E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Dabrowski / Dabrowski Eine Liebe in New York
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7317-6157-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-7317-6157-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tadeusz D?browski, geboren 1979, ist ein renommierter polnischer Lyriker und hat in zahlreiche Sprachen übersetzte Gedichtbände veröffentlicht. Als Redakteur der Literaturzeitschrift Topos und künstlerischer Leiter des Festivals »Europäischer Dichter der Freiheit« lebt er in Danzig. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Horst-Bienek-Förderpreis (2014) und den Literaturpreis der Hauptstadt Warschau (2014).
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Serra war ebenso flach und unwirklich wie die Begegnung mit dem New Yorker Mädchen. Er lud in eine Mitte ein, die sich plötzlich als Oberfläche entpuppte, er erwartete, dass ich mitmachte, aber er versprach nichts. Ich irrte zwischen gigantischen Bändern von verrostetem Blech umher, seine sanften Kurven machten mich schwindeln. Man benutzte mich als Meißel zur Bearbeitung des Raums.
Als ich die Galerie verließ, war die Stadt schon violett gefärbt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schliefen auf mehrstöckigen Metallbetten brav die Autos.
Von Glenwood aus, wo ich bei Bekannten wohnte, fuhr man eine Ewigkeit zur Bowery. In der Nähe der Columbia University erschien in meinem Waggon ein Junge mit einem dicken Stapel Papier auf dem Unterarm, er sah aus wie ein Kellner. Er sprach mich an, sagte, er sei Dichter und verkaufe für einen Dollar seine Gedichte mit Autogramm. Ich kaufte drei Stück. Was ich mache und wohin ich fahre, erwähnte ich nicht; es gibt nichts Traurigeres als die Konfrontation zweier Illusionisten.
Im Bowery Poetry Club begrüßten mich der lachende, pausbäckige Besitzer, ein Porträt von Ginsberg und ein Schild an der Bar: Bowery beef is currently closed … but Bowery Poetry Club is open, join us for poetry performance and libations; außerdem ein leeres, im Halbdunkel versunkenes Podest mit einem Mikrofon in der Mitte und einem braunen Vorhang im Hintergrund. Das Mikro war eine Herausforderung. Die Atmosphäre war etwas depressiver hier als zwei Tage zuvor in dem stickigen länglichen Saal des Cornelia Street Café, das wie ein großes Theaterlager aussah.
Während ich meine Ware unter die Leute brachte, war ich zu angespannt, um an Megan zu denken. Im Übrigen glaubte ich nicht, dass sie sich blicken lassen würde.
Etwa beim dritten Gedicht ging die Tür des Clubs auf. Ich schaute von meinem Buch auf und sah, wie sie schnurstracks auf mich zuging, mit einstudiertem, aber lockerem Gang, und jede ihrer Bewegungen krümmte die Raumzeit. Sie setzte sich auf einen Platz in der ersten Reihe und lauschte mit der Miene einer Klassenbesten der Grundschule.
Steves untrügliche Stimme erklang in mir: »Copulation – stärker, nachdrücklicher, mit Emphase, das kannst du dir leisten. War es angenehm oder nicht? Wenn ja – dann leg einen Zahn zu!« Ich gestaltete das Repertoire etwas profilierter: mehr klebrige Texte, mehr Körper. Aber auch ein bisschen Gott, um nicht als Tier dazustehen.
Eine Autorenlesung ist eine verdammt verdächtige Sache; der Schriftsteller schreibt, um sich zu verhüllen, sich hinter dem eigenen Text zu verbergen, von den Menschen abzugrenzen, um zu sagen: »Heute kann ich nicht mit euch zum Lunch gehen« und den Leuten stattdessen seinen Cousin aufs Auge zu drücken, der übrigens viel interessanter ist. Und dann kommt er hinter der Kulisse hervor wie zwischen seinen Versen, oder anders: Er durchschlägt das von hinten beleuchtete Papier, hinter dem er sich versteckt hat, hinter dem er eine deutliche Kontur ohne Gesichtszüge und andere besondere Merkmale gewesen ist, und stürzt auf die Bühne wie eine Parodie von Superman, halb so groß und ziemlich verstört. Mit dem Gedichtband in der zitternden Hand. Keine Scheinwerfer, die Achten beschreiben, keine Serpentinen und Fanfaren. Nur das Schweigen des Publikums, das gekommen ist, um den Dichter zu sehen. Ganz im Ernst: Stellt euch ein Puppentheater vor, in dem der Schauspieler seine Puppe verdeckt – genau das empfinde ich, wenn ich den Leuten Gedichte vorlese, und dann habe ich nur eine Möglichkeit: zu vergessen, dass ich der Autor bin, so zu sprechen, als spräche mein Protagonist. So zu lesen, als läse mein Held etwas über sich selbst vor. Er zu sein.
»Ich schließe mit einem Gedicht, das entstand, nachdem ich nach vielen Jahren meine erste Liebe wiedergetroffen hatte. Aber das ist mir nur einmal im Leben passiert. In der Regel wollen die Mädchen aus meiner Vergangenheit mich nicht wiedersehen. Ich habe keine Ahnung warum.«
Für alles zu spät, für nichts zu früh1
Wieder werden wir uns unverhofft treffen
nach Jahren, wir werden vorsätzlich Bier und Wein mit Wodka mischen, um mitten in der Nacht
mit den Rädern durchs Viertel zu fahren,
wobei wir unverhofft gegen die hohen
Bordsteine knallen, Beete zertrampeln,
uns die Wangen zerschneiden
an unverhofft gewachsenen Ästen,
um unverhofft dann zu stürzen,
die verbogenen Räder zu schieben,
zu mir zu gehen, die Wunden
zu verbinden, uns dann schlafen zu legen,
um morgens unverhofft zu kopulieren wie Tiere, aus Angst, dass unverhofft etwas wiederkommt,
was wir vor Jahren spürten,
als wir kopulierten wie Menschen.
Der Beifall war noch nicht verhallt, als Megan von ihrem Sitz aufstand und zum Ausgang ging. Ist sie eingeschnappt? Will sie, dass ich ihr folge, sie ausfrage, was ihr nicht gefallen hat, was ich in Zukunft besser machen könnte? Also wirklich. Wer ist diese Tussi, dass ich von ihrer Meinung mein Selbstwertgefühl abhängig machen sollte?
»Nicht schlecht, die hat Charisma!«, sagte Gary, der Besitzer meiner Bude, und steckte mir ein Kondom mit der bunten Aufschrift »New York« in die Tasche, das er aus einer Schüssel an der Bar nahm.
Der kleine pubertäre Scherz gefiel mir, jedenfalls hätte ich von einem sechzigjährigen Doktor der Physik so etwas nicht erwartet.
Die nächste Viertelstunde verbrachte ich damit, mit Bob, dem Chef des Clubs, der ebenfalls Gedichte schrieb, und anderen örtlichen Poeten zu plaudern. Aber ich wäre nicht imstande gewesen zu sagen, worum das Gespräch sich drehte, denn ich dachte die ganze Zeit nur an eines: Wo war Megan abgeblieben?
Draußen war es hell, eine typische New Yorker Nacht. Kühler Regen setzte sich wie Spray sanft auf den Gesichtern ab. Mitten auf dem Bürgersteig stand meine Architektin, und neben ihr Gary, der schon einige Bier intus hatte und aufdringlich in ihre Richtung gravitierte. Ohne Eile näherte ich mich den beiden, kurz darauf kam auch Miranda dazu, Garys Frau, sein Mutterplanet, in dessen Gegenwart er seine Bahn schlagartig korrigierte.
»Ich muss eine rauchen, obwohl das in diesem Land ja sträflicher ist, als sich zu spritzen«, sagte ich.
»Bietest du mir eine an?«, fragte Megan.
»Das glaub ich jetzt nicht, ich dachte, du ernährst dich ausschließlich von Biosprossen.«
»Warum?« Ihre Augen nahmen den Ausdruck eines Trolls an.
»Was heißt warum? Deine Haut ist glatter als ein Embryo, außerdem haben hier alle einen Hau weg in Bezug auf Bioprodukte, Gary isst nur Äpfel mit Würmern.«
»Ich bin aus Kanada, bin erst vor drei Monaten nach New York gekommen. Ich achte nicht auf Kalorien, mag Fast Food und rauche. Sonst noch was?«
»Ich habe nur eine Kippe, wir können sie teilen.«
Sie rechnete damit, dass wir uns abwechseln würden, aber von wegen – ich würde selbst entscheiden, wann die Distanz verringert wird.
»Nimmst du den gesunden oder den ungesunden Teil?«, fragte ich und stellte damit ihren Feminomachismus auf die Probe.
Ich brach die Zigarette in der Mitte entzwei und schaute sie an, in der Erwartung einer schnellen Entscheidung. Ihre Augen wurden sanft und baten um Erbarmen. Also gab ich ihr die Hälfte mit dem Filter, und ich selbst spielte den Cowboy. Oder den polnischen Proll, der am Feierabend gern ein bisschen Tabak spuckt.
Miranda hatte polnische Wurzeln und kannte alle in Greenpoint. Und selbst außerhalb davon. Sie hatte den festen Wunsch, meine Zeit abwechslungsreich zu gestalten, und so war sie auf die Bekanntmachung eines Konzerts in den Räumen der Kosciuszko-Stiftung gestoßen. Lieder von Karlowicz und Auszüge aus berühmten Operetten. Eine grandiose Kombination. Ich konnte nicht zulassen, dass Kosciuszko, der für die Staaten die Freiheit erkämpft hatte, mir jetzt im Weg stand, deren Attraktionen auszukosten.
»Megan kommt mit, okay?«, sagte ich beiläufig und schaute fragend oder eher gebietend zu Megan hinüber, die ganz offensichtlich an jenem Abend über mehr Zeit verfügte, als ich gedacht hatte.
Im Metrotunnel wollte Gary ein Foto von uns beiden machen, aber das Mädchen entschlüpfte konsequent dem Bild, als wollte sie keine Spuren hinterlassen.
Im Waggon herrschte, wie immer um diese Zeit, Gedränge. Ich hielt mich mit der linken Hand an einem Griff fest, die rechte hatte ich frei, und die Blondine mit den kitschigen Augen war gefährlich nah. Ich spürte, wie mein Schweiß mit dem Duft reagierte, den ich mir – ohne dessen Wissen – von Gary geborgt hatte, und eine Mischung bildete, die alle fremden Weibchen abschreckte und nur das eine, zu allem entschlossene, anzog. Was immer dieses »alles« für sie bedeutete.
Zugegeben – Megan hatte nichts, woran sie sich festhalten konnte. Aber es warf sie auch nicht dermaßen durch den Waggon, dass sie nach dem Revers meiner Jacke hätte greifen müssen. Auf allen geraden Strecken zog sie die Hand zurück, aber wenn der Zug in die Kurve ging und es zu wackeln begann, klammerte sie sich an mich wie eine Meise an ein nicht vereistes Stück Dachrinne, mit dem Blick eines kleinen Mädchens, das Ärger gemacht hat und jetzt um Verzeihung bittet, obwohl es sich tief in seinem Herzen gar nicht schuldig fühlt.
»Du musst gut im Rechnen sein«, sage ich.
»Ich verstehe nicht …«
»Na, damit das, was du entwirfst, sich auch bauen lässt«, erkläre ich.
»Nein«, sie greift mich sanft an der Jacke,...