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Dean | Totenwinter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 495 Seiten

Dean Totenwinter

Kriminalroman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-9451-1
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 495 Seiten

ISBN: 978-3-7325-9451-1
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ein eiskalter schwedischer Winter. Im tief verschneiten Värmland stürzt der Besitzer einer Fabrik vor den Augen seiner Mitarbeiter in den Tod. Unter den Zeugen ist auch die Journalistin Tuva Moodyson, die nicht an Selbstmord glaubt. Denn die zurückgezogen lebende Familie des Fabrikanten scheint vor irgendetwas große Angst zu haben. Dann wird auf dem Fabrikgelände eine weitere Leiche gefunden, und Tuva ahnt: Diese Story führt sie auf allzu dünnes Eis - unter dem ein gefährlicher Abgrund lauert ...

Will Dean wurde in den englischen Midlands geboren. Nach seinem Studium an der London School of Economics arbeitete er einige Zeit in der englischen Hauptstadt, bevor es ihn der Liebe wegen nach Schweden zog, wo er ein Holzhaus mitten im Wald nördlich von Göteborg baute, das er seither mit seiner Familie bewohnt. Sein Kriminalromane wurden in seinem Heimatland England vielfach ausgezeichnet und begeistert besprochen.

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1
Gavrik, Schweden
Der Volvo vor mir liegt im Graben, und zwar schon eine ganze Weile, würde ich sagen. Ich tippe das Bremspedal meines Geländewagens an, und er bleibt brav und ohne Probleme stehen. Die Spikes tun ihren Dienst, beißen sich ins Eis, und der Wagen hält lautlos. Hier oben ist alles still. Weiß und vollkommen, vollkommen still. Minus neunzehn Grad, meldet mir das Display des Armaturenbretts. Ich setze meine Mütze auf und ziehe die Ohrenschützer herunter, achte dabei darauf, dass sie meine Hörgeräte nicht beeinträchtigen. Dann drehe ich die Heizung auf, lasse den Motor laufen und öffne die Tür, um auszusteigen. Der Volvo sieht aus wie ein Eiswürfel, gerade Linien und funkelnde Kristalle. Kein Lebenszeichen, keine Farben oder besonderen Merkmale. Er ist stark nach rechts geneigt, sodass ich mich ungefähr auf einer Höhe mit dem Fenster auf der Fahrerseite befinde. Meine Knöchel erzeugen in den dicken Handschuhen nur ein dumpfes Geräusch, als ich an die Scheibe klopfe. Also reibe ich mit der Hand übers Glas, aber es ist vollkommen vereist. Ich trete zurück. Die kalte Luft beißt mir in die spröden Wangen. Ich brauche bessere Cremes, verschreibungspflichtige Cremes, extra für den Winter. Mein Handy hat keinen Empfang, deshalb blicke ich mich um, ehe ich zu meinem Pick-up zurückgehe und einen Eiskratzer hole. Ich habe drei im Türfach meines Hilux, denn man kann nie vorsichtig genug sein. Als ich am Fenster des Volvos zu kratzen beginne, klingt es durch meine Hörgeräte, als würden Gerüststangen durch einen Häcksler gejagt. Allmählich habe ich Erfolg, die Eisscherben stieben in alle Richtungen. Dann sehe ich sein Gesicht. Ich kratze fester. Schneller. »Können Sie mich hören?«, brülle ich. »Geht es Ihnen gut?« Nein, tut es nicht. Ich kann die Eiskristalle auf seinem Schnurrbart sehen und die festgefrorenen Rotzspuren, die sich unter beiden Nasenlöchern gebildet haben. Er bewegt sich nicht. Ich kratze weiter und reiße an der Tür, aber entweder ist sie verriegelt oder festgefroren – oder beides. Vor meinem Gesicht steigen nervös anmutende Atemwolken auf, Dampfschwaden zwischen mir und ihm, zwischen meinem billigen Mascara und seinen kristallisierten Wimpern. In den letzten sechs Monaten habe ich schon genug Tote gesehen, mehr als genug. Wieder klopfe ich ans Fenster und ziehe am Türgriff. Und nun schlägt er die Augen auf. Vor Schreck weiche ich zurück, meine dicken Gummisohlen rutschen auf dem glitzernden Schnee weg. Er rührt sich nicht, sieht mich einfach nur an. »Geht es Ihnen gut?«, frage ich. Wortlos starrt er mich an. Er regt sich nicht, bewegt den Kopf nicht, aber seine graublauen Augen sind suchend, nein, fragend auf mich gerichtet. Dann schnieft er und nickt, ein passiv-aggressives »Danke, ich habe das hier im Griff«, was einfach nur lächerlich ist. »Ich bin Tuva Moodyson. Ich kann Sie nach Gavrik fahren. Oder ich kann jemanden für Sie anrufen.« Der gefrorene Rotz in seinem Schnurrbart knackt und splittert, als er die Worte: »Mir geht es gut« mit den Lippen formt. Und nach über zwanzig Jahren Training kann ich ziemlich gut von seinen Lippen lesen. Ich reiße erneut an seinem Türgriff, beginne im Nacken zu schwitzen, als etwas nachgibt, weshalb ich noch fester ziehe. Eis knackt, und die Tür öffnet sich ein wenig. In diesem Winkel ist sie ganz schön schwer. »Wollen Sie, dass die Kabel brechen?«, fragt er. »Wie bitte?« »Hier draußen sind es ungefähr minus zwanzig Grad, und Sie haben eben meine Autotür aufgerissen, als wäre sie eine Schatztruhe. So brechen die Kabel vom Türgriff ganz sicher.« »Möchten Sie sich in meinem Wagen aufwärmen?«, frage ich. »Soll ich die Pannenhilfe rufen?« Er blickt zu meinem Pick-up hinüber, als müsste er erst überlegen, ob dieses Fahrzeug dazu geeignet ist, ihm das Leben zu retten. Ich blicke ihn an, all die Schichten Kleidung, in denen er sich regelrecht verpuppt hat. Unter seiner Jacke müssen sich noch fünf oder sechs andere befinden, so aufgeplustert, wie er aussieht. Und über seinen Knien liegen mehrere Decken, er trägt dicke Skihandschuhe, und ich kann drei Mützen ausmachen, jede hat eine andere Farbe. Er hustet, spuckt aus und sagt: »Ich komme nur kurz mit rüber, um mich aufzuwärmen.« Na, vielen Dank dem König aller Charmeure von Värmland für dieses großzügige Angebot! Ich helfe ihm aus dem Wagen und stelle fest, dass er einen halben Kopf kleiner ist als ich und um die fünfundfünfzig sein muss. Auf dem Beifahrersitz liegt eine Nagelschere neben einer Tüte voller Dosen, und im Fußraum liegt eine Tüte Trockenfutter für Hunde. Er verriegelt seinen Volvo, als würden hier draußen irgendwelche schwedischen Gangs nur darauf warten, ihm seinen kaputten Scheißwagen zu klauen. Dann stapft er hinüber zu meinem Pick-up. »Japaner?«, fragt er, als er die Beifahrertür öffnet. Ich nicke und steige ein. »Zehn Minuten, dann sind Sie mich los«, sagt er. »Und Sie heißen?« Er hustet. »Andersson.« »Tja, Herr Andersson, ich bin Tuva Moodyson. Freut mich.« Eine Weile schauen wir beide durch die Windschutzscheibe nach vorn, reden nicht, starren einfach nur auf das weiße Umland von Gavrik. Es sieht aus wie einer dieser leeren Joker-Steine beim Scrabble. »Sind Sie das, die diese Artikel in der Zeitung schreibt?«, fragt er. »Bin ich.« »Ich gehe jetzt lieber wieder zurück zu meinem Wagen.« »Wenn Sie wieder rausgehen, sind Sie tot. Ich sollte Sie wirklich in die Stadt fahren. Ihrem Auto passiert schon nichts.« Er sieht mich an, als wäre ich ein begriffsstutziges kleines Kind. »Ich bin hier schon in mehr heftigen Wintern herumgefahren, als Sie warme Mahlzeiten hatten.« Was zum Teufel will er damit andeuten? »Und ich kann Ihnen sagen«, fährt er fort, während er sich mit dem Jackenärmel die Nase abwischt, »dass das hier gar nichts ist. Minus zwanzig, vielleicht zweiundzwanzig, ein Witz! Jedenfalls habe ich meinem Mittleren vor drei Stunden eine Nachricht geschickt, mit meinen Standortdaten. Wenn er oben in der Papiermühle fertig ist, kommt er mich abholen. Denken Sie etwa, ich bin im Winter noch nie in einem Graben gelandet?« »Na gut, dann gehen Sie eben«, sage ich und mache eine Pause, damit er Zeit zum Nachdenken hat. »Aber ich werde die Polizei verständigen, und dann muss Thord kommen und Sie aufsammeln. Wie wäre es, wenn wir ihm die Mühe ersparen?« Andersson seufzt und nagt an seiner Unterlippe. Das Eis auf seinem Gesicht ist geschmolzen, und jetzt sieht es nur noch erhitzt, eingefallen und ein bisschen müde aus. »Und Sie fahren?«, fragt er. Ich lache genervt. Bevor ich den Gang einlege, schalte ich beide Sitzheizungen ein. Als wir an dem vereisten Volvo vorbeifahren, blickt er so wehmütig aus dem Fenster, als würde er die Liebe seines Lebens auf irgendeinem Bahnhof zurücklassen. »Warum kaufen Sie sich kein schwedisches Auto?«, fragt er. »Gefällt Ihnen mein Hilux nicht?« »Ist kein Schwede.« »Aber er fährt.« Unterwegs bewegt er sich unruhig auf dem Beifahrersitz, als hätte er irgendwas fallen gelassen. »Ist mein Sitz warm?«, fragt er. »Soll ich die Sitzheizung runterschalten?« »Sie sollen das verdammte Ding ausschalten, ich fühle mich hier drüben gerade, als hätte ich mir in die Hosen gepinkelt!« Er sieht mich angewidert an. »Die verfluchten Japaner denken aber auch an alles.« Okay, ich befördere hier also einen miesen Rassisten, aber es sind ja nur zwanzig Minuten bis nach Gavrik. Und überhaupt sind es heutzutage ja nie die netten, witzigen und klugen Leute, die irgendwo aufgesammelt werden müssen, oder? »Wo soll ich Sie absetzen, Herr Andersson?« »Lassen Sie mich einfach bei der Fabrik raus.« »Arbeiten Sie da?« »Könnte man so sagen. Leitender Hausmeister. Im nächsten Juni seit dreiunddreißig Jahren.« Ich betätige die Scheibenwaschanlage, und der Geruch nach Frostschutzmittel weht durch die Lüftung herein. »Und wie viele Hausmeister gibt es da?«, frage ich. »Nur mich.« »Kriegen Sie das Lakritz umsonst?« »Gar nichts kriege ich, und das geht Sie auch nichts an. Ich bin der Hausmeister, das war’s.« Ich fahre auf eine Kreuzung zu, eine Langlaufloipe führt darüber hinweg, und sie ist mit gelben Plastikstäben markiert, die aussehen wie Zahnstocher auf einer wunderschönen Hochzeitstorte. Die Luft bewegt sich nicht, und der Himmel ist eine einzige hängende Schneelandschaft, die nur darauf wartet herunterzubrechen. »Von Ihnen ist die Medusa-Geschichte, oder?« Ich nicke. Er schüttelt den Kopf. »Ist Ihnen klar, dass Sie diese Gegend damit so gut wie vernichtet haben? Hier gibt es einige Leute, die froh wären, wenn Sie aus der Stadt verschwinden. Ich sage bloß, was ich gehört habe.« Diesen Mist bekomme ich immer wieder mal zu hören. Ich bin die einzige Fulltime-Journalistin hier in Gavrik und werde daher für sämtliche schlechten Nachrichten verantwortlich gemacht, dabei schreibe ich lediglich darüber. »Dann habe ich meinen Job wohl gut gemacht«, erwidere ich. »Ja klar, das müssen Sie ja sagen.« »Wäre es Ihnen lieber, es würden immer noch Elchjäger im Wald erschossen?« Für eine Weile ist er still, und ich schalte die...



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