Dermoût | Die zehntausend Dinge | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Dermoût Die zehntausend Dinge

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-423-43079-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-423-43079-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Ein Stern am Literaturhimmel.« Frank Dietschreit in >rbb kulturradio< Eine alte Gewu?rzplantage auf einer indonesischen Insel, die wispernde und raschelnde tropische Pflanzenwelt, das geheimnisvolle Säuseln des Meeres - dieses paradiesische Fleckchen Erde muss Felicia als Kind verlassen. Doch niemals wird sie die Worte ihrer Großmutter, der Plantagenbesitzerin, vergessen, die ihr zum Abschied sagt: »Auf Wiedersehen, Enkeltochter, ich warte hier auf dich.« - Jahre später kehrt Felicia, inzwischen selbst Mutter, in den »Kleinen Garten« zuru?ck: Auch ihr Sohn Himpies wächst unbeschwert heran, streift u?ber die Plantage und lauscht den Geschichten der einheimischen Dienstboten, bis sich eines Tages eine Tragödie ereignet

Helena Anthonia Maria Elisabeth Dermoût-Ingerman (1888-1962) wurde auf einer javanischen Zuckerplantage geboren, absolvierte ihre Schulausbildung jedoch in den Niederlanden. Mit ihrem Mann, einem Juristen, kehrte sie nach Niederländisch-Indien zurück und lebte 30 Jahre lang in »jeder Stadt und jeder Wildnis auf Java, Celebes und den Molukken«, wie sie später schrieb. 1951, im Alter von 63 Jahren, veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel >Erst gestern noch<. Ihr vielgerühmter Roman >Die zehntausend Dinge< erschien 1955. Daneben verfasste sie fünf Bände mit Erzählungen. In der niederländischen Gegenwartsliteratur ist Maria Dermoût eine Ausnahmeerscheinung. Gleich nach Erscheinen des Buches 1955 wurden >Die zehntausend Dinge< dank dem Zauber, den der Text verströmt, als einzigartig wahrgenommen. In englischer Übersetzung erschien das Buch erstmals 1958 bei Simon & Schuster. Dem >Time Magazine< galt der Roman als einer der besten des Jahres, neben Boris Pasternaks >Doktor Schiwago<, Truman Capotes >Frühstück bei Tiffany< und Vladimir Nabokovs >Lolita<.
Dermoût Die zehntausend Dinge jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Die Insel


Auf der Insel in den Molukken gab es hier und da noch sogenannte Gärten aus der Zeit des Gewürzanbaus, wenige nur – es waren jedoch nie viele gewesen; und auf dieser Insel hatte man auch früher nicht von Gewürzplantagen gesprochen, sondern immer nur von Gärten.

Diese Gärten lagen heute, genau wie damals, um beide Buchten herum – die Außen- und die Binnenbucht –, mit ihren nach Gewürzarten getrennten Baumgruppen: Nelken bei den Nelken, Muskatnüsse bei den Muskatnüssen; dazwischen vereinzelt einige Schattenspender, meist Kanaribäume; und näher am Wasser, als Schutz vor dem Wind, Kokospalmen oder Platanen.

Keines der Häuser der ersten Plantagenbesitzer war noch erhalten, alle wurden sie von Erdbeben zerstört und anschließend abgetragen. Mitunter war ein Teil stehen geblieben – ein Seitenflügel, ein einzelnes Zimmer –, an den später wieder angebaut wurde, aber meist nur mit Holz, nichts als ein paar schäbige Räume.

Was war schon von der alten Pracht geblieben?

Manchmal jedoch schien in den Gärten noch ein Hauch der alten Zeiten, des längst Vergangenen spürbar zu sein.

An einer sonnigen Stelle zwischen den niedrigen Bäumen, wo es, wenn die Temperaturen steigen, so stark nach Gewürzen duftet –

In einem stillen, verfallenen Zimmer mit einem echten, typisch holländischen Schiebefenster und einer tiefen Fensterbank –

Oder an einem schmalen Strand unter den Platanen, wo die kleinen Wellen der Brandung auslaufen: drei Wellen hintereinander – hintereinander – hintereinander –

Was könnte es da noch geben?

Erinnerungen an Menschen, an frühere Geschehnisse bleiben manchmal beinahe greifbar irgendwo hängen. Vielleicht weiß noch jemand davon oder denkt daran zurück – aber hier war es anders: ohne jeden Halt, ohne Gewissheit – nicht mehr als eine Frage, ein Vielleicht?

Haben zwei Liebende einander damals an dieser Stelle umarmt und »für immer« geflüstert oder haben sie sich im Gegenteil voneinander gelöst und unter den Muskatnussbäumen »Adieu« gesagt?

Spielte ein Mädchen mit seiner Puppe auf der Fensterbank?

Wer stand am Strand und blickte über die drei kleinen Wellen der Brandung hinweg? Über die Bucht? Und wohin?

Eine Stille als Antwort, resignierte und erwartungsvolle Stille zugleich – das Vergangene und das Nicht-Vergangene.

Sonst war nicht mehr viel da.

In zwei Gärten spukte es.

In einem kleineren Garten an der Außenbucht, in der Nähe der Stadt, ging ein Ertrunkener um; das Unglück war jedoch erst vor Kurzem geschehen, heute, könnte man fast sagen! Und in einem weiteren Garten an der Binnenbucht spukten, seit jeher, drei kleine Mädchen herum.

Ihr Wohnhaus war nicht mehr erhalten; selbst das Fundament und die noch lange nach dem Erdbeben und dem Feuer liegen gebliebenen Trümmer waren irgendwann geräumt worden. Ein Gästepavillon war stehen geblieben, unter den Bäumen dicht beim Strand: vier geräumige Zimmer, die von der ehemaligen Seitenveranda abgingen.

Er war sogar noch bewohnt: Die heutige Besitzerin des Gartens lebte dort.

Sie trug einen schönen Namen – Frau von Soundso (so lautete der Name ihres Mannes, Abkömmling eines ostpreußischen Junkergeschlechts) – und war der letzte Spross einer alten Familie holländischer Plantagenbesitzer.

Fünf Generationen war der Garten nun schon in Familienbesitz; ihr Sohn, nach ihr, wäre die sechste Generation gewesen und seine Kinder nach ihm die siebte, doch das sollte nicht sein. Ihr Sohn war jung und kinderlos gestorben, und sie war schon über fünfzig, eine alte Frau ohne weitere Kinder, ohne Verwandte – die Letzte –

Auf der Insel, wo man sich fremde Namen nicht merken konnte, war es üblich, allen einen Beinamen zu geben, und sie wurde die »Dame an der Binnenbucht« genannt oder die »Frau vom Kleinen Garten«, denn so hieß die Gewürzplantage.

»Klein« war aber bloß so dahingesagt: Der Garten war groß, einer der größten der Insel, hinterm Haus reichte er weit hinauf in die Hügel, in den Wald, bis an den Fuß eines steilen Gebirges; nach vorn hin war er von der Binnenbucht begrenzt, zu beiden Seiten von Flüssen.

Der Fluss auf der linken Seite, wo das Gelände flach war, strömte braun und träge unter den Bäumen, er war nicht sehr tief, man konnte fast überall hinüberwaten. Dennoch kamen die Leute aus dem Dorf am anderen Ufer immer auf einem Floß, stakten mit einem Bambusstock hinüber.

Auf der rechten Seite des Hauses senkten sich die Hügel bis zum Strand hinab; ein reißendes Flüsschen stürzte spritzend und schäumend über Felsblöcke, durch ein Tal hindurch und immer weiter bis zur Binnenbucht.

In diesem Tal hauste das Federvieh: Hühner und Enten. Die Kuhställe lagen ebenfalls dort – so viel klares Wasser, um die Ställe und Schuppen zu schrubben – und nicht zu dicht beim Haus.

Hinter dem Pavillon und im rechten Winkel dazu hatte man eine Reihe einstöckiger Nebengebäude mit dicken Mauern quer an einen überdachten Gang angebaut. An einer Seite hing immer noch, in ihrem Glockenstuhl aus Holz, die alte Sklavenglocke; heute wurde sie, falls jemand in der Nähe war, bei der Ankunft oder Abfahrt jeder Prau[1] geläutet – willkommen – auf Wiedersehen; oft wurde es vergessen.

Dahinter begann der Wald, ein lieblicher Wald, mit vielen Pfaden und Lichtungen, vor allem in diesem Teil, dicht beim Haus. Alles, Nützliches und Nutzloses, wuchs wild durcheinander: Gewürz-, Obst- und Kanaribäume voller Nüsse, Palmen – Arengpalmen[2], denen Zucker und Wein abgezapft wurde, viele Kokospalmen, an feuchten Stellen Sagopalmen. Aber auch blühende oder seltene oder einfach nur schöne Bäume.

Eine schmale, gerade Allee, ins Nirgendwo, aus Kasuarinen – hohe Nadelbäume mit langen Nadeln, so strähnig und glatt hinabhängend wie die Federn des Kasuars[3]; in der leisesten Brise aus der Binnenbucht raschelten sie – wispernd – lispelnd – säuselnd, als tuschelten sie ständig miteinander. Die singenden Bäume, so wurden sie genannt.

Ein glasklarer Bach floss durch den Wald; weiter hügelaufwärts wurde ein Teil des Wassers durch einen hohlen Baumstamm zu einem Reservoir geleitet, das an der Vorderseite mit der Skulptur eines von seiner grün bemoosten Mähne umrahmten Löwenkopfes verziert war. Aus dem aufgesperrten Löwenmaul spritzten plätschernd ein paar Wasserstrahlen in ein Steinbecken: groß, aber flach und mit einem breiten gemauerten Rand, auf den man sich setzen konnte.

Das alles lag im Schatten: das Becken, das Reservoir mit der Skulptur, die Baumstämme, der Waldboden; und alles war feucht, dicht bemoost oder mancherorts schwarz und dunkelgrün angelaufen – nur auf dem Wasser, in den durchsichtigen Kräuselungen an der Oberfläche, behielt das Licht all seine Klarheit. Es war die ehemalige, besonders seichte Badestelle für die Kinder; sie wurde nur noch selten benutzt – wo waren die Kinder? Heute tranken die Waldvögel dort.

Dicke graue Ringeltauben mit einem grün glänzenden Halskragen – die Nussdiebinnen – tranken dort in aller Ruhe und vorsichtig gurgelnd, gurrten danach zufrieden. Ein paar glitzergrüne Wellensittiche setzten sich zusammen dicht an den Rand des Beckens, sie interessierten sich mehr füreinander als für das Wasser. Und manchmal ließ sich in einem Wirbel grellbunter Farben – smaragdgrün oder scharlachrot oder vielfarbig, gelb und himmelblau und grün und rot gemischt – ein ganzer Schwarm Loris oder Honigpapageien (oder wie sie sonst noch genannt wurden) mit krummen gelben Schnäbeln beim Becken nieder, sie spritzten mit dem Wasser herum, plantschten, tranken, schlugen mit den Flügeln, pickten wüst aufeinander ein und veranstalteten ein Höllenspektakel – aber nur einen flüchtigen Augenblick –, dann verschwanden sie wieder und die Badestelle blieb still, verlassen und ausgestorben unter den Bäumen zurück.

In der Stille flogen dann – manchmal – einige Kolibris in einem Farbbogen hinunter, strichen übers Wasser, stiegen flügelschlagend wieder auf, federleicht – nie gaben sie Ruhe.

Am Waldrand, aber noch unter den Bäumen, lagen drei Kindergräber nebeneinander im hohen Gras; die Steine zerbrochen, die Inschriften verblasst. Dort waren die drei kleinen Mädchen von früher begraben. Sie hießen Elsbet, Keetje und Marregie; das wusste die Frau vom Kleinen Garten noch, obwohl alle Papiere damals bei dem schrecklichen Erdbeben und dem Feuer verloren gegangen waren. Sie waren die Töchter ihres Ururgroßvaters gewesen.

Bisweilen saßen sie zu dritt am Rand des Wasserbeckens im Wald – pst!

Hinter den Gräbern stieg der Pfad unvermittelt steil zu den Hügeln an. Dort standen nur wenige hohe Bäume, das Land war offen und sonnig und mit dickem gelblichem, nach Kräutern duftendem Gras bewachsen, voller wilder Rosensträucher. Von da oben, über die Baumwipfel, das Haus und die Nebengebäude hinweg, sah die Binnenbucht aus wie ein runder blauer See, hier und da mit hellgrünen Stellen, wo das Wasser flach war, und dunkelgrünen, wo es besonders tief war, drumherum der weiße Saum der Brandung und das üppige Grün des Küstenstreifens.

Hinter den Hügeln kam wieder Wald, Urwald, der aus der Ferne eher dunkelblau und violett als grün wirkte, und dahinter dann das unwirtliche Gebirge.

Da oben ging immer ein Wind.

In den Hügeln weideten...


Dermoût, Maria
Helena Anthonia Maria Elisabeth Dermoût-Ingerman (1888-1962) wurde auf einer javanischen Zuckerplantage geboren, absolvierte ihre Schulausbildung jedoch in den Niederlanden. Mit ihrem Mann, einem Juristen, kehrte sie nach Niederländisch-Indien zurück und lebte 30 Jahre lang in 'jeder Stadt und jeder Wildnis auf Java, Celebes und den Molukken', wie sie später schrieb. 1951, im Alter von 63 Jahren, veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel ›Erst gestern noch‹. Ihr vielgerühmter Roman ›Die zehntausend Dinge‹ erschien 1955. Daneben verfasste sie fünf Bände mit Erzählungen.
In der niederländischen Gegenwartsliteratur ist Maria Dermoût eine Ausnahmeerscheinung. Gleich nach Erscheinen des Buches 1955 wurden ›Die zehntausend Dinge‹ dank dem Zauber, den der Text verströmt, als einzigartig wahrgenommen. In englischer Übersetzung erschien das Buch erstmals 1958 bei Simon & Schuster. Dem ›Time Magazine‹ galt der Roman als einer der besten des Jahres, neben Boris Pasternaks ›Doktor Schiwago‹, Truman Capotes ›Frühstück bei Tiffany‹ und Vladimir Nabokovs ›Lolita‹.

Bach, Bettina
Bettina Bach übersetzte unter anderen Tommy Wieringa, Philippe Pozzo di Borgo und Diane Brasseur ins Deutsche. 2014 erhielt sie den Else-Otten-Preis.

Helena Anthonia Maria Elisabeth Dermoût-Ingerman (1888-1962) wurde auf einer javanischen Zuckerplantage geboren, absolvierte ihre Schulausbildung jedoch in den Niederlanden. Mit ihrem Mann, einem Juristen, kehrte sie nach Niederländisch-Indien zurück und lebte 30 Jahre lang in 'jeder Stadt und jeder Wildnis auf Java, Celebes und den Molukken', wie sie später schrieb. 1951, im Alter von 63 Jahren, veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel ›Erst gestern noch‹. Ihr vielgerühmter Roman ›Die zehntausend Dinge‹ erschien 1955. Daneben verfasste sie fünf Bände mit Erzählungen.
In der niederländischen Gegenwartsliteratur ist Maria Dermoût eine Ausnahmeerscheinung. Gleich nach Erscheinen des Buches 1955 wurden ›Die zehntausend Dinge‹ dank dem Zauber, den der Text verströmt, als einzigartig wahrgenommen. In englischer Übersetzung erschien das Buch erstmals 1958 bei Simon & Schuster. Dem ›Time Magazine‹ galt der Roman als einer der besten des Jahres, neben Boris Pasternaks ›Doktor Schiwago‹, Truman Capotes ›Frühstück bei Tiffany‹ und Vladimir Nabokovs ›Lolita‹.

Helena Anthonia Maria Elisabeth Dermoût-Ingerman (1888-1962) wurde auf einer javanischen Zuckerplantage geboren, absolvierte ihre Schulausbildung jedoch in den Niederlanden. Mit ihrem Mann, einem Juristen, kehrte sie nach Niederländisch-Indien zurück und lebte 30 Jahre lang in »jeder Stadt und jeder Wildnis auf Java, Celebes und den Molukken«, wie sie später schrieb. 1951, im Alter von 63 Jahren, veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel ›Erst gestern noch‹. Ihr vielgerühmter Roman ›Die zehntausend Dinge‹ erschien 1955. Daneben verfasste sie fünf Bände mit Erzählungen.
In der niederländischen Gegenwartsliteratur ist Maria Dermoût eine Ausnahmeerscheinung. Gleich nach Erscheinen des Buches 1955 wurden ›Die zehntausend Dinge‹ dank dem Zauber, den der Text verströmt, als einzigartig wahrgenommen. In englischer Übersetzung erschien das Buch erstmals 1958 bei Simon & Schuster. Dem ›Time Magazine‹ galt der Roman als einer der besten des Jahres, neben Boris Pasternaks ›Doktor Schiwago‹, Truman Capotes ›Frühstück bei Tiffany‹ und Vladimir Nabokovs ›Lolita‹.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.