E-Book, Deutsch, Band 3, 64 Seiten
Dee Dark Land - Folge 003
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-4212-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Grauen im Rampenlicht
E-Book, Deutsch, Band 3, 64 Seiten
Reihe: Anderswelt John Sinclair Spin-off
ISBN: 978-3-7325-4212-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Publikum stöhnte auf. Es litt mit seinem Helden, während die magischen Flammen immer höher wanderten und nun bald seinen gesamten Arm umwickelt hatten. Mit einem wütenden Knurren riss sich der Dämon mit der gesunden Klaue den Arm ab und schleuderte ihn in die Zuschauermenge. Panik brach aus. Die Flammen griffen sofort um sich, schnappten nach neuen Opfern. Wer konnte, versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Plötzlich verdunkelte sich der Saal, ein hohes, durch Mark und Bein gehendes Kreischen übertönte sämtliche Hilfeschreie. Die Luft war in Bewegung von flatternden schwarzen Schwingen. Riesige Schatten brachen sich an den Wänden und warfen einen Mantel aus Finsternis über die Zuschauer. Wie eine Decke senkte sie sich über sie hinab ...
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Das war erst der Anfang. Wieder stach der Dämon zu. Als er die Klaue wieder herauszog, war sie blutrot. Triumphierend sah er die geifernden Zuschauer an. Sie johlten begeistert. Doch plötzlich ging ein Raunen durch das Publikum. Die Ersten schrien auf. Warnten. Riefen. Ein junger bleichgesichtiger Mann schlich sich von hinten an. Er hatte einen Dolch in der linken Hand. Die gekrümmte Klinge war mindestens dreißig Zentimeter lang. Wie ein Spiegel funkelte sie im Scheinwerferlicht und warf goldfarbene Reflexe auf die Bühne. Der Schnabeldämon hatte die Gefahr in seinem Rücken nicht bemerkt. Noch immer sonnte er sich in seinem Triumph. Er wandte sich wieder seinem Opfer zu. Mit einem Schrei, in dem Wut und Verzweiflung lagen, sprang der Mann vor und holte weit mit dem Dolch aus. Magische Zeichen waren auf der Klinge zu erkennen. Feine, filigrane Linien, die sich wie Schlangen zu bewegen schienen und nun aufglühten. Blitzschnell, sodass kaum jemand seiner Bewegung folgen konnte, wirbelte der Schnabeldämon herum. In einer einzigen fließenden Bewegung schlug er die Hand, die den Dolch umfasste, beiseite. Der Angreifer wurde nach hinten geschleudert und landete auf dem Parkett. Doch noch immer hielt seine Hand den Dolch fest umklammert. Mit einem animalischen Fauchen, das an einen hungrigen Alligator erinnerte, sprang der Dämon auf das am Boden liegende Opfer. Der junge Mann schrie vor Schmerzen, hechelte nach Luft, während der Dämon ihm den Dolch entwendete. Mit der Faust schlug er zu, sodass sich die Finger lösten, und der Dolch klirrend zu Boden fiel. Der Dämon griff danach, zuckte jedoch zurück. Die magischen Zeichen schienen nun ein Eigenleben zu entwickeln, kringelten sich in irrwitziger Geschwindigkeit, kaum mehr nachvollziehbar für menschliche Sinne, wuchsen aus der Klinge heraus, blähten sich auf, züngelten sich dem Dämon entgegen. Bevor er wieder einen ausreichenden Abstand zwischen sich und dem Dolch hergestellt hatte, hatten sich die ersten der schlangengleichen Glyphen um sein Handgelenk gewickelt. Wie glühende Schlingpflanzen wickelten sie sich um die Klaue des Dämons, fraßen sich tief in das Fleisch. Aufbrüllend sprang der Gepeinigte auf, versuchte die Schlangenflammen abzustreifen. Das Publikum stöhnte auf. Es litt mit seinem »Helden«, während die magischen Flammen immer höher wanderten und nun bald den gesamten Arm umwickelt hatten. Mit einem wütenden Knurren riss sich der Dämon mit der gesunden Klaue den Arm ab und schleuderte ihn in die Zuschauermenge. Panik brach aus. Die Flammen griffen sofort um sich, schnappten nach neuen Opfern. Wer konnte, versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Plötzlich verdunkelte sich der Saal, ein hohes, durch Mark und Bein gehendes Kreischen übertönte sämtliche Hilfeschreie. Die Luft war in Bewegung von flatternden schwarzen Schwingen. Riesige Schatten brachen sich an den Wänden und warfen einen Mantel aus Finsternis über die Zuschauer. Wie eine Decke senkte sie sich über sie hinab. Doch die Schattenvögel hatten es nicht auf das Publikum abgesehen. Hungrig stürzten sie sich auf das Flammengewürm, zerrissen es mit ihren scharfen, spitzen Schnäbeln, verschlangen es in offensichtlicher Gier. Innerhalb von zwei Minuten war der Spuk vorbei. Mit lautem Kreischen zogen die Schattenvögel wieder davon. Zurück blieben ein paar Dutzend verstörte Zuschauer. Viele von ihnen waren verletzt, und es gab drei Leichen: zwei Dämonen, ein Mensch. Aus der Ferne drang das auf und ab schwellende Heulen sich nähernder Sirenen wie ein sich ankündigendes neues Unheil ins Ripp Tide herein. *** 24 Stunden zuvor Norek duckte sich tiefer in die Schatten der Bäume, die Sir Rogers Haus umgaben. Es war nicht das erste Mal, dass der Schnabeldämon hier eingedrungen war. Er kannte die Fallen, mit denen Sir Roger sich vor Dämonen schützte. Jede einzelne hatte er ausgekundschaftet. Manchmal kamen neue dazu, während alte ihre Funktion erfüllt hatten. Ein falscher Schritt, und auch Norek würde in einer der Fallen elendig verrecken. Jede Falle schürte Noreks Hass. Das Menschengezücht glaubte sich erhaben, glaubte, etwas Besseres zu sein als die Dämonen. Und dank der Gesetze waren sie zumeist im Vorteil. Gesetze, die vor allem von Menschen gemacht worden waren, auch wenn sie sich den Anschein gaben, dass die Dämonen gleichberechtigt seien, und es sogar Dämonen als Polizisten und Richter gab. In Wahrheit hielten sie die Dämonen so nur noch besser in Schach, glaubten sie. Und auch über ihn erlaubten sie sich zu richten. Aber wer sagte, dass das Gute besser war als das Böse? Vielleicht war es ja umgekehrt? Nein, nicht vielleicht! Ganz sicher sogar! Dämonen waren nicht auf der Welt, um sich den Menschen anzupassen. Sie existierten, um die Menschen zu töten, sich ihren Lebensraum zurückzuerobern. Norek hatte eine andere Welt kennengelernt. Eine, in der es keine Strafen für Dämonen gab – weil die meisten Menschen nicht an sie glaubten. Eine, in der vielmehr das Gute bekämpft und bestraft wurde. Von Geschöpfen wie ihm, die das Böse in die Welt trugen. In Twilight City jedoch war es anders: Die Menschen wussten nicht nur, dass Dämonen existierten, sie leben sogar Seite an Seite mit ihnen. Aber wehe, einer wie er hielt sich nicht an die von Menschen gemachten Regeln. Noch immer zählte ein toter Dämon weniger als ein toter Mensch. Norek spuckte aus. Vor Ekel. Besonders, wenn er daran dachte, wer in dem Haus lebte, das er observierte, brodelte in ihm die Wut. Vor allem auf den einen empfand er abgrundtiefen Hass. Er verschmolz geradezu mit der Dunkelheit, traute sich aber nicht näher, während er still das Haus betrachtete. Die steinernen Figuren, die ihre Köpfe unter den Dachvorsprüngen hervorstreckten, schienen seinerseits ihn zu beobachten. Wie die Scherenschnitte schwarzer Gargoyles hoben sie sich vor dem nachtgrauen Himmel ab, in dem dichte Wolkengebirge dahinrasten. Norek streckte seine Sinne aus. Er wusste, dass er heute nicht zu seinem Ziel kommen würde. Aber es gab ihm allein schon eine Befriedigung, seinem Gegner so nah zu sein. Der andere mochte ahnen, dass er ihn belauerte, aber er konnte ihn nicht sehen, nicht spüren, nicht wittern! Was waren die Menschen doch arm und schwach! Ein Triumphgefühl durchflutete Norek, während er sich vorstellte, was er mit dem Menschen alles anstellen würde, wenn er ihn erst einmal in die Klauen bekäme … Halt! Da war etwas! Eine kaum merkliche Bewegung hinter einem der Fenster. Ein Mensch, sagte ihm seine Witterung. In der nächsten Sekunde war er schon nicht mehr zu sehen. Aber er war noch da, versteckte sich hinter den Mauern … Norek konnte seine Angst riechen, aber auch seine Wut. Oh ja, das war großartig! Begierig sog er die Gerüche in sich auf. Fast zu spät hätte er den anderen bemerkt. Esrath! Der dämonische Hausdiener, dessen Existenz ihn daran hinderte, schon längst sein Werk vollzogen zu haben, war aus dem Hauseingang getreten. Norek huschte lautlos zurück, faltete seine Aura, die ihn vielleicht verraten hätte, wie ein Blatt zusammen, bis sie selbst für Dämonen nicht mehr wahrnehmbar war, und rührte sich nicht mehr. In dieser Seinsebene war er nicht auffälliger als irgendein lebloser Stein unter Millionen anderen. Aus seinem sicheren Versteck heraus beobachtete er, wie der livrierte Dämon namens Esrath Witterung aufnahm. Doch plötzlich zuckte Esraths Blick zu den Fenstern neben der Eingangstür. Aha, also hatte auch er den jungen Spion dort bemerkt. Dann sah der Diener aus seinen kleinen schwarzen Augen wieder in Noreks Richtung, sein Blick verweilte kurz, dann ließ er ihn durch den Park schweifen. Wie er selbst, so konnte auch Norek in der Dunkelheit nicht viel mehr erkennen als jeder Mensch. Aber ihm standen andere Sinne zur Verfügung. Sinne, die in Bezug auf Norek nach wie vor nicht anschlugen. Esraths Nasenflügel blähten sich, ein eisiger Hauch legte sich über den Park und brachte die Bäume und Büsche zum Erzittern. Schatten ballten sich dort, wo eigentlich keine sein durften. Ein Grollen wie ferner Donner rollte vorüber. Norek grinste insgeheim. Der Diener mochte sich noch so anstrengen, er würde ihn niemals entdecken. Kurz überlegte er sogar, an Esrath vorbei heimlich ins Hausinnere zu huschen. Aber das erschien ihm dann doch zu tollkühn. Jederzeit konnte der andere ihn doch durch Zufall bemerken. Er musste Geduld haben. Geduld hatte ihn bisher immer ans Ziel geführt. Und so wartete er ab, sah zu, wie Esrath sich noch einmal genau umsah, aber schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wieder zurück ins Haus ging und die Tür hinter sich schloss. Endlich! Er hatte noch einmal Glück gehabt. Auf demselben Weg, den er gekommen war, verließ Norek das Grundstück. Und genauso heimlich und unbemerkt. Zumindest glaubte er, dass niemand ihn gesehen hatte. *** Als Wynn erwachte, glaubte er zunächst zu träumen. Er rieb sich den Schlafsand aus den Augen, reckte sich und kostete für einen Moment den schwebenden Zustand zwischen Schlaf und Wirklichkeit aus, genoss die angenehme Wärme, die die Daunendecke ihm bescherte. Er stöhnte wohlig, reckte sich erneut. Und dachte an Abby. Und dann an den Rest. Den Albtraum, der trotz allem immer noch angenehmer zu ertragen war als alles, was er in den Monaten zuvor in dieser fremden Stadt erlebt hatte. ...