Davin Vollmond

Resié - dancing the alphabéat
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7568-7158-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Der Autor spaziert genau ein Jahr während der vierten Covid-Welle durch die City-West von Berlin. Gedächtnistafeln an und Stolpersteine vor den Häusern lösen eine Ideensammlung, ein Brainstorming aus, das Geistesgeschichte und Zeitgeist in einer Doppelkreuz #tagesform markiert. Es entsteht ein Gedankenstrom, der einen neuesten Gebrauch des Selbst dokumentiert und einen epochal Zeit kollaborierenden Alphabéattanz aufführt.

Hartmut Davin lebt und arbeitet in seiner Wahlheimat Berlin. Als zwanzigjähriger Student 1978 nach Berlin gezogen, verbringt er sein Leben in der Stadtgesellschaft, mit der er sich geistig und materiell verbunden weiß und fühlt.

Autoren/Hrsg.

Davin, Hartmut

Leseproben

TEIL ZWEI
28. April 2022
bis 30. Juni 2022
# 30.06.22 & fertig ist ein Regesicht # 29.06.22 der puppenjunge (Mackay) inmitten dieser sonnenatmenden erde reagiert pompös mit eigenem namen # 28.06.22 Ein weiterer Re’schritt ist nicht tunlich – mehr er’ich’selbst‘fried kann ich gar nicht. Es ist, was es ist, sagt die Klugheit und dada hinter liegt Ander/and. # 27.06.22 Suche nicht den Ausgang, finde d’einen Zugang – angewandt, zugewandt, antastbar, zugänglich, amor’al. # 26.06.22 I have planned nothing and that has kept me very busy. (Zaporah) Möglichkeitssinn am ungeteilten Horizont; Demut bis in die Endlichkeit hinein. # 25.06.22 Immer wieder – Schonheit, Scho(e) nheit, Schoénheit – Schónheit. Das ist die Form von Bildung, die es braucht, durch die Film oder Musik oder Literatur oder Performance einem helfen, soziale Phänomene zu durchleuchten oder menschliches Handeln zu verstehen. Die Bildung muss für mich immer angewandt sein, immer einer Frage oder einer Person zugewandt; sie muss antastbar und zugänglich sein. (Emcke) Bildung der Zugangsform. # 24.06.22 Regeneration, nicht Renaissance; diskrete Anthropologie. # 23.06.22 Bartholomäusnacht. Meditationen. Simplicissimus. Ja ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit, daß mir unmüglich war zu wissen, daß ich so gar nichts wußte. Ich sage noch einmal, o edles Leben, das ich damals führete, aber mein Knan wollte solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern schätzte Billich sein, daß ich meiner adelichen Geburt gemäß auch adelich tun und leben sollte. Derowegen fienge er an, mich zu höhern Dingen anzuziehen und mir schwerere Lectiones aufzugeben. (Grimmelshausen) Bar®ock, Epoche immer schon – Zeitenwende. Epoché, accent aigu, Schoénheit # 22.06.22 Dieser vierte Schritt in Richtung totaler Abstraktion – in Richtung der Nulldimensionalität – ist mit der Renaissance geleistet worden, und gegenwärtig ist er vollzogen. Ein weiterer Schritt zurück in die Abstraktion ist nicht tunlich: Weniger als nichts kann es nicht geben. Daher wenden wir uns sozusagen um 180 Grad und beginnen, ebenso langsam und mühselig, in Richtung des konkreten (der Lebenswelt) zurückzuschreiten. Daher die neue Praxis des Komputierens und Projizierens von Punktelementen zu Linien, Flächen, Körpern und uns angehenden Körpern … Diese Praxis führt zur Auflösung der Objekte und ihrer Subjekte zu Beziehungsfeldern, und die Beziehung ›Subjekt-Objekt‹ wird selbst zu einer Relation, die nichts verbindet, sondern sich als ›reine Relation‹, (›pure Intentionalität‹) darstellt. Von diesem Punkt ab muss sich unsere Praxis und unsere Einstellung überhaupt umstülpen. (Flusser) Ein Schritt zurück in die Transformation, Selbstoptimierung ist nicht tunlich. Re’schreiten fokussiert Umstülpung, Gebrauch des Selbst, Brauch, Ethos, Sitte in Richtung des Konkreten – Cisformation immer schon. Scho(e)nheit. # 21.06.22 Die großen Philosophen haben sich mit Problemen beschäftigt, die nicht mehr und nicht weniger faszinierend sind als diejenigen, die aufgeweckte 17jährige über Sinn und Bedeutung nachdenken lassen. Diese Fragen vereinen moralische und metaphysische Probleme und machen deutlich, warum beides wichtig ist. Erwachsenwerden bedeutet nicht, daß wir diese Fragen hinter uns lassen. Im Gegenteil: Wir werden uns der Tatsache bewußter, daß Zufall und Glück eine immense Rolle im menschlichen Leben spielen, und wissen nicht so recht, ob wir das bejahen oder beklagen sollen. (Neimann) Cazzo! Kraft seiner Selbstwahl ist aus dem rebellischen Engel der Prototypus selbstreferentieller Intelligenz geworden. Er ist in seine Umgebungs-Antisphäre gebannt, die bald zu Recht den Titel Umwelt tragen darf. (Sloterdijk) Cazzo!! Autorität ist jedoch in sich ein Akt der Phantasie. Sie ist kein Ding; sie ist die Suche nach der Festigkeit und Sicherheit in der Stärke anderer, die uns schließlich wie ein Ding erscheint. (Sennett) Cazzo!!! Die kürzeste Nacht im Jahr. # 20.06.22 Wo die zwei am Anfang steht, wäre es abwegig, eine Aussage darüber zu erzwingen, welcher Pol im Innern des Duals angefangen hat. Natürlich muss der Mythos sagen wollen, wie alles begann und was das Erste war hier – wie überall. Aber indem er dies im Ernst versucht, muss er nun auch von einem ursprünglichen hin und her reden, bei dem es keinen ersten Pol geben kann. Das ist der Sinn der biblischen Rede von Ebenbildlichkeit. Sie wird nicht meinen, daß der Schöpfer, ein mystischer Solo-Android gewesen wäre, der irgendwann der Laune erlag, seine Erscheinung – wem denn erscheinend? – auf irdische Körper durchzupausen; dies wäre ebenso absurd wie der Gedanke, der Gott könne sich nach der Gesellschaft von nicht-ebenbürtigen, formähnlichen Lehmfiguren gesehnt haben. Nicht die hohle Menschpuppe ist es, was die Erschaffung von Subjektivität und gegenseitiger Beseeltheit meint. Ebenbildlichkeit ist nur ein steif optisierender, ein dem Kunstwerkstättenjargon verhafteter Ausdruck für ein Verhältnis pneumatischer Gegenseitigkeit. Das intime Kommunizierenkönnen in einem primären Dual ist Gottes Patent. Es deutet nicht so sehr auf eine visuell erfahrbare Ähnlichkeit zwischen Urbild und Abbild hin als vielmehr auf die ursprüngliche Ergänzung Gottes durch seinen Adam und Adams durch seinen Gott. Hauchwissenschaft kann nur als Theorie der Paare in Gang kommen. (Sloterdijk) Die, die ich kenne, antworten nicht inhalt/ich; oder erst gar nicht. # 19.06.22 Tatsächlich gibt es Erfahrungen, bei denen schlicht nicht gesagt werden kann, welche Einstimmung Vorrang besitzt, welche logisch und chronologisch zuerst kommt. Eine dieser Erfahrungen ist die allgemeine Erfahrung Schlüssel’reiz. In meiner Innenwelt macht sich ein Gefühl breit, das ich nicht aus mir selbst habe und das re’blickend anscheinend von dieser Schoenheit da drüben an der Bushaltestelle ausgesendet wurde. die mysterien finden im hauptbahnhof statt. (Beuys) # 18.06.22 Ausdenken, aussagen, ausgehen, ausleben – aus. Redenken, resagen, regehen, releben – re. # 17.06.22 was mich immer wieder erschreckt ist die innere erfahrung, daß in der selbstbeherrschung der eigenen gefühle, des hasses, der liebe, der trauer, des freuens eine wahnsinnige gewalt, macht verborgen liegt. ich kann in diesen augenblicken der selbstbeherrschung ganz identisch und liebevoll die hand zum trost greifen, obwohl ich es von den haßgefühlen her eigentlich nicht machen würde. das gegenteil wäre der fall. ich würde nichts weiter als stille gerechtigkeit empfinden, wenn ich ihm das messer in die brust bohren würde, denn es gibt situationen, in denen ich das gefühl habe, daß tyrannenmord gesund ist. wie dicht die beiden gefühle beieinander liegen, allein durch die fähigkeit der selbstbeherrschung, ist erschreckend. # 16.06.22 Sie wurde von Gassenjungen verfolgt, die Maricona schrien und Steine nach ihr warfen. Sie rettete sich auf ein Abstellgleis und kletterte in einen stehenden Wagen. Die Kinder verhöhnten sie von unten weiter und durch die Wagentüren hagelte es steine noch und noch. Divine hockte unter einer Sitzbank. Sie verwünschte diese Horde von Kindern mit aller Kraft. Sie röchelte vor Haß, dann fühlte sie deutlich, es war unmöglich diese Gassenjungen zu verschlingen, sie mit den Zähnen und den Nägeln zu zerreißen, wie sie es gern gewollt hätte – und so begann sie die Kinder zu lieben. Die Verzeihung entsprang dem Übermaß ihrer Wut und ihres Hasses und sie wurde ruhig. Vor Wut läßt sie sich schließlich herbei, die Liebe zwischen dem Neger und Notre-Dame zu lieben. (Genet) # 15.06.22 vernichtung (Baudelaire) triumph perversion (Stoller) erotische form von hass wir’r mittendrin # 14.06.22 in der nacht von montag auf dienstag hatte ich ein fürchterlich großartiges erlebnis. es dreht sich um papa und mich. es hat mich tief berührt. es ist jetzt leider nur noch in meiner erinnerung und der vorsatz, mich mit papa auszusprechen, dahin. es fing damit an, daß am sonntagabend der alte schulze angetrunken zu uns kam. papa war sehr froh, daß er ihn besuchte, und besorgte gleich bier vom nachbarn; jedenfalls betranken sich die beiden. mutti und ich gingen so gegen 23:30 uhr ins bett. gegen 2:00 uhr früh wurde ich dann auf einmal wach, da ich papa laut mit schulze reden hörte. papa brachte ihn zur haustür und dabei redeten sie dann noch einiges. da papa mit vor die tür ging...