E-Book, Deutsch, Band 1, 320 Seiten
Reihe: Kiranmalas Abenteuer
DasGupta Das Geheimnis des Schlangenkönigs (Kiranmalas Abenteuer 1)
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-646-92261-5
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 320 Seiten
Reihe: Kiranmalas Abenteuer
ISBN: 978-3-646-92261-5
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sayantani DasGupta wuchs mit Geschichten über mutige Prinzessinnen, blutrünstige Rakkhosh und fliegende Pakshiradsch-Pferde auf. Sie ist eigentlich Kinderärztin, lehrt aber an der Columbia University. Wenn sie nicht schreibt, schaut sie mit ihren Kindern Kochshows an und beschützt ihren schwarzen Labrador vor allem, was ihm Angst macht, z.B. Plastiktüten. Sie gehört der Gruppe »We Need Diverse Books« an. Mehr über sie gibt es auf www.sayantanidasgupta.com und auf Twitter @sayantani16.
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KAPITEL 3
Saures, nicht Süßes
Den ganzen Tag lagen mir die Schuldgefühle schwer im Magen. Ich konnte die Erinnerung an die ängstlichen Gesichter meiner Eltern nicht abschütteln. Was hatten sie mir sagen wollen? Egal, diese Sache würde sie jetzt vielleicht endlich dazu bringen, mir ein Handy zu erlauben, wie alle anderen Zwölfjährigen im Universum es hatten. Zusammen mit Zuzu, die von Sprachen besessen war und furchtbar gern lange, komplizierte Wörter benutzte, um ihren Willen durchzusetzen, hatte ich mir in der Schule Argumente dafür zurechtgelegt.
»Mobile Telekommunikation ist eine konstituierende Komponente unserer modernen Gesellschaft«, murmelte ich vor mich hin, als ich nachmittags die Haustür öffnete. Aber mitten im Satz verstummte ich. Das Haus war seltsam still.
Ma und Baba arbeiteten nie beide an meinem Geburtstag. Zumindest einer von ihnen wartete normalerweise hinter der Tür, um mich mit Geschenken und Leckerbissen zu überfallen. Wo steckten sie?
Ich zog die Stiefel aus und ging in die Küche, dabei sah ich, dass die Hintertür seltsam schief hing. Ich wusste, dass die Angeln alt waren, aber das hier war doch ein Tacken zu viel. Noch etwas für die Liste der Dinge, die repariert werden mussten. Ich zog die Tür, so gut ich konnte, zu.
Und dann erst fiel mir auf, dass in Mas sonst so makelloser Küche das totale Chaos herrschte. Die Küchenstühle standen durcheinander, einer war neben die Tür gekippt, als ob jemand ihn im Weglaufen umgestoßen hätte.
Mein Herz klopfte jetzt ganz laut, mein Kopf kam mir vor wie eine Trommel. Ich hatte schon viel zu viele Krimis gesehen, um nicht sofort an einen Einbruch zu denken.
»Hallo?«, rief ich mit kratziger Stimme. Ich zog ein Messer aus dem Messerblock auf der Anrichte.
Aber als ich dann durch unser Haus schlich, war sonst alles in Ordnung. Sogar Mas kleiner Schmuckkasten stand noch an seinem Platz auf der Kommode neben ihrem Bett. Verwirrt lief ich zurück in die Diele.
Wo waren meine Eltern? Hatten sie vergessen, dass heute mein besonderer Tag war?
Was ich neben der Haustür erblickte, war ein kleiner Trost. Auf einem wackligen Klapptisch stand ein mit einem Küchentuch bedecktes Tablett voller selbst gemachter Rasgullas und Sandesh-Konfekt. Daneben war ein Zettel:
Typisch! Ich lachte zitternd und legte das Messer hin. Da war wohl meine Fantasie mit mir durchgegangen. Wenn meine Mutter daran gedacht hatte, für die Kinder in der Nachbarschaft indische Süßigkeiten zu machen, dann musste alles in Ordnung sein. Das gehörte zu ihren Halloween-Traditionen. Das Problem dabei war, dass die üblichen Stoffbeutel und alten Kissenbezüge nicht geeignet sind, um die klebrigen runden Rasgullas oder das mit Sirup gesüßte Sandesh-Konfekt zu transportieren, die sie den arglosen Kindern überreichte. Aber meine Eltern wären nie auf die Idee gekommen, gekaufte Süßigkeiten zu verteilen. Noch ein Beispiel dafür, dass sie einfach keine Ahnung hatten.
Ich wollte mir gerade eine klebrige Rasgulla schnappen, als ich etwas auf dem Boden liegen sah. Eine Geburtstagskarte, die zur Hälfte aus dem Umschlag gerutscht war, genauer gesagt, eine knallrosa Glitzerkarte für Babys – Babas typischer Sinn für Humor. Vorne war, was auch sonst, eine Prinzessin mit einer Krone abgebildet, darüber stand: »Tochter, du bist 2!« Baba hatte mit einem Filzstift die Ziffer 1 vor die 2 gesetzt, sodass dort nun eine 12 stand. Ha-ha! Schon wieder typisch Baba. Aber warum lag die Karte hier auf dem Boden? Ich wischte mir die klebrigen Finger an meiner Jeans ab und hob sie auf.
Innen war unter die Zeile »Hab einen glitzerhaften Geburtstag« eine Mitteilung gekritzelt, die kaum Ähnlichkeit mit Mas sonst so klarer Handschrift hatte.
Hier endete die Mitteilung mit einem dicken Tintenklecks, als ob sich Ma mitten im Satz erschrocken hätte.
Ich schüttelte den Umschlag und ein Bündel bunter, mir unbekannter Geldscheine fiel heraus – die Rupien, die Ma erwähnt hatte. Außerdem gab es noch ein vergilbtes Stück Papier – aber keine Landkarte.
Das war alles. Sie waren schon immer seltsam gewesen, aber jetzt waren meine Eltern ja wohl endgültig durchgeknallt. Ich rief sie auf ihren Handys an und auf dem Telefon im Laden. Als ich nur den Anrufbeantworter erreichte, geriet ich ernsthaft in Panik. Wenn das hier eine Art bizarrer Halloween-Streich sein sollte, dann war es jedenfalls nicht komisch. Und dieser ganze Kram mit den Prinzen und dem Rakkhosh – was glaubten Ma und Baba eigentlich, auf welchem Planeten wir lebten?
Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, und biss mir in die Wange, damit das Wasserwerk nicht überlief. Das war meine Regel zum Überleben in der Mittelstufe (mal abgesehen davon, dass ich mich so anzog und verhielt, dass ich möglichst unbemerkt blieb). Geweint wurde nicht. Nie und nimmer. Tränen waren wie die Tür zu einer Schreckenskammer in mir, die ich unbedingt geschlossen halten wollte.
Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. Weinen ist was für Weicheier.
Ich wollte gerade Zuzu im Restaurant ihrer Eltern anrufen, als die Türklingel hysterisch losbimmelte. Es waren die kleinen Kinder – verkleidet als Feen und Tiere und Superhelden –, die vor Einbruch der Dunkelheit mit ihren Eltern herumzogen. Obwohl sich in meinem Kopf noch immer alles drehte, verteilte ich automatisch die klebrigen Süßigkeiten.
»Hu, danke«, sagte ein kleiner Junge im Robin-Hood-Kostüm. »Das ist viel besser als bei der Zahnärztin nebenan. Die verteilt Zahnbürsten.«
Mit zitternden Händen schloss ich die Tür und mein Herz krampfte sich in meiner Brust zusammen. Langsam wurde es dunkel. Wo waren meine Eltern? Was war mit ihnen passiert? Warum hatten sie geschrieben, ich sollte sie ja nicht suchen?
Und in diesem Moment klingelte es wieder.
Draußen auf der Veranda standen die seltsamsten Halloween-Besucher, die ich je gesehen hatte: zwei Jungen in meinem Alter, vielleicht etwas älter. Sie sahen aus wie Brüder. Der Lächelnde war so hübsch, dass mir fast die Augäpfel schmolzen. Der andere war größer und breiter und wirkte ein bisschen gelangweilt. Das Witzige war ihre Kleidung – sie trugen weite Hemden und Hosen aus dem gleichen glänzenden Stoff wie Mas Saris, dazu Seidenturbane und Schnabelschuhe. Jeder hatte etwas im Gürtel stecken, das aussah wie ein mit Edelsteinen besetztes Schwert. Schärpe und Turban des hübschen Jungen waren rot, die des größeren Jungen blau.
»Verflixt, Brüderchen, sie ist wahrscheinlich schon gefressen worden«, sagte der Junge in Blau gerade, als ich die Tür öffnete. »Nur weil du unbedingt so eine Superlimo aus dem Automaten haben musstest!«
»Diese Superlimo ist der einzige Grund, warum wir es überhaupt hierher geschafft haben«, widersprach sein Bruder. »Du willst dich ja nie nach dem Weg erkundigen, du stures Rhinozeros.«
Ich hatte keine Zeit, um mir auf all das einen Reim zu machen, denn in diesem Moment hob der Junge in Rot den Blick und sah mich mit seinen Filmstaraugen an.
Versteht das jetzt nicht falsch. Ich bin nicht so eine Jungs-verrückte Tussi, die sich die Wände vollkleistert mit Postern von Boygroups mit windzerzaustem Haar. Und ich male keine Herzchen um die Anfangsbuchstaben von mir und irgendwelchen süßen Typen in die Schulhefte. Klar gibt es ein paar Promis, die Zuzu und ich uns gern auf solchen Websites wie Tolle Typen stehen auf Zahnhygiene ansehen (ich meine, wir finden es doch alle spannend, wenn unser Lieblingsstar sich vor der Kamera Zahnseide durch die Beißer zieht, oder?). Aber bis zu dem Moment, in dem ich die Haustür öffnete, war mir im wirklichen Leben noch nie so ein hübscher Knabe über den Weg gelaufen.
»Seid Ihr bereit, Herrin?«, hatte der Junge wohl gefragt, aber etwas stimmte nicht mit meinem Gehör, deshalb klang es eher wie: »Waa waa waa waa waa.« Mannomann, der sah vielleicht toll aus! Ich verspürte ein kleines Zittern, von der Sorte, die ich auf einem Zettel für Zuzu mit kleinen Sternchen einrahmen würde. *zitter*
Der Junge musterte meine dunklen Jeans und den schwarzen Kapuzenpulli und runzelte die Stirn. Was ihn absolut nicht weniger hübsch aussehen ließ. »Bruder Neel, ich glaube nicht, dass die Dame bereit ist.«
Dann streckte der andere Typ – der offenbar...