E-Book, Deutsch, 202 Seiten
Curran DIE WIEDERERWECKTEN DES HERBERT WEST
überarbeitete Ausgabe
ISBN: 978-3-95835-331-2
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Horror, Mystery
E-Book, Deutsch, 202 Seiten
ISBN: 978-3-95835-331-2
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In H.P. Lovecrafts Kurzgeschichte 'Reanimator - Der Wiedererwecker' lernen wir Herbert West kennen - einen ebenso genialen wie irregeleiteten Forscher, der davon überzeugt ist, dass der menschliche Körper nichts weiter als eine organische Maschine sei, die man selbst nach dem Tod wieder 'neu starten' könne. Als Sanitäter begibt sich West unter anderem an die Flandern-Front des Ersten Weltkrieges, denn dort gibt es genug menschliches Material für seine Experimente ...
Tim Currans Hommage 'Die Wiedererweckten des Herbert West' lässt uns tiefer in dieses dunkle Kapitel eintauchen. Wir erfahren von geheimen Laboren, Legionen wandelnder Toter und grausamen Experimenten, einer Monstrosität, die sich von den Toten ernährt, und einem unvorstellbaren Wesen jenseits von Leben und Tod, welches sich im Schutze der Nacht auf die Suche nach seinem wahnsinnigen Schöpfer begibt.
Tim Curran lebt in Michigan und ist Autor der Romane SKIN MEDICINE, HIVE, BLACKOUT und SKULL MOON. Seine Kurzgeschichten sind in Zeitschriften wie City Slab, Flesh&Blood, Book of Dark Wisdom und Inhuman sowie Anthologien wie FLESH FEAST, SHIVERS IV, HIGH SEAS CTHULHU und VILE THINGS erschienen.
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Und wieder Niemandsland
Haines behielt recht, was den Nebel anging; er kam im Morgengrauen auf, weißer Dampf in einer ununterbrochen dichten Wand, die alles unkenntlich machte, sodass die Trümmer und Toten draußen auf dem Felde zu vagen Umrissen wurden. Die Sonne ging immer weiter auf, doch er lichtete sich nicht. Es war, als steige er direkt aus dem vom Schlamm glatten Grund auf; er legte sich über die Gräben wie ein Leichentuch und begrenzte die Sichtweite auf zehn bis zwölf Fuß. Creel konnte die Männer und ihr klapperndes Rüstzeug zwar hören, aber nichts von ihnen sehen. Sie hatten keine Zeit, das Naturschauspiel zu bewundern, denn die Offiziere und Sergeants riefen zum »Antreten in Linie«, woraufhin die Männer mit fixierten Bajonetten, um vor einem morgendlichen Überfall gefeit zu sein, auf die Banketts traten. Genau so lief es jeden Tag ab. Dem folgte das, was die Tommys »Morgenhass« nannten: Beiderseits wurde MG- und leichtes Geschützfeuer eröffnet, einfach zum Abbau der Spannung, die sich durch die Warterei ergab. Lange dauerte es nicht; die Soldaten traten zurück, reinigten ihre Waffen und Ausrüstung und wurden von ihren Vorgesetzten inspiziert. »Habe gehört, Sie spazieren mit uns raus«, sagte Corporal Kelly zu Creel, während sie hartes Brot, Schinkenspeck und Kekse frühstückten. »Ich dachte, warum nicht?«, entgegnete der Reporter. »Das wird nicht lustig, Sir«, deutete Kelly an, während er die Hände schützend über seine Verpflegung hielt, weil es wieder nieselte. »An Ihrer Stelle würde ich es mir anders überlegen. Immerhin müssen Sie nicht gehen, wir schon.« In seinen Worten schwang Furcht mit, da gab es kein Vertun, doch handelte es sich um jene vor dem Feind, die man verstehen konnte, oder vor etwas anderem? Creel hakte nicht nach; er brauchte niemanden von den Jungs aufzureiben und nervös zu machen, wie er es selbst war. »Sie bringen mich ständig in Teufels Küche«, klagte Burke, während er eine Zigarette rauchte. »Ich denke, im Gefecht könnte mir weniger passieren.« »Dort draußen geht etwas Seltsames vor sich«, legte ihm Creel nahe, »und ich muss herausfinden, was es ist.« »Das lässt Ihnen keine Ruhe, mein Freund, was?« »Nein, und zwar so lange nicht, bis ich es aufgeklärt habe. Machen Sie mir nichts vor: Sie spüren es genauso wie ich. Es ist da; etwas Haarsträubendes, Unwirkliches.« Das brachte Burke zum Lachen. »Sie nehmen solches Geschwätz ernst? Der hartgesottene Creel? Der Vorkämpfer aller zynischen Teufelskerle? Meiner Treu, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.« »Sie haben die Fußspuren gesehen – und gespürt, dass dort was ist.« Burke stritt es ab: »Nein, ich nicht. Nichts habe ich gespürt … und zwar auch deshalb, weil ich nachts gern ruhig schlafe.« Nach dem Frühstück stand der Nebel immer noch dicht, doch Haines versammelte sie trotzdem: Creel, Burke, Kelly und einen Private, den alle Scratch nannten, weil er die Läuse hatte. Sie traten wieder auf die Banketts, wo Captain Croton die Umgebung mit seinem Grabenperiskop absuchte. »Alles ruhig«, sagte er. »Worauf warten wir?« Als sie über die Sandsäcke stiegen, erkannte Creel, welche Angst jedem einzelnen Mann des Trupps zusetzte. So unwirtlich und widerwärtig die Gräben auch sein mochten, boten sie Schutz, wohingegen draußen der Tod lauerte, sich in jedem Winkel und jeder Kluft versteckte. Sie robbten durch den Schlamm, schlüpften durch Öffnungen im Stacheldraht, an dem von Vögeln zerpflückte Gebeine hingen, und befanden sich relativ bald zwischen den Fronten. Obwohl es nicht aufklarte, sah Creel die geschundene Landschaft voller Granatlöcher, rosafarbenen Schlieren auf dem Lehmboden und Lachen, wo braunes Wasser zusammengeflossen war, dazwischen zersplitterte Ziegelsteine. Zuvor hatten hier Bäume oder ein ganzer Wald gestanden, doch jetzt war es ein Ödland aus Stümpfen und langen Stämmen ohne Geäst, gleich Telegrafenmasten zwischen schwarzen, gluckernden Schlammgruben, die man mit Lattenrosten abgedeckt hatte. »Alle hinter mir bleiben«, befahl Haines. »Nicht von den Brettern steigen und Schnauze halten.« »Springt von der Brücke, wenn der Schwachkopf es sagt«, flüsterte Burke. »Was war das?« »Nichts, Sergeant«, erwiderte er grinsend. Creel, der seine Enfield fest im Griff und 60 Pfund Kampfgepäck auf dem Rücken hatte, tat wie geheißen und folgte den anderen im Gänsemarsch über Laufgitter, die unter ihrem Gewicht im Schlamm zu verschwinden drohten. Schmutziges Wasser umspülte ihre Knöchel und brauner Sumpf verströmte Fäulnisgestank: Becken voller Leichen, die madig und grün waren, wohingegen ihre Knochen weiß unter fleckig grauer Haut hervorstachen. Es wimmelte vor Schmeißfliegen, weshalb ein steter, tiefer Brummton in der Luft lag. Weiter entfernt im Nebel hörte man indes Ratten platschen und quieken. Wie sich Haines zurechtfand, war ihm unbegreiflich. Weder Sonne noch Sterne hätte man sehen können, nur die ewig gleiche Kulisse aus Stümpfen und Schlammlöchern, prasselndem Regen und Bombenkratern voller schäumender Brühe, die Holzstege selbst mit zähem Schleim bespritzt. Haines jedoch war mit allen Wassern gewaschen. Er stand seit Kriegsbeginn in Gräben, hatte im Borinage zwischen Fördertürmen und Schlackenhalden gekämpft sowie in der Schlacht an der Marne Himmelfahrtkommandos gegen deutsche Jägerbataillone angeführt. Mochte er auch ein Dummkopf und ein Charakterschwein sein, so verstand er doch etwas von dem, was er tat. Das Rost verlor sich vor ihnen im Schlamm, doch sie gingen weiter und spürten es auch weiterhin unter ihren Füßen, als ihnen das Wasser bis zu den Oberschenkeln reichte. Es war kalt und schwer vom Sand, zumal voller Schwemmholz, weggeworfener Essenskonserven und leerer, rostender Schießpulverdosen. Das alles erweckte den Eindruck einer Müllkippe, derweil Ratten – fette Viecher, aufgebläht und glitschig – zwischen den Haufen herumschwammen. Der Steg führte die Truppe aus dem Sumpf, endete jedoch recht bald. Dann taten sich nur noch die Reste des Waldes vor ihnen auf, verkohlte Stämme ähnlich Friedhofsdenkmälern, dicht an dicht und schief, umspannt mit rotbraun gewordenem Draht, während sich der Nebel wie weißes Schnürband um ihren Wurzelstock rankte. Haines blieb an der Spitze und sank zwar bis zu den Knien in den Schlamm ein, dankenswerterweise aber nicht tiefer. Sie durften kurz verschnaufen, während er sich mit seinem Kompass orientierte. Überall lagen Stofffetzen und Knochen, Stiefel und Helme, als habe die feuchte, dampfende Erde eine Mahlzeit aus Menschen aufgestoßen. Scratch und Kelly schauten sich ein wenig um, wobei sie Patronenhülsen und alte Lewis-Trommelmagazine fanden und Aaskrähen von den hunnischen Gefallenen aufscheuchten. »Seht euch den an«, bemerkte Scratch mit einem deutschen Helm in der Hand, der glatt durchschossen worden war. »Das arme Schwein hat’s in die Rübe getroffen.« »Was heißt hier arm? Dafür war er schnell tot«, nuschelte Kelly, der einen Bissen Dosenrindfleisch kaute. »Du bist schon wieder am Essen?«, fragte Burke. »Hab Hunger.« »Jede Wette, du hast die Würmer oder was anderes in der Art.« »Still jetzt«, mahnte Haines, ohne den Blick vom Kompass abzuwenden. Creel rauchte im Sitzen und ließ seine Kodak Brownie ein paarmal klicken, um die Eindrücke der Verwüstung ringsum festzuhalten. Er hätte nicht hier sein müssen – das war ihm sehr wohl bewusst –, sondern zu Hause in Kansas City einem angenehmen, entspannten Beruf nachgehen können. Obschon er die Stelle eines Redakteurs verdiente, hockte er nun hier in einem nebligen Jenseits zwischen Ratten, Krähen und deren Aas auf einer Schlammpiste. Er gehörte nicht hierher, doch … andererseits hatte er auch nichts im Balkankrieg oder mit der Revolution in Mexiko zu schaffen gehabt, weder mit dem Zweiten Burenkrieg noch dem Boxeraufstand. Dennoch war er überall zugegen gewesen. Und jetzt eben hier. Kriege und der Abfall, den sie hervorbrachten, zogen ihn immerzu an. Seufzend beobachtete er Kelly und Scratch. Bloße Kinder, mehr waren sie nicht. Auch wenn die Grausamkeiten des Grabenkampfes die Unschuld aus ihren Augen getrieben und durch den völlig ausdruckslosen Glast der Gleichgültigkeit ersetzt hatten, blieben sie Kinder. Er schaute dabei zu, wie sie herumstöberten, ja nachgerade im Matsch spielten, wohingegen Burke nur den Kopf schüttelte. Sie entdeckten das vollständig erhaltene Skelett eines deutschen Offiziers, der sich in seinem Todeskampf bis zuletzt an einen Baumstumpf geklammert hatte. Losmachen konnten sie ihn nicht; er war im Verfall mit dem Stamm verwachsen, und zwar über klebrige Gewebestränge wie Holzfäule, die sich in einem verlassenen Haus ausbreitete. Haines erteilte Marschbefehl, also zogen sie wieder los, stapften weiter durch aufspritzenden Schlick und ließen den Regen über die Krempen ihrer Stahlhelme rinnen. Es wurde still. Nichts huschte über den Boden, gar keine Bewegung war zu bemerken; Wasser tropfte von den Bäumen, doch viel mehr sah man nicht. Der Nebel umwölkte sie vom Wind verweht. Creel wischte sich kalten Schweiß und noch kältere Regenperlen von der Stirn, wobei er nicht verdrängen konnte, dass sein Herz heftig klopfte. Sein Mantel und die vom Matsch verklumpten Stiefel kamen ihm vor wie Beton. Er befürchtete fast, einfach unterzugehen, falls er stehen bliebe. Jene Dinge, die sich in der Umgebung rührten, bildete er sich ein, wie ihm klar war: Gebilde mit langen Armen, die am Rande seines Gesichtskreises herumgeisterten. »Runter«, blaffte Burke plötzlich. Sie kauerten im...