E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Decker Meine Farm in Afrika
15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8270-7786-8
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Leben der Frieda von Bülow
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-8270-7786-8
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bin ich ein Sekundärtalent, eine zweitrangige Begabung? Die spätere Schöpferin des »deutschen Kolonialromans« Frieda von Bülow neigt dazu, diese Frage zu bejahen. Doch dann tritt ein Mann in ihr Leben, der ihr mit Nietzsche sagt: Werde, der du bist!
»Meine Farm in Afrika« berichtet von einer Frau, die im fremden Land nicht als Eroberin auftritt, sondern gemeinsam mit den Einheimischen ein neues Leben beginnen will. Das Buch taucht tief ein in ein fast vergessenes, äußerst widersprüchliches Kapitel deutscher Geschichte. Es entsteht das Tableau einer Gesellschaft, getragen von Menschen Anfang dreißig, vornehmlich Adlige, die sich gleichsam auf exterritorialem Gebiet neu erfinden wollten: Wir sind zwar Deutsche, aber wir haben es satt, der Poet unter den Völkern zu sein! Aktion statt Traum!
Kerstin Decker erzählt mit viel Gespür für die Charaktere und die skurrilen Züge einer Zeit, in der es möglich war, die höchste Erhebung Afrikas auf den Namen Kaiser-Wilhelm-Spitze zu taufen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Akka Akangai Akka Akangai, Wilhelm Junkers Diener, ist ein ernster, schweigsamer Mann. Aber jetzt bricht eine Lebhaftigkeit aus ihm heraus, von der er selbst nicht wusste, dass er sie besaß. Lachend und voller Unglauben zeigt er auf jede neue Schafherde am Weg. Ist Akka Akangai verrückt geworden? Am frühen Morgen war die Karawane des Erforschers der Njam-Njam-Gebiete gen Lado aufgebrochen. Sie durchquerte den Fluss Luro, am gleichen Tag noch wird sie bei Emin Bey eintreffen. Junker schaut auf seinen gewöhnlich weitgehend stummen Diener. Er weiß, Akka Akangais Welterfahrung steht kopf. Er ist dem Anblick des ununterbrochenen Kulturlandes selbst fast nicht gewachsen. Kaum bewachtes Vieh weidet unter freiem Himmel, und niemand kommt, es wegzutreiben? So etwas hat Akka Akangai noch nicht gesehen. Wie anders sah es aus, als die Kulturen der Eingeborenen, die hinter mir lagen. Hier hatte auch der Neger sein geschütztes Eigenthum, überall weideten Heerden, und die Bewohner der zahlreichen kleinen Baridörfer flohen nicht, sondern gingen ruhig ihren Geschäften nach.34 Der Stärkere nimmt dem Schwächeren nicht das Seine? Sollte das Zivilisation sein? Oder ist Zivilisation, wenn der Stärkere dem Schwächeren das Seine so nimmt, dass es sich nicht mehr nachweisen lässt? Es ist unwahrscheinlich, dass der Forscher und sein Diener Akka Akangai in solcherart Betrachtungen versinken, denn plötzlich sehen sie Männer auf Mauleseln in makellosen weißen Uniformen auf sich zukommen. Wie lange hatte ich dergleichen nicht gesehen; ich glaubte, sagt der Rückkehrer, einen Festzug zu schauen. An dessen Spitze reitet sein alter Freund Emin Bey. Der Erforscher der Njam-Njam-Gebiete spürt, wie ihm die Tränen in die Augen steigen. Er erträgt klaglos die härtesten Entbehrungen und ist doch eine so weiche Natur. Schon als er einst auf Island ornithologischen Untersuchungen oblag, trieb ihn das Heimweh nach wenigen Wochen wieder nach Hause. Und jetzt der Anblick von Lado, nach dieser gefühlten Ewigkeit bei den Njam-Njam. Junker war nach seiner Befreiung in Lado gewesen, doch das ist Jahre her, und jetzt erkennt er die kleine Stadt nicht wieder: Regelmäßige breite Straßen liefen dem Fluss parallel und waren von mehreren schmälern Querstraßen durchschnitten, alle von größter Sauberkeit. Tränenverhangenen Blicks sieht der Ankömmling Geschäfte, ein Krankenhaus, eine Apotheke, eine Moschee und Koranschule. Früher standen in Lado wie überall in Afrika Strohhütten, aber warum in einer Hütte wohnen, wenn man sich auch ein Haus bauen kann? Niemand hätte etwas dabei gefunden, wenn Emin Bey es nur für sich und seine obersten Beamten getan hätte, oder besser: hätte tun lassen. Was für Beglaubigungen aus Stein! Die Menschen hier denken, fühlen und glauben in Hierarchien, wissen die Europäer. Aber Emin Bey war das egal. Er ließ eine Ziegelbrennerei errichten, und darum hat Lado jetzt mehr Häuser als Hütten, es ist eine richtige Stadt kurz vor dem Äquator. Und was für Regierungsgebäude! Kein Zweifel, die Departementsschreiber und Ordonnanzen residieren. Auch die Speicher und Magazine scheinen Junker über die Maßen eindrucksvoll, selbst wenn viele beunruhigend leer sind, namentlich das Pulver-Magazin. Und nun das Wohnhaus des Freundes. Gewiss ist bei der Wirkung, die Lado auf das Gemüt des Forschers macht, in Rechnung zu stellen, dass schon der Anblick eines Fensters mit Blümchenvorhängen ihn zu rückhaltlosem Weinen bringen kann. Und das Fenster ist schließbar wie auch die Türen. Dann tritt er in ein Zimmer mit richtigem Schreibtisch voller wissenschaftlicher Instrumente, einer Bibliothek und Ausblick auf die Zitronenhaine oder – von Emins Amtssitz aus – auf einen kleinen Garten mit Melonenbäumen und Blumenranken. Wilhelm Junker bricht vor Rührung zusammen. Schade nur, dass das alles gleich verloren sein würde. Während die beiden Ornithologen auf den Dampfer warten, fällt im April die Nachbarprovinz. Zwar war ihr Gouverneur, der unglückliche Brite Frank Lupton, entschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen, auch hatte er bereits drei Kanonen auf seine Bastion gestellt. Leider ist ihm seine Armee bis auf den letzten Mann weggelaufen, nur die drei Kanonen blieben, wo sie waren. Der Nachbar konnte seinem Amtsbruder dieses Missgeschick noch persönlich per Brief anzeigen, bevor er gefangen und in Ketten gelegt wurde, und er fügte hinzu: Geben Sie acht: etwa 8000 bis 10 000 Mann sind schwer bewaffnet auf dem Weg zu Ihnen. Am selben Tag traf zur Bekräftigung noch ein zweites Schreiben ein, das war vom Emir des Mahdi persönlich. Nach einer Aufzählung der ruhmreichen Taten des Mahdi forderte Emir Keremallah den Gouverneur von Äquatoria auf, sich zwecks Unterwerfung mit seinen Leuten umgehend bei ihm einzufinden. Während Junker noch immer abwechselnd auf Emins Zitronen und die Blümchenvorhänge blickt, beschließt der Benachrichtigte, umgehend eine Vollversammlung Lados einzuberufen. Seine Frage lautet: Wollen wir kämpfen oder wollen wir uns ergeben? Wir wollen uns ergeben!, ruft ganz Lado wie ein Mann. Emins neuer Stellvertreter und der Schullehrer werden zu Emissären ernannt, dem Emir des Fakirs diese Botschaft zu überbringen. Den Gouverneur selbst aber ernennt sein Volk zum Vorsitzenden der Delegation. Das Rückgrat der öffentlichen Ordnung zögert. Was würde geschehen, wenn er Lado den Rücken kehrt, und sei es nur für einen Tag? Sympathisanten des Mahdi sind auch unter seinen Leuten. Manchmal, wenn ihm sehr fatalistisch zumute ist, hält er seine Schreiber für eine Rotte Trunkenbolde und Spieler, größtenteils Landsleute der Rebellen. Auch pflegen sie auf ihre christlichen, näherhin koptischen Mitbeamten neuerdings klaftertief hinabzusehen. Als in deren Viertel ein Brand ausbricht, sind sie nicht zu bewegen, beim Löschen zu helfen. Sie halten das Feuer für eine Art Gottesurteil, oder soll es Zufall sein, dass es nicht bei ihnen brennt, sondern bei den Christen? Emins Entschluss steht schnell fest: Er bleibt da, er wird seine Stadt nicht verlassen. Der Kadi, der Schullehrer und sein neuer Stellvertreter aber wollen allein nicht losgehen. Diesem Stand der Dinge zufolge muss das Heer des Mahdi, wie es bislang unter Eroberern üblich war, zum Erobern persönlich vorbeikommen. Emin nennt den Fakir inzwischen vornehmlich den falschen Propheten, was die Angst vor seiner Ankunft durch Mutwillen verbirgt. Er schickt einen Boten zu dem forschenden Italiener, der sicher noch im Kreis der Mädchen von Mombuttu sitzt, die nichts tragen als Schwarz. Er kann das verstehen, sehr gut sogar, aber jetzt, lässt er Casati ausrichten, sei das leichtsinnig. Er soll nach Lado kommen, sofort. Von seiner Station Makraka erreicht Emin die Nachricht, dass der dortige Befehlshaber alle Unteroffiziere zusammengerufen und ihnen befohlen habe, Lebensmittel zu nehmen, so viel sie tragen können, und zu gehen, wohin sie wollen, denn es gäbe kein Gouvernement mehr. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet? Emin schickt sofort einen Offizier, um den Offizier von Makraka festzunehmen. Wegen Amtsanmaßung. Die Weber des aufrührerischen Ortes sind auch schon zum Mahdi übergelaufen. Der Verlust der Weber von Makraka schmerzt Emin am meisten, denn die Uniformen seiner Leute wie seine eigenen verwandeln sich immer mehr in Lumpen, und es widerstrebt ihm, nicht tadellos gekleidet dem Untergang ins Auge zu sehen. Wo die Uniform nicht mehr sitzt, ist bald alles verloren, das ist seine Überzeugung. Allerdings ist der Niedergang der Kleiderordnung nicht überall sichtbar, der Erforscher der Njam-Njam etwa trägt nur noch seinen besten Anzug, allerdings weniger um die Zuversicht des Gouverneurs zu heben: Er hat keinen anderen mehr. Emin Bey fürchtet, dass Makraka-Verhältnisse auf sein ganzes Reich übergreifen könnten. Doch es gibt auch Überraschungen, ja große Freuden in diesen bangen Wochen, auf die er nicht gefasst war. Die Schwarzen von Makraka halten zu ihm! Er hat sie immer gut und gerecht behandelt, und doch hätte er nie angenommen, dass man sich auf die Eingeborenen verlassen kann. Nie wäre er auf die Idee gekommen, mit ihnen ein Bündnis zu schließen. Zu wankelmütig, zu misstrauisch sind sie. Zu sehr leben sie in ihrer eigenen Welt und ertragen die Fremden, egal, wer sie sind, nur, wie man Plagen erträgt, gegen die man sich nicht wehren kann. So nehmen sie auch keinerlei Anteil an den landwirtschaftlichen Versuchen ihres Gouverneurs, nie würden sie etwas anbauen, was sie nicht immer schon angebaut haben: Was dem Vater genügte, befriedigt auch den Sohn. Das sei nun einmal so. Es gibt für das Tun der Landeskinder nur eine einzige Rechtfertigung: dass es schon immer so gemacht wurde. Darum hält ein Schwarzer auch fast nie einen Vogel oder ein anderes Haustier, ebenso wie er nie auf die Idee käme, sich einen Blumengarten anzulegen. Diese Resistenz gegenüber allem, was für Emin Bey das Leben erst lohnt, rückte ihm seine schwarzen Untertanen schon immer ein wenig fern. Umso mehr rührt ihn jetzt ihre Treue. Die Leute vom Stamm der Bari, die Junker und seinen Diener Akka Akangai bei ihrer Ankunft so beeindruckten, haben sich hingegen schon aufs andere Flussufer zurückgezogen. Sie wollen nicht versehentlich in die Schusslinie geraten. Wenn der Kaffee doch nur gedeihen würde! Junker späht inzwischen abwechselnd nach der Richtung, aus der der Dampfer kommen, und der, aus der der Mahdi kommen müsste. Als er es nicht mehr...