E-Book, Deutsch, 251 Seiten
Dalgamoni Flut und Tod
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8392-6086-9
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 251 Seiten
ISBN: 978-3-8392-6086-9
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Narzisst, seine unter der zerbrochenen Ehe leidende Frau und eine undurchschaubare Psychologin - drei Personen, schicksalhaft miteinander verbunden und Figuren eines teuflischen Spiels, an dessen Ende sich erst offenbart, wer Täter und wer Opfer ist …
Ankes Ehe mit Erik ist am Ende. Hinter seiner charmanten Fassade verbirgt sich nichts als Kälte und Berechnung. Doch sie ist von den Bildern ihrer Liebe gefangen, die an einem Wochenende in einem einsamen Haus an der Nordsee begann. Um die romantischen Erinnerungen in ihrem Kopf zu entzaubern, fasst Anke den Entschluss, jenes Wochenende zu wiederholen - nicht ahnend, dass Erik plant, sie dort zu töten.
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18
Erik saß ruhig da. Er hatte aufmerksam zugehört. Wenn Erik aufmerksam war, hielt er den Kopf etwas zur Seite geneigt. Sein Blick war wach und unaufdringlich. Er ruhte auf dem Menschen, dem er lauschte. Erik bohrte nicht auf, er hörte gewissermaßen auch mit den Augen, gab sich interessiert und abwartend. Er nahm sich zurück, überließ scheinbar dem anderen das Feld und ließ ihn in Ruhe das Bild malen, das Erik erst dann betrachten und zerstören würde, wenn es fertiggestellt war. Anke hatte seine Aufmerksamkeit anfangs mit Achtsamkeit verwechselt. Sie hatte bewundert, dass ihm nichts entging und er auch unwesentlich erscheinende Details aus lang zurückliegenden Gesprächen erinnerte und einzuordnen wusste. Anke glaubte anfangs an sein warmherziges Einfühlen in den anderen. Heute wusste sie um sein Lauern, stach sein ruhiger Blick. Erik sezierte. Viele seiner Gesten, die ähnlich Mosaiksteinen ihr Bild von ihm zu einem schönen Ganzen vervollkommnet hatten, hatten sich als Zeichen seiner List entlarvt. Das Liebenswerte war die Maske des Bedrohlichen. Eriks Nähe schmerzte. Er drehte ihre Welt und ihre Empfindungen. Die gedrehte Welt machte sie krank. Er gab sich weich und ließ sich dankbar führen. Scheinbar folgsam blieb er im zweiten Glied. Erik beherrschte, indem er die Menschen wendete, bis sie sich verkehrt fühlten. Wer in Eriks Nähe blieb, ging entweder in ihm auf oder verglühte. Anke war voller Bilder über ihn und die Menschen um ihn herum, doch es fehlte die Erklärung für Ursache und Wirkung – und vor allem für die Faszination, die Erik ausmachte und den gefährlichen Leim für die bildete, die sich auf ihn einließen und an ihm kleben blieben. »Es ist gut, dass Anke den Weg zu Ihnen gefunden hat«, sagte er und nickte Miriam dankend zu, als habe er sich nach reiflicher Überlegung just in diesem Moment der Richtigkeit seines Urteils versichert. Anke suchte den Blickkontakt zu Miriam. Sein Satz verriet so viel. Indem Erik bestätigte, grenzte er aus und wertete ab. Seine eigentliche Botschaft war das Gegenteil der vordergründigen Aussage. Doch Miriam war jetzt ganz bei Erik. Es galt die Regel, dass jeder aussprechen durfte. Nur Miriam erteilte das Wort; keiner durfte es sich nehmen. »Anke und ich haben eine wundervolle Ehe geführt«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Aus heutiger Sicht fällt die Vorstellung schwer, dass wir ein Paar waren, das einander geliebt und im besten Sinne gelebt hat. Ich denke immer wieder über die Frage nach, an welcher Stelle wir entgleist sind. Aber ich finde keine Antwort. – Weißt du sie, Anke?« Sein Gesicht zeigte Betroffenheit. Anke würde nicht beschreiben können, wenn sie mit Worten Eriks betroffenes Gesicht hätte zeichnen sollen. Sie konnte es nur nachzeichnen, wenn sie den Schauspieler vor sich sah. Eriks Mimik hatte auch in der Maske der Betroffenheit immer eine Spur von heiterer Leichtigkeit, die sie abrundet wie ein erlesenes Gewürz das sorgfältig zubereitete Mahl. Das Heitere in Eriks Gesicht war nie unangemessen. Es wies behutsam und wohldosiert einen Weg nach vorn, überwand Traurigkeit und kündete von einem schönen Ziel. Erik verstand es meisterhaft, mit wohlgeformten Worten Perspektiven zu zeichnen. Deshalb war Erik nie am Ende eines Weges. Er spiegelte seine Zuversicht auf die, die sich an ihn wandten. Wer sich an Erik hielt, glaubte, nicht allein zu gehen. Anke konnte nicht anders, als jeden seiner Sätze zu analysieren. Hypersensibel reagierte sie auf alles, was er sagte und tat. Er hatte ihre Nerven blankgelegt, als bestünde sie nur aus Synapsen, die aufs Äußerste gereizt waren. Erik kehrte ihr Innerstes nach außen. Er häutete sie. Schlagartig stürzte ihre Erinnerung in den Trauergottesdienst für Michael zurück, einen in jungen Jahren verstorbenen Systemadministrator in Eriks Unternehmen, den er weder näher gekannt noch dessen Arbeit geschätzt hatte. Erik hatte seinen frühen Tod Anke gegenüber mit der Bemerkung kommentiert, dass der Tod seiner Kündigung zuvorgekommen sei. Das war im vorletzten Winter gewesen, etwa vier Monate vor ihrem Lachen auf dem Balkon. Erik hatte in der Kirche die Trauerrede gehalten. Sie gab ihm Gelegenheit sich zu präsentieren, und so handelte die Rede bei Lichte besehen über die von Erik gestellte Frage, wie schlimm es sei, wenn er selbst vorzeitig aus dem Leben scheiden würde, ohne dass er sich selbst erwähnte oder offen auf sich anspielte. Doch er erwähnte auch kein einziges Mal den Namen des Toten, ohne dass dies außer Anke jemandem aufgefallen wäre. Erik entwickelte ausschweifende Gedanken über einen aus dem Leben gerissenen Mann, der mit seinem Tod keine Lücke hinterlassen hatte. Allein Anke erkannte, dass Erik in diesem Moment sein Wesen schonungslos preisgab, und während er in Wahrheit darüber philosophierte, dass ohne ihn die Welt zum Stillstand käme, zerflossen die anderen Trauergäste gerührt in der Annahme, dass Erik mit bewegenden Worten dem Verstorbenen ein Denkmal meißelte. Erik trug seine Rede mit jener Betroffenheit vor, die ihn auch hier erfasste, gepaart mit jener Spur Heiterkeit, die seinerzeit die Trauergäste auf die Kraft hoffen ließ, in nicht ferner Zukunft den Verlust von Michael überwinden zu können. Anke hatte damals geweint, stellvertretend für Erik, der wegen Michael nicht eine einzige Träne vergossen hatte. Es war der Moment, in dem Anke in innigster Form Verantwortung für Erik übernahm. Erik konnte Abschiede wie Feste feiern. Ihn berührten andere Menschen nicht. Folgerichtig bedauerte er nicht, dass die Ehe mit Anke zerbrochen war, und ihn bekümmerte auch nicht, warum das so war. Eriks Frage war rein rhetorisch und geschickt in einen Kontext eingewoben, der nachdenklich machte und deshalb gut klang. Doch es war eine Frage, deren Antwort ihn nicht interessierte. Die Frage und ihre Antwort blieben so belanglos wie Michael. Anke fühlte eine Trauer um sich selbst, unbestimmt und trotzdem stechend klar. Es spannte sich ein Bogen zu dem anonymen Michael und zugleich bildete sich um Erik eine Blase menschlicher Leere. »Anke, jetzt träumen Sie aber …« Miriam hatte sich erhoben und ging auf sie zu. Sie reichte ihr aufmunternd die Hand. Es war das Beschützen, das klein machte. Anke wehrte die Berührung ab, als sie den Lavendel witterte. Sie wurde aggressiv. Alles, was sie sagte und tat, geschah auf der Bühne vor Erik. Der Krakenarm griff an ihren Unterarm. Eriks betroffenes Gesicht war im Hinter- und das Wollkleid im Vordergrund. Die Wolle war nah, mit der Wolle auch die Wollust. Das Fremde widerte an, die Nähe verstörte. Sie sah die Bilder deutlich vor sich: Die Freundin, die Therapeutin, die Parallelwelt der »Lustbar«, den träge durch die Stadt wälzenden Fluss, die Dampfschwaden des heißen Bades, das Hupkonzert der Autos, ihr Lachen auf dem Balkon, das Weinen um Michael, die bedrohliche Feuchte unter der Decke, die zitternden Kerzenflammen, die verbeulten Briefkästen. Anke hob ihre rechte Hand wie ein Signal. Ihre Fingernägel bohrten sich in Miriams ausgestreckte Hand. Sie schob die beschützende Hand von sich weg, hin zu dem Wollkleid. Wie eine Puppe ließ sich die Hand führen. Ganz leicht schwenkte sie an das Kleid. Die Wolle war dünn und faserig, nicht mehr als ein zartes Tuch. Anke riss ihre Hand zurück. »Ich deute die Worte Ihres Mannes als Zeichen, sich den Fragen zu stellen, die Sie beide gleichermaßen beschäftigen«, sagte Miriam ruhig. Sie kehrte zu ihrem Stuhl zurück, dem Therapeutenstuhl, dem Mediatorenstuhl, dem Schiedsrichterstuhl, vor dem die Bälle hin- und herflogen. Anke schaute auf wie ein waidwundes Tier. Sie war ohne Deckung. Anke signalisierte Bereitschaft zum Kampf unter Gleichen und hatte sich zurückgesetzt. »Es passiert nichts«, beruhigte Miriam. Sie zwinkerte ihr verstohlen von ihrem Platz aus zu. »Ich höre aus den Worten Ihres Mannes, dass er das Gespräch sucht. Er möchte die Gründe des Scheiterns Ihrer Ehe verstehen.« Anke lachte intuitiv auf. Nein, Erik wollte nicht verstehen. Ein nur aus sich heraus denkender und agierender Mensch suchte keine Erklärungen und Lösungen im Austausch mit dem anderen. Erik mied den Dialog. Seine Gespräche waren Rollenspiele. Fragen, Antworten und Haltungen des anderen waren von ihm manipuliert, ohne dass es der andere merkte. Er verheimlichte Anke nie, wie geringschätzig er andere behandelte und beurteilte. Und trotzdem hatte Anke ihn geliebt, ihn deswegen vielleicht noch mehr geliebt. Sie hatte nicht wahrhaben wollen, dass Erik in seiner brutalen Ehrlichkeit am Ende zwischen ihr und den anderen keinen Unterschied machte. Es war eine eigenartige Faszination, die von Menschen ausging, denen das Dunkel wesenseigen war und deren weniges Licht gerade wegen seiner Seltenheit so gleißend erschien, dass es sie anziehender machte als diejenigen, die durch ihr helles Wesen gleichförmig gut und deshalb banal erschienen. Miriam wandte sich Erik zu. Ihre Geste warb um Verständnis für ihre Patientin. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Das Wollkleid rutschte hoch und entblößte ihr nacktes Knie. »Ist es so billig, so nuttig?« Anke schrie die Frage heraus. Alles, was Wege aus ihr heraus öffnete, tat gut. Es waren Ventile, die über den Moment halfen. Doch sie konnte noch nicht aufstehen und wegrennen. Sie kannte die paradoxe Situation: Je mehr sie laufen wollte, desto gelähmter war sie. Die bebende Wut schlug sie im Inneren. Eriks Blick löste sich träge von Miriams Knie. »Wir tragen auch für unser Scheitern Verantwortung, Anke«, sagte er und betonte: »Wir...