D'Andrea | Der Wanderer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

D'Andrea Der Wanderer

Thriller
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-22917-7
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-641-22917-7
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Leiche einer jungen Frau an einem unzugänglichen Bergsee. Ein Wanderer, dem keiner entkommt.
Ein einsames Tal in Südtirol: Starr vor Entsetzen blickt Sibylle auf das Foto mit dem toten Körper ihrer Mutter. Die Aufnahme kam in einem geheimnisvollen Brief ohne Absender. Zwanzig Jahre ist es her, dass man Erikas Leiche an einem abgelegenen Bergsee gefunden hat. In Kreuzwirt waren sich alle einig: Selbstmord. Aber das Foto weckt Sibylles Zweifel. Zusammen mit Tony, der damals über den grausamen Fund berichtet hatte, macht sie sich auf die Suche nach der Wahrheit. Dabei stoßen sie auf ein dunkles Geflecht aus Lügen, Verrat und Wahnsinn - und stellen fest, dass Erika nicht das einzige Opfer war. Auch sie selbst schweben bald in Lebensgefahr ...

Luca D'Andrea wurde 1979 in Bozen geboren, wo er heute noch lebt. Er stieg mit seinem ersten Thriller sofort in die Riege der internationalen Top-Autoren auf: 'Der Tod so kalt' erschien in rund 40 Ländern und hat sich weltweit 400.000 mal verkauft. Wochenlang stand der Roman unter den ersten 5 der Spiegel-Liste. Gegenwärtig wird 'Der Tod so kalt' verfilmt. Luca d'Andreas zweites Buch, 'Das Böse, es bleibt', ebenfalls ein Spiegel-Bestseller, wurde mit dem Premio Scerbanenco, dem renommiertesten italienischen Krimipreis, ausgezeichnet. Sein neuester Thriller, 'Der Wanderer', führt wie seine früheren Bücher in seine Heimat Südtirol:
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Eins


1.


»Glaub nicht, was sie sagen, mein Junge. Der Anfang ist das Schwierigste. Danach geht es nur noch bergauf.«

Freddy drehte sich genervt zu ihm um und warf ihm einen Blick zu, der in etwa Folgendes bedeutete: Hör auf, mich so anzustarren, oder wir sind heute Mittag immer noch hier.

Der große Bernhardinerhund wedelte lässig mit dem Schwanz und hob das Bein, um sich wieder voll auf das zu konzentrieren, was er hatte tun wollen, bevor er unterbrochen wurde: den Bürgersteig in einen Mini-Pollock verwandeln.

2.


Wenn jemand zu ihm gesagt hätte, wie traurig die Vorstellung sei, einzig einen einhundertzehn Kilo schweren Bernhardiner zum Freund zu haben, wäre Tony, amtlich Antonio Carcano oder auch »der Mann, den sie Sophie Kinsella in Lederhosen nannten« (eine Definition, die auf jenen abgrundtiefen Neid schließen ließ, mit dem die Literaturwelt alle vom Erfolg geküssten Unterhaltungsautoren bedenkt), wäre er aus allen Wolken gefallen. Traurig? Er? Warum das denn?

Das Problem war ein ganz anderes: Seit einiger Zeit raunte ihm der Teil seines Gehirns, der auch für seine Schlaflosigkeit zuständig war, in einer Endlosschleife jene Worte zu, die Doktor Huber bei der letzten Untersuchung gesagt hatte. »Du musst dir allmählich darüber klar werden, dass dieses süße kleine Hundebaby ein gewisses Alter erreicht hat. Mach dich also auf die Möglichkeit gefasst, dass …«

Verdammter Quacksalber. Freddy war nicht alt. Freddy hatte zehn Jahre auf dem Buckel, und Tony hatte von Bernhardinern gehört, die elf oder sogar zwölf Jahre alt geworden waren.

Klar, das Fellknäuel, das beim leisesten Donner draußen vor dem Fenster dermaßen zu zittern anfing, dass man es nur beruhigen konnte, indem man Another One Bites the Dust anstimmte, gab es nur noch in der Erinnerung. Genauso wie den Tiger, der sich im Morgengrauen auf sein Bett stürzte, um ihn auf ein dringendes Bedürfnis aufmerksam zu machen (inzwischen beschränkte er sich darauf, ihm ins Gesicht zu hecheln und ihn, wenn er endlich aufgewacht war, anklagend anzuschauen). Aber … stand er wirklich schon mit einem Bein im Grab? Das sollte wohl ein Witz sein!

Freddy ging es gut. Sehr gut sogar. Er war nur ein bisschen lahm wegen der Hitze.

Wie um seine Ängste zu besänftigen, begann es just in dem Moment unter dem Hinterbein des massigen Hundes zu tröpfeln. Ein Rinnsal zwar und keine Fontäne mehr wie vor ein paar Jahren, aber immer noch ein gesunder Pissstrahl, der Tony aufatmen ließ. Endlich bemerkte er auch das aufdringliche Brummen, das die ländliche Stille unterbrach. Ein Motorrad, nichts Besonderes also. Es kam häufiger vor, dass irgendein Valentino-Rossi-Epigone das Labyrinth an Feldwegen zwischen den Apfelbäumen mit einer Rennstrecke verwechselte, aber weil Tony generell lieber vorsichtig war, nahm er Freddy an die Leine und trat so weit wie möglich vom Straßenrand zurück. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Und die Voraussetzung für ein langes, gesundes Leben.

Doch in den paar Sekunden, die er brauchte, um im Morgendunst jenes Junisonntags drei Schritte zur Seite zu gehen, verwandelte sich das aufdringliche Brummen in das Röhren einer weißen Enduro, einer schlammverdreckten Yamaha, die ihre Geschwindigkeit drosselte, sich in die Kurve legte, und nachdem sie einen imposanten schwarzen Streifen auf dem Asphalt hinterlassen hatte, genau vor Tony und Freddy, die sich zwangsläufig noch ein Stück tiefer in die Böschung drückten, zum Stehen kam.

Die Fahrerin der Enduro trug Shorts, die den Blick auf lange schlanke Beine freigaben, und ein T-Shirt mit einem tiefroten Stern auf der Brust. Aber nicht ihr Outfit war es, das Tony so in Alarmbereitschaft versetzte, dass er den Bernhardiner für alle Fälle noch weiter hinter sich zerrte.

Das Messer lugte aus der Gesäßtasche der Shorts hervor, als die Motorradbraut mit einer eleganten Drehung von der Yamaha abstieg, den Helm abnahm und ihm wortlos ihren hasserfüllten Blick zuwandte.

Lange Locken. Blond. Sehr blond. Zierlicher Körperbau. Blaue Augen. Die feinen, fast katzenartigen Gesichtszüge erinnerten ihn an eine Popsängerin, deren samtige Stimme gepaart mit ihrer erotisch-melancholischen Ausstrahlung in den Neunzigern der letzte Schrei war. Er kramte in seinem Gedächtnis nach ihrem Namen, als hinge sein Leben davon ab.

Vergeblich.

Die Arme vor der Brust verschränkt, verzog das Mädchen keine Miene, sondern starrte ihn nur schweigend an. Sie wirkte, als wäre sie derart außer sich vor Zorn, dass er sich unwillkürlich fragte, wie ein so zartes Figürchen ohne zu explodieren dermaßen viel negative Energie in sich aufstauen konnte.

Beunruhigend, fand er. Vielleicht sogar gefährlich. Was absurd war, denn Klappmesser hin oder her: Das junge Mädchen wog nicht mehr als fünfzig Kilo. Im Falle einer Attacke hätte Tony sie mühelos überwältigen und entwaffnen können. Aber warum sollte sie ihn angreifen?

Wie um seine Frage zu beantworten, ließ die Unbekannte ihren Segeltuch-Rucksack von der Schulter gleiten und entnahm ihm einen Briefumschlag, den sie ihm hinstreckte. Tony, dessen Finger plötzlich eiskalt waren, griff danach.

Der Briefumschlag enthielt ein Foto, das lang Verdrängtes aufwühlte. Sinneseindrücke. Den Geruch von Schlamm im Frühling. Den Geruch von jenem Ort, an dem das Foto zwanzig Jahre zuvor aufgenommen worden war: Kreuzwirt. Ein Dorf in einem Tal im Nordosten Südtirols. Geranien vor den Fenstern. Ein Blick, und alles war wieder da.

Inklusive der Angst.

Links auf dem Foto, unscharf, ein Carabiniere, der zu ihm sagte: »Was willst du denn hier, du Vollidiot?« Im Zentrum, auf allen vieren und schlammbesudelt: Tony. Ein zwanzigjähriger Tony, der direkt in die Kamera schaute und lächelte. Neben ihm auf diesem am 22. März 1999 um zehn Uhr morgens aufgenommenen Schnappschuss: ein drittes Subjekt, verdeckt von einem Tuch, unter dem eine Hand, ein Gesicht und eine Flut blonder Locken hervorschauten.

Das Tuch verhüllte mehr schlecht als recht die Leiche einer gerade zwanzigjährigen Frau: Erika. Erika Knapp. Oder, wie sie in Kreuzwirt genannt wurde: »Erika die Narrische«.

Erika Knapp, die aussah wie Fiona Apple, die Popsängerin mit der erotisch-melancholischen Ausstrahlung, deren Name auf einmal mit einer solchen Heftigkeit in Tonys Gedächtnis aufpoppte, dass er Angst hatte, ihm würde gleich der Kopf zerspringen. Erika Knapp, die in der Nacht vom 21. März 1999 ihre Tochter als Waise zurückließ: Sibylle.

Und eben jene Sibylle, die wie ihre Mutter eine blondgelockte Version der inzwischen fast vergessenen Popsängerin war, das Mädchen mit der Yamaha, mit dem Klappmesser in der Gesäßtasche und dem provokanten T-Shirt, stellte hochrot im Gesicht und vor Wut fast platzend eine einfache Frage: »Warum. Hast du. Gelacht

Tony zuckte zusammen. Er hätte gerne alles erklärt, ihr erzählt, wie die Dinge sich damals zugetragen hatten. Stattdessen erbebte er schon wieder und diesmal, weil das Mädchen näher kam, ihm direkt in die Augen blickte, die blonden Locken schüttelte und ihm dann so heftig ins Gesicht schlug, dass seine Nase zu bluten anfing.

»Du … du … Bastard

Angewidert wandte sie sich von ihm ab, kehrte zurück zu ihrer Enduro, setzte den Helm auf und sprang in den Sattel. Ein Aufheulen des Motors, das Freddy zu einem Winseln veranlasste, und die Yamaha verschwand in einer Staubwolke. Das Röhren des Motors wurde zu einem Brummen, und das Brummen erstarb.

Wie erstarrt blieb Tony stehen. Ein Zittern durchlief seinen Körper, während er zuschaute, wie das Blut aus seiner Nase allmählich langsamer zu Boden tropfte. Er lauschte der ländlichen Stille, bis Freddy, der inzwischen die Geduld verloren hatte und vielleicht auch etwas verängstigt war, ihm einen kleinen Schubs mit der Schnauze gab.

Tony streichelte beruhigend über den mächtigen Schädel mit den dicken Hautfalten, knickte das Foto in der Mitte zusammen (auf der Rückseite war in weiblicher Handschrift eine Telefonnummer und eine Adresse notiert – in Kreuzwirt, versteht sich), steckte es in die Gesäßtasche seiner Jeans und wischte sich mit einem mit Spucke benetzten Papiertaschentuch das Gesicht ab, wie man es bei einem Kleinkind tut.

Dann machte er sich auf den Weg. Die besorgten Blicke des Bernhardiners ignorierte er.

In weniger als einer halben Stunde erreichte er das Viertel, in dem er geboren und aufgewachsen war. Das die Bozener »Shanghai« nannten, manche voller Zuneigung, andere weniger. Zu Hause füllte er Freddys Trinknapf mit frischem Wasser, warf seine blutbefleckten Kleidungsstücke auf den Boden und stellte sich unter die Dusche.

Anschließend zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück, schaltete den Computer ein und suchte nach dem Lied, das Fiona Apple berühmt gemacht hatte: Criminal. Kaum gaben Bass und Schlagzeug den Rhythmus vor, spürte er, wie Übelkeit in ihm hochstieg, doch er ließ sich nicht davon überwältigen. Er verbot es sich schlicht. Er wollte Bescheid wissen. Begreifen, wer Sibylle das verdammte Foto gegeben hatte, und warum. Mithilfe der Musik und trotz der Übelkeit, die ihn befallen hatte, beschwor er in seiner Erinnerung Gesichter, Situationen, Worte herauf. Das Klappern der Schreibmaschinentasten. Der Geruch nach abgestandenem Kaffee und Jim Beam.

Il Sole delle Alpi.

Wie lange hatte dieses Abenteuer gedauert? Einen Monat? Zwei? Die Zeitung, nach der Sonne über den...


Roth, Olaf Matthias
Olaf Matthias Roth, der mit einer Arbeit über den italienischen Dichter Gabriele d’Annunzio promovierte, ist seit über zwanzig Jahren als literarischer Übersetzer aus dem Italienischen, Französischen und Englischen tätig. Außerdem hat er etliche Sachbücher zum Thema Klassische Musik veröffentlicht. Seit August 2018 ist er Chefdramaturg am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen.

D'Andrea, Luca
Luca D'Andrea wurde 1979 in Bozen geboren, wo er heute noch lebt. Er stieg mit seinem ersten Thriller sofort in die Riege der internationalen Top-Autoren auf: »Der Tod so kalt« erschien in rund 40 Ländern und hat sich weltweit 400.000 mal verkauft. Wochenlang stand der Roman unter den ersten 5 der Spiegel-Liste. Gegenwärtig wird »Der Tod so kalt« verfilmt. Luca d’Andreas zweites Buch, »Das Böse, es bleibt«, ebenfalls ein Spiegel-Bestseller, wurde mit dem Premio Scerbanenco, dem renommiertesten italienischen Krimipreis, ausgezeichnet. Sein neuester Thriller, »Der Wanderer«, führt wie seine früheren Bücher in seine Heimat Südtirol:

Van Volxem, Susanne
Susanne Van Volxem war von 1993 bis 2015 Lektorin und Programmleiterin bei verschiedenen Verlagen. Zur Zeit ist sie bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für den Bereich Fundraising & Kooperationen zuständig. Seit bald zwei Jahrzehnten ist sie außerdem als Übersetzerin aus dem Italienischen, Französischen und Englischen tätig und hat eigene Veröffentlichungen vorgelegt.



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