Cussler Eisberg
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-15186-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ein Dirk-Pitt-Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 352 Seiten
Reihe: Dirk Pitt
ISBN: 978-3-641-15186-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein »New York Times«-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.
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Prolog
Der durch Drogen verursachte Schlaf verflüchtige sich allmählich, und in qualvollem Kampfe erwachte das Mädchen zum Bewusstsein. In ihre sich langsam öffnenden Augen floss ein trübes und milchiges Licht, und in ihre Nase stieg ein abscheulicher fauliger Gestank. Sie war nackt, ihr bloßer Rücken war an eine feuchte, gelbe, mit Schleim überzogene Wand gepresst. Es ist nicht wahr, es ist einfach unmöglich, versuchte sie sich während des Erwachens einzureden. Es musste eine Art entsetzlicher Albtraum sein. Noch bevor sie jedoch die in ihr aufsteigende Panik niederzukämpfen vermochte, wuchs plötzlich noch viel mehr gelber Schleim vom Boden hoch und kroch die Schenkel ihres wehrlosen Körpers empor. Völlig außer sich vor Schrecken, begann sie zu schreien, wahnsinnig zu schreien, während der abscheuliche Schleim ihre nackte, schweißnasse Haut überzog. Ihre Augen quollen aus den Höhlen und sie wehrte sich verzweifelt. Es war zwecklos – ihre Hand- und Fußgelenke waren fest an die schlammbedeckte Wand gekettet. Langsam und stetig kroch der widerliche Schleim über ihre Brüste. Und gerade als er die Lippen des Mädchens berührte, hallte ein entsetzlicher Lärm durch das Dunkel des Zimmers, und eine unsichtbare Stimme sagte: »Es tut mir Leid, dass ich Ihre interessante Lektüre unterbrechen muss, Lieutenant, aber die Pflicht ruft.«
Lieutenant Sam Neth klappte das Buch, das er in seiner Hand hielt, zu. »Verdammt, Rapp«, sagte er zu dem säuerlich dreinblickenden Mann, ebenfalls ein Lieutenant, der neben ihm im dröhnenden Cockpit saß, »jedes Mal, wenn ich an eine spannende Stelle komme, mischen Sie sich ein.«
Rapp deutete auf das Buch. Auf dem Umschlag war ein Mädchen zu sehen, das in einem Becken voll gelben Schlamms steckte und, wie Rapp folgerte, durch ein Paar riesige Brüste vorm Untergehen bewahrt wurde. »Wie können Sie diesen Schwachsinn nur lesen?«
»Schwachsinn?« Neth verzog sein Gesicht schmerzlich. »Sie mischen sich nicht nur in meine Privatangelegenheiten, Lieutenant, Sie gefallen sich auch noch in der Rolle meines persönlichen Buchkritikers!« Er rang in gespielter Verzweiflung die Hände. »Warum spannt man mich nur immer mit einem Copiloten zusammen, dessen primitives Gehirn sich weigert, den Bildungsstand unserer Zeit zu akzeptieren?« Neth legte das Buch auf ein primitiv zusammengebautes Gestell, das in einem Seitenfach an einem Kleiderhaken aufgehängt war. Einige zerlesene Zeitschriften, die nackte Mädchen in zahlreichen verführerischen Posen zeigten, lagen ebenfalls auf dem Gestell und ließen erkennen, dass Neth, was die Literatur betraf, nicht unbedingt auf die Klassiker eingeschworen war.
Neth seufzte, dann richtete er sich in seinem Sitz auf und blickte durch die Windschutzscheibe hinunter auf das Meer.
Das Patrouillenflugzeug der U.S.-Küstenwache war nun schon seit vier Stunden und zwanzig Minuten auf einem langweiligen achtstündigen Routineflug, um einen Eisberg zu überwachen, dessen Weg kartographisch festgehalten werden sollte. Die Sicht war, bei wolkenlosem Himmel, glasklar, und es herrschte eine sanfte Dünung – für den Nordatlantik Mitte März selten gute Bedingungen. Im Cockpit kümmerte sich Neth mit vier Mitgliedern der Crew um die Steuerung und Navigation der riesigen vierstrahligen Boeing, während die restlichen sechs Mann im Laderaum Dienst taten und den Radarschirm sowie andere wissenschaftliche Instrumente überwachten. Neth schaute auf seine Uhr, wendete das Flugzeug in einem weiten Bogen und brachte es auf direkten Kurs zur Küste von Neufundland.
»Genug für heute.« Neth lehnte sich zurück und griff wieder nach seiner Horrorgeschichte. »Bitte, Rapp, beweisen Sie ein bisschen Selbständigkeit. Bis wir in St. John’s sind, möchte ich nicht mehr gestört werden.«
»Ich werd’s versuchen«, antwortete Rapp. »Übrigens, wenn das Buch wirklich so spannend ist, können Sie es mir vielleicht leihen, wenn Sie damit fertig sind?«
Neth gähnte. »Tut mir Leid, ich verleihe aus Prinzip keine Bücher.« Plötzlich knackte es in den Kopfhörern, und er griff nach dem Mikrophon. »Okay, Hadley, was haben Sie auf dem Herzen?«
Hinten, im schwach erleuchteten Rumpf der Maschine, starrte der Obergefreite Buzz Hadley angestrengt auf den Radarschirm, das Gesicht vom unwirklichen, grünen Schimmer des Schirms übergossen. »Ich habe ein seltsames Signal, Sir. Achtzehn Meilen von hier, Richtungskoordinaten drei-vier-sieben.«
»Immer mit der Ruhe, Hadley. Was meinen Sie mit seltsam? Beobachten Sie einen Eisberg oder empfangen Sie auf Ihrem Gerät einen alten Draculafilm?«
»Vielleicht hat er ebenfalls Ihre Horrorgeschichte gelesen«, grunzte Rapp.
Hadley meldete sich wieder: »Wenn man nach Aussehen und Größe urteilt, ist es ein Eisberg, aber für gewöhnliches Eis ist das Signal viel zu stark.«
»Na gut«, seufzte Neth. »Wir werden uns die Sache einmal ansehen.« Er wandte sich missmutig an Rapp: »Seien Sie so nett und bringen Sie uns auf Kurs drei-vier-sieben.«
Rapp nickte, zog das Steuer herum und brachte die Maschine auf den neuen Kurs. Das Flugzeug, das vom ständigen Dröhnen der vier Pratt-Whitney-Motoren vibrierte, ging sanft in die Kurve, dem neuen Ziel entgegen.
Neth nahm das Fernglas und richtete es auf die unendliche Wasserfläche. Er stellte die Brennweite ein und hielt das Glas so ruhig, wie es ihm das Vibrieren der Maschine erlaubte. Dann erblickte er ihn – ein weißer unbewegter Fleck inmitten einer türkis schimmernden See. Langsam wuchs der Eisberg in seinem Fernglas an, als das Flugzeug sich ihm näherte. Neth ergriff das Mikrophon: »Was meinen Sie dazu, Sloan?«
Lieutenant Jonis Sloan, an Bord zuständig für Eisberge und ihre Beobachtung, musterte den Berg durch die halbgeöffnete Tür des Laderaums hinter der Kontrollkabine.
»Nichts Besonderes, normaler Durchschnitt«, hörte man Sloans Stimme im Kopfhörer. »Ein Tafelberg mit ebener Spitze. Ich schätze: Sechzig Meter hoch und vielleicht eine Million Tonnen schwer.«
»Durchschnitt?« Neth schien ziemlich überrascht. »Nichts Besonderes? Ich bedanke mich für Ihre äußerst aufschlussreichen Bemerkungen, Sloan. Ich kann es kaum erwarten, bis ich ihn zu Gesicht kriege.« Er wandte sich an Rapp: »Wie hoch sind wir?«
Rapp schaute starr geradeaus. »Dreihundertfünfzig Meter. Dieselbe Höhe, in der wir schon den ganzen Tag fliegen … und gestern auch … und vorgestern …«
»Ich wollte mich bloß vergewissern. Danke«, unterbrach ihn Neth sarkastisch. »Sie werden es nie erfahren, Rapp, wie sehr Ihre enormen Talente an den Kontrollgeräten mir in meinem Alter ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.« Er setzte eine verbeulte Fliegerbrille auf, schützte so seine Augen gegen den eisigen Wind und öffnete das Seitenfenster, um den Eisberg genauer zu beobachten. »Da ist er!«, schrie er Rapp zu. »Fliegen Sie ein paar Mal über ihn weg, dann werden wir schon entdecken, was es zu entdecken gibt!«
Es dauerte nur ein paar Sekunden, und Neth hatte das Gefühl, sein Gesicht wäre so zerstochen wie ein Nadelkissen. Die eisige Luft riss an seiner Haut, bis sie völlig taub war. Er biss die Zähne zusammen und richtete seinen Blick fest auf den Berg.
Die riesige Eismasse sah aus wie ein aufgetakeltes Geisterschiff, als sie majestätisch unter dem Fenster des Cockpits dahintrieb. Rapp nahm das Gas zurück, zog vorsichtig den Steuerknüppel nach links und sanft kurvte die Maschine nach Backboard ein. Er ignorierte den Richtungsanzeiger und riskierte einen Blick über Neths Schulter auf die glitzernde Eismasse. Er umkreiste den Berg dreimal und wartete auf das Zeichen Neths, wieder auf Geradeausflug zu gehen. Schließlich zog Neth den Kopf in die Kabine zurück und nahm das Mikrophon zur Hand: »Hadley! Der Berg ist so blank wie der Hintern eines Neugeborenen!«
»Es muss etwas dort sein, Lieutenant«, war Hadleys Stimme zu vernehmen. »Ich habe ein wundervolles Echozeichen auf meinem …«
»Ich glaube, ich habe ein dunkles Objekt ausgemacht, Käpt’n«, schaltete Sloan sich ein. »Knapp über der Wasserlinie auf der Westseite.«
Neth wandte sich Rapp zu: »Gehen Sie auf sechzig bis siebzig Meter runter!«
Rapp reagierte wie befohlen. Er umkreiste den Berg noch einmal einige Minuten lang, wobei er die Geschwindigkeit nur knapp dreißig Stundenkilometer über dem Punkt hielt, an dem die Maschine abschmieren würde.
»Näher«, murmelte Neth gespannt. »Noch mal dreißig Meter.«
»Warum landen wir eigentlich nicht auf dem verdammten Ding?«, bot Rapp beiläufig an. Wenn seine Nerven auch aufs äußerste angespannt waren, so ließ er sich doch nichts anmerken. Er sah aus, als wollte er gleich in tiefen Schlaf fallen. Nur die winzigen Schweißperlen über seinen Augenbrauen verrieten die totale Konzentration, die für diesen riskanten handgesteuerten Flug nötig war. Die blauen Wellen schienen so nah, dass er das Gefühl hatte, er könnte Neth über die Schulter langen und sie mit Händen greifen. Und um seine Anspannung noch zu erhöhen, türmten sich jetzt die Wände des Eisbergs hoch über dem Flugzeug auf, und der Gipfel verschwand vollständig über dem Rahmen des Cockpitfensters. Ein einziger Ruck, dachte er, eine kurze heimtückische Bö, und die Spitze des Backbordflügels taucht in einen Wellenkamm und die ganze großartige Maschine verwandelt sich augenblicklich in einen wirbelnden Trümmerhaufen.
Endlich entdeckte Neth etwas … etwas Undeutliches, Schemenhaftes, an der Grenze zwischen Wirklichkeit und Einbildung. Langsam nahm es feste Formen an; es schien von Menschenhand zu stammen. Schließlich – Rapp kam es wie nach einer Ewigkeit vor...




