Dehouck | Weißer Rabe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Dehouck Weißer Rabe

Psychothriller
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-21833-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Psychothriller

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-641-21833-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manipulation, Intrigen, Verleumdung - kommt Nick Farkas mit allem durch, sogar mit einem Mord?

Nick Farkas ist ein Mann, der angenehm auffällt. Er hat Charme, Stil, Charisma. Sein Lebenslauf ist eine Liste von Erfolgen. Er ist ein weißer Rabe – so nennen ihn zumindest seine Vorgesetzten. Andere, die mit ihm zusammenarbeiten, zum Beispiel Stefanie Bartsoen in der Marketingabteilung, erzählen eine andere Geschichte. Über Manipulation und Einschüchterung, Intrigen und Verleumdung. Über grenzenlose Selbstüberschätzung. Kommt Hochmut nicht vor dem Fall? Nein, Nick Farkas fällt nicht; wenn es eng wird, spreizt er die Flügel und fängt woanders von vorne an. Doch diesmal ist er womöglich zu weit gegangen …

Bram Dehouck, Jahrgang 1978, war lange für Öffentlichkeitsarbeit im Sozialbereich verantwortlich. Sein erster Roman wurde mit dem Schaduwprijs, dem Preis für das beste niederländische Debüt, und dem Gouden Strop, dem wichtigsten niederländischen Krimipreis, ausgezeichnet. Sein Kriminalroman »Ein Sommer ohne Schlaf« wurde ebenfalls mit dem Gouden Strop ausgezeichnet und verfilmt. »Weißer Rabe« ist sein fünfter Roman.
Dehouck Weißer Rabe jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


5


Ping, machte der Lift, und die Tür glitt auf. Ein leichter Schwindelanfall brachte Stefanie aus dem Gleichgewicht; für den Bruchteil einer Sekunde tanzten schwarze Punkte vor ihren Augen. Sie hatte sich die ganze Nacht hin und her gewälzt, ihre Gedanken waren zwischen dem gescheiterten Sexversuch, dem Treffen mit Farkas und seinen Kommentaren zur Verkaufsmappe hin und her gesprungen. Am Morgen waren die Gedanken zu einem unsinnigen Brei verschmolzen. Sie war verwirrt aufgewacht, als Alex sich für sein tägliches Morgenritual aus dem Bett hievte: Kaffee kochen, frühstücken, die Zeitung lesen und in der Zwischenzeit ihre Pausenbrote belegen.

Unter der Dusche begannen sich ihre Gedanken wieder zu entwirren. Während sie sich einseifte, dachte sie an Alex’ Annäherung gestern Abend. Wie lange war es her, dass sie es noch einmal versucht hatten? Einen Monat? Zwei? Sie konnte sich nicht mehr genau daran erinnern. Noch vor einem Jahr hatten sie die Hände nicht voneinander lassen können. Aber sie konnte nichts dagegen tun – ihr Körper verkrampfte sich, wenn er ihr zu nahe kam.

Sie neigte den Kopf in den Nacken und ließ das warme Wasser über ihr Gesicht plätschern. Für eine Weile vertrieb es die Schwere in ihrem Kopf, von der sie nicht wusste, ob sie vom Alkohol während des Abendessens, den Ereignissen des Vortages oder einer Kombination aus beidem herrührte. Sie drehte den Wasserhahn zu und dachte an Farkas. Der beeindruckende Lebenslauf, das exquisite Auftreten, die scheinbar natürliche Ausstrahlung des erfolgreichen Mannes. Das laute Gelächter, als er von der Verkaufsmappe erfahren hatte.

Es war keine schlechte Idee, Tablets zu benutzen. Vielleicht waren Marlene und sie nicht innovativ genug gewesen. Die Verkäufer waren tüchtig, aber was wussten sie von modernen Kommunikationsmitteln? Ihr Topverkäufer André, zweiundsechzig und seit vierzig Jahren in der Firma, sprach mit den Kunden über das Wetter, das neue Auto im Carport, die schulischen Leistungen der Kinder. Zwischendurch erwähnte er die Produkte von Scherpereel, als wäre es eine ausgemachte Sache, dass der Kunde den Auftrag unterschrieb. Auf diese Weise erzielte er einen legendären Umsatz. Neue Kommunikationstechnologie war für ihn unerheblich. Natürlich hatte die Arbeit von Marlene und Stefanie eine große Verbesserung gegenüber der Vergangenheit bedeutet. Aber war sie gut genug gewesen? Es konnte nicht schaden, die altbewährten Methoden zu hinterfragen.

Sie nahm sich vor, heute mit Nick darüber zu reden, aber sein Büro war dunkel und die Tür geschlossen. Würde Ludo, der normalerweise um halb acht vor seinem Computer saß, nun auch bei ihm vorbeischauen und verärgert auf seine Uhr tippen?

Wenn man vom Teufel sprach …

Ludo lehnte am Türrahmen ihres Büros. Er lachte, und für einen Moment befürchtete sie, er hätte ihre Gedanken erraten. Doch er sprach mit jemandem im Büro. Ludo fing ihren überraschten Blick auf und machte Platz.

Hinter dem Schreibtisch saß Nick.

»Hallo, Stefanie«, sagte er.

»Kann ich dir bei irgendetwas helfen?«, fragte sie.

Auf einem der Stühle stand ein Pappkarton. Sie erkannte den Stab, der daraus hervorschaute, und die oberen Blätter des halb verdorrten Glücksbambus.

Ein Objekt neben dem Bildschirm erregte ihre Aufmerksamkeit. Der Bilderrahmen.

Sie betrachtete die Ordner auf dem Aktenschrank, die immer noch ordentlich aufgereiht dort standen.

»Ihr habt ausgemacht, die Büros zu tauschen?«, fragte Ludo, der ihrem Blick gefolgt war. Er formulierte es als Frage, aber das war es nicht. Er wollte eine Bestätigung.

»Wie bitte?« Stefanie spürte ein seltsames Kribbeln, als hätte sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen.

»Ich denke, es ist eine gute Idee«, sagte Ludo. »Dann sitzt Nick etwas näher bei mir; wir werden in den nächsten Wochen viel zu besprechen haben.«

»Ich kann mich nicht erinnern …«, begann Stefanie.

»Wir haben doch gestern darüber gesprochen, stimmt’s?«, sagte Nick, »Ich habe dir gesagt, dass ich diesen Geruch nicht ausstehen kann.« Er wandte sich nun an Ludo. »Ich habe als Kind einmal zu viel Vanillepudding gegessen. Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen. Ich erspare euch die Details, aber in dieser Nacht hat meine Mutter einen Eimer neben mein Bett gestellt.«

Ludo schlug mit der flachen Hand auf den Türrahmen und kicherte.

»Vanille«, fuhr Nick fort, »nur schon von dem Geruch wird mir schlecht.«

Ist mir gestern gar nicht aufgefallen, dachte Stefanie.

»Du hast gesagt, du magst den Geruch«, sagte Nick und wurde wieder ernst. »Und dass dir das Büro gefällt. Weil es dich an Marlene erinnert.«

Er legte eine Kunstpause ein.

»Das heißt aber noch lange nicht, dass ich deswegen tauschen will.«

Nick hob die Hände, als wollte er sich nicht auf eine alberne Diskussion einlassen.

»Okay, okay. Vielleicht habe ich voreilige Schlüsse gezogen. Und jetzt ruderst du zurück, nachdem du letzte Nacht schlecht geschlafen hast. Ich kann’s ja verstehen, ist ein schönes Büro. Sagen wir einfach, dass ich dich gestern falsch verstanden habe.«

Er seufzte, nahm den Karton mit Stefanies Sachen und holte den Glücksbambus heraus. Er hielt ihn einen Moment lang in den Händen und suchte nach einem Platz dafür. Stefanie konnte sich denken, was sonst noch in dem Karton war: Kugelschreiber, der praktische Kalender der Druckerei ExpertPrint und die Froschspardose, die ihr Marlene einmal geschenkt hatte.

»Absprache ist Absprache, und wenn Nick von der Vanille schlecht wird, kann er nicht arbeiten«, mischte sich Ludo verärgert und stirnrunzelnd ein.

»Ach komm, das ist doch Zeitverschwendung, wir haben weiß Gott Wichtigeres zu tun«, sagte Nick.

»Du hast vollkommen recht«, stimmte Ludo ihm zu. »Es ist kindisch, ein Angebot aus einer Laune heraus einfach wieder zurückzuziehen.«

Stefanie spürte Ludos Blick auf sich, und seine Erwartung, dass sie dieser Szene ein Ende setzte.

»Du kannst hierbleiben«, sagte sie. »Stell den Bambus zurück in den Karton.«

Nick setzte sich wieder hin.

»Bist du sicher … diesmal?«

Ludo lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen.

»Ja«, sagte Stefanie, »es ist … es ist okay.«

»Gut«, sagte Nick, steckte den Bambus zurück zwischen ihre anderen Sachen und wandte sich von ihr ab.

»Ich hole den Karton nachher ab … und meine Mappen.«

In dem Büro, das eigentlich Nicks hätte sein sollen, sank Stefanie auf den Schreibtischstuhl. Sie hörte von draußen das Stimmengemurmel der Männer, die sich leise miteinander unterhielten. Unverwandt starrte sie auf den leeren Fleck an der Wand, wo das Bild gehangen hatte, und es war, als würde sie auf die Leere in ihren eigenen Gedanken schauen.

Fluchend pulte sie an ihrem Brot. Sie öffnete Alex’ Textnachricht – Tut mir leid wegen heute Morgen – und antwortete: Salami, echt jetzt?

Alex hatte beim Aufstehen schlechte Laune gehabt. Missmutig hatte er ab und zu irgendwas vor sich hin gebrummelt, aber nichts gesagt, und vor lauter Ärger hatte er ihre Brote mit dem belegt, was sie am wenigsten mochte. So lief es öfter, wenn er seinen Willen nicht bekam. Kleine kindische Retourkutschen, um sein angekratztes Ego zu hätscheln. Sie war sich nicht sicher, was ihn mehr verletzt hatte: dass sie ihn im Bett abgewiesen hatte oder dass sie damit auch einmal mehr seine Zukunftswünsche und -pläne durchkreuzt hatte.

Sie steckten nicht etwa in einer Sackgasse, in die sie fast unbemerkt geraten waren, nein – es war ein Teufelskreis, in dem sie sich gegenseitig in ihrer Dickköpfigkeit bestärkten. Er war auf eine Zukunft fixiert, von der sie nicht wusste, ob sie noch den Mut dazu aufbrachte. Sie dagegen starrte auf eine Vergangenheit, deren Auswirkungen sie nicht mit ihm teilen konnte. Es erinnerte mehr und mehr an die Sache mit dem Huhn und dem Ei. War ihre Liebe zu Alex abgekühlt, weil er sich so verzweifelt eine Familie wünschte, oder war ihr eigener Kinderwunsch durch die Spannungen in ihrer Beziehung abgeflaut?

Sie wählte eine Nummer auf dem Festnetztelefon. »Hi, Emy, hast du Lust, mit mir zu Mittag zu essen?«

»Dazu habe ich doch immer Lust. Aber, äh …«

Stefanie schloss die Augen.

»Hast du schon etwas anderes vor?«

Emy kicherte.

»Ja, Nick hat mich zuerst gefragt.«

»Der lässt ja nichts anbrennen.«

»Er will meine Meinung über die Firma wissen. Ich sei ein wichtiger Faktor für das Image von Scherpereel, sagt er. Die erste Person, die die Kunden sehen oder hören. Er hat mich ›das Gesicht und die Stimme von Scherpereel‹ genannt. Schön gesagt, oder?«

»Definitiv.«

»Ludo hat mir noch nie so ein Kompliment gemacht.« Emy dämpfte ihre Stimme. »Ich erzähle dir nachher, wie es gelaufen ist.«

Auf Alex’ Broten kauend – die Salami hatte sie weggeworfen –, versuchte Stefanie, das Gespräch vom Vortag zu rekonstruieren. Hatte Nick das, was sie über die Waffeln von Daisy Bakeries gesagt hatte, zu ernst genommen? Ihre Gedanken schweiften zu dem Glücksbambus und dem Stab ab, der aus dem Karton lugte. Und zu dem Bild, das Nick in ihrem Büro wieder mehr oder weniger an den gleichen Platz neben dem Computerbildschirm gestellt hatte. Sonnenlicht fiel auf die Wand, und Stefanie fragte sich, wo sie eine Reproduktion von Monet kaufen könnte. Sie starrte auf das Lichtspiel der...


Dehouck, Bram
Bram Dehouck, Jahrgang 1978, war lange für Öffentlichkeitsarbeit im Sozialbereich verantwortlich. Sein erster Roman wurde mit dem Schaduwprijs, dem Preis für das beste niederländische Debüt, und dem Gouden Strop, dem wichtigsten niederländischen Krimipreis, ausgezeichnet. Sein Kriminalroman »Ein Sommer ohne Schlaf« wurde ebenfalls mit dem Gouden Strop ausgezeichnet und verfilmt. »Weißer Rabe« ist sein fünfter Roman.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.