E-Book, Deutsch, Band 66, 206 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
Dee / Thurner Dorian Hunter 66 - Seelenwahn
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95572-066-7
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 66, 206 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
ISBN: 978-3-95572-066-7
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Warum ertragen Dämonen die Anwesenheit von Irrsinnigen nicht? Um die Antwort auf diese Frage entspinnt sich ein Spiel um Macht und Überleben über mehrere Jahrhunderte. Die Mächtigen in Gegenwart und Vergangenheit stehen vor unfassbaren Erkenntnissen. Dorian Hunter dringt weiter in die unterirdische Inselwelt vor, und er durchschreitet den Schutzschild, den kein Dämon passieren kann - die Wahrheit wartet auf ihn ... Der 66. Band der legendären Serie um den 'Dämonenkiller' Dorian Hunter. - 'Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ?Dorian Hunter? und sein Spin-Off ?Das Haus Zamis? vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction.' Kai Meyer enthält die Romane: 252: 'Machina dementiae: Nächte des Wahnsinns' 253: 'Seelenwahn'
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2. Kapitel
Vergangenheit 1756
Als sie nach Hause kam, dämmerte es bereits.
Im Gegensatz zu sonst erwartete Spencer sie schon. Er war in höchstem Maße erregt. Seine Wangen waren gerötet, sodass sie befürchtete, er würde sie wieder schlagen. Doch diesmal lag es nicht am Alkohol, dass er derart in Aufruhr war.
Er schwenkte einen Brief in Händen. Einen Brief! Wo er doch gar nicht lesen konnte!
Er sprang auf sie zu. Sie zuckte zusammen, doch er schlang nur seine kräftigen Arme um sie, hob sie in die Luft und wirbelte sie im Kreise – ganz so wie damals, am Anfang ihrer Ehe, als er noch verliebt in sie war.
»Es wird alles gut!«, rief er. »Wir werden in meine alte Heimat reisen. Mein Onkel ist gestorben, was natürlich bedauerlich ist, aber er hat mir sein Anwesen vererbt! Kein Ruß und Schmutz mehr! Kein Hunger und keine Armut mehr! Auf den Scillys erwartet uns ein viel besseres Leben! Dort scheint den ganzen Tag die Sonne. Es wachsen Palmen am Strand und Orchideen. Unser Kind wird im weißen Sand spielen anstatt im Dreck. Ist das nicht alles herrlich?«
»Und das alles steht in diesem Brief?«, fragte sie atemlos, nachdem er sie wieder aus seinen Armen entlassen hatte.
»Ein Notar hat ihn mir gebracht und vorgelesen«, bekräftigte Spencer. »Mein Onkel Jacob ist schon vor einem halben Jahr gestorben, aber es hat einige Zeit gedauert, bis man mich ausfindig gemacht hat. Ich bin der einzige Erbe!«
Und so hatten sie ihr gesamtes Hab und Gut versetzt, von ihren geringen Ersparnissen einen Gaul – wahrscheinlich die älteste Mähre ganz Londons – und einen Karren gekauft und sich auf den Weg nach Cornwall gemacht.
Dies alles kam Emily wie eine Ewigkeit her vor. Und obwohl sie seit damals fest an ihr Glück glaubte, beschlich sie nun die Angst. Seitdem sich das Gewitter über ihren Köpfen zusammengebraut hatte, war sie beunruhigt. Es hing weniger mit dem drohenden Unwetter als mit der Veränderung Spencers zusammen. Er war wie entfesselt. Er trieb das Pferd zur Eile. Blutige Striemen zierten den Rücken des Gauls. Längst goss es in Strömen. Die Straße hatte sich in einen unberechenbaren Matschpfad verwandelt.
Der Himmel schoss nun Blitz auf Blitz hinunter auf die Erde, so als würde ein zorniger Gott damit um sich werfen. Der Donner rollte wie eine einzige ewig währende Welle über sie hinweg.
»Halt an! Halt bitte an!«, schrie Emily. »Du fährst uns ins Verderben! Denk an unseren Sohn!«
Seit der Weissagung ging sie ganz selbstverständlich, auch Spencer gegenüber, davon aus, dass sie einem männlichen Nachkommen das Leben schenken würde. Zunächst hatte Spencer sie milde belächelt, doch nach und nach hatte auch er von »unserem Sohn« gesprochen. Natürlich hatte sie ihm nichts von der Wahrsagerin erzählt. Warum auch? Er hätte sie höchstens ausgelacht. Spencer war ein Mann der Tat. Er war realistisch und geradlinig. Nie und nimmer hätte er an derlei Spökenkiekerei geglaubt.
Umso merkwürdiger kam ihr sein jetziges Verhalten vor. Er wirkte alles andere als abgeklärt. Eher so, als sei er von einem fremden Geist besessen. Emily schauderte angesichts dieses Vergleichs. Noch nicht einmal der Hinweis auf seinen Sohn konnte ihn bewegen, die Geschwindigkeit zu drosseln.
Emily klammerte sich irgendwo fest. Sie hatte Todesangst.
Als sie ein Schlagloch durchfuhren, schrie sie auf. Beinahe wäre sie vom Wagen gefallen! Spencer drehte noch nicht einmal den Kopf. Eine Kurve tauchte vor ihnen auf. Spencer hielt mit unverminderter Geschwindigkeit darauf zu.
Emily schloss die Augen und tat etwas, was sie noch nie in ihrem Leben getan hatte: Sie betete!
Spencer gelang es tatsächlich, die Kutsche bei voller Fahrt unversehrt um die Kurve zu bekommen. Doch dann setzte ein weiteres Schlagloch seiner wilden Jagd ein Ende. Das Pferd strauchelte. Es sprang noch zwei Schritte, dann knickten die Vorderbeine ein. Die Achse brach und rollte halb über den Gaul hinweg. Emily fühlte sich emporgeschleudert. Sie flog einige Meter weit durch die Luft, ehe sie unsanft auf dem aufgeweichten Boden aufkam.
Das Pferd wieherte vor Schmerzen und Todesfurcht. Aber noch schlimmer gellten Spencers Schreie in ihren Ohren. Er brüllte wie am Spieß.
Als sie ihren Kopf wendete, erkannte sie, dass seine Beine von der Kutsche verdeckt waren. Er bekam sie nicht darunter hervor. Sie robbte zu ihm hin. Ihre Hände versanken im Matsch.
»Was ist mit dir?«, rief sie.
Er sah sie an, ohne dass er seine Schreie unterbrach. In seiner Agonie erkannte er sie nicht einmal mehr. Mit den Fäusten schlug er nach ihr.
Entweder hatten die Schwingen des Wahnsinns ihn nun völlig übermannt oder es lag wirklich nur an den Schmerzen.
Sie musste etwas unternehmen! Sie war zu schwach, um seine Beine zu befreien. Sie musste Hilfe holen! Doch als sie sich erheben wollte, sackte sie nur noch tiefer in das schlammige Erdreich. Sie war am Ende ihrer Kräfte.
Sie spürte den auf sie einprasselnden Regen kaum noch, achtete nicht auf die Blitze, die nun um sie herum einschlugen, ignorierte das Beben der Erde und den grollenden Donner. Die Hölle war entfesselt, und sie machte sich daran, die Erde mit ihren Schrecken zu überrollen.
Am schlimmsten aber waren die Schreie. Spencers Schreie und die des Gauls. Beide waren sie vor Schmerzen halb irrsinnig.
Emily hielt sich die Ohren zu, doch das Kreischen vernahm sie trotzdem. Es fräste sich durch ihre Gehirnwindungen und nistete sich darin ein. Fast glaubte sie selbst schreien zu müssen, um dem Wahnsinn zu entfliehen.
Da hörte sie den Hufschlag. Es konnte nur der Leibhaftige sein, der sie nun holen kam. Vor ihrer Heirat hatte sie ein gottloses Leben geführt, und auch danach war sie nicht der Kirche beigetreten. Sie hatte stets daran gezweifelt, dass es einen Gott gab. Aber an den Teufel glaubte sie fest! Sogar an die Hölle, die in ihrem Falle bereits auf Erden errichtet war.
Das Hufgetrappel kam näher. Selbst durch den Donner hindurch war es zu hören. Durch den Regenschleier sah sie undeutlich einen Reiter herangaloppieren. Nach und nach nahm sie mehr von ihm wahr. Nein, das war nicht der Teufel. Der Teufel ritt kein weißes Pferd. Und er war auch nicht so dick und gedrungen wie der Mann, der das Pferd ritt.
Der Mann trug eine Soutane. Ein Pfaffe! Fast musste sie lachen, wie grotesk ihr Irrtum gewesen war.
Endlich fand sie die Kraft, sich zu erheben. Sie stellte sich dem Reiter in den Weg und hob die Arme. Auf einen Ahnungslosen musste sie wie eine Verwirrte wirken. Wie eine Furie, die die Naturgewalten beschwor, noch heftiger herniederzufahren.
Der Reiter hielt mit unverminderter Geschwindigkeit auf sie zu. Er hätte sie niedergeritten, wenn das Pferd nicht gescheut hätte. Nur mit Mühe gelang es dem Geistlichen, es einigermaßen in Zaum zu halten.
»Aus dem Weg!«, schrie er Emily zu. Der Sturm riss ihm die Worte wie Fetzen von den Lippen. »Ich habe es eilig, Weib!«
»Ihr müsst helfen!«, beschwor ihn Emily. Sie wies auf die Kutsche. »Mein Mann, seht ihr ihn nicht dort liegen und leiden?«
»Was kümmert mich dein Mann!«, schrie der Ankömmling. »Ich bin um mein eigenes Heil genug besorgt. Gebt den Weg frei!«
»Ich denke nicht daran«, entgegnete Emily trotzig.
Der Geistliche spuckte aus und griff zur Peitsche. »Aus dem Weg – oder …«
In diesem Moment schlug erneut ein Blitz ein. Der Baum, den er sich als Ziel gesucht hatte, stand nur zwanzig Meter entfernt. Emily spürte den Schlag wie ein Kribbeln, das von ihren Füßen aus durch ihren ganzen Körper fuhr. Doch es war nicht nur der Blitz. Sie hatte das Gefühl, dass sich plötzlich noch etwas Anderes, Fremdes in ihrem Leib befand. Es war nicht unangenehm, im Gegenteil. Es senkte sich wie eine schützende Decke über ihre Angst und dirigierte ihr Handeln.
Das Pferd scheute angesichts des Blitzes erneut. Es stieg hoch, und diesmal konnte sich der Geistliche nicht halten. Er wurde abgeworfen und landete im Schlamm. Blitzschnell sprang Emily vor und ergriff die Zügel des Pferdes.
Reite, reite wie der Wind!, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Scher dich nicht um deinen Mann. Und um den Pfaffen ist es sowieso nicht schade.
Aber wohin sollte sie reiten? Ohne Spencer stellte sie doch nichts dar, oder nicht? Sie zögerte.
»Gib das Pferd her!«, schrie der Pfaffe. »Oder ich ziehe dir das Fell über die Ohren, verfluchte Hexe!«
Verfluchte Hexe! Der Ausdruck gefiel ihr. Sie wusste nicht zu sagen, warum, aber fast fühlte sie sich geehrt, von einem Geistlichen auf diese Weise tituliert zu werden.
Er versuchte, sich aufzurappeln, knickte aber mit dem Arm ein. »Er ist gebrochen!«, jammerte er. »Hilf mir gefälligst hoch!«
Emily band zunächst das verängstigte Pferd fest, dann trat sie zu dem Pfarrer hin. »Ich helfe Euch«, sagte sie mit fester Stimme. »Aber Ihr müsst mir auch helfen.«
Er gab nur mehr ein Stöhnen von sich.
»Wie weit ist es zur nächsten Ortschaft?«, fragte sie.
»Nur fünf Meilen, dann bist du in Penzance. Ich bin in strahlendem Sonnenschein von dort losgeritten, aber dann kam plötzlich dieses Gewitter …« Erneut stöhnte er auf. »Die Pforten der Hölle!«
»Habt Ihr eine Waffe dabei?«, unterbrach ihn Emily.
»Eine Waffe? Um Himmels willen! Ich habe dir nichts getan, Hexe!«
Mit der gesunden Hand griff er unter die Soutane und zog plötzlich ein Kreuz hervor: »Weiche von mir, Hexe!«
War es Einbildung oder nicht,...