E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten
Reihe: Colomba Caselli
Dazieri Schwarzer Engel
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-99006-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten
Reihe: Colomba Caselli
ISBN: 978-3-492-99006-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Panik auf dem Hauptbahnhof in Rom: Im Luxusabteil des Schnellzugs aus Mailand werden alle Passagiere tot aufgefunden: auf mysteriöse Weise ermordet, hinter verschlossenen Türen, lautlos und rasend schnell. Colomba Caselli, die gerade wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt ist, ist ratlos. Handelt es sich hier etwa um den Terroranschlag, den Rom schon so lange befürchtet? Doch der so geniale wie traumatisierte Dante Torre glaubt nicht an diese Theorie. Da stoßen Dante und Colomba auf die Spur eines Menschen, der jahrzehntelang unsichtbar geblieben ist – obwohl das Blut Hunderter Menschen an seinen Fingern klebt. Hat er auch die Toten aus dem Schnellzug auf dem Gewissen?
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1 Der Tod erreichte Rom zehn Minuten vor Mitternacht, mit einem Hochgeschwindigkeitszug aus Mailand. Er fuhr in die Stazione Termini ein, hielt an Gleis 7 und spuckte etwa fünfzig Fahrgäste mit leichtem Gepäck und müden Gesichtern aus. Sie zerstreuten sich rasch, um die letzte U-Bahn zu erwischen oder zum Taxistand zu gehen, während im Zug die Lichter erloschen. Aus der luxuriösen Executive Class war erstaunlicherweise niemand ausgestiegen – die pneumatischen Türen waren noch geschlossen –, und ein schläfriger Zugführer öffnete sie von außen, um nachzuschauen, ob vielleicht jemand eingeschlafen war. Das hätte er besser bleiben lassen. Sein Verschwinden wurde zwanzig Minuten später bemerkt, weil ein Mitarbeiter der Bahnpolizei in einer marokkanischen Bar auf den Zugführer gewartet hatte, um nach Ende der Schicht ein Bierchen mit ihm zu trinken. Sie waren nicht direkt Freunde, aber bei ihren gelegentlichen Begegnungen zwischen den Gleisen hatten sie ein paar Gemeinsamkeiten entdeckt, darunter ihre Leidenschaft für denselben Fußballverein und für Frauen mit ausladenden Hinterteilen. Der Polizist stieg in den Waggon und sah seinen Trinkkumpan mit angezogenen Knien im Verbindungsgang liegen, die Augen weit aufgerissen und die Hände am Hals, als wolle er sich eigenhändig erwürgen. Aus seinem Mund war ein Blutfaden gelaufen, der auf dem rutschfesten Teppichboden eine Pfütze hinterlassen hatte. Der Polizist dachte unwillkürlich, dass er noch nie einen toteren Toten gesehen hatte, aber er legte trotzdem die Finger an seinen Hals, um den Puls zu suchen, den er nicht finden würde. Ein Herzinfarkt vielleicht, überlegte er. Nun hätte er sich im Zug umschauen können, aber es galt, gewisse Regeln zu beachten und Ärger zu vermeiden. Daher kehrte er sofort auf den Bahnsteig zurück und rief in der Zentrale an, damit sie jemanden von den zuständigen Polizeibehörden schickten und den diensthabenden Staatsanwalt verständigten. Den Rest des Waggons und das, was er enthielt, bekam er nicht zu Gesicht. Er hätte nur den Arm ausstrecken und die automatische Milchglastür zurückgleiten lassen müssen, um sein Schicksal und das der Leute, die nach ihm eintrafen, zu verändern, aber das kam ihm nicht in den Sinn. Die Untersuchung übernahm daher jemand aus der dritten Abteilung der Squadra Mobile – die von allen außer den Polizisten selbst Mordkommission genannt wurde –, eine Frau, die nach langer Rekonvaleszenz und einer Reihe unglücklicher Begebenheiten, die über Monate hinweg für Gesprächsstoff in den Talkshows gesorgt hatten, in den Dienst zurückgekehrt war. Sie hieß Colomba Caselli, und vor Ort hielt man ihr Erscheinen für einen Glücksfall. Sie selbst tat es nicht.
2 Colomba traf um Viertel vor eins in einem Dienstwagen an der Stazione Termini ein. Am Steuer saß Massimo Alberti, siebenundzwanzig Jahre alt, aber mit seinen Sommersprossen und den hellen Haaren würde er auch im Alter noch wie ein Junge aussehen. Colomba selbst war dreiunddreißig, ihre grünen Augen, die sich je nach Stimmung anders färbten, wirkten jedoch deutlich älter. Die schwarzen Haare hatte sie im Nacken straff zusammengebunden, was die ausgeprägten, eher orientalischen Wangenknochen, die sie von einem Vorfahren aus irgendwelchen ominösen Zeiten geerbt hatte, noch stärker hervortreten ließ. Sie stieg aus und ging zu dem Gleis, an dem der Zug aus Mailand stand. Vier Beamte der Bahnpolizei warteten dort. Zwei saßen in einem dieser albernen zweisitzigen Elektroautos, die die Polizei im Bahnhof benutzte, die anderen beiden standen neben der Verbindungskupplung des Zugs. Alle waren jung, und alle rauchten. Nicht weit entfernt hatten sich Schaulustige versammelt und fotografierten mit ihren Handys; ein Grüppchen von etwa zehn Leuten, darunter Reinigungskräfte und Sanitäter, war in eine leise Diskussion vertieft. Colomba zückte ihren Dienstausweis und stellte sich vor. Einer der Polizisten kannte sie aus der Zeitung und setzte das übliche dumme Grinsen auf. Sie tat so, als bemerke sie es gar nicht. »Welcher Waggon?«, fragte sie. »Der erste«, antwortete der Kollege mit dem höchsten Dienstgrad, während sich die anderen hinter ihn stellten, als benutzten sie ihn als Schutzschild. Colomba versuchte, durch die dunklen Zugfenster zu schauen, konnte aber nichts erkennen. »Wer von Ihnen war drin?« Sie wechselten verlegene Blicke. »Ein Kollege, aber der hat schon Schichtende«, sagte der Polizist von zuvor. »Aber er hat nichts angefasst, er hat sich nur umgeschaut. Wie wir, vom Gleis aus«, meinte ein anderer. Colomba schüttelte verärgert den Kopf. Ein Leichenfund bedeutete, dass man sich die Nacht um die Ohren schlagen musste, bis Staatsanwaltschaft und Gerichtsmedizin mit ihrer Arbeit fertig waren und man selbst einen Haufen Papierkram erledigt hatte. Da wunderte es kaum, dass sich der Kollege verdrückt hatte. Sie könnte sich bei seinen Vorgesetzten beschweren, aber sie hatte auch keine Zeit zu verschwenden. »Weiß man, wer es ist?«, fragte sie, als sie die Latexhandschuhe und die blauen Plastiküberschuhe anzog. »Er heißt Giovanni Morgan und gehörte zum Team der Zugbegleiter«, sagte der mit dem höchsten Dienstgrad. »Haben Sie schon die Angehörigen verständigt?« Noch mehr verlegene Blicke. »Okay, vergessen Sie’s.« Colomba nickte Alberti zu. »Hol die Taschenlampe aus dem Wagen.« Er ging los und kam mit einer Maglite-Stabtaschenlampe aus schwarzem Metall wieder. Sie war einen halben Meter lang und wirkte wie ein besserer Gummiknüppel. »Soll ich mit reinkommen?« »Nein, bleib hier, und halte die Schaulustigen in Schach.« Colomba meldete an die Zentrale, dass sie nun den Tatort betrete. Wenig später suchte sie, wie auch schon ihr Vorgänger, den Puls am Hals des Zugführers, um ihn, wie auch schon ihr Vorgänger, nicht zu finden. Die Haut des Toten war feuchtkalt. Als sie in der Zentrale nachfragte, ob der Gerichtsmediziner und der diensthabende Staatsanwalt schon unterwegs seien, registrierte sie einen eigentümlichen Geräuschteppich im Hintergrund. Sie hielt die Luft an, als ihr aufging, dass es sich nur um mindestens ein halbes Dutzend klingelnder Handys handeln konnte, eine Kakofonie aus Signaltönen und Vibrationen, die direkt hinter der Tür zur Executive Class erklang, der Klasse mit den echten Ledersesseln und den vorgekochten Gerichten eines aus dem Fernsehen bekannten Spitzenkochs. Durch die Milchglastür sah Colomba die blinkenden grünlichen Lichter der Handydisplays, die lange, tanzende Schemen produzierten. So viele Handys konnten unmöglich vergessen worden sein, aber die einzige Erklärung, die ihr in den Sinn kam, war zu ungeheuerlich, um wahr zu sein. Doch sie war es, wie Colomba sofort begriff, als sie die Tür gewaltsam aufschob und ihr der Gestank von Blut und Exkrementen entgegenschlug. Die Fahrgäste der Executive Class waren alle tot.
3 Colomba richtete den Strahl der Taschenlampe in den Waggon. Er fiel auf die Leiche eines Fahrgasts um die sechzig in einem grauen Anzug. Der Mann war zu Boden geglitten; seine Hände steckten zwischen den Schenkeln, der Kopf war zurückgeworfen. Das Blut, das aus seinem Mund gespritzt war, bedeckte sein Gesicht wie eine Maske. Was zum Teufel ist hier passiert?, fragte sie sich. Vorsichtig ging sie weiter und achtete darauf, nichts zu berühren. Hinter der ersten Leiche folgte ein junger Mann mit offenem Hemd und enger, weißer Hose, die mit Exkrementen besudelt war. Er lag quer im Gang, und an dem Weinglas, das ihm vors Gesicht gerollt war, klebte Blut aus seiner Nase. Zu seiner Linken saß ein alter Mann, der an seinen Platz fixiert war, weil ihm jemand seinen eigenen Spazierstock mit der Metallspitze voran in den Mund gerammt hatte. Sein Gebiss lag in einer Lache aus Blut und Erbrochenem in seinem Schoß. Zwei Männer asiatischer Herkunft in Kellnerkluft lagen auf dem Servierwagen beziehungsweise auf einer – ebenfalls toten – Frau in Kostüm und High Heels mit Zwölf-Zentimeter-Absätzen. Colomba spürte, dass sich ihre Lunge zusammenzog, und atmete tief ein. Jetzt, da sie sich langsam an die Szenerie gewöhnte, registrierte sie in all dem Gestank einen merkwürdigen süßlichen Unterton, den sie nicht zuordnen konnte. Er erinnerte sie an die Backversuche ihrer Mutter, die unweigerlich damit geendet hatten, dass der Kuchen im Ofen verbrannt war. Sie ging bis zum Ende des Waggons, wo ein Fahrgast um die vierzig in Supermanpose dalag, die rechte Faust vorgereckt, den linken Arm an den Körper gepresst. Colomba trat an ihm vorbei und warf einen Blick in die Toilette: Ein Mann und eine Frau, Ersterer in der orangefarbenen Uniform der Reinigungskräfte, waren auf dem Boden zusammengesackt, die Beine ineinander verschlungen. Die Frau war mit dem Kopf gegen das Waschbecken geknallt, sodass Blut und Haare am Beckenrand klebten. In diesem Moment meldete sich Colombas Funkgerät zu Wort. »Ihr Fahrer will wissen, ob er in den Zug einsteigen kann«, krächzte die Zentrale. »Nein, ich melde mich selbst bei ihm. Ende«, sagte sie mit fast normaler Stimme und rief Alberti dann auf dem Handy an. »Was ist?« »Dottoressa … hier sind Leute, die auf irgendwelche Personen warten … Angeblich sollen sie in diesem Zug gewesen sein.« »Warte.« Colomba öffnete die Tür zum nächsten Waggon und warf einen Blick in die Businessclass. Sie war leer, ebenso wie die nächsten Wagen. Sicherheitshalber ging sie bis zum Ende durch und kehrte dann zurück. »Sollten sie in der Executive Class sitzen?« »Ja, Dottoressa.« »Wenn du in ihrer Nähe stehst,...