de Boni / Lauper Nur Flausen im Kopf? - Jugendliche verstehen (E-Book)
2. Auflage 2013
ISBN: 978-3-03905-903-4
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Was Lehrpersonen, Ausbildende und Eltern wissen sollten
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Reihe: hep praxis
ISBN: 978-3-03905-903-4
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
In die Adoleszenz fallen die heftigsten Stürme und Krisen, die ein Mensch in seinem Leben durchlebt. Es gilt, sich aus der Herkunftsfamilie zu lösen, neue soziale Rollen zu übernehmen und eigenständige Beziehungen aufzubauen, ein eigenes Wertesystem zu finden, Körper und Sexualität, Liebe und Partnerschaft zu erkunden, sich in der Arbeitswelt zurechtzufinden usw. Hinzu kommt, dass ausgerechnet in dieser Phase der Neuorientierung im menschlichen Hirn massive Umbauprozesse stattfinden. Kein Wunder also, dass Jugendliche oft selbst kaum wissen, wer sie sind und was sie treibt, und dass sie manchmal Verhaltensweisen zeigen, die für Erwachsene unverständlich bleiben. Mit diesem Buch tragen die Autorin und der Autor, ausgewiesene Fachleute für Jugendfragen, zu einem besseren Verständnis von jugendlichem Verhalten bei, wobei sie sich u.a. auf die jüngsten Erkenntnisse der Neurowissenschaften stützen. Das Buch enthält zahlreiche hilfreiche Praxisinstrumente – Beobachtungschecklisten, Ratschläge für die Gesprächsführung und vieles mehr.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
3 Die Bedeutung der Familie im Jugendalter
Der Einfluss des Familienhintergrundes auf den Lern- und Berufserfolg ist nicht zu unterschätzen, er bleibt auch im Jugendalter sehr wichtig. Die Familie der Lernenden ist immer eine wichtige Ressource, die von Lehrpersonen und Ausbilder/innen nach Möglichkeit genutzt werden sollte. Umgekehrt gilt es allerdings auch, mit Defiziten in diesem Bereich umzugehen. Familie und Ausbildungserfolg
Ob Jugendliche eine Ausbildung mit Erfolg bestehen, hängt wesentlich von ihrer Familiensituation ab, wie verschiedene Studien zeigen. Eine förderliche und unterstützende familiäre Situation wirkt sich nicht nur auf die schulischen Leistungen aus, sondern auch auf Motivation und Selbstbewusstsein der Jugendlichen. Dies gilt nicht nur für die Grundschule und die Sekundarstufe I , sondern auch für die nachobligatorische Bildung, die Sekundarstufe II. Der Effekt einer positiven Lernatmosphäre in der Familie zeigt sich also noch in einer Phase, in der sich die Jugendlichen schon recht stark von der Familie ablösen, außerfamiliäre Beziehungen pflegen und meist schon als »Erwachsene« empfunden werden. Nach einer Studie von Neuenschwander u. a. (2007) spielen für den Erfolg Jugendlicher (oder junger Erwachsener) die folgenden familiären Faktoren eine wichtige Rolle: • Die Eltern sollten ihre Erwartungen an die Kinder offen und klar mitteilen. • Sie sollten diese Erwartungen dabei realistisch einschätzen, damit ihr Kind nicht überfordert wird. • Es ist für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wichtig, dass sie mit ihren Eltern über das, was sie beschäftigt, reden können, und dass die Eltern ihnen zuhören, ohne gleich mit Ermahnungen anzukommen. • Jugendliche wollen Freiräume. Die sollte man ihnen gewähren, aber ohne sie alleinzulassen. • Freiräume werden am besten von Zeit zu Zeit neu ausgehandelt. • Ein ausgewogener Erziehungsstil ohne allzu viel Autorität, aber mit klaren Grenzen und Verbindlichkeiten unterstützt die Entwicklung der Jugendlichen sehr. Erziehungsbereiche und Lernfelder nicht vermischen
Im Bereich der Volksschule nimmt seit einiger Zeit die Tendenz zu, sich in andere Erziehungsbereiche einzumischen: Eltern wehren sich mithilfe von Juristen gegen als »ungerechtfertigt« empfundene Noten und Versetzungsentscheidungen. Solche Einmischung gereicht den Kindern nicht zum Guten. Sie lernen so u. a., dass Systemübergriffe in Ordnung sind und zu Vorteilen führen. Damit lernen sie auf jeden Fall das Falsche, wenn man eine angemessene Sozialisierung zum Ziel hat. Eine Schulklasse ist ein »soziales Biotop« (Fend), ein eigenständiges soziales Erfahrungsfeld. Man sollte es nicht mit außerschulischen Bereichen vergleichen oder gar vermischen. Ähnliches gilt für einen Betrieb. Aus dieser Sicht halten wir es für sinnvoll, wenn sich alle an der Erziehung beteiligten Personen – egal, ob Eltern, Ausbildende oder Lehrpersonen – auf die eigene Erziehungsumgebung konzentrieren. Im Bereich des pädagogischen Führens und des Unterrichtens sind es klar die Lehrpersonen, die über professionelles Wissen und Geschick verfügen. Schule und Familie sind getrennte Welten mit ihrer eigenen Beziehungsdynamik (Fend 2005). Die Familiensituation und die Beziehung zu den Eltern wirken sich nur indirekt auf die Beziehung der Jugendlichen zu ihren Klassenkameraden aus. Jugendliche, die ihre Beziehung zu den Eltern positiv erleben, haben zum Beispiel bessere Beziehungen zu anderen Lernenden, sie sind sozialer eingestellt, hilfsbereiter und verfügen über ein stärker entwickeltes Verantwortungsbewusstsein. Sie sind auch sozial kompetenter und können soziale Situationen besser einschätzen und verstehen. Hier zeigt sich die Familie als Ressource: Was im Rahmen der Familie gelernt wurde und in der Gesellschaft taugt, schafft Kompetenz. Es ist für die Jugendlichen wichtig, dass die verschiedenen sozialen Kontexte wie Schule, Familie, Ausbildungsbetrieb und Gleichaltrigengruppe nicht vermischt, sondern als eigenständige Lernumfelder wahrgenommen werden. Dies bezieht sich auf das pädagogische Vorgehen und nicht auf den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Erziehungsbereichen. Ein Austausch von Erfahrungen, Beobachtungen und Informationen ist grundsätzlich wertvoll. Die »interdisziplinäre« Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule kann selbst in der Sekundarstufe II sinnvoll und hilfreich sein – dann zum Beispiel, wenn sich ein Jugendlicher in einer kritischen Phase befindet (z.B. Substanzenmissbrauch, problematische Arbeitshaltung usw.), die das gemeinsame Suchen nach Lösungen sinnvoll macht. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrpersonen bei den Jugendlichen nicht zu einem Kompetenzzuwachs führt, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern nur zu einer Erhöhung der Verbindlichkeiten: dass etwa klare Absprachen einzuhalten und Hausaufgaben zu erledigen sind. Im Gegensatz dazu ist ein anregendes und stimulierendes Elternhaus einer der wichtigsten Faktoren für gute Schulleistungen und das Gelingen einer Ausbildung. Familiäre Lerntypen und Erziehungsstile und ihr Einfluss auf schulische Leistungen und Motivation
Das unterschiedliche Lernmilieu in den Familien kommt auch in unterschiedlichem Schulverhalten zum Ausdruck. Neuenschwander et al. (2007) unterscheiden vier familiäre Lerntypen. Wie sie sich auf das schulische Verhalten und die Leistungen auswirken, zeigt die folgende Tabelle: Neuenschwanders Ergebnisse werden von einer Studie im Rahmen eines nationalen Forschungsprogramms bestätigt. Alain Clémence (2006) hat drei Erziehungsstile und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung Jugendlicher untersucht: den autoritären, den antiautoritären und den autoritativen Erziehungsstil. Autoritärer und antiautoritärer Stil wirken sich beide vergleichsweise negativ aus. Ein autoritativer Erziehungsstil (angemessene Führung und Lenkung, wobei die Eltern die Jugendlichen bei wichtigen Entscheidungen miteinbeziehen) hingegen bewirkt unter anderem, dass die Selbstachtung der Jugendlichen wächst und sie sich schneller und besser in neue soziale Umgebungen integrieren können. Wenn die Eltern ihre Autorität einseitig ausüben (autoritärer Führungsstil), gibt es kein Mitspracherecht für die Jugendlichen, sie werden zu streng überwacht, ihre Selbstachtung nimmt ab. Clémence plädiert deshalb gegen eine überstrenge, autoritäre Erziehung. Eltern sollen angemessen führen, und sie sollen vor allem auch in schwierigen Situationen immer den Dialog mit den Kindern aufrechterhalten. Familiäre Autoritätsbeziehungen, Schule und Ausbildung
Eltern regeln ihre Autoritätsbeziehung zu ihren Kindern oft sehr individuell und spontan aus der Situation heraus; dennoch lassen sich typische Muster erkennen. Schultheis et al. (2008) unterscheidet vier Verhaltensformen, wie Eltern ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen und durchsetzen: • Sie können sich nach bestehenden Regeln ausrichten und diese einfordern (konformistisch). • Sie können mit ihren Kindern aber auch Vereinbarungen treffen und Handlungsspielräume aushandeln (kontraktuell). • Eltern können mit ihren Kindern eine sehr stark emotionale Beziehung eingehen (expressiv). • Oder sie können den Jugendlichen viel Autonomie gewähren (autonom). Erfahrungen der Jugendlichen, wie ihre Eltern mit der Erziehungsverantwortung umgehen und welche Autoritätsbeziehungen in der Familie herrschen, wirken sich oft unmittelbar auf alle ihre außerfamiliären Beziehungen aus. Bestimmte Erziehungsstile bieten offenbar gute Voraussetzungen, um kommende Anforderungen leichter zu meistern, andere Stile weniger. Dabei sind Schule und Lehrbetrieb wohl die wichtigsten Kontexte, in denen sich ein Erziehungsmuster bewähren muss. Erziehungsstile prägen den Umgang mit Lernen und Wissen und deren Vermittlern, aber auch die prosoziale (sozial positive) Verhaltensweise von Jugendlichen auf eine Weise, die für das erfolgreiche Bestehen einer Ausbildung von entscheidender Bedeutung ist. Die Typen elterlicher Autoritätsbeziehungen (hier nach Schultheis et al.) und ihre Auswirkungen auf Unterricht und Ausbildung, mit denen sich Lehrpersonen und Ausbildungsverantwortliche konfrontiert sehen, sind in Abbildung 3-3 dargestellt. Erziehungsstil und Gesundheitsverhalten
Selbst das Gesundheitsverhalten der Jugendlichen hängt mit dem elterlichen Erziehungsstil zusammen – das wurde im Rahmen einer Studie mit 20-Jährigen in der Schweiz untersucht (Gutzwiller et al. 2007). Verglichen wurden wiederum vier Erziehungsstile, der »reife«, der »naive«, der »paradoxe« und der »gleichgültige« Erziehungsstil. Dabei zeigte sich, dass sich der paradoxe und der gleichgültige Erziehungsstil auf die Entwicklung der Jugendlichen am ungünstigsten auswirkten. Allerdings hat sich das Erziehungsverhalten der Eltern im untersuchten Zeitraum zwischen 1993 bis 2003 verändert. Ungünstige Erziehungsstile haben viel an Terrain eingebüßt, während sich der reife Erziehungsstil verbreitete. Je nachdem, wie der Erziehungsstil von den Jugendlichen wahrgenommen wurde, war ihr Gesundheitsverhalten merklich anders, und zwar sowohl in Bezug auf Suchtmittelgebrauch als auch bei der psychischen Stabilität. Wie wichtig die Eltern nicht nur für die Kinder und ihre Entwicklung,...