E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Díaz Und so verlierst du sie
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-10-402705-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-10-402705-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Junot Díaz ist der Autor der Storysammlung ?Abtauchen? und des Romans ?Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao?, für den er den Pulitzer-Preis erhielt. 2012 wurde Díaz das MacArthur »Genius« Fellowship verliehen, das amerikanische Bürger mit besonderen Verdiensten großzügig unterstützt. Junot Díaz wurde 1968 in der Dominikanischen Republik geboren und kam als Kind in die USA - genau wie sein Alter Ego Yunior, der Erzähler all seiner Bücher. Literaturpreise: Pulitzer-Preis 2008 National Book Critics' Circle Award 2008 MacArthur Fellowship 2012 (»Genius Award«, 500.000 Dollar verteilt über 5 Jahre für Amerikaner mit besonderen Verdiensten)
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DIE SONNE, DER MOND, DIE STERNE
Ich bin kein schlechter Kerl. Das klingt wie eine Ausrede, irgendwie gewissenlos, ich weiß, aber es stimmt. Ich bin wie alle anderen: schwach, voller Fehler, aber im Grunde gut. Magdalena sieht das allerdings anders. Sie hält mich für einen typischen Dominikaner: ein sucio, ein Arschloch. Vor vielen Monaten, als Magda noch meine Freundin war, als ich noch nicht bei fast allem aufpassen musste, habe ich sie nämlich mit dieser Kleinen betrogen, die so eine explodierte Achtziger-Jahre-Mähne hatte. Habe Magda auch nichts davon erzählt. Ihr kennt das ja. So einen stinkenden Knochen vergräbt man besser weit hinten im Garten seines Lebens. Magda hat es nur rausbekommen, weil das Mädel ihr einen beschissenen geschrieben hat. Und in dem Brief standen . Zeug, das man seinen Kumpels nicht mal betrunken erzählen würde.
Dabei war dieser spezielle Anfall von Blödheit schon seit Monaten vorbei. Mit Magda und mir ging es bergauf. Wir waren uns nicht mehr so fremd wie in dem Winter, in dem ich sie betrogen habe. Die Eiszeit war vorüber. Sie kam vorbei, und statt mit meinen schwachsinnigen Freunden abzuhängen, ich am Rauchen, sie zu Tode gelangweilt, sahen wir uns Filme an. Fuhren mal hierhin und mal dahin zum Essen. Haben uns sogar ein Theaterstück im Crossroads angesehen, und ich habe sie zusammen mit ein paar großen Nummern fotografiert, schwarzen Dramatikern, und sie strahlt auf den Bildern so breit, dass man fast Angst hat, sie könnte sich den Kiefer ausrenken. Wir waren wieder ein Paar. Haben an den Wochenenden zusammen unsere Familien besucht. Sind ins Diner frühstücken gegangen, Stunden, bevor alle anderen auf waren, haben die Bibliothek von New Brunswick durchstöbert, die Carnegie spendiert hat, um sein Gewissen zu beruhigen. Wir hatten einen guten Rhythmus gefunden. Aber dann schlägt dieser Brief ein wie eine Star-Trek-Granate und sprengt alles in die Luft, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Plötzlich will ihre Familie mich umbringen. Dass ich ihnen zwei Jahre hintereinander bei den Steuern geholfen habe und ihren Rasen mähe, ist egal. Ihr Vater, der mich wie seinen hijo behandelt hat, beschimpft mich am Telefon als Arschloch, er klingt, als würde er sich mit der Schnur erwürgen. Du verdienst nicht, dass ich spreche Spanisch mit dir, sagt er. Ich laufe in der Woodbridge Mall einer von Magdas Freundinnen über den Weg – Claribel, der Ecuadorianerin mit dem Abschluss in Biologie und den chinita-Augen –, und sie behandelt mich, als hätte ich jemandes Lieblingskind gefressen.
Wie es mit Magda gelaufen ist, wollt ihr gar nicht hören. Als wären fünf Züge ineinandergekracht. Sie schleuderte mir Cassandras Brief entgegen – er verfehlte mich und landete unter einem Volvo –, und dann setzte sie sich auf den Bordstein und bekam kaum noch Luft. O Gott, hat sie gejammert. O mein Gott.
An dieser Stelle, behaupten meine Jungs, hätten sie den ganzen Scheiß abgestritten. Cassandra? Welche Cassandra? Mir war so schlecht, dass ich es nicht mal versuchen konnte. Ich habe mich neben sie gesetzt, ihre fuchtelnden Arme festgehalten und irgendwas Blödes gesagt, so was wie Hör mir doch mal zu, Magda. Sonst verstehst du das nicht.
Ich erzähle euch mal von Magda. Sie ist ein Original von der Bergenline Avenue: Klein, mit einer großen Klappe und breiten Hüften und dunklem, lockigem Haar, in dem man seine Hand vergraben kann. Ihr Vater ist Bäcker, ihre Mutter verkauft Kinderkleidung an der Haustür. Sie lässt sich zwar nicht verarschen, aber sie verzeiht einem vieles. Eine Katholikin. Hat mich jeden Sonntag in die spanische Messe geschleppt, und wenn einer ihrer Verwandten krank wird, vor allem die in Kuba, schreibt sie an ein Kloster in Pennsylvania und bittet die Nonnen, für ihre Familie zu beten. Sie ist der Nerd, den alle Bibliothekarinnen in der Stadt kennen, eine Lehrerin, die von ihren Schülern geliebt wird. Hat ständig Sachen aus der Zeitung für mich ausgeschnitten, dominikanisches Zeug. Wir haben uns, na, ich würde sagen, jede Woche gesehen, und trotzdem hat sie mir noch kitschige Briefchen geschickt: Damit du mich nicht vergisst. Wenn jemand es nicht verdient hatte, betrogen zu werden, dann Magda.
Jedenfalls werde ich euch nicht damit langweilen, was passiert ist, nachdem sie es herausgefunden hat. Mit dem Betteln, dem zu Kreuze kriechen, dem Weinen. Sagen wir einfach, dass wir nach zwei Wochen von diesem Programm, nachdem ich zu ihrem Haus gefahren bin, ihr Briefe geschrieben und sie nachts immer wieder angerufen habe, wieder zusammengekommen sind. Was nicht heißt, dass ich noch mal bei ihrer Familie am Tisch sitzen durfte oder ihre Freundinnen begeistert waren. Diese cabronas waren eher so, Nein, jamás, niemals. Sogar Magda war anfangs nicht gerade scharf darauf, dass wir uns wieder näherkamen, aber ich hatte die Wucht der Vergangenheit auf meiner Seite. Als sie mich fragte, Warum lässt du mich nicht in Ruhe?, habe ich ihr die Wahrheit gesagt: Weil ich dich liebe, mami. Ich weiß, das klingt wie ein Haufen Kacka, aber es ist wahr: Magda ist mein Herz. Ich wollte nicht, dass sie mich verlässt, ich wollte mir keine neue Freundin suchen, nur weil ich es einmal versaut hatte.
Glaubt nicht, es wäre ein Kinderspiel gewesen, das war es nämlich nicht. Magda ist stur; als wir zusammengekommen sind, hat sie gesagt, sie würde erst mit mir schlafen, wenn es mit uns mindestens einen Monat gehalten hat, und dabei ist sie geblieben, egal, was ich versucht habe, um ihr an die Wäsche zu gehen. Sie ist auch sensibel. Saugt den Schmerz auf wie Papier Wasser. Ihr glaubt nicht, wie oft sie gefragt hat (vor allem nach dem Vögeln), Hättest du es mir irgendwann erzählt? Das und Warum?, waren ihre Lieblingsfragen. Meine Lieblingsantworten lauteten Ja und Es war ein dummer Fehler. Ich habe nicht nachgedacht.
Manchmal haben wir sogar über Cassandra geredet, meistens im Dunkeln, wenn wir uns nicht sehen konnten. Magda fragte mich, ob ich Cassandra geliebt hätte, und ich sagte, Nein, habe ich nicht. Denkst du noch manchmal an sie? Nein. Hat es Spaß gemacht, sie zu vögeln? Süße, ehrlich gesagt war es mies. Das hört sich nie besonders glaubwürdig an, aber ihr müsst es sagen, egal, wie blöd und unwahr es klingt: sagt es.
Und als wir wieder zusammenkamen, lief es eine Weile lang wunderbar.
Aber nicht lange. Nach und nach, beinahe unmerklich verwandelte sich meine Magda in eine andere Magda. Die nicht mehr so oft bei mir übernachten wollte oder mir den Rücken kraulte, wenn ich sie darum bat. Erstaunlich, was einem da auffällt. Etwa, dass sie früher nie gesagt hat, ich soll noch mal anrufen, wenn sie gerade mit jemandem telefonierte. Ich hatte immer Vorrang. Jetzt nicht mehr. Natürlich habe ich ihren Freundinnen die Schuld an dem ganzen Mist gegeben, ich wusste genau, dass sie mich bei ihr schlechtmachten.
Sie war nicht die Einzige, die Ratschläge bekam. Meine Jungs meinten, Die kann dich doch mal, schieß die Schlampe ab, aber wenn ich es versuchte, konnte ich es nie. Ich stand so richtig auf Magda. Ich habe mich wieder voll bei ihr reingehängt, aber nichts schien zu ziehen. Jedes Mal, wenn wir ins Kino gingen, jedes Mal, wenn wir abends rumgefahren sind, jedes Mal, wenn sie doch bei mir übernachtet hat, schien sich irgendwas Negatives an mir zu bestätigen. Es fühlte sich an, als würde ich stückchenweise sterben, aber wenn ich es ansprach, meinte sie nur, ich sei paranoid.
Etwa einen Monat später fängt sie mit Veränderungen an, die einen paranoiden Nigger aufgeschreckt hätten. Schneidet sich die Haare ab, kauft besseres Make-up, trägt neue Klamotten, geht freitagabends mit ihren Freundinnen tanzen. Wenn ich sie frage, ob wir abhängen können, bin ich nicht mehr sicher, dass sie Ja sagt. Oft kommt sie mir wie Bartleby mit einem Nein, lieber nicht. Ich frage sie, was zum Teufel das hier für sie ist, und sie sagt, Genau das will ich herausfinden.
Ich weiß, was das soll. Sie will mir zeigen, dass ich in ihrem Leben auf wackligem Posten stehe. Als wüsste ich das nicht.
Dann kam der Juni. Heiße weiße Wolken hingen wie festgepappt am Himmel, Autos wurden mit Gartenschläuchen abgespritzt, Musik drang auf die Straße. Alle bereiteten sich auf den Sommer vor, sogar wir. Wir hatten Anfang des Jahres eine Reise nach Santo Domingo geplant, ein Geschenk zu unserem Jahrestag, und mussten uns entscheiden, ob wir immer noch fliegen wollten. Das Problem war schon vor einer Weile am Horizont aufgetaucht, aber ich dachte, es würde sich von selbst lösen. Als es das nicht tat, holte ich die Tickets heraus und fragte sie, Was meinst du?
Das ist mir irgendwie zu verbindlich.
Könnte schlimmer sein. Mein Gott, es ist nur ein Urlaub.
Es fühlt sich aber an wie Zwang.
Muss es aber nicht.
Ich weiß nicht, warum ich mich so daran festbeiße. Warum ich jeden Tag davon anfange und versuche, sie dazu zu überreden. Vielleicht war ich unsere Situation langsam leid. Wollte mal raus, etwas verändern. Vielleicht hatte ich mir auch eingeredet, dass zwischen uns wieder alles laufen würde, wenn sie nur sagte, Ja, wir fliegen. Hätte sie gesagt, Nein, mir ist nicht danach, hätte ich wenigstens gewusst, dass es aus war.
Ihre Mädels, unglaublich schlechte Verliererinnen, rieten ihr, sie solle die Reise noch mitnehmen und danach nie wieder mit mir reden. Sie hat mir diesen Scheiß natürlich erzählt, weil sie sich nie bremsen konnte und mir immer erzählt hat, was sie dachte. Und was hältst du von dem Vorschlag?, fragte ich sie.
Sie zuckte mit den Schultern. Wäre eine Möglichkeit.
Sogar meine Jungs meinten, Alter, das hört sich an, als würdest du für diesen Schwachsinn eine Menge Kohle raushauen, aber ich dachte echt, es...




