Danailov | Ein Haus jenseits der Welt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 19, 300 Seiten

Reihe: wtb Wieser Taschenbuch

Danailov Ein Haus jenseits der Welt


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-99047-034-3
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 19, 300 Seiten

Reihe: wtb Wieser Taschenbuch

ISBN: 978-3-99047-034-3
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Buch erzählt die Geschichte einer mehr als zwanzig Jahre währenden Flucht. Was den Autor Ende der 1970er Jahre aus dem tristen Sofia in das entlegene Rhodopen-Dorf Kovacevica treibt, ist Sehnsucht - Sehnsucht nach Einsamkeit und Ursprünglichkeit. Schon bei seiner abenteuerlichen ersten Fahrt in das vom Sozialismus vergessene Dörfchen wird klar, dass sich zu dieser Sehnsucht auch Liebe zu den Bergen, den Bäumen und dem silbern glänzenden Bächlein unter der schwindelerregend hohen Feldsteinbrücke gesellt. Dieses auf den ersten Blick so enge Dorf gibt Anlass, Globales zu betrachten und zu philosophieren: über den Unsinn großer Hunde und den Sinn des Todes, die Schönheit der Berge und der Pomakenjungfern oder gar über das tragische Verschwinden von Dorfkneipen.

Georgi Danailov wurde 1936 in Sofia geboren. Er lebt in einem Bergdorf in den Rhodopen. Während der Zeit des kommunistischen Regimes wurde seine Familie für dreizehn Jahre in die Stadt Svisrov an der Donau interniert. Nach dem Studium der Chemie und Physik in Sofia arbeitete er als Schriftsteller, Dramaturg und Drehbuchautor für Theater und Film. Seine Bühnenwerke wurden in vielen Ländern Europas aufgeführt. Er ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Bulgariens und seit 1998 ausschließlich literarisch tätig. Verschiedene Preise; u. a. gewann er den 1997 in Paris ausgeschriebenen internationalen Rousseau-Wettbewerb, an dem 566 Autoren aus dreißig Ländern teilnahmen. Deutschsprachige Erstveröffentlichung: 'Ein Haus jenseits der Welt' (2007).

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Wir haben einander lange angesehen
und dabei keinen Überdruss empfunden,
die Berge und ich.
Li Bo (8. Jahrhundert) Dieses Buch ist die Geschichte einer großartigen Flucht. Eines Abenteuers, das sich wirklich ereignet hat, eines Erlebnisses, das noch immer nicht abgeschlossen ist. In Wirklichkeit ist das Scheitern dieser Flucht bereits zu spüren, im Prinzip ist es schon von Anfang an vorhersehbar gewesen, aber da es nichts Grausames hat, sollte es mit einem Lächeln begrüßt werden. Die Wurzel von allem liegt natürlich in der Kindheit. Ob mich damals die Illustration eines abendlichen Winterwaldes mit einem einsam leuchtenden Fenster nachhaltig beeindruckt hatte oder ob es an einer Weihnachtskarte lag, einem naivsüßen Bild, das die grausamen Künstler der Gegenwart mit seinem Schnee, den Kiefern und der eingeschneiten Berghütte entrüsten würde – ich kann mich nicht mehr daran erinnern, und dennoch hatte jene Zeit in mir eine Spur hinterlassen, hatte sich jene Darstellung in meiner Seele verankert, sodass ich jedes Mal, wenn ich ein ähnliches Bild im Gebirge erblickte, eine Gänsehaut bekam und ein sanftes Rufen in mir spürte, mit den Jahren immer trauriger und leiser werdend. Das war es, wonach ich mich sehnte. Das Licht eines einsamen Fensters in einem verschneiten nächtlichen Wald und ein Kaminfeuer. So einfach, so leicht realisierbar und dabei doch so entgleitend und aus dem Blick schwindend. Immerhin, es musste versucht werden. – Ich will mir ein Haus in den Rhodopen kaufen. – Wir auch – sagten meine Freunde. – Ich werde mir aber wirklich ein Haus in den Rhodopen kaufen. – Wir wirklich auch … Und dann fragte der Mathematiker unternehmungslustig: – Wann fahren wir los? Ich weiß, wo welche verkauft werden. – Na zum Beispiel am Samstag! – Einverstanden – sagte er. So kam es, dass der Traum an einem Samstagmorgen begann. Wir, der Mathematiker Vlado, mein Sohn und ich, machten uns mit dem alten Renault sehr früh auf den Weg. Schnell wie wir fuhren, erreichten wir schon bald das Städtchen am Fuße des Gebirges. Da wir vor lauter Eile nicht gefrühstückt hatten, beschlossen wir, in einer der bereits geöffneten Gastwirtschaften einzukehren. Der Gastraum war voll von Leuten, die grau und mürrisch an den Tischen saßen und Mentha* tranken. Es war acht Uhr morgens! Der Mathematiker war sehr angenehm überrascht. Ich kannte ihn gut genug, um eine unerbittliche Miene aufzusetzen. Keinerlei Mentha! Wir haben noch einen weiten Weg und Geschäftliches vor uns. Rhodopenhäuser unter Fichten, Tannen und Kiefern warten auf uns, genau wie wohlwollende Verkäufer, auf Türschwellen sitzend und unablässig preisend: Alte Häuser zu verkaufen, solide, gut erhaltene Häuser zu verkaufen! Was für ein Quatsch! Es erwies sich, dass in diesem Teil des Gebirges schon lange keine Häuser mehr zum Verkauf standen, weder alte noch neue, und hätte man doch noch eines aufgespürt, so wollten sie viel Geld dafür. Wir erblassten. Nachdem wir den Abend über versucht hatten, uns mit Rotwein zu trösten, verbrachten wir die Nacht in Cepelare. – Wo sind sie denn, deine Häuser? – fragte ich zornig. – Sie sind schon aufgekauft. Ehe wir uns angeschickt haben … Am darauffolgenden Morgen hatten wir keine Idee, welchen Weg wir einschlagen sollten. Genau in dem Moment, als wir uns miss-mutig zum Auto begaben, kreuzte unerwartet das Schicksal unseren Weg. Ein alter Bekannter, der als Künstler beim Film arbeitete. – Was treibt euch denn her? – So und so. – Ernsthaft? – Klar. – Also – sagte er, – wenn ihr bis hierher gekommen seid, um Häuser zu suchen, heißt das, euch ist die Entfernung bis Sofia eigentlich egal. – Sie ist uns völlig egal! – Dann verrate ich euch jetzt etwas, auf der anderen Seite des Gebirges nämlich, im Westen, da gibt es ein Dorf wie im Märchen – ein Dorf aus Häusern mit mehreren Etagen, und alle sind sie käuflich. – Wie denn das? – Na einfach so! Fünf Minuten später flog der Renault über den Asphalt, dass die Reifen wieherten. So freudig, ja geradezu glücklich, wie wir waren, achteten wir überhaupt nicht auf die schwarzen Wolken, das Donnern und den Platzregen, der sich plötzlich auf uns ergoss und unser kleines Auto in Strudeln und Wasserfällen zu ertränken drohte. Pfützen wurden zu Seen. Unter den Rädern schossen Geysire hervor, neben der Straße trat irgendein Fluss über die Ufer, die Scheibenwischer kapitulierten im Kampf gegen die Wassermassen. Wir bewegten uns wie blind vorwärts, hoffend, es möge außer uns nicht noch andere Verrückte auf der Chaussee geben. Schließlich stoppte der Regen unvermittelt, die Wolken rissen auf, der Himmel färbte sich blau, und vor uns erstrahlten die Gipfel des Pirin. Herr im Himmel, welcher Trank hat dich verzaubert, als du diese Gegend schufst! Auf die Frage nach dem Getränk hatte der Mathematiker eine passende Antwort parat, er kam aber nicht dazu, sie auszusprechen, denn in diesem Moment erreichten wir das Ende einer Kolonne von Autos, Lastwagen und Bussen, die verzweifelt angehalten hatten. Ein Erdrutsch. Werden sie es beräumen? Klar werden sie es beräumen, kann gar nicht sein, dass sie es nicht beräumen. Ob bis zum Abend? Frühestens. Sie haben gerade Bulldozer angefordert, doch die Bulldozer waren wohl schon an einem anderen Ort im Einsatz, und damit man sie herbringen kann, müssen sie auf Hänger geladen werden, und Hänger stehen bei den Armisten, und der Kommandeur der Einheit – wer weiß, wo der gerade ist. Heut ist doch Sonntag, und er, wenngleich auch Offizier, ist ja auch nur ein Mensch, wo doch heut Sonntag ist … Es war Sonntag. Und morgen war Montag, der Tag, an dem sowohl ich als auch Vlado zur Arbeit mussten, selbst mein Sohn musste zur Schule, und so scheiterte das Ganze sozusagen direkt vor unseren Augen. Das im Wald leuchtende Fenster erlosch mit einem Mal. Ich weiß nicht, wie die darauffolgende Woche verging. Nur an diese Erwartung kann ich mich erinnern. Mein Chef liebte es zu sagen: »Das Leben ist Warten, Danailov, das Leben ist Warten.« Natürlich sagte er das immer nur dann, wenn er zu einem Termin verspätet erschien. Endlich war Freitag. Wie sich herausstellte, hatte Vlado am Wochenende etwas anderes zu tun. Mit ernster Miene trug er uns auf, für ihn mitzuschauen, was sich unseren Augen bietet, und auch für ihn ein Haus auszusuchen. – Ohne mich fahrt ihr nirgendwohin – sagte meine Frau entschieden. – Wer weiß, was für ein Haus ihr kauft! Im Grunde genommen bedeutete das nichts anderes, als dass sie unsere verschrobene Idee guthieß. Welche Freude, wenn in der Familie Einigkeit herrscht! Die Straße, die zu dem geheimnisvollen Dorf führte, begann im Tal des Flusses Mesta anzusteigen, sich zu winden, zu schlängeln, zu erweitern, sich plötzlich zu senken, einzufallen, sich scheinbar zwischen Felsen zu verlieren, um an anderer Stelle wieder hervorzukommen. Nach einer Biegung tauchte vor uns ein großes Dorf mit einer weißen Moschee auf. Die Häuser waren aus Stein, abgesägte Würfel, unverputzt, grob, stabil und roh. Von überall stürzten scharenweise Kinder herbei. Sie versammelten sich um unser Auto, schrien und bewarfen uns mit Steinchen und Stöcken. Plötzlich stöhnte meine Frau überrascht auf. Im Damensattel auf einem weißen Pferd sitzend, kam eine Jungfrau in einer wunderschönen Tracht auf uns zugeritten. Sie trug ein weißes Tuch um den Kopf, Pluderhosen und gestrickte weiße Strümpfe, die verblüffend schöne Ornamente zierten. Ihr Kleid und die Schürze schimmerten in so wunderbaren bunten Farben und sie selbst saß so schmuck und mit solch einer Würde im Sattel, dass es überhaupt keinen Zweifel gab – sie war eine Erscheinung, umso mehr, da sich ihre einzigartige Anmut inmitten schlammiger Pfützen, Kuhfladen und überall herumkullernder Ziegenkötel bewegte. – Hast du sie gesehen? – fragte meine Frau begeistert. – Ich habe sie gesehen! – erwiderte ich, und während ich mich umdrehte, um noch einen Blick auf diese Schönheit zu werfen, rumpelte der Renault dermaßen durch ein Schlagloch, dass wir uns alle an seinem Dach die Köpfe stießen. Och! Hätten wir gewusst, wie harmlos es im Gegensatz zu dem war, was uns noch bevorstand, wir wären wahrscheinlich niemals an unser Ziel gelangt und es gäbe heute nichts zu erzählen. Um es geradeheraus zu sagen – hinter dem Dorf gab es gar keine Straße mehr. Nur einen breiten, steinigen Weg, der hinauf in die Berge führte. Links davon gähnte eine Schlucht, in deren Tiefe silbern das Wasser eines schmalen Flusses glänzte, auf der anderen Seite beugten sich...



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