ihr gesagt hat, dass Diskussionen über Geld den Fluss transzendentaler Energie stören.

Ich lebe nur deshalb weiterhin hier, weil ich das Licht mag.

Und weil mich immer mal wieder die Bemühungen meiner noch übrig gebliebenen Schwäger beschäftigen, aus dem Roten Kreuz Profit zu schlagen.

Und weil meine Tage zu gezählt sind, um sie in New York oder Paris oder Denver zu verbringen und mir das Licht in Boca Grande vorzustellen, wie flach es ist, wie grell und still. Wie totenbleich am Mittag.

Eines zumindest habe ich mit Charlotte gemeinsam: Ich habe mein Kind verloren. Gerardo ist für mich verloren. Ich höre regelmäßig von ihm, sehe ihn viel zu oft, rede mit ihm über Politik und neue Filme und die Knospenfäule, die wir bei den Gehölzen im Landesinneren erleben, aber ich rede wie eine Bekannte mit ihm. In Boca Grande fährt er einen Alfa Romeo 1750. In Paris, wo er fünfzehn Jahre lang mit verschiedenen Studentenvisa immer wieder gelebt hat, fährt er Motorrad, eine Suzuki 500. Ich stelle mir Gerardo immer auf Rädern vor oder auf Ski. Ich mag ihn, aber inzwischen nicht mehr allzu sehr. Gerardo verkörpert viele der Misserfolge, die es auf dieser Seite der Welt gab, den Machismo, der eher eine Wunschvorstellung ist, die vernichtende Rührseligkeit, die Überzeugung, dass er aristokratischer Herkunft sein müsse; eine grundsätzliche Haltung, der ich nichts abgewinnen kann. Gerardo ist der Enkel von zwei amerikanischen Ölsuchern, die reich geworden sind, mein Vater mit Mineralien in Colorado und Edgars Vater mit Politik in Boca Grande, und dem...



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