E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Detrois Höllenritt
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-430-92007-0
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein deutscher Hells Angel packt aus
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-430-92007-0
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ulrich Detrois ist Bad Boy Uli. Er war Mitbegründer und acht Jahre lang Vize-Präsident eines großen deutschen Charters der Hells Angels. Heute wird er mit dem Tode bedroht.
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Große Freiheit
Am Tag nach der Party in Hannover fuhr ich mit meiner neuen Kutte in unser Clubhaus. Ich schaltete die Musik an und ließ mich berieseln. Optisch war im Haus alles wie vorher, nur meine Stimmung war an diesem Tag anders als sonst. Trotz des dicken Schädels hatte ich ein großartiges Gefühl: ein Gefühl des Aufbruchs. Ich wusste, dass jetzt alles anders würde. Von nun an gehörten wir zu den Hells Angels, dem größten Motorrad-Club der Welt.
In den folgenden Tagen verbannten wir die Bones-Sachen aus dem Clubhaus und bestellten Hells-Angels-Artikel. Ein Bruder namens Bobo, der heute im Charter in Bremen ist, regelte den Verkauf der neuen Ware: Er bot uns Gürtel, Gürtelschnallen, Bauchtaschen, T- und Sweat-Shirts an; bei ihm konnten wir auch die Club-Colours kaufen. Dann machten wir uns an die Umgestaltung unseres Clubhauses. Über die Eingangstür kam ein Leuchttransparent mit der Aufschrift »Angels Place« – das hat jedes Charter in Deutschland. Auch unser Clubhaus strichen wir um – von ehemals schwarz-weiß auf rot-weiß. Die Fensterläden wurden rot, die schwarzen Innenwände und der Anstrich der Toiletten ebenfalls. Wir fingen an, uns auf unsere neue Rolle in der Rocker-Szene einzustellen …
Die meisten meiner Kasseler Bones-Brüder hielten das nicht lange durch und stiegen aus – einige gleich zu Beginn, andere im Laufe der ersten zwei Jahre. Ihnen war klar, dass das Leben als Hells Angel viel härter sein würde als das bei den Bones. Sie hatten unterschiedliche Gründe, viele waren privater Natur: Ehe, Kinder, keine Lust mehr auf schmutzige Geschäfte und Knast. Sie nutzten diese Veränderungen, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen. Manche standen auch nur zu ihren alten Idealen: »Bones forever«. Sie hatten es noch einfach, aus dem Club auszusteigen; später wurden die Regeln viel härter. In den ersten zwei Jahren konnte jeder, der wollte, den Club wieder verlassen, ohne einen triftigen Grund zu nennen. Später ging das nur noch mit Zustimmung des eigenen Charters und aus schwerwiegenden Gründen wie Krankheit, Familienproblemen oder größeren Streitereien im Club. Denn die Member wissen zu viel über Clubstrukturen – und die sollen geheim bleiben.
Die ersten beiden Jahre im Club waren für alle mehr als chaotisch. In unserem Charter wurden die Posten wild besetzt: Jeder war mal Präsident, mal Vize, mal Sergeant at Arms, mal Road-Captain – und keiner wusste so richtig, was er machen sollte.
Irgendwann bekamen wir unsere erste Einladung zu einem German-Officers-Meeting. Ein Member kam auf unser Clubgelände und übergab uns einen Umschlag, in dem Ort und Zeit des Meetings standen. Unsere Auf-
Unser neuer Angels Place
gabe war es, diese Nachricht zum nächsten Charter zu bringen. In der Clubsprache nennt sich das »Pony-Express«. Die Nachrichtenübermittlung darf nur durch absolut vertrauenswürdige Clubmitglieder erfolgen. Wenn beispielsweise Hannover ein Meeting organisierte, schickten die einen Member nach Kassel, der uns die Nachricht übergab. Daraufhin fuhr einer von uns nach Frankfurt am Main, ein anderer in den Ruhrpott. Diese beiden Charter nahmen die Nachricht an sich, brachten sie nach Mannheim, Stuttgart, München und so weiter. Innerhalb von sechs Stunden wussten alle deutschen Charter, wann und wo das nächste Meeting stattfand. Dieser Aufwand war notwendig, damit die Bullen nichts mitbekamen.
Bei unserem ersten gemeinsamen Meeting wurden viele organisatorische Sachen besprochen. Zum Beispiel wurde uns gesagt, dass wir uns ab sofort nach den World-Rules richten müssten. Das sind die Gesetze der Hells Angels, die für alle Member weltweit bindend sind. Auf dem Meeting durfte jeder neue Präsident und Vize-Präsident sich die World-Rules durchlesen, doch sie mit ins eigene Charter zu nehmen, war zu diesem Zeitpunkt undenkbar. Denn die Hells Angels beschützen diese Regeln wie den Heiligen Gral. Eine wichtige Regel, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen darf, besagt beispielsweise, dass im Club keine Schwarzen geduldet werden. Ungeschrieben und trotzdem Gesetz: Die Frau eines Bruders ist absolutes Tabu, und jeder Member muss eine Harley besitzen. Des Weiteren müssen Gewinne aus Geschäften der Member prozentual an den Club abgetreten werden.
Die internen Strukturen gleichen sich bei allen Outlaw-Motorradclubs und ähneln denen der Politik. An oberster Stelle stehen die Amerikaner, in Person Sonny Barger, Mitbegründer des Clubs. Direkt nach ihm kommen die Präsidenten der einzelnen Charter, gefolgt von ihren Vize-Präsidenten. Einen Deutschland-Chef gibt es nicht, auch keinen Hells-Angels-Chef von Spanien oder sonst irgendwo auf der Welt. Die Präsidenten und Vize-Präsidenten sind die höchsten Entscheidungsträger des jeweiligen Charters und untereinander gleichgestellt. Direkt danach folgen die einzelnen Amtsträger. Der Finanzminister bei den Hells Angels ist der Charter-Treasurer, der für die Einnahmen und Ausgaben seines eigenen Charters verantwortlich ist. Er muss auch dafür sorgen, dass alle Beiträge für Veranstaltungen in Deutschland, Europa oder in Amerika fristgerecht überwiesen werden. Der Verteidigungsminister bei den Hells Angels nennt sich Sergeant at Arms und arbeitet Hand in Hand mit dem Road-Captain, dem Verkehrsminister.
Der Road-Captain muss beispielsweise für Gast-Brüder aus dem Ausland Bikes organisieren. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist es, Strecken auszuarbeiten und dafür entsprechende Fahrzeuge zu besorgen. Diese Routenpläne müssen auf die Minute genau stimmen, denn wenn ein Motorrad-Konvoi am Zielort mehrere Minuten warten muss, beschäftigen sich die Bullen damit. Die kommen dann mit dämlichen Fragen an: »Was wollt ihr hier? Was habt ihr vor?« Meist nutzen sie diese Momente für Leibesvisitationen und suchen nach Waffen, Drogen oder vertraulichen Dokumenten. So etwas darf natürlich nicht passieren.
Der Sergeant at Arms ist für die Sicherheit und die Waffen im Club zuständig. Ich selbst hatte zu meiner Zeit als Vize-Präsident diesen Posten übernommen, da es in unserem Kasseler Charter damals niemand anderen gab, der dazu befähigt gewesen wäre. Mehrere Versuche mit anderen Membern führten wegen Untauglichkeit nur zu noch mehr Chaos.
Der Sergeant at Arms trägt die Verantwortung, dass das Charter ausreichend bewaffnet ist. Dazu zählt oftmals auch die Spezialausrüstung wie kugelsichere Westen, Stichschutzwesten, Nachtsichtgeräte; es kann sogar einmal Sprengstoff dabei sein. Es sollten mindestens zwei vollautomatische Waffen im Charter bereitstehen.
Im Bedarfsfall hat grundsätzlich der Sergeant at Arms dafür zu sorgen, dass innerhalb kürzester Zeit darüber hinaus benötigte Waffen vor Ort und nach Gebrauch genauso schnell wieder verschwunden sind. Er ist weiterhin für die Sicherheit im und ums Clubhaus verantwortlich. Dazu zählt unter anderem die Aufstellung von Ausspähposten während Veranstaltungen und die Installation von ausreichend Überwachungskameras. Ihm obliegt gegebenenfalls auch die Planung für Clubübernahmen und sonstige »unfreundliche« Aktionen. Zusammen mit dem Road-Captain muss er, sollte es zu solchen Aktionen kommen, die Anfahrtswege für diese Aktionen austüfteln und für ausreichend Fahrzeuge sorgen.
Das letzte Amt, das erwähnt werden muss, ist das des Secretary, der für den Schriftkram verantwortlich ist. Er muss bei Charter-Sitzungen das Protokoll führen, bei Partys Einladungen an die anderen Clubs versenden und die Einträge der Internetseite kontrollieren und ergänzen.
Neben den Amtsträgern im Club gibt es die normalen Member. Sie müssen an clubinternen Veranstaltungen und »unfreundlichen« Aktionen teilnehmen. Alle die, die ein Hells Angel werden wollen, müssen erst den Hangaround- und den folgenden Prospect-Status durchlaufen. Die Hierarchie ist klar geregelt. Mit Demokratie hat das Ganze allerdings nichts zu tun. Eigentlich konnte jeder stets selbst entscheiden, welche Position er innehaben wollte: War diese schon besetzt oder sein Konkurrent stärker, musste er sich eine andere Stelle auswählen oder Member bleiben.
Der Name »Hells Angels« und alle damit verbundenen Warenzeichen wie beispielsweise der »Dead-Head« sind markenrechtlich in den USA und vielen anderen Ländern, wozu auch Deutschland zählt, geschützt. Alle Artikel mit Clubsymbolen dürfen nur von Membern gekauft und getragen werden. Dazu zählt unter anderem auch die Kutte mit den jeweiligen Aufnähern und Abzeichen. Die Kutte ist das Heiligtum eines jeden deutschen Hells Angels; ohne sie wären die Brüder nicht das, was sie sind: selbstsicher und selbstverliebt.
Die Kutte erhält jeder, der von seinem eigenen Charter offiziell zum Member ernannt wird. Der Beschluss des jeweiligen Charters muss einstimmig sein; stimmt einer dagegen, ist eine Memberschaft ausgeschlossen. Wenn jemand zum Zeitpunkt seiner Member-Ernennung gerade im Gefängnis sitzt, obliegt es seinem eigenen Charter zu entscheiden, wann er die Kutte ausgehändigt bekommt. Hierzu steht in den World-Rules der Hells Angels geschrieben: »Wenn ein Prospect zum Member gewählt wird, während er im Knast ist, bekommt er seine Farben erst, wenn er Freigang oder seine Strafe abgesessen hat.«
Der Hintergrund für diese Regel ist, dass jeder, der im Knast sitzt, keine privaten Sachen – mit Ausnahme von Sportsachen – ausgehändigt...