E-Book, Deutsch, Band 171, 320 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
Demirtel / Hladek / Reinwald DSA: Kerkergeschichten
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96331-441-4
Verlag: Ulisses Spiele
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neun Kurzgeschichten aus der Welt von Das Schwarze Auge
E-Book, Deutsch, Band 171, 320 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-96331-441-4
Verlag: Ulisses Spiele
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Da war Carolan ja wieder in einen schönen Schlamassel geraten! Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen, hatte er sich doch so nahtlos in die Oberschicht von Khunchom eingefügt. Und trotz Phexens Hilfe - oder vielleicht auch gerade zu seiner Belustigung - saß er nun hier in diesem Kerker, wo ihn diese beiden trotteligen Gardisten hin verbracht hatten. Schon im Horasreich waren Kerkerinsassen ja fürwahr keine angenehme Gesellschaft, und auch die Tulamidenlande machten da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Glücklicherweise war Carolan ja schon immer ein begnadeter Erzähler unterhaltsamer Geschichten gewesen. Und seine Gefährten würden es ihm sicher verzeihen, wenn er mit dem einen oder anderen Schwank herausrückte ...
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Das Ende der Kindheit von David Nikolas Schmidt Geron zog seinen Zweihänder und stellte sich seinem ziegenköpfigen Widersacher entgegen. »Bei unserer Herrin Rondra! Ergib dich, Bestie, sonst wirst du meine starke Klinge zu spüren bekommen!« Sein Gegner erwiderte den Blick gleichmütig und ließ durch nichts erkennen, dass ihn die Drohung beeindruckt hatte. Entschlossen riss Geron den wuchtigen Zweihänder nach oben und versetzte dem Monster einen schwungvollen Hieb in die Seite. Zottel ließ ein empörtes Meckern ertönen und warf dem Jungen einen vorwurfsvollen Blick zu, ehe sie gemächlich zu den anderen Ziegen hinübertrabte. Geron zuckte schuldbewusst zusammen und ließ die Haselnussgerte sinken. Besorgt warf er einen Blick über die Schulter, um sich zu versichern, dass weder seine Eltern noch seine Geschwister in der Nähe waren. Glücklicherweise schienen die anderen alle noch in der Scheune mit der Reparatur des Pfluges beschäftigt zu sein. Niemand nahm Notiz von Geron und den sieben Ziegen, auf die aufzupassen man ihm aufgetragen hatte. Erleichtert atmete er auf. Es erschien ihm dennoch ratsam, sein Glück nicht auf die Probe zu stellen und er beschloss, sich lieber einen anderen Gegner zu suchen. Er stemmte die Füße fest auf den Erdboden und hob die Gerte, um eine Folge rascher Schläge gegen einen alten Baum zu führen. Pfeilschnell traf seine Waffe mal links, mal rechts gegen den Stamm. Geschickt wich er einer unsichtbaren Attacke aus und versetzte der borkigen Rinde dann einen entschlossenen Tritt, der ihn beinahe selbst zu Fall brachte. Von allen Jungen und Mädchen im Dorf war er der beste Fechter. Soviel war mal sicher. Eines Tages würde er ausziehen, um ein großer Held zu werden. So wie der Heilige Leomar von Baburin oder Lutisana von Kullbach. Oder wie Geron der Einhändige, der sieben Ungeheuer bezwungen hatte und dessen Namen er trug. Gerade wollte er sich erneut in der Welt der Helden und Schlachten zurückträumen, um Monster zu erschlagen, die nur er sehen konnte, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung bemerkte. Ein Reiter. Er kam die Reichsstraße entlang, aber nicht so gemächlich, wie die Reisenden, die sonst vorüberritten. Stattdessen trieb er sein Pferd an, als sei der Namenlose persönlich hinter ihm her. Geron erkannte den blauen Wappenrock der kaiserlichen Soldaten, und eilte zum Straßenrand, um ihn von nahem zu sehen. Das Pferd, ein kräftiger Schimmel, hatte schweißnasse Flanken und Schaum vor dem Maul. Seine Augen waren weit aufgerissen und die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor. Geron runzelte die Stirn. Hätte er das einzige Pferd, das seine Familie besaß, derart zu Schanden geritten, hätte seine Mutter ihn so heftig verdroschen, dass er eine Woche lang auf dem Bauch schlafen müsste. Dem Reiter, der im Sattel saß, ging es kaum besser. Er sah blass und erschöpft aus und in seinen Augen lag ein fiebriger Glanz. Als er auf Gerons Höhe war, wandte er ihm den Kopf zu, ohne dabei jedoch langsamer zu werden. »Orks! Sie kommen von Süden her in großer Zahl. Bring dich in Sicherheit, Junge!« Geron starrte dem Mann mit offenem Mund nach. Er stand noch immer regungslos dort, als der Reiter bereits um die Wegbiegung am anderen Ende des Dorfes verschwunden war. Erst dann fiel die Lähmung von ihm ab und er rannte so schnell er konnte zur Scheune. Mit vor Aufregung bebender Stimme berichtete er, was geschehen war. Seine Eltern wechselten ernste Blicke, während seine Geschwister ihn mit neugierigen Fragen bestürmten. Noch ehe er diese beantworten konnte, übernahm seine Mutter mit entschlossener Stimme das Kommando: »Josmine, lauf hinüber zum Berkfeldhof. Sie müssen die Nachricht im ganzen Dorf verbreiten und jemand zu denen schicken, die auf den Feldern sind. Roban, du nimmst den alten Braunen und reitest ein Stück die Straße hinab. Halte Ausschau nach den Schwarzpelzen und wenn du welche entdeckst, dann komm sofort zurück. Geron …«, seine Mutter zögerte einen Moment. »Die Ziegen«, mahnte sein Vater. »Der Junge soll die Ziegen in den Wald bringen, damit sie nicht den Schwarzpelzen in die Hände fallen.« Seine Mutter nickte zustimmend. »Auf Geron, lauf und bring die Ziegen ins alte Gehölz.« »Aber ich will mit euch gegen die Schwarzpelze kämpfen«, protestierte Geron. Die Maulschelle, die auf seine Worte folgte, ließ ihm die Ohren klingeln. »Red keinen Unsinn! Niemand kämpft hier. Das ist Wirklichkeit und nicht eine Heldengeschichte der Barden, Geron, verstehst du das? Und jetzt tu, was ich dir gesagt habe!« Geron starrte trotzig zu seiner Mutter hinauf, aber als er ihrem strengen Blick begegnete, konnte er ihm nicht lange standhalten. Verdrossen senkte er den Kopf und marschierte zurück zu den Ziegen. »Na los, ihr dämlichen Hornviecher, auf in den Wald.« Er ließ den Haselnussstecken auf den Boden peitschen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Widerwillig setzte sich die kleine Herde in Bewegung. Die Ziegen schienen von der Aussicht, den Hof und ihre gewohnte Wiese zu verlassen, genauso wenig begeistert wie er. Geron warf einen langen Blick zurück zum elterlichen Hof. Das war wirklich gemein. Silkwiesen lag nur wenige Wegstunden von der großen Kapitale Gareth entfernt und hier im Herzen des Reiches waren seit Menschengedenken keine Orks mehr vorbeigekommen. Wahrscheinlich war dies seine einzige Gelegenheit, jemals einen echten Schwarzpelz zu sehen. Und er musste in den Wald. Wenn der junge Prinz Brin die Orks erst alle erschlagen hatte, war es zu spät. Dann würde er ihnen nie näher kommen, als in den Geschichten der Abenteurer und Glücksritter, die auf dem Weg nach Gareth gelegentlich in Silkwiesen Rast einlegten. Er kaute verdrossen auf seiner Unterlippe. Das war wirklich ungerecht. Die Ziegen blieben immer wieder stehen, um am frischen Gras zu knabbern und Geron musste manches Mal von der Gerte Gebrauch machen, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Als sie den Waldrand erreichten, stieg dem Jungen der vertraute Geruch nach Moos und alten Bäumen in die Nase. Er warf einen letzten wehmütigen Blick zurück und trieb die Tiere tiefer in den Wald hinein. Als sie die kleine Lichtung erreichten, auf der er gelegentlich mit seinen Geschwistern Beeren sammelte, beschloss er, dass sie weit genug gegangen waren. Vergeblich suchte er die Sträucher nach Beeren ab, doch noch war alles kahl. Missmutig hockte er sich auf einen umgestürzten Baumstamm und wartete. Das Warten war eintönig und wurde rasch langweilig. Er konnte nicht sagen, wie lange er bereits im Wald war, aber es musste sehr lange gewesen sein, denn er hatte bereits sämtliche Bäume und Büsche, die die Lichtung umgaben, ausgiebig betrachtet. Bald gab es keinen Zweig und keine Wurzel mehr an diesem Ort, die er nicht mit verbundenen Augen hätte beschreiben können. Aber noch immer war niemand gekommen, um ihm zu sagen, dass er wieder nach Hause gehen konnte. Er überlegte, ob er auf eigene Faust zurücklaufen sollte, aber die Erinnerung an die Maulschelle und den strengen Blick seiner Mutter ließen ihn zögern. Dann hörte er die Hunde. Sana, das Flüchtlingsmädchen aus dem Svellttland, das im letzten Sommer ins Dorf gekommen war und auf dem Siebenrübhof aushalf, hatte einmal von den orkischen Kriegshunden erzählt. Groß und struppig sollten sie sein, blutdurstig wie ihre Herren und wild wie tollwütige Wölfe. Geron erstarrte und spürte, wie ihm ein kalter Schauder den Nacken herabfuhr. Die Ziegen hatten sich dicht zusammengedrängt und sogen wachsam die Luft durch die Nüstern ein. Er überlegte, ob die Hunde wohl die Tiere gewittert hatten, oder gar ihn selbst. Für einen Augenblick dachte er daran, tiefer in den Wald hineinzugehen, um sich zu verstecken. Aber er wusste, dass das Unterholz schnell dichter werden würde und er war noch nie weiter als bis zu der Lichtung gegangen. Was, wenn er sich verirrte oder eine der Ziegen verlorenging? Unentschlossen wanderte sein Blick zwischen der Richtung, aus der das Gebell erschollen war, und dem tiefen Wald hin und her. Als sich das Kläffen dem Waldrand näherte, kletterte er über den Baumstamm, auf dem er gesessen hatte und duckte sich dahinter. Er ballte die Fäuste und presste die Augenlieder fest zusammen. Sein Herz pochte so laut, dass die Kriegshunde es sicher hören konnten. Irgendwann wurde das heisere Gebell wieder leiser und Geron wagte es, die Augen vorsichtig zu öffnen. Keine Orks und auch keine gefährlichen Kriegshunde waren zu sehen. Er beschloss, vorerst dennoch in seinem Versteck zu bleiben, nur für alle Fälle. Er hockte sich auf den Boden und stellte sich vor, wie ein Jagdtrupp der Schwarzpelze durch die Felder und Wiesen am Rand des Dorfes streifte. Womöglich raubten sie die Rinder, die dort weideten. Aber sicher würden sie nicht lange bleiben. Sie mussten wissen, dass das mächtige Gareth nicht weit war. Inzwischen hatte der Reiter, dem Geron begegnet war, wahrscheinlich bereits die dortige Garnison erreicht und Alarm geschlagen. Die Soldaten würden ausziehen, um die Orks zu lehren, dass sie hier, im Herzen des Reichs, nichts verloren hatten. Das Pack würde seine Waffen fortwerfen und Reißaus nehmen und schon bald würden die Ereignisse des heutigen Tages nur noch eine abenteuerliche Geschichte sein. Mit offenen Augen träumte Geron von stolzen Rittern und tapferen Kämpfern der kaiserlichen Garden, die unter wehenden Bannern gegen die Schwarzpelze marschierten. Ihre blank polierten Rüstungen schimmerten im Licht der Praiosscheibe und unter den wuchtigen Hieben ihrer Klingen stürzten Orkkrieger und Kriegshunde zu Boden. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen,...