Didion | Slouching Towards Bethlehem | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Didion Slouching Towards Bethlehem

»Eine reiche Darbietung der besten Prosa, die in diesem Land geschrieben wurde.« The New York Times Book Review
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8437-2840-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

»Eine reiche Darbietung der besten Prosa, die in diesem Land geschrieben wurde.« The New York Times Book Review

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2840-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gefeiert, ikonisch und unverzichtbar: Slouching Towards Bethlehem gilt als Wendepunkt der amerikanischen Literatur Joan Didions erste Essaysammlung ist ein unverzichtbares Porträt Amerikas in den Sechzigerjahren. Didion fängt die Orientierungslosigkeit eines Landes ein, das sich durch den sozialen Wandel selbst zerreißt. Ihre Essays beschreiben mehr als nur die mörderische Hausfrau, Pearl Harbor, Hippies oder ihren Heimatstaat Kalifornien; sie bieten eine umfassendere Vision von Amerika, die sowohl erschreckend als auch zärtlich, bedrohlich und einzigartig ist. »Eine reiche Darbietung der besten Prosa, die in diesem Land geschrieben wurde.« The New York Times Book Review

Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion starb im Dezember 2021 in New York.
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John Wayne: Ein Liebeslied


Im Sommer 1943 war ich acht, und mein Vater, meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich waren in Peterson Field in Colorado Springs. Ein heißer Wind wehte den ganzen Sommer über, wehte, als sollte der gesamte Staub von Kansas nach Colorado getragen werden, bevor der August begann, er wurde über die mit Teerpappe gedeckten Baracken und über das provisorische Rollfeld getrieben und setzte sich erst, als er Pikes Peak erreichte. Es war nicht viel los in so einem Sommer: Es gab den Tag, an dem die neue B-29 eingeführt wurde, ein erinnernswertes Ereignis, aber kaum eines, um sich damit die Ferien zu vertreiben. Es gab einen Offiziersclub, aber ohne Swimmingpool; das einzig Interessante, was der Offiziersclub zu bieten hatte, war der künstliche blaue Regen hinter der Bar. Der Regen faszinierte mich, aber ich konnte schlecht den Sommer damit verbringen, ihn anzustarren, und so gingen mein Bruder und ich ins Kino.

Wir gingen drei-, viermal die Woche, saßen in der Nachmittagsvorstellung auf Klappstühlen in einer abgedunkelten Blechbaracke, die als Vorführraum diente, und dort, in diesem Sommer 1943, während draußen der heiße Wind wehte, sah ich John Wayne zum ersten Mal. Sah den Gang, hörte die Stimme. Hörte ihn zu einem Mädchen in einem Film mit dem Titel sagen, dass er ihr ein Haus »an der Biegung des Flusses, wo die Pappeln wachsen«, bauen würde. Nun bin ich nicht eine jener Frauen geworden, die zur Filmheldin in einem Western taugen, und obwohl die Männer, die ich traf, viele Vorzüge hatten und mich an Orte mitnahmen, die ich im Laufe unseres gemeinsamen Lebens dort lieb gewann, waren sie doch nie John Wayne und sie nahmen mich nie an diese Biegung des Flusses mit, wo die Pappeln wuchsen.

Tief im Herzen, dort, wo der künstliche Regen für immer fällt, ist das noch heute der Satz, auf den ich warte.

Ich erzähle Ihnen das weder aus einer Laune der Selbstoffenbarung heraus noch um mein Gedächtnis zu schulen, sondern ich erzähle Ihnen das, um Ihnen zu zeigen, dass John Wayne, als er durch meine Kindheit ritt und vielleicht auch durch Ihre, für immer die Form bestimmter Träume prägte. Dass ein Mann wie er krank werden könnte, dass er diese unerklärlichste und unbeherrschbarste aller Krankheiten in sich tragen könnte, war undenkbar. Dieses Gerücht trieb eine verborgene Angst auf, es stellte unsere gesamte Kindheit infrage. In John Waynes Welt war es John Wayne, der die Befehle gab. »Reiten wir!«, sagte er und »Aufsatteln!«. »Vorwärts, « und »Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss«. »Na du«, sagte er, wenn er das Mädchen zum ersten Mal sah, in einem Baulager oder im Zug oder schlicht auf einer Veranda, wo sie stand und darauf wartete, dass jemand durch das hohe Gras geritten kam. Wenn John Wayne etwas sagte, war er nicht misszuverstehen; er hatte eine sexuelle Macht, die so groß war, dass auch ein Kind sie mitbekam. Und in einer Welt, die wir früh als eine kennenlernten, die von Käuflichkeit, Zweifel und lähmenden Mehrdeutigkeiten geprägt war, stand er für eine andere Welt, für eine, die es irgendwann gegeben haben mochte oder nicht, die es aber keinesfalls mehr gab: eine Welt, in der sich ein Mann frei bewegen, seine eigenen Regeln aufstellen und danach leben konnte; eine Welt, in der ein Mann, der tat, was ein Mann tun musste, sich eines Tages das Mädchen nahm, durch die Prärie davonritt und dann zu Hause und frei sein konnte und sich nicht in einem Krankenhaus wiederfand, weil etwas mit ihm nicht stimmte, nicht in einem erhöhten Bett mit Blumen und Medikamenten und einem erzwungenen Lächeln, sondern an der Biegung des klaren Flusses, wo die Pappeln in der Morgensonne glänzten.

»Na du.« Wo war er gewesen, bevor er durch das hohe Gras geritten kam? Sogar seine Geschichte passte zu ihm, denn er hatte keine, nichts, was den Traum hätte stören können: Als Sohn eines Apothekers unter dem Namen Marion Morrison in Winterset, Iowa, geboren. Als Kind mit seinen Eltern nach Lancaster, Kalifornien, gezogen, eingezogen in jenes gelobte Land, das manchmal »die Westküste von Iowa« genannt wird. Nicht, dass Lancaster schon die Erfüllung aller Wünsche gewesen wäre; Lancaster war eine Stadt in der Mojave-Wüste, durch die der Staub wehte. Aber Lancaster war dennoch Kalifornien, und von hier war Glendale nur noch ein Jahr entfernt, wo die Trostlosigkeit schon anders schmeckte: Schonbezüge unter Orangenhainen, das bürgerliche Vorspiel zu Forest Lawn, dem Friedhof der Stars. Stellen Sie sich Marion Morrison in Glendale vor. Ein Pfadfinder, dann Schüler an der Glendale High. Die Zulassung zur University of California, dann Mitglied des Studentenclubs Sigma Chi. Sommerferien, ein Job als Kulissenschieber auf dem alten Fox-Gelände. Dort traf er John Ford, einen der Regisseure, die spürten, dass in diese vollkommene Form die unausgesprochenen Sehnsüchte einer Nation gegossen werden konnten, einer Nation, die sich fragte, auf welchem Pass sie den richtigen Pfad übersehen hatte. »Verdammt«, sagte Raoul Walsh später, »dieser Scheißkerl sah aus wie ein Mann.« Und nach einer Weile wurde der Junge aus Glendale ein Star. Ein Schauspieler wurde er nie, wie er in Interviews immer wieder betonte (»Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass ich nicht spiele, sondern nur spiele!«), aber ein Star, und der Star namens John Wayne verbrachte die meiste Zeit seines restlichen Lebens mit dem einen oder anderen dieser Regisseure an irgendwelchen verlassenen Drehorten, auf der Suche nach dem Traum.

In diesem Traum konnte nichts wirklich Schlimmes geschehen, nichts, was ein Mann nicht bewältigen konnte. Und dann geschah doch etwas. Dann war es da, dieses Gerücht, und nach einer Weile kamen die Schlagzeilen. »Ich habe die Zellen mal ordentlich durchgepustet«, verkündete John Wayne, wie es John Wayne tun muss, und holte die gesetzlosen Zellen auf das Niveau aller anderen Gesetzlosen herunter, und dennoch spürten wir alle, dass das die eine unvorhersehbare Auseinandersetzung sein würde, die einzige Schießerei, die Wayne verlieren konnte. Ich habe dieselben Schwierigkeiten mit Illusion und Realität wie jeder andere, und ich wollte John Wayne nicht in einem Zustand sehen, mit dem er (so dachte ich) selbst seine Schwierigkeiten haben würde, aber dann sah ich ihn doch, und zwar unten in Mexiko, als er den Film machte, der wegen seiner Krankheit so lange verschoben worden war, da unten im wahren Land der Träume.

Es war John Waynes 165. Film. Es war der 84. von Henry Hathaway. Es war Nummer 34 für Dean Martin, der einen alten Vertrag mit Hal Wallis abarbeitete, für den es die 65. unabhängige Produktion war. Der Film hieß , ein Western, und mit einer dreimonatigen Verspätung hatten sie die Außenaufnahmen in Durango endlich abgeschlossen und waren jetzt dabei, die letzten Innenaufnahmen im Estudio Churubusco nicht weit von Mexiko-Stadt zu machen, und die Sonne brannte, und die Luft war klar, und es war Zeit, Mittag zu essen. Draußen saßen die Jungs der mexikanischen Filmcrew unter den Pfefferbäumen und lutschten Karamellbonbons, etwas weiter die Straße runter saßen die Techniker vor einem Lokal, in dem es gefüllten Hummer und einen Tequila für einen Dollar gab, aber das ganze Talent, der Sinn der Übung, saß drinnen; in der höhlenartigen, leeren Kantine hockten sie alle um den großen Tisch herum, stocherten in und tranken Carta-Blanca-Bier. Dean Martin, unrasiert. Mack Gray, der Martin überallhin folgt. Bob Goodfried, zuständig für die Publicity bei Paramount, der hergeflogen war, um einen Trailer zusammenzustellen, und einen empfindlichen Magen hatte. »Tee und Toast«, wiederholte er ständig. »Das ist der Trick. Salat kannst du vergessen.« Henry Hathaway, der Regisseur, der Goodfried nicht zuzuhören schien. Und John Wayne, der niemandem zuzuhören schien.

»Diese Woche hat sich ziemlich hingezogen«, sagte Dean Martin zum dritten Mal.

»Wie kannst du so was sagen?«, wollte Mack Gray wissen.

», so kann ich das sagen.«

»Du meinst doch nicht etwa, du willst, dass sie vorbei ist.«

»Ich sag’s dir ganz deutlich, Mack; ich will, dass sie ist. Morgen Abend rasiere ich mir diesen Bart ab, fahre zum Flughafen und dann: ! Bye-bye !«

Henry Hathaway zündete sich eine Zigarre an und tätschelte liebevoll Martins Arm. »Nicht morgen, Dino.«

»Henry, was willst du denn noch dranhängen? Einen Weltkrieg?«

Hathaway tätschelte erneut Martins Arm und starrte vor sich hin. Am Tischende redete jemand von einem Mann, der vor einigen Jahren vergeblich versucht hatte, ein Flugzeug in die Luft zu jagen.

»Der ist immer noch im Knast«, sagte Hathaway auf einmal.

»Im Knast?« Martin war für einen Moment abgelenkt von der Frage, ob er seine Golfschläger mit Bob Goodfried zurückschicken oder sie Mack...


Rávik Strubel, Antje
Antje Rávik Strubel lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Deutschen Buchpreis 2021 für Blaue Frau. Sie übersetzt aus dem Englischen und Schwedischen, u.a. Joan Didion, Lucia Berlin und Virginia Woolf.

Didion, Joan
Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war u. a. Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion verstarb im Dezember 2021.



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