E-Book, Deutsch, 108 Seiten
De Chateaubriand Atala & René
2. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-7218-4
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte einer unmöglichen Liebe - Klassiker der französischen Romantik
E-Book, Deutsch, 108 Seiten
ISBN: 978-80-268-7218-4
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Atala & René' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Atala, die tragische Geschichte einer jungen Halbindianerin, die den Konflikt zwischen ihrer Liebe und der Keuschheit, die sie ihrer frommen französischen Mutter gelobt hat, durch den Freitod löst, wurde vor allem durch die eingestreuten stimmungsvollen Naturschilderungen vorbildhaft. René kreierte in der Figur des Titelhelden den Typ des vom 'mal du siècle', dem 'Weltschmerz', zerrissenen romantischen Künstlers und Intellektuellen - ein Typ, der dann jahrzehntelang die europäische Literatur bevölkerte. François-René de Chateaubriand (1768-1848) war ein französischer Schriftsteller, Politiker und Diplomat. Er gilt als einer der Begründer der literarischen Romantik in Frankreich.
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Die Geschichte Schaktas und Atalas
I. Die Jäger
Es ist ein eigenthümliches Schicksal, mein lieber Sohn! das uns da zusammengeführt hat. Ich sehe in dir den civilisirten Menschen, der sich selbst zum Wilden gemacht hat; du siehst in mir den Wilden, welchen der große Geist, ich weiß nicht, in welcher Absicht, zu civilisiren bedacht war.
Wir haben von zwei ganz entgegengesetzten Seiten die Bahn des Lebens betreten; du hast dich an meine Stelle gesetzt, ich mich an die deinige; daher müssen wir auch eine durchaus verschiedene Ansicht von den Dingen haben. Wer von uns Beiden hat bei diesem Tausch nun wohl am meisten gewonnen, und wer hat verloren dabei? Das wissen die Genien, deren Letzter schon weiser ist, als die Weisesten unter den Sterblichen zusammengenommen.
Im nächsten Blumenmonate werden es siebenmal zehn und drei Schneezeiten sein, daß meine Mutter mich an den Ufern des Meschacebe gebar. Die Spanier hatten sich seit Kurzem in der Bai von Pensacola niedergelassen, aber kein Weißer bewohnte noch Louisiana. Ich zählte kaum siebenzehn Herbste, als ich mit meinem Vater, dem Krieger Outalissi, gegen die Musoculgen, ein mächtiges Volk der Floriden, auszog. Wir vereinigten uns mit den Spaniern, unsern Bundesgenossen, und der Kampf fand statt an einem Seitenarm der Maubila. Areskouie und die Manitous waren uns nicht günstig. Die Feinde gingen als Sieger aus der Schlacht hervor, mein Vater verlor das Leben, und ich selbst erhielt zwei schwere Wunden, indem ich im Kampfe für ihn stritt. O warum stieg ich damals nicht in das Land der Geister, in die Nacht der Unterwelt hinab! Dann wäre ich all den Unglücksfällen entgangen, die meiner noch auf der Erde warteten. Die Geister wollten es anders; ich ward von den Flüchtigen bis nach St. Augustin mit fortgerissen.
In dieser von den Spaniern unlängst erst erbauten Stadt kam ich in Gefahr, nach den Bergwerken von Mexiko geschleppt zu werden; ein alter Castilianer jedoch, von meiner Jugend und Einfalt gerührt, bot mir eine Freistatt an, und gab mich zu einer Schwester, mit welcher er lebte, in Kost und Pflege, denn er selbst war weib- und kinderlos.
Die zwei guten Menschen faßten eine wahrhaft zärtliche Neigung für mich; sie erzogen mich mit vieler Sorgfalt und gaben mir Lehrmeister jeder Art und jedes Fachs. Allein kaum hatt' ich dreißig Monden in St. Augustin verlebt, als mich ein Ueberdruß am Stadtleben ergriff; ich welkte sichtbar dahin: bald stand ich stundenlang regungslos da und heftete meine Blicke auf die Wipfel der fernen Waldungen; bald saß ich am Strand eines Stromes, den ich mit trauernder Seele seine Wogen dahinwälzen sah. Ich dachte und sehnte mich in die Wälder zurück, durch welche er gezogen war, und all meine Gedanken flogen der Wildniß des Urwalds zu.
Da ich der Sehnsucht, in meine Einsamkeit zurückzukehren, nicht länger mehr zu widerstehn vermochte, trat ich eines Morgens, im Anzuge eines Wilden, vor Lopez hin, in einer Hand Bogen und Pfeile, in meiner andern die europäischen Kleider. Ich gab sie meinem edeln Beschützer zurück, indem ich unter einem Strom von Thränen zu seinen Füßen sank. Ich gab mir die häßlichsten Namen, ich klagte mich selbst des Undanks an. Endlich sagte ich zu ihm: Du siehst es selbst, mein guter Vater, ich muß sterben, wenn ich nicht bald zur freien Lebensart der Indianer zurückkehre.
Lopez, im höchsten Grade überrascht, suchte mich von meinem Plan zurückzubringen. Er machte mich auf die Gefahr aufmerksam, von neuem unter die Musoculgen zu gerathen. Als er mich jedoch zum Aeußersten entschlossen sah, brach er in helle Thränen aus, drückte mich an die Brust und rief: So kehre denn, du Sohn der Natur, in jene Freiheit zurück, die Lopez dir nicht rauben will! – Wenn ich jünger wäre, ich selbst zöge mit dir in die Wildniß, die auch für mich süße Erinnerungen hat. Bist du in deinen Wäldern, so gedenke dann und wann freundlich des alten Spaniers, der dir Gastfreundschaft gewährte, und erinnere dich, damit dir deine Mitmenschen recht werth und theuer werden, daß die erste Erfahrung, die du vom menschlichen Herzen gemacht hast, ihm zur Ehre gereicht. Lopez schloß mit einem Gebete zu dem Gott der Christen, an den ich nicht glaubte, weßhalb ich denn auch nicht Christ geworden war, und schluchzend schieden wir von einander.
Die Strafe für dieses mein undankbares Benehmen gegen meinen Wohlthäter blieb nicht aus; in meiner Unerfahrenheit kam ich in den Wäldern vom rechten Wege ab, und bald sah ich mich, wie er es damals vorhergesehen, von einer Schaar umherstreifender Musoculgen und Siminolen gefangen. An meinem Anzug und an den Federn, die mein Haupt schmückten, erkannten sie mich auf der Stelle als einen Natsche. Man fesselte mich, wenn auch, meiner jungen Jahre wegen, nur leicht. Simaghan, der Anführer des kleinen Zugs, verlangte meinen Namen zu wissen. Mein Name ist Schakta, antwortete ich ihm, und ich bin der Sohn Outalissis, des Sohnes Miscous, welche den musoculgischen Helden unzählige Schädelhäute geraubt haben. Simaghan erwiderte: Schakta, Sohn Outalissis, des Sohnes Miscous, freue dich nur! du stirbst den Tod auf dem Scheiterhaufen beim Hauptlager unseres Stammes. – Gut, versetzte ich darauf, und stimmte mein Sterbelied an.
Obwohl ich Gefangener war, konnte ich mich doch während der ersten Tage nicht enthalten, meine Feinde zu bewundern. Der Musoculge, und noch mehr der Siminole, sein Bundesgenosse im Kriege, ist voll Fröhlichkeit und Liebeslust, voll Ruhe und Heiterkeit des Gemüths. Sein Gang ist leicht und anmuthig, die Art seines Umgangs mit Andern hat etwas Offenes und Herzliches. Er spricht viel und mit Geläufigkeit, seine Sprache ist wohllautend und fließend. Selbst das Alter kann den Saschems ihre natürliche Munterkeit nicht rauben; wie die greisen Vögel unserer Wälder, mischen sie ihre Lieder in die des jungen Nachwuchses.
Die Weiber und Jungfrauen, welche den Zug mitmachten, waren voll zarter, inniger Theilnahme gegen mich und meine jungen Jahre, und verbanden damit eine liebenswürdige Neugierde. Sie forschten mich aus über meine Mutter, über meine ersten Lebenstage; sie wollten wissen, ob meine Wiege aus Moos an den blühenden Zweigen des Ahorns gehangen habe; ob mich die Winde darin neben den Nestern junger Vögel geschaukelt? Dann kamen noch eine Unzahl anderer Fragen nach dem Zustande meines Herzens, wie zum Beispiel, ob ich wohl schon eine schneeige Hindin in meinen Träumen gesehen, ob mir die Bäume des geheimen Thales bereits zugerauscht, daß ich lieben möge. In meiner Unschuld antwortete ich den jungen Mägdlein wie den verheiratheten Frauen; ich sprach zu ihnen: Ihr seid die Huldinnen des Tages, und die Nacht liebt euch, wie den Thau. Der Mensch geht aus euerm Schooß hervor, um an euern Brüsten, an euern Lippen zu hangen; ihr wißt die Zauberworte, welche jeden Schmerz der Erde einschläfern. Das hat mir Die gesagt, die mich gebar, und die mich nie wieder sehen wird. Sie hat mir unter Anderm gesagt: Die Jungfrauen sind geheimnißvolle Blumen, die man an einsamen Orten pflückt. Diese Lobsprüche machten den Frauen viel Vergnügen; sie überhäuften mich mit Geschenken; sie brachten mir die Milch der Nüsse, Ahornzucker, Maiskuchen, Bärenschinken, Biberfelle, Muscheln, um mich zu schmücken, und Moos für mein Lager. Sie sangen und lachten mit mir, und dann weinten sie wieder, wenn sie daran dachten, daß mich ein so schrecklicher Tod erwartete.
In einer Nacht, in welcher die Musoculgen ihr Lager am Saum eines Waldes aufgeschlagen hatten, saß ich mit dem Jäger, der mich bewachte, am Feuer des Krieges. Plötzlich vernahm ich das Rauschen eines Gewandes im Grase, und eine halbverschleierte weibliche Gestalt setzte sich neben mich hin; ihre Wimpern waren mit Thränen benetzt; bei dem Schein der Flamme blitzte ein kleines goldenes Kreuz an ihrem Busen. Sie war von regelmäßiger Schönheit; auf ihrem Gesichte lag ein Ausdruck von holder Züchtigkeit und Leidenschaft, dessen Zauber unwiderstehlich war. Dazu kam eine unendliche Lieblichkeit und Anmuth; inniges Gefühl und süße Schwermuth sprachen aus ihren Blicken; ihr Lächeln war himmlisch.
Ich glaubte, es wäre die Jungfrau des letzten Liebesglücks, jene Jungfrau, die man dem Kriegsgefangenen zuschickt, um ihm den Tod süß und lieblich zu machen. In diesem Glauben sagte ich mit leisem Stammeln und mit einer Art von Schauer, der doch nicht von der Furcht vor dem Scheiterhaufen herrührte: Jungfrau, du bist des ersten Liebesglücks werth, und zu gut für das letzte. Die Regungen eines Herzens, das bald seinen letzten Schlag gethan haben wird, würden die Wallungen des deinigen nur schlecht erwidern. Welches Recht hat der Tod an ein blühendes Leben wie das deine? Du würdest mich das Tageslicht zu schmerzlich bedauern lassen. Möge ein Anderer glücklicher sein als ich, und mögen ewige Umarmungen die Liane mit der Eiche vermählen!
Die Indianerin sagte hierauf: Ich bin nicht die Jungfrau des letzten Liebesglücks. Bist du ein Christ? – Ich antwortete: Ich habe die Genien meines Heimatlands nicht verrathen. Bei diesen Worten machte sie eine unwillkürliche Bewegung. Sie sprach zu mir: Ich beklage dich, daß du so ein unglücklicher Götzendiener bist. Meine Mutter hat mich zur Christin gemacht; mein Name ist Atala, und ich bin die Tochter Simaghans, des Anführers dieses kriegerischen Stammes. Wir ziehen nach Apalachukla, wo du den Scheiterhaufen besteigen wirst. – Bei diesen Worten erhebt sich Atala und entfernt sich.
Hier war Schakta genöthigt, seine Erzählung zu unterbrechen; ein Heer von Erinnerungen drängte sich in seine Seele; seine erloschnen Augen benetzten die eingefallenen Wangen mit Thränen: – so...




