Dark John Sinclair - Folge 0486
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8387-3255-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der unheimliche Shaolin (1. Teil)
E-Book, Deutsch, Band 486, 64 Seiten
Reihe: John Sinclair
ISBN: 978-3-8387-3255-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 1980 - 1989!
Der unheimliche Shaolin (Teil 1).
Manchmal wachte er von den gellenden Todesschreien auf, die aus dem Tal hochwehten und vom Sterben tapferer Männer berichteten, die ihre Heimat verteidigen wollten. Dann wurde ihm traurig ums Herz.
Er weinte über ihr grausames Schicksal und seine eigene Hilflosigkeit. Er hätte ihnen gern beigestanden, doch er hatte geschworen, nie wieder eine Waffe anzufassen.
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
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Der unheimliche Shaolin (1. Teil)
Manchmal wachte er von den gellenden Todesschreien auf, die aus dem Tal an den Berghängen hochwehten und vom Sterben tapferer Männer berichteten, die ihre Heimat verteidigen wollten.
Dann wurde es Lin Cho traurig ums Herz, und er verließ sein schlichtes Lager, stellte sich vor eine der Öffnungen in der Wand, starrte hinein in die Finsternis, spürte den kalten Wind wie den Atem des Eisdrachen und weinte.
Er weinte über das grausame Schicksal, über seine eigene Hilflosigkeit und seinen Schwur, den er vor langer Zeit getan hatte, als er des Kämpfens müde gewesen war.
Er hätte so gern geholfen, es fehlte ihm einfach die Kraft und die innere Bereitschaft. Er hatte geschworen, nie wieder eine Waffe anzufassen, und diesen Schwur musste er halten, sonst war sein Leben verwirkt. Dann hätte er sich nicht mehr in die Augen schauen können, und er wäre auch von den anderen Menschen verachtet worden.
So stand er da und seufzte …
Er war alt geworden. Die langen Jahre des Lebens hatten ihn gezeichnet wie die Ringe eines Baumes. Er wirkte zart, mager, die Askese hinterließ Spuren, doch wer ihn genauer anschaute, sah in seinen Augen einen Blick, der etwas von dem verriet, was er einmal gewesen war.
Ein harter Kämpfer und Shaolin!
Man hatte seinen Namen gefürchtet. Wer von seinen Feinden ihn aussprach, tat es nur im Flüsterton und schaute sich dabei um, ob er auch nicht beobachtet wurde.
Durch seine Hände war viel Blut vergossen worden. Noch jetzt sah er die Bilder des Öfteren im Traum.
Er sah die sterbenden Männer, sah Blut fließen und Körper unter schweren Hieben zusammenbrechen.
Irgendwann, als die Schreie der Leidenden zu grell wurden, kam ihm die Erleuchtung. Der Erhabene hatte sich ihm offenbart, und Lin Cho zog daraus die Konsequenzen.
Er legte die Waffen ab und sprach seinen Schwur. Gleichzeitig sprach er das Gelübde der Keuschheit, verabschiedete sich von seinem Volk, ging in die Einsamkeit der Berge, um so zu leben, wie es dem Erhabenen gefiel. Sein Platz war in einem alten Drachenkloster, in dem auch der Drachengott verehrt worden war.
Eine Manifestation des Bösen, doch unter dem Einfluss des Erhabenen hatte es bei ihm einen Sinneswandel gegeben, sodass er jetzt auf einer anderen Seite stand.
Durch ihn hatte Lin Cho viel erfahren. Er wusste von Dingen, die andere nicht einmal ahnten. Es war ihm gelungen, Blicke in mystische Welten zu werfen, wo die Götter herrschten und die Seelen der verstorbenen Gerechten ihre Ruheplätze gefunden hatten, um einzugehen in den großen Kreislauf, der das Schicksal der Welten und des gesamten Universums bestimmte.
Aber die Erde war schlecht.
Die Besatzer gaben keine Ruhe. Immer öfter fielen sie in das Land ein, um es zu erobern. Sie töteten die Männer, vergewaltigten die Frauen und verschleppten die Kinder. Sie bildeten die Jungen zu Kriegern aus, die Mädchen wurden Sklavinnen, sie verkauften sie an andere Völker, bevor sie mordend und plündern weiterzogen.
Manchmal zogen sie sich auch wieder zurück in ihre Steppen, die im Westen lagen, wo die Welt noch eine schlimme Barberei erlebte und nichts von dem Erhabenen wusste.
Wäre sein Schwur nicht gewesen, so hätte er sich in den Kampf gestürzt und unter den Horden aufgeräumt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Todesschreien zu lauschen.
Nie mehr eine Waffe anfassen!
Nie mehr eine Kreatur, ob Mensch oder Tier töten!
Lin Cho geriet in Zweifel, wenn er die Schreie der Verletzten hörte. Sein inneres Gleichgewicht war aufgewühlt worden, in seinem Körper rauschte das Blut, und als er sich abwandte, zeigte sein Gesicht die Furchen der Qual, die er spürte.
Er hatte kein Licht angezündet. Im Dunkel der spartanischen Zelle blieb er stehen. Noch immer brandete der Kampfeslärm zu ihm hoch. Er hörte das Klirren der Schwerter und manchmal ein dumpfes Schlagen, wenn Pferdehufe über den harten, trockenen, staubigen Boden hämmerten.
Und noch ein Geräusch vernahm er.
Es war ein schweres, lang gezogenes Ächzen, ein Hilfeschrei im Wind. Das letzte Aufbäumen eines Mannes gegen den Tod. Der Krieger musste es geschafft haben, den Weg zum Kloster zu finden. Nur wenige kannten ihn. Bisher waren auch die Barbaren noch nicht bis an die gelbbraunen Mauern gelangt, aber das konnte sich sehr schnell ändern.
Der Mönch mit dem zerfurchten Gesicht wartete noch einen Augenblick vollster Konzentration, um sich umzudrehen und die Zelle zu verlassen.
Obwohl er es eilig hatte, ging er gemessenen Schrittes. Es ziemte sich nicht für einen Reinen, Eile zu zeigen. Er würde noch rechtzeitig kommen, das wusste er.
Auch in der Nacht kehrte in die vom blakenden Fackellicht erfüllten Gänge keine Stille ein. Das dumpfe Murmeln der leise gesprochenen Gebete war Tag und Nacht zu hören. Die Mönche wechselten sich dabei ab. Das Rattern der Gebetsmühlen begleitete ihre heiligen Gesänge.
Niemand begegnete dem unheimlich wirkenden Shaolin, als er die Stufen der Treppen hinabeilte, um das große Tor zu erreichen. Durch einen schmalen Ausgang verließ er die schützenden Wände des Klosters. Er durchquerte den Innenhof, der mit blauen Schatten gefüllt war und an einigen Stellen vom Licht des Mondes gestreift wurde. Das Gestell über dem tiefen Brunnen bestand aus altem Holz. Wenn der Wind dagegenfuhr, ächzte es.
Hier brannte kein Licht. Die hohen Schutzmauern umgaben das Kloster und griffen in die Finsternis hinein.
Das große Tor besaß zwei Seiten. Durch einen schweren Balken war es gesichert. Allein konnte ihn kein Mann hochhieven. Lin Cho lief am Tor vorbei und stemmte sich gegen den kalten Wind, der von den Eisriesen im Norden kommend über das Hochtal strich und bald wieder den Schnee mitbringen würde.
Lin Cho erreichte eine kleine Seitenpforte, die er allein öffnen konnte. Kaum hatte er die Tür nach innen gezogen, vernahm er die Geräusche deutlicher.
Der einsame Reiter quälte sich den schmalen Pfad zu den schützenden Mauern des Klosters hoch. Sein Pferd schnaubte, er selbst stöhnte unter großen Schmerzen, aber er hielt durch.
Lin Cho sah den schwankenden Schatten vor sich. Nicht nur der Mensch wankte, das Tier ebenfalls. Beide mussten verletzt sein.
Der alte Shaolin lief dem Ankömmling entgegen. Auch dieser hatte die Schritte gehört. Er hielt sein Reittier an, um Lin Cho entgegen zu schauen. Über seine Lippen drang ein schwerer Seufzer, dann begann die Gestalt auf dem Pferd zu zittern, schwankte nach links und verlor das Übergewicht. Schwer prallte sie auf den kargen, steinigen Boden, wo sie reglos liegen blieb. Auch Lin Cho hatte es nicht mehr geschafft, den Fallenden aufzufangen. Das Pferd stand neben seinem Reiter, hielt den Kopf gesenkt, schnaubte und zitterte. Seine Flanken waren mit hellem Schaum bedeckt.
Lin Cho hätte sich um das Tier kümmern müssen, das wusste er, aber der Mensch war wichtiger.
Er hatte ihn erkannt, und seine Seele schrie vor Pein auf, als er neben dem anderen niederkniete.
Es war Jangha!
Lin Cho hatte ihn einmal als seinen Meisterschüler bezeichnet und ihm die Reife gegeben, um ein Heer anführen zu können. Das aber hatte nichts mehr genutzt.
Jangha stand vor dem Eintritt in eine andere Welt. Die Waffen seiner Feinde hatten ihn fürchterlich gezeichnet. In seiner Fellkleidung klebte das Blut. Sein Gesicht war an einer Seite aufgeschlitzt worden, am Körper befanden sich ebenfalls Wunden, und der rechte Oberschenkel zeigte einen klaffenden Einschnitt, der aussah wie das Maul eines Sägefischs.
Jangha war noch nicht tot. Er öffnete die Augen, weil er sah, wie der Schatten des Mönchs über ihn fiel. Seine Lippen zuckten, auf der Stirn vermischten sich Blut, Schweiß und Dreck zu einer Schmierschicht.
»Lin Cho«, flüsterte er. »Lin Cho, mein Lehrer und Meister. Ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen und dir zu sagen, dass ich versagt habe. Ich habe versagt …«
Der alte Shaolin nickte. Er redete erst gar nicht davon, dass er versuchen wollte, seinen Schüler zu retten. Jeder Mensch wusste genau, wann Schluss war, da konnte ihm auch ein anderer nicht hineinreden. Die beiden von den Jahren her so unterschiedlichen, dennoch seelenverwandten Männer schauten sich in die Augen.
Jangha wollte keinen Schmerz zeigen. Er wollte sterben wie ein Shaolin, wie ein Mann, doch Lin Cho spürte, wie schwer es seinem Schüler fiel.
»Ich bringe dich weg«, sagte er leise. »Du musst fort aus der Kälte. Die Wärme wird dir guttun …«
»Nein, Meister, nein. Ich werde hier sterben. Ich will dir noch eine Botschaft bringen. Die meisten sind tot, Meister. Es wird nicht mehr lange dauern, dann sind die Barbaren auch an diesem Kloster. Sie wollen es besitzen und es in eine ihrer Festungen umwandeln. Du musst achtgeben, Meister. Sie sind grausam und gefährlich. Sie töten jedes Lebewesen, auch ihr sollt sterben.«
»Wann wird es soweit sein? Wann werden sie kommen?«
»In den nächsten Nächten bestimmt. Deshalb werdet ihr fliehen müssen. Auch du, Meister, denn du hast geschworen, keine Waffe mehr in die Hand zu nehmen, obwohl du mit deiner Kraft und deinen Kenntnissen das Schicksal hättest abwenden können. Ja, du hättest …« Jangha sprach nicht mehr weiter. Der Blick seiner Augen war ein anderer geworden. Schatten lagen plötzlich über den Pupillen. Ein Zeichen, dass er nicht mehr den neben ihm knienden Meister sah, sondern in eine ferne, andere Welt, in der es ihm bestimmt besser ging.
Der alte Shaolin blieb neben der Leiche seines Schülers knien. Janghas letzte Worte hatten ihn schwer getroffen. Er hätte den...




