Diderot | Jacques der Fatalist und sein Herr | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 428 Seiten

Reihe: Französische Bibliothek

Diderot Jacques der Fatalist und sein Herr


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-88221-931-9
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 428 Seiten

Reihe: Französische Bibliothek

ISBN: 978-3-88221-931-9
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
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In neuer Übersetzung Denis Diderot, der vielleicht klügste, sicher aber heiterste und menschlichste der französischen Aufklärer, schenkte uns mit seinem Roman ?Jacques der Fatalist und sein Herr? die Summe seiner ironischen Beschäftigung mit Philosophie und Ästhetik. Diderot sprüht vor Erzähllust und schickt sein Protagonistenpaar, das an Don Quijote und Sancho Pansa erinnert, auf eine Reise durch Frankreich. Die beiden erörtern höchst geistreich unablässig philosophische Fragen während sie reiten und rasten, in Wirtshäusern einkehren, dort mit anderen reden und bis tief in die Nacht Wein trinken. Hinrich Schmidt Henkel schöpft in seiner Neuübersetzung die Lakonie und den pointierten Rhythmus des Originals voll aus und bietet dem Leser die Möglichkeit, Diderot als Zeitgenossen zu lesen. 'von 6 Uhr bis halb 12 Diderots ?Jacques le Fataliste? in der Folge durchgelesen mich wie der Bel zu Babel an einem solchen ungeheuren Maale ergözt und Gott gedanckt dass ich so eine Portion mit dem großen Apetit auf ein mal als wärs ein Glas Wasser und doch mit unbeschreiblicher Wollust verschlingen kann' Johann Wolfgang von Goethe, 1780

Denis Diderot (1713 bis 1784) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph der Auf klärung, einer der vielseitigsten Autoren und berühmtesten Enzyklopädisten seiner Zeit. Er schrieb philosophische Romane, Dialoge, Dramen und Essays. Zusammen mit d'Alembert gaber die Encyclopédie heraus, in deren 28 Bänden das gesamte Wissen der Zeit von den bedeutendsten Köpfen der Aufklärung abgehandelt wurde.

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WIE WAREN sie einander begegnet? — Durch Zufall, wie alle. — Wie hießen sie? — Was schert Sie das? — Wo kamen sie her? — Vom nächstgelegenen Ort. — Wohin gingen sie? — Wer weiß schon, wohin er geht? — Was sagten sie? — Der Herr sagte nichts, und Jacques sagte, sein Hauptmann habe gesagt, alles Gute oder Schlechte, das uns hienieden widerfährt, stehe dort oben geschrieben. DER HERR: Das ist mal ein großes Wort. JACQUES: Mein Hauptmann sagte außerdem, jede Kugel, die einer abfeuert, ist bereits mit einer Adresse versehen. DER HERR: Und er hatte recht. Nach einer kurzen Pause rief Jacques aus: »Der Teufel hole diesen Wirt und seine Wirtschaft!« DER HERR: Warum seinen Nächsten zum Teufel schicken? Das ist nicht christlich. JACQUES: Weil ich mich an seinem schlechten Wein berauschte und dabei vergaß, unsere Pferde zur Tränke zu führen. Mein Vater sieht das; er ärgert sich. Ich zucke mit den Schultern; er greift einen Stock und lässt ihn nicht eben sanft auf ihnen tanzen. Ein Regiment zog vorüber auf dem Weg zum Lager vor Fontenoy; aus Verdruss lasse ich mich anwerben. Wir kommen dort an; schon geht die Schlacht los. DER HERR: Und du bekommst eine Kugel an deine Adresse. JACQUES: Sie haben es erraten; einen Schuss ins Knie; und Gott weiß, welche guten und üblen Abenteuer dieser Schuss nach sich gezogen hat. Sie hängen nicht mehr und nicht weniger zusammen als die Glieder der Kinnkette an einem Halfter. Ohne diesen Schuss zum Beispiel wäre ich wohl nie verliebt gewesen und würde nicht humpeln. DER HERR: Du warst verliebt? JACQUES: Und wie! DER HERR: Wegen eines Schusses? JACQUES: Wegen eines Schusses. DER HERR: Davon hast du nie ein Wort erzählt. JACQUES: Das glaube ich wohl. DER HERR: Und warum? JACQUES: Weil davon weder früher noch später erzählt werden konnte. DER HERR: Und jetzt ist der Moment gekommen, von dieser Liebesgeschichte zu erfahren? JACQUES: Wer weiß? DER HERR: Dann fang doch auf gut Glück an… Jacques begann die Schilderung seiner Liebesgeschichte. Es war nach dem Abendessen: das Wetter war drückend; der Herr schlief ein. Die Nacht überraschte sie inmitten der Felder; schon waren sie in die Irre geraten. In großem Zorn fällt der Herr mit der Peitsche über seinen Diener her, und der arme Teufel sagt bei jedem Hieb: »Der stand sicher auch dort oben geschrieben…« Sie sehen, werter Leser, ich bin auf einem guten Wege, und jetzt läge es ganz bei mir, Sie ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre auf den Bericht von Jacques’ Liebesdingen warten zu lassen, indem ich ihn von seinem Herrn trenne und beide sämtlichen Zufällen unterwerfe, die mir so in den Sinn kämen. Was hindert mich daran, den Herrn zu verheiraten und zum Hahnrei zu machen? Jacques übers Meer auf die westindischen Inseln zu schicken? seinen Herrn ebenfalls dorthin zu verfrachten? beide auf demselben Schiff nach Frankreich zurückzubringen? Es ist ja so leicht, Geschichten zu erfinden! Aber ich lasse die beiden mit einer schlechten Nacht und Sie mit dieser Verzögerung davonkommen. Der Morgen dämmerte. Da sitzen sie wieder auf ihren Pferden und reiten weiter. Wohin? Das fragen Sie mich jetzt schon zum zweiten Mal, und zum zweiten Mal antworte ich Ihnen: Was kümmert Sie das? Wenn ich erst auf das Ziel ihrer Reise zu sprechen komme, dann ist es mit Jacques’ Liebesdingen vorbei… Sie ritten eine Weile schweigend dahin. Als sich beide ein wenig von ihren Zwistigkeiten erholt hatten, fragte der Herr seinen Diener: »Na, Jacques, wie weit waren wir mit deiner Liebesgeschichte?« JACQUES: Ich glaube, wir waren bei der Flucht vor der feindlichen Armee. Alles rennt und wird verfolgt, jeder will seine Haut retten. Ich bleibe auf dem Schlachtfeld zurück, begraben unter einem beträchtlichen Haufen von Toten und Verwundeten. Anderntags warf man mich mit einem Dutzend weiterer auf einen Karren, um uns zu einem unserer Lazarette zu schaffen. Ah, Monsieur, ich glaube, es gibt keine grausamere Verletzung als die des Knies. DER HERR: Na, na, Jacques, du übertreibst. JACQUES: Nein, beileibe nicht, Herr! Da drin gibt es weiß Gott wie viele Knochen, Sehnen und allerlei anderes, von dem ich nicht weiß, wie es genannt wird… Ein bäuerisch wirkender Mann, der ihnen auf seinem Pferd folgte, eine junge Frau auf der Kruppe hinter sich, und ihnen zugehört hatte, ergriff das Wort: »Monsieur haben recht…« Es war unklar, an wen dieses »Monsieur« sich richtete, doch nahmen Jacques und sein Herr es beide übel auf, und Jacques sagte zu diesem aufdringlichen Redner: »Was mischst du dich ein?« »Mein Handwerk berechtigt mich dazu, ich bin Chirurg, zu Diensten, und ich werde Euch vorführen…« Die Frau auf der Kruppe hinter ihm sagte: »Herr Doktor, reiten wir unseres Weges und lassen diese Herren in Ruhe, die es nicht mögen, dass ihnen vorgeführt wird…« »Nein«, antwortete der Chirurg, »ich will und ich werde ihnen vorführen…« Und indem er sich zu ihr umwendet, um vorzuführen, stößt er seine Gefährtin an, bringt sie aus dem Gleichgewicht und wirft sie zu Boden, ihr einer Fuß bleibt in seinem Rockschoß hängen, und die Röcke fallen ihr über den Kopf. Jacques steigt ab, befreit den Fuß des armen Geschöpfs und zieht ihr die Röcke wieder herunter. Ich weiß nicht, ob er zuerst die Röcke herunterzog oder den Fuß befreite; aber aus den Schreien dieser Frau zu schließen, hatte sie sich schwer verletzt. Und Jacques’ Herr sagte zum Chirurgen: »Das hat man vom Vorführen.« Und der Chirurg: »Das hat man davon, sich dem Vorführen zu sperren.« Und Jacques zu der gefallenen oder wieder aufgerichteten Frau: »Trösten Sie sich, Werteste, weder Sie sind schuld noch der Herr Doktor, noch auch ich oder mein Herr: Es hat eben dort oben geschrieben gestanden, dass heutigen Tages, auf diesem Wege und zur gegenwärtigen Stunde den Herrn Doktor die Lust zum Plaudern ankommt, mein Herr und ich uns stur stellen, Ihr Euch eine Beule am Kopf zuzieht und man Euren Hintern zu sehen bekommt…« Was könnte nicht alles unter meinen Händen aus dieser Geschichte werden, wenn mich die Lust ankäme, Sie zur Verzweiflung zu treiben! Ich würde diese Frau eine wichtige Person sein lassen, die Nichte des Pfarrers des Nachbardorfs; würde die Bauern dieses Dorfes zusammenlaufen lassen, würde Kämpfe und Liebschaften anzetteln, denn man muss schon sagen, diese Bäuerin war hübsch unter ihrer Wäsche. Jacques und sein Herr hatten das bemerkt; der Liebe wird nicht immer eine derart verführerische Gelegenheit beschert. Warum sollte Jacques sich nicht ein zweites Mal verlieben? Warum sollte er nicht zum zweiten Mal der Rivale, und zwar der Lieblingsrivale seines Herrn sein? — Ach, das hat es schon einmal gegeben? — Immer diese Fragen. Sie wollen also nicht, dass Jacques von seiner Liebesgeschichte weitererzählt? Erklären Sie sich ein für alle Mal; würde es Ihnen gefallen oder nicht? Wenn es Ihnen gefallen würde, setzen wir die Frau wieder hinter ihren Reiter aufs Pferd, lassen sie ziehen und widmen uns wieder unseren beiden Reisenden. Diesmal ergriff Jacques das Wort und sagte zu seinem Herrn: »Das ist der Lauf der Welt; Sie, der Sie im Leben nicht verwundet wurden und nicht wissen, was das ist, so ein Schuss ins Knie, Sie wollen mir erzählen, mir, dem mir das Knie zerschmettert wurde und der ich seit zwanzig Jahren hinke…« DER HERR: Da könntest du recht haben. Aber allein dieser vorlaute Chirurg ist schuld, dass du immer noch auf dem Karren liegst, fern des Lazaretts, fern der Heilung und fern des Verliebtseins. JACQUES: Denken Sie, was Sie wollen, der Schmerz in meinem Knie war maßlos; er steigerte sich noch, weil das Gefährt so hart war und der Weg so unsanft, und bei jedem Rumpeln stieß ich einen schrillen Schrei aus. DER HERR: Weil dort oben geschrieben stand, dass du schreien würdest? JACQUES: Ganz bestimmt! Ich war am Verbluten, ich wäre ein toter Mann gewesen, hätte unser Karren, der letzte in der Reihe, nicht vor einer ärmlichen Hütte gehalten. Dort verlange ich abzusteigen; man setzt mich auf den Boden. Eine junge Frau, die in der Tür der Hütte stand, ging hinein und kam sofort mit einem Glas und einer Flasche heraus. Ich trank hastig ein oder zwei Schlucke. Die Karren vor dem unseren fuhren weiter. Man wollte mich schon wieder zu meinen Schicksalsgenossen werfen, doch ich klammerte mich an den Kleidern dieser Frau und an allem, was in meiner Reichweite war, fest und protestierte, ich werde nicht wieder einsteigen, und wenn ich schon sterben müsse, dann doch lieber hier, wo ich mich...


Denis Diderot (1713 bis 1784) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph der Auf klärung, einer der vielseitigsten Autoren und berühmtesten Enzyklopädisten seiner Zeit. Er schrieb philosophische Romane, Dialoge, Dramen und Essays. Zusammen mit d'Alembert gaber die Encyclopédie heraus, in deren 28 Bänden das gesamte Wissen der Zeit von den bedeutendsten Köpfen der Aufklärung abgehandelt wurde.



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