E-Book, Deutsch, Band 1, 320 Seiten
Reihe: Mord in Viareggio
di Luca Tote sagen nicht Buongiorno
21001. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8437-2517-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 320 Seiten
Reihe: Mord in Viareggio
ISBN: 978-3-8437-2517-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carla di Luca ist das Pseudonym der USA-Today-Bestsellerautorin Beate Boeker. Sie hat eine Schwäche für Bücher mit Humor und einem Hauch von Verrücktheit. Neben dem Schreiben arbeitet sie als Marketingberaterin und lebt im Raum Dresden, wenn sie nicht gerade die Welt erkundet. Sie freut sich auf den Kontakt mit ihren Leser*innen, egal, ob über Facebook, Instagram oder ihre Webseite www.happybooks.de.
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~ 1 ~
Tonia
Ich wusste in der Sekunde, in der sie durch die Tür meines kleinen Ateliers trat, dass sie eine anstrengende Kundin werden würde. Hätte ich in die Zukunft blicken können, wäre ich aufgesprungen und davongelaufen. Aber in diesem Augenblick erwartete ich nur eine Stunde Stress, vielleicht zwei.
Ich glaube, es war ihr Mund. Die Mundwinkel wirkten verkniffen, sie sah unzufrieden aus. Aber auf den ersten Blick bemerkte ich das nur flüchtig. Sie hatte dunkelrotes Haar, das ihr in glänzenden Wellen bis zur Hüfte fiel, samtbraune Augen und eine helle Haut wie eine Porzellanpuppe, dazu eine Figur … Außerdem war sie von Kopf bis Fuß in Gucci gekleidet, was ich auch ohne die auffallende Handtasche sofort erkannte. In Viareggio gab es durchaus attraktive Frauen, vor allem jetzt im Juni, wo die Sommersaison begann, aber diese hier wäre selbst in Mailand während der Modemesse aufgefallen.
Mit einem Lächeln grüßte ich die Dame über meine Nähmaschine hinweg. »Ein herrlicher Tag, nicht wahr?«
Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel und funkelte auf dem Wasser des Canale Burlamacca, der direkt vor meinem Atelier entlangführte. Ich hatte Spiegel an der Decke anbringen lassen, die das Licht einfingen und vervielfältigten, sonst wäre es in dem kleinen, schmalen Raum zu dunkel für meine Näharbeiten gewesen. Oben in meiner Wohnung war es nicht viel besser, doch dort hielt ich mich nur zum Schlafen auf. Das historische Haus, in dem ich lebte, hatte vermutlich einmal einem Fischer gehört. Der Hafen war nicht weit.
Es gab noch einen anderen Grund für die Spiegel hier unten, aber den Gedanken daran schob ich hastig von mir.
»Es tut mir leid, ich verstehe kein Italienisch.« Sie sprach Englisch mit amerikanischem Akzent und schaute dabei nicht einmal in meine Richtung.
»Kein Problem«, antwortete ich in ihrer Sprache. »Ich habe nur gesagt, dass heute ein schöner Tag ist.«
Die Frau nickte, ohne mich anzusehen, offensichtlich nicht in der Stimmung für Small Talk.
Eine Amerikanerin, die nicht gern plauderte, das war neu für mich. Aber vielleicht hatte sie nur wenig Zeit und war von meinen Abendkleidern so begeistert, dass sie nicht abgelenkt werden wollte. Jetzt rupfte sie mit fahrigen Händen eine meiner Kreationen vom Bügel, raffte sie in der Taille und schaute prüfend in den wandhohen venezianischen Spiegel mit dem dicken Goldrahmen.
Ich biss die Zähne zusammen. Es war ein Entwurf, der herrlich dicke Seide mit Lederapplikationen kombinierte. Gewagt, feminin und eigentlich perfekt für sie. Doch ich wollte nicht, dass eines meiner Kleider von einer Frau mit so unzufriedenem Mund und gierigen Händen getragen wurde.
rief ich mich selbst zur Ordnung. »Die Farben passen sehr gut zu Ihrem Typ. Möchten Sie es vielleicht anprobieren?«
Sie blickte mich über ihre Schulter hinweg an, und in der Sekunde erkannte ich sie: Bella Grazia, den Star der Show meines Vaters. Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin. Ich hätte es gleich wissen müssen, doch ich hatte sie noch nie in Person gesehen. Ich kannte nur das Plakat, das ihre Show ankündigte. Das Plakat, auf dem sie genau wie jetzt über die Schulter schaute – mit dem Unterschied, dass ihre Augen darauf von extralangen Wimpern beschattet wurden, umrahmt von einem Lidstrich, der Glamour und Sünde zugleich versprach, ergänzt von einem tiefroten Lippenstift, der den unzufriedenen Mund übermalte.
Ich habe es meinem Vater zu verdanken, dass ich Details in Gesichtern schon von Weitem ausmache. Er nahm mich als kleines Kind mit ins Gran Caffè Margherita mit seinen arabisch anmutenden Türmen und trug mir auf, ihm die Leute zu beschreiben, die um uns herum saßen. Dann ergänzte er, was mir entgangen war – und erklärte mir, was sich hinter der Fassade verbarg.
Manchmal war es ein wenig schwierig, weil er selbst alle Blicke auf sich zog, zumindest die der Touristen. In Viareggio hatten die Menschen sich an seine hohe Gestalt, seine breiten Schultern, seine dröhnende Stimme und vor allem seinen tiefschwarzen Samtumhang mit dem purpurroten Seidenfutter schon fast gewöhnt. Aber wer ihn das erste Mal sah, schaute immer noch ein zweites Mal hin, um sicherzugehen, dass er echt war. Mein Vater, der sich selbst immer und überall als »Lionel der Löwe« vorstellte, obwohl er eigentlich auf den Namen Luigi getauft ist, strahlte eine gewisse Präsenz aus. Die Präsenz eines Zirkusdirektors, der mit einem Trommelwirbel in die Mitte der Manege schreitet und Glanz und Glitzer, Sägemehl und wilde Tiere, Tanz und Tränen verspricht. Tatsächlich war das sein Beruf, als ich geboren wurde. Wobei Beruf nicht das richtige Wort ist, denn einen Beruf kann man wechseln, er definiert einen nicht unbedingt. Doch mein Vater war Zirkusdirektor mit Leib und Seele, und selbst wenn er irgendwo als Buchhalter hätte arbeiten müssen, wäre er mit einem aristokratischen Schwung seines Umhangs ins Büro stolziert und hätte die Schöße seines Fracks hinter sich geworfen, während er sich auf seinen Stuhl setzte. Er hätte die Monatsergebnisse angekündigt, wie er früher die Trapeznummer meiner Mutter als Höhepunkt der Show angepriesen hatte.
Mein war sehr stolz darauf, Bella Grazia unter Vertrag genommen zu haben, und hatte mir erzählt, wie lang und zäh die Verhandlungen gewesen waren. Die Dame verlangte himmelhohe Gagen und wohnte in der Prinzessinnen-Suite im Hotel Royal Superior Splendide, dem teuersten Luxushotel der Stadt.
»Wie viel?«
Die Stimme von Bella Grazia riss mich aus meinen Gedanken. Offensichtlich machte sie nicht gern viele Worte. Ich nannte ihr den Preis für das Kleid mit ruhiger Stimme.
Sie riss die Augen weit auf. »Das ist teuer.«
»Es ist Haute Couture.«
Ihre gierigen Hände griffen nach dem kleinen Metalletikett, das jedes meiner Kleider zierte. »Toniella«, las sie vor. »Nie gehört. Wer ist das?«
»Das ist meine Marke«, antwortete ich mit aller Ruhe, die ich aufbringen konnte. »Ich heiße Antonia, und dieses Kleid ist ein Unikat.«
Sie maß mich von oben bis unten mit ihrem Blick. »Also selbst genäht?« Es klang so, als ob sie fast hinzugefügt hätte: nach einem Kurs an der Volkshochschule?
Ich hätte ihr mein Kleid gern aus der Hand gerissen und beherrschte mich nur mit Mühe. »Ich habe Modedesign studiert.«
Sie ließ das Kleid nicht los und machte einen Schritt hin zu meiner Nähmaschine, wo sie stirnrunzelnd den dicken Stoff hochhob, den ich gerade verarbeitete. »Das wird doch nie und nimmer ein Kleid.«
»Nein. Das wird ein Sofabezug.« Ich hielt meine Stimme so freundlich wie möglich. »Ich habe auch Interior Design studiert und entwerfe zusätzlich die Innenausstattung von Luxusjachten.«
Sie lächelte böse. »Aha. Also kann man von der Mode wohl nicht ganz leben, was?«
Sie hatte den Nagel auf den Kopf und mich an einer empfindlichen Stelle getroffen. Ich ballte die linke Faust. Die rechte hob ich und nahm ihr sanft das Kleid ab. »Meine Arbeit wird so gut bezahlt, dass ich meine Kleider nicht unbedingt verkaufen muss.« Ich hängte es liebevoll an seinen Platz zurück. »Sie werden nur in gute Hände abgegeben.« …
Sie warf den Kopf in den Nacken und ließ ein melodisches Lachen hören, tief und verlockend. Es war wirklich hinreißend. Ich unterdrückte den wilden Wunsch, ihr gegen das Schienbein zu treten, damit sie aufhörte.
»Nur in gute Hände«, wiederholte sie spöttisch. »Sie klingen wie die Züchterin des Dackels, den ich gerade gekauft habe. Wirklich, ich habe schon ganze Anwesen gekauft, bei denen die Eigentümer weniger Trara gemacht haben! Es fehlte nicht viel und die Züchterin hätte mich nach meinen Essgewohnheiten gefragt.«
»Was wollen denn mit einem Hund? Sie sind doch ständig auf Reisen.«
Sie riss die Bambiaugen auf. »Also kennen Sie mich.«
Ich neigte den Kopf – hoffentlich königlich. »Ich habe von Ihnen gehört.«
Sie lächelte selbstgefällig, als ob nichts anderes als Lobeshymnen über sie erzählt werden könnten. »Machen Sie sich mal keine Sorgen um den Hund. Der wird gut versorgt. Ich habe nur das Beste für ihn gekauft.«
Plötzlich schoss mir ein Bild durch den Kopf: schwarzbraune Nase, seidige Ohren und ein rotes Jäckchen mit Glitzer-Puschel, der wie eine Fontäne auf dem Rücken befestigt war. Tíz. Es gab noch ein Foto von uns, als ich kaum größer gewesen war als er selbst. Und ein anderes, auf dem ich den kleinen Dackel im Arm hielt und dabei fast umfiel. Tíz war der Star in der Clown-Nummer von Bálasz gewesen. Sehnsucht überfiel mich, wie so oft, wenn ich an meine ersten fünf Jahre im Zirkus dachte....