E-Book, Deutsch, 2420 Seiten
de Maupassant Gesammelte Erzählungen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-80-268-2985-0
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tag-und Nachtgeschichten + Der Horla + Nutzlose Schönheit + Der Morin - das Schwein + Miß Harriet + Fräulein Fifi + Mondschein und mehr
E-Book, Deutsch, 2420 Seiten
ISBN: 978-80-268-2985-0
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Guy de Maupassant (1850-1893) war ein französischer Schriftsteller und Journalist. Maupassant gilt neben Stendhal, Balzac, Flaubert und Zola als einer der großen französischen Erzähler des 19. Jahrhunderts. Er ist auch einer der am häufigsten verfilmten Autoren. Inhalt: Pariser Abenteuer Fräulein Fifi Die beiden Freunde Der Weihnachtsabend Der Ersatzmann Die Reliquie Das Holzscheit Der Dieb Marroca Das Bett Erwacht Weihnachtsfeier Eine List Der Spazierritt Eingerostet Toll? Frau Baptiste Liebesworte Mondschein Ein Staatsstreich Der Wolf Das Kind Weihnachtsmärchen Die Verzeihung Legende vom Mont Saint-Michel Eine Witwe Fräulein Cocotte Unsere Briefe Die Schmucksachen Die Thür Königin Hortense Der Vater Moiron Die Nacht Vision Herr Parent Die kleine Roque Der Horla Dreikönigstag Der Teufel Das Loch Gerettet Clochette Die Schnepfe Dickchen Die Probe Nutzlose Schönheit Das Olivenfeld Die Fliege Der Ertrunkene Das Bild Die fünfundzwanzig Franken der Oberin Ein Scheidungsgrund Wer weiß! Die Maske Der Tugendpreis Schnaps-Anton Tag-und Nachtgeschichten Timbuctu Der Schmuck Die Morithat Rosa Das Glück Der Alte Ein Feigling Der Säufer Die Blutrache Coco Die Hand Elternmord Der Lummen-Felsen Der Kleine Eine wahre Geschichte Erinnerung Aus alten Tagen Träume Vater Milon Am Frühlingsabend Der Blinde Der verhängnisvolle Kuchen Der Schäfersprung Magnetismus? Ein korsikanischer Bandit Die Totenwache Eine Beichte Eine Leidenschaft Der Morin - das Schwein Briefwechsel Angeführt Yveline Samoris Freund Josef Das Pflegekind Die Schwestern Rondoli Miß Harriet Das Haus...
Weitere Infos & Material
Fräulein Fifi
Inhaltsverzeichnis
Der preußische Befehlshaber Major Graf von Farlsberg durchflog die eingelaufenen Postsachen. Er war in einem großen gestickten Fauteuil versunken und hatte die Stiefel auf den eleganten Marmor des Kamins gelegt, in den seine Sporen seit den drei Monaten, die er nun im Schloß von Uville lag, zwei tiefe Löcher gebohrt. Von Tag zu Tag wurden sie tiefer. Eine Tasse Kaffee dampfte auf einem kleinen eingelegten Tischchen, das durch Likör beschmutzt, von Cigarren verbrannt und mit dem Federmesser des als Sieger hausenden Offiziers zerschnitten war. Wenn er seinen Bleistift spitzte, hielt er oft in Gedanken inne und kritzelte Buchstaben oder Figuren auf dem zierlichen Möbel. Als er seine Briefe zu Ende gelesen und die deutschen Zeitungen durchflogen, die ihm der Wachtmeister gebracht, stand er auf. Er warf drei oder vier mächtige Kloben frischen Holzes ins Feuer – denn die Herren fällten allmählich, um sich zu wärmen, den ganzen Park – und trat ans Fenster. In Strömen ging der Regen nieder, ein echter Regen der Normandie, als ob er im Zorn heruntergeschüttet worden, schief, wie ein dichter Vorhang, eine schräge gestreifte Mauer. Ein Regen, der das Gesicht peitschte, mit Kot bespritzte, alles ersäufte, ein Regen, wie er nur um Rouen fallen kann, dem Nachtgeschirr Frankreichs. Der Offizier sah lange auf die überschwemmten Rasenflächen hinaus und weiterhin auf die angeschwollene Andelle, die über die Ufer getreten. Er trommelte einen rheinischen Walzer an den Scheiben, als er Lärm hörte. Er drehte sich um: der zweitälteste Offizier war gekommen: Rittmeister Freiherr von Kelweingstein. Der Major war ein breitschultriger Riese mit langem Vollbart, der sich fächerartig auf der Brust ausbreitete. Seine mächtige gravitätische Erscheinung machte den Eindruck eines militärischen Pfaues, aber eines Pfaues, dessen Schweif unter dem Kinn wuchs und dort ein Rad schlug. Er hatte kühle, mildblickende blaue Augen, eine Backe war ihm im österreichischen Feldzuge durch einen Säbelhieb gespalten. Er galt für einen braven Mann und guten Soldaten. Der Rittmeister dagegen war klein, rotwangig mit dickem Bauch und gebremster Taille. Kurz geschoren trug er sein feuerrotes Haar, dessen Stoppeln ihm bei gewisser Beleuchtung einige Ähnlichkeit mit einer Streichholzkuppe gaben. In einer Bummelnacht hatte er einmal, weiß Gott wie, zwei Zähne eingebüßt, sodaß man ihn nun bei seiner Sprechweise schlecht verstand. Dazu trug er eine Glatze, gleich einer Mönchstonsur, um deren nackten Kreis ein Fell goldglänzender kleiner Härchen stand. Der Befehlshaber gab ihm die Hand und schüttete auf einen Zug seinen Kaffee hinab (die sechste Tasse seit heute früh), indem er die Meldung seines Untergebenen über die Vorkommnisse im Dienst anhörte. Dann traten beide ans Fenster und meinten, es sei hier nicht gerade zum Totlachen. Der Major, eine ruhige Natur, der eine Frau daheim besaß, fügte sich in alles, aber der freiherrliche Rittmeister, ein großer Bummler und Mädchenjäger, war wütend, nun seit drei Monaten auf diesem verlorenen Posten zur Enthaltsamkeit gezwungen zu sein. Da sie an der Thür Lärm vernahmen, rief der Major »herein« und ein Mensch – einer ihrer steifen Soldaten – erschien in der Öffnung, durch seine stumme Gegenwart das Frühstück meldend. Im Eßsaal fanden sie drei andere Offiziere vor: Premierleutnant Otto von Großling, die Leutnants Fritz Schönauburg und Wilhelm Reichsgraf von Eyrik, ein winziges, blondes Kerlchen, das stolz und roh gegen seine Leute war, schroff gegen die Besiegten, und heftig wie ein Gewehr, das immerfort losgeht. Seitdem sie sich in Frankreich befanden, nannten ihn seine Kameraden nur noch »Fräulein Fifi«. Ein Spitzname, den er seinem gezierten Wesen verdankte, seiner engen Taille, die den Eindruck machte, als trüge er ein Korsett und seinem bleichen Gesicht, auf dem man kaum den ersten Bartflaum sah. Vor allem aber, weil er es sich angewöhnt hatte, um seine allerhöchste Verachtung von Menschen und Dingen auszudrücken, fortwährend die französische Redensart zu gebrauchen » fi donc«, deren » fi« er leise pfeifend aussprach. Der Eßsaal des Schlosses Uville war ein großer, fürstlich ausgestatteter Raum. Seine mit Kugellöchern besäten, alten Kristallspiegel, seine hohen, flandrischen Gobelins, die von Säbelhieben zerfetzt hier und da herunterhingen, zeugten von Fräulein Fifis Beschäftigung in seinen Mußestunden. An der Wand hingen drei Familienbilder, ein gepanzerter Krieger, ein Kardinal und ein Staatsmann. Sie rauchten lange Porzellanpfeifen, während eine Edelfrau in enganschließendem Gewand aus ihrem durch die Jahre etwas goldverblichenen Rahmen anmaßend mit einem mächtigen Kohleschnurrbart herausschaute. Die Offiziere nahmen beinahe schweigend das Frühstück ein in diesem verwüsteten, bei dem Regenwetter düsteren Gemach, das traurig dreinschaute angesichts der Sieger und dessen altes Eichengetäfel abgetreten war wie die Diele einer Kneipe. Nach Tisch rauchten sie, tranken und sprachen wie alltäglich von ihrer Langeweile. Cognac und Schnaps ging reihum, sie lehnten sich in den Stühlen zurück, und bliesen in kleinen Wölkchen den Dampf aus ihren im Mundwinkel baumelnden, langen Pfeifen mit den Porzellanköpfen, auf denen Bilder geklext waren, um Hottentotten zu berücken. Sobald die Gläser leer wurden, füllten sie sie müde von neuem. Aber Fräulein Fifi zerbrach alle Augenblicke das seine, und sofort reichte ihm ein Soldat ein anderes. Schwarzer Tabakrauch hüllte sie ein wie in eine Wolke, und sie brüteten hier in trauriger, schläfriger Trunkenheit, jener stumpfsinnigen Sauferei von Leuten, die nichts zu thun haben. Aber der Freiherr raffte sich plötzlich auf. Er ärgerte sich und fluchte: – Gott verdamm’ mich, das kann nicht so weiter gehen! Wir müssen irgend was aushecken! Premierleutnant von Großling und Leutnant Schönauburg, zwei echt deutsche, schwerfällige, ernste Menschen, antworteten zugleich: – Was denn Herr Rittmeister? Er sann einen Augenblick nach, bis er zurückgab: – Was? Nun, wenn der Herr Major nichts dagegen hat müßten wir irgend ein Fest veranstalten. Der Major nahm seine Pfeife aus dem Mund: – Was für’n Fest meinen Sie, Kelweingstein? Der Freiherr erklärte sich näher: – Herr Major ich übernehme alles. Ich schicke den » Befehl« nach Rouen. Der wird uns Weiber holen. Ich weiß schon woher. Wir veranstalten ein kleines Souper. Wir haben alles dazu hier. Jedenfalls giebt’s einen ganz netten Abend! Graf Farlsberg zuckte lächelnd die Achseln. – Sie sind verdreht, lieber Freund! Aber die Offiziere waren alle aufgesprungen, umringten den Major und baten: – Herr Major müssen’s dem Herrn Rittmeister erlauben! Es ist zu ledern hier! Endlich willigte der Major ein: – Meinetwegen. Da ließ der Freiherr den »Befehl« kommen, einen alten Unteroffizier, der nie eine Miene verzog, und für jeden Auftrag seiner Vorgesetzten nur ein »Befehl« hatte. Unbeweglich nahm er des Rittmeisters Auseinandersetzung entgegen, ging, und fünf Minuten später jagte im strömenden Regen ein mit vier Pferden bespannter Trainwagen, über den man die Plane eines Müllerwagens gespannt, im Galopp davon. Da schienen sie sofort aufzuwachen, sie richteten sich aus ihren müden Stellungen auf, ihre Mienen wurden lebhaft und man begann zu schwatzen. Der Major behauptete, obgleich es noch immer weiter goß, es sei schon heller geworden. Premierleutnant von Großling kündigte mit Bestimmtheit an, der Himmel würde sich aufklären. Selbst Fräulein Fifi schien erregt, stand auf, setzte sich. Sein hartes, klares Auge suchte nach einem Zerstörungsobjekt. Der junge Blondkopf sah plötzlich die Dame mit dem Schnurrbart scharf an, zog seinen Revolver und sagte: – Du sollst das nicht mit ansehen! Ohne aufzustehen zielte er, und schoß mit zwei Kugeln scharf hintereinander dem Bilde die Augen aus. Dann rief er: – Jetzt wollen wir ‘ne Mine legen! Sofort schwieg das Gespräch als ob alle einen neuen, wichtigen Unterhaltungsstoff gefunden. »Die Mine« war seine Erfindung, Seine Vernichtungsart, sein Hauptvergnügen. Graf Ferdinand d’Amoys d’Uville, der rechtmäßige Besitzer, hatte, ehe er das Schloß verließ, keine Zeit gehabt, irgend etwas mitzunehmen oder zu verstecken. Nur das Silber war in der Mauer in einem Loch verborgen. Da er nun sehr reich war und prachtliebend, so schaute sein großer Salon neben dem Eßsaal vor der schleunigen Flucht seines Herrn, wie ein Museum aus. An den Wänden hingen kostbare Ölgemälde, Handzeichnungen und Aquarelle. Auf den Möbeln, Etagèren, in eleganten Glasschränken, standen tausend Nippsachen, Vasen, Statuen, Figürchen aus Altmeißen, chinesische Pagoden, alte Elfenbeinschnitzereien und Venezianische Gläser wertvoll und wundervoll. Viel war nicht mehr übrig. Nicht daß man sie hätte mitgehen heißen – das hätte Major Graf Farlsberg nie geduldet – aber Fräulein Fifi legte ab und zu eine »Mine«. Und an diesem Tage unterhielten sich alle Offiziere einmal wirklich fünf Minuten lang. Der kleine Reichsgraf holte aus dem Salon was er brauchte. Er brachte eine reizende, kleine chinesische Theekanne mit, füllte sie mit Schießpulver, steckte vorsichtig ein langes Stück Feuerschwamm in die Schnauze, zündete es an und trug die Höllenmaschine schnell in das Nebengemach. Dann...