E-Book, Deutsch
Dickens Oliver Twist
1. Auflage, Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst 2021
ISBN: 978-3-95870-232-5
Verlag: nexx verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
nexx classics - WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
E-Book, Deutsch
Reihe: nexx classics - WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
ISBN: 978-3-95870-232-5
Verlag: nexx verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Oliver Twist, Sohn unbekannter Eltern, wächst im Armenhaus einer Kleinstadt unter dem harten Regiment des selbstgefälligen Mr. Bumble auf. Er kommt zu einem Leichenbestatter in die Lehre, flieht ohne einen Pfennig nach London und gerät in die Fänge des Hehlers Fagin, der eine Bande jugendlicher Taschendiebe anführt. Und es gibt jemanden, der ein ganz spezielles Interesse daran hat, Oliver in Verbrechen zu verwickeln. nexx classics - WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
Charles John Huffam Dickens, (1812-1870) war ein englischer Schriftsteller. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "David Copperfield", "Eine Geschichte aus zwei Städten", "Eine Weihnachtsgeschichte" und eben "Oliver Twist".
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Zweites Kapitel
Handelt davon, wie Oliver Twist heranwuchs, erzogen und ernährt wurde In den ersten acht oder zehn Monaten war Oliver das Opfer eines systematischen Betrugs und einer fortgesetzten Gaunerei. Er wurde nämlich aufgepäppelt. Die Armenhaus-Behörde meldete den ausgehungerten und elenden Zustand des Waisenkindes pflichtschuldigst an den Gemeinde-Vorstand. Dieser forderte einen Bericht darüber, ob sich "in dem Hause" keine Frauensperson befände, die in der Lage sei, dem kleinen Oliver Twist die Nahrung zu reichen, deren er bedurfte. Die untertänige Antwort der Armenhaus-Behörde fiel verneinend aus, worauf der Gemeinde-Vorstand den hochherzigen und menschenfreundlichen Entschluss fasste, Oliver in einem fünf Kilometer entfernten Filial-Armenhaus unterzubringen. Dort wuchsen unter der mütterlichen Aufsicht einer älteren Frau zwanzig bis dreißig andere jugendliche Übertreter der Armengesetze auf, ohne von Kleidung und Nahrung allzu sehr belästigt zu werden. Die Matrone nahm die kleinen Verbrecher gegen eine Entschädigung von wöchentlich sieben und einem halben Pence für den Kopf auf, und damit lässt sich ein Kind recht gut ernähren. Der Betrag reicht sogar zu, den Magen zu überladen und das Kind krank zu machen. Die alte Dame war eine kluge und erfahrene Frau, sie wusste, was für Kinder – und noch mehr, was für sie selber gut war. Sie verwendete den größeren Teil des Kostgeldes zu ihrem eigenen Nutzen und setzte die heranwachsende Jugend auf noch kleinere Rationen, als von der Behörde beabsichtigt war. Jedermann kennt die Geschichte eines praktischen Philosophen, der eine herrliche Theorie erfunden hatte, die ein Pferd befähigte, gänzlich ohne Nahrung zu leben. Der Versuch gelang so weit, dass er sein eigenes Pferd bis auf einen Strohhalm den Tag herunterbrachte und auch ohne Zweifel ein sehr mutiges, feuriges und gar nichts fressend des Tier aus ihm gemacht hätte, wenn es nicht vierundzwanzig Stunden vor dem Tage krepiert wäre, wo es sich zum ersten Male ausschließlich von der Luft ernähren sollte. Unglücklicherweise hatte das System der Frau, deren Fürsorge Oliver Twist anvertraut war, gewöhnlich einen ähnlichen Erfolg. Gerade wenn ein Kind so weit gekommen war, von dem kleinstmöglichen Teile der möglichst schwächsten Nahrung zu leben, so kam es acht-, bis neunmal in zehn Fällen vor, dass es an Hungertyphus erkrankte, oder sich verbrannte oder einen schweren Fall tat, lauter Zufälligkeiten, durch die das bedauernswerte kleine Wesen in eine andere Welt abgerufen und zu den Vätern versammelt wurde, die es in dieser nicht gekannt hatte. Man kann nicht erwarten, dass diese Erziehungsmethode glänzende Ergebnisse zeitigte. Oliver Twist war an seinem neunten Geburtstage ein blasses, schmächtiges, im Wachstum zurückgebliebenes Kind. Aber Natur oder Vererbung hatte in seine Brust einen gesunden, kräftigen Geist gepflanzt, der auch, dank der spärlichen Diät der Anstalt hinreichend Raum hatte, sich auszudehnen. Vielleicht ist es nur diesem Umstande zuzuschreiben, dass er sich überhaupt seines neunten Geburtstages erfreuen durfte. Er feierte denselben in der erlesenen Gesellschaft zweier anderen jungen Herren im Kohlenkeller, wo sie nach einer tüchtigen Tracht Schläge eingesperrt worden waren, weil sie sich erdreistet hatten, hungrig zu sein. An diesem Tage wurde Frau Mann, die würdige Vorsteherin der Anstalt durch die unerwartete Erscheinung des Gemeindedieners, Herrn Bumble, in Schrecken gesetzt. Er bemühte sich gerade, die Gartentür zu öffnen. "Herr du meine Güte! Sind Sie es, Herr Bumble?" rief Frau Mann, indem sie ihren Kopf aus dem Fenster steckte, anscheinend hocherfreut dem Kirchendiener zu. "Susanne, hole rasch den Oliver und die beiden anderen Rangen aus dem Keller und wasche sie. – Ach, wie mich das freut, Herr Bumble. Freue mich wirklich, Sie mal wieder zu sehen" Herr Bumble war ein dicker und außerdem jähzorniger Mann und anstatt die freundliche Begrüßung zu erwidern, gab er der Gartentür einen Stoß, wie ihn nur der Fuß eines Gemeindedieners zu geben imstande ist. "Mein Gott", sagte Frau Mann hinauseilend – denn die drei Jungen waren inzwischen aus dem Keller geholt worden – "dass ich das vergessen konnte. Der lieben Kinder wegen hatte ich ja die Tür verriegelt. Treten Sie näher, Herr Bumble, bitte kommen Sie rein." Obgleich diese Einladung mit einer Liebenswürdigkeit vorgebracht wurde, die sogar das Herz eines Kirchenältesten erweicht, hätte, besänftigte sie den Gemeindediener durchaus nicht. "Ist es etwa ein geziemendes und höfliches Benehmen, Frau Mann", fragte Herr Bumble, "die Gemeinde-Beamten am Gartentor stehen zu lassen, wenn sie in Angelegenheiten, die die Gemeinde-Waisen betreffen, hierher kommen?' "Glauben Sie mir, ich war gerade dabei, den lieben Kindern zu erzählen, dass Sie kämen", erwiderte Frau Mann unterwürfig. Herr Bumble hatte eine hohe Meinung von seiner Beredsamkeit und seiner Wichtigkeit. Die eine hatte er entfaltet und die andere geltend gemacht. Er wurde dadurch milde gestimmt. "Schon gut, Frau Mann", entgegnete er in sanfterem Tone, "ich will es Ihnen glauben. Gehen Sie nur voran, Frau Mann, ich komme dienstlich und habe Ihnen etwas auszurichten." Frau Mann führte den Gemeindediener in ein kleines Zimmer, holte einen Stuhl herbei und nahm ihm dienstbeflissen den dreieckigen Hut und seinen Stock ab. Sie legte beides auf den Tisch vor ihm. Herr Bumble wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte wohlgefällig auf den dreieckigen Hut. Dann lächelte er. Tatsächlich, er lächelte. Gemeinde-Diener sind auch nur Menschen, und Herr Bumble lächelte. "Nehmen Sie mir nicht übel, was ich Ihnen jetzt sage", bemerkte Frau Mann mit bestrickender Liebenswürdigkeit, "aber Sie haben einen weiten Spaziergang gemacht, darf ich Ihnen mit einem Gläschen aufwerten, Herr Bumble?" "Nicht einen Tropfen, nicht einen!" erwiderte Herr Bumble und wehrte mit seiner rechten Hand würdevoll, aber nicht unfreundlich ab. "Sie dürfen's mir nicht abschlagen", sagte Frau Mann, der der Ton seiner Weigerung und die ihn begleitende Gebärde nicht entgangen war. "Nur ein kleines Gläschen mit ein wenig kaltem Wasser und 'nem Stückchen Zucker." Herr Bumble hustete. "Nur einen Tropfen!" fuhr Frau Mann im überredenden Tone fort. "Was ist es denn?" fragte der Gemeindediener. "Nun, es ist etwas, von dem ich immer einen kleinen Vorrat haben muss, um es den lieben Kindern in den Kaffee gießen zu können, wenn sie nicht wohl sind", versetzte Frau Mann, indem sie einen Eckschrank öffnete und eine Flasche nebst Glas zum Vorschein brachte. "Es ist Wachholder." "Den geben Sie den Kindern mit dem Kaffee, Frau Mann?" fragte er, dabei mit seinen Augen den interessanten Vorgang der Mischung verfolgend. "Ja, der liebe Gott weiß es, ich tu's, so teuer er auch ist. Sie wissen ja, mein Herr, dass ich sie nicht vor meinen Augen leiden sehen könnte!' "Nein", sagte Herr Bumble, "nein, das könnten Sie nicht. Ich weiß, dass Sie eine menschlich denkende Frau sind, Frau Mann" (hier setzte sie ihm das Glas hin), "ich werde bei passender Gelegenheit den Gemeindevorstand besonders darauf aufmerksam machen." (Er zog das Glas näher an sich.) "Sie fühlen wie eine Mutter" (er hob das Glas), "ich – mit Vergnügen trinke ich auf Ihre Gesundheit, Frau Mann", damit trank er das Glas zur Hälfte leer. "Doch nun zu unserm Geschäft!" rief der Gemeindediener, indem er eine lederne Brieftasche herauszog. "Das mit der Nottaufe versehene Kind Oliver Twist ist heute neun Jahre alt geworden." "Gott segne ihn!" fiel Frau Mann ein und rieb sich mit dem Schürzenzipfel ihr linkes Auge rot. "Und trotz der angebotenen Belohnung von zehn Pfund, die nachher auf zwanzig erhöht wurde, trotz der äußersten – ich möchte fast sagen übernatürlichen – Anstrengungen seitens der Gemeinde sind wir nicht imstande gewesen, seinen Vater oder die Heimat, noch den Namen und den Stand seiner Mutter ausfindig zu machen." "Wie kommt es aber, dass er überhaupt einen Namen hat?" fragte Frau Mann. Der Gemeindediener warf sich in die Brust und entgegnete: "Den habe ich erfunden!" "Sie, Herr Bumble?" "Jawohl. Wir geben unsern Findlingen Namen nach dem Alphabet. Der letzte war ein S – ich taufte ihn Swubble. Dieser war ein T – ich benannte ihn Twist." "Sie sind ja ein wahrer Gelehrter, Herr Bumble." "Vielleicht", sagte der Gemeindediener geschmeichelt, "kann sein, Frau Mann. – Oliver ist nun zu alt für dieses Haus, der Vorstand hat beschlossen, ihn wieder zurück zu nehmen und ich soll ihn abholen. Bringen Sie ihn mal her." "Ich werde ihn sofort holen", sagte Frau Mann und verließ das Zimmer. Oliver war inzwischen von dem Schmutz, der sein Gesicht und seine Hände bedeckte, soweit gereinigt worden, als es durch eine einmalige Wäsche geschehen konnte. An der Hand seiner wohlwollenden Beschützerin betrat er nun das Zimmer. "Mach einen Diener vor dem Herrn, Oliver", sagte Frau Mann. Oliver machte eine tiefe Verbeugung sowohl vor Herrn Bumble auf dem Stuhl, als auch vor dem Dreispitz auf dem Tische. "Willst du mit mir gehen, Oliver?" fragte Herr Bumble mit hoheitsvoller Stimme. Oliver wollte gerade sagen, dass er gern mit jedem fortgehen würde, als er bemerkte, dass ihm Frau Mann, die hinter den Stuhl des Gemeindedieners getreten war, mit wütender Miene die Faust zeigte. Er verstand diese Zeichensprache. "Wird sie auch mitgehen?" fragte der arme Junge. "Nein, aber sie wird dich hin und wieder besuchen", sagte Herr Bumble. Das war kein sonderlicher Trost für Oliver. Trotz seiner Jugend war er jedoch klug genug, sich so...