Curdt | Liebe und andere Projekte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Curdt Liebe und andere Projekte


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7641-9033-0
Verlag: Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-7641-9033-0
Verlag: Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Illy hat tausende Geschäftsideen, aber keinen Plan für ihr späteres Leben. Ihre große Schwester liegt ihr ständig damit in den Ohren, dass sie endlich erwachsen werden soll. Als sie den nerdigen Mitbewohner ihres Ex-Freundes Neo kennenlernt, kommt Illy die große Idee: Warum nicht in die Computerspielbranche einsteigen? Neo ist ein begnadeter Grafiker und sein Mitbewohner, den alle nur »Geier« nennen, hat die nötigen Computerkenntnisse. Dumm nur, dass sie die beiden erst von ihrer Idee überzeugen muss und dabei in unerwartete, amouröse Nöte gerät ...

Henrike Curdt war nach den unterschiedlichsten Jobs lange Zeit als freie Mitarbeiterin in einem Computerspiele-Entwicklerstudio beschäftigt. Inzwischen leitet sie die Marketing-Abteilung einer Bank, unterrichtet an einer Hochschule und schreibt Geschichten.
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»Wth?«, tippte Illy in ihr Handy. »Stehe vor deiner tür und komme nicht rein.«

Sie stellte ihren Rucksack im Hauseingang ab, trat ein paar Schritte zurück in den abendlichen Nieselregen und sah an der hohen Fassade des Stadthauses empor, das im Licht der Straßenlampen kalt und abweisend wirkte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, während sie die Stockwerke zählte: eins, zwei, drei, vier. Kein Zweifel – in Neos Wohnung brannte Licht. Und die laute Musik, die bis auf die Straße herunter zu hören war, kam vermutlich auch von dort.

Illy seufzte. Großartig. Sie hatte ihr letztes Geld für das Zugticket geopfert und war über hundert Kilometer gefahren, um Neo am Abend seines Geburtstags zu überraschen, und jetzt … Okay, das stimmte nicht ganz. Eigentlich war es ihr nicht in erster Linie darum gegangen, Neo eine Freude zu machen. In Wahrheit hatte sie erst nach dem Streit bei Kats Examensfeier beschlossen, zu ihm zu fahren. Sie war wütend abgerauscht und hatte nicht gewusst, wohin sie sonst hätte gehen sollen.

Das Ergebnis blieb das gleiche: Sie stand vor Neos Tür und kam nicht rein.

Fröstelnd schlang sie ihre Jacke enger um ihren Körper. Für Ende Juni war es viel zu kalt. Kurz unter dem Po abgeschnittene Jeansshorts und Netzstrümpfe waren jedenfalls nicht das ideale Outfit, um stundenlang auf der Straße auszuharren. Und ihrer gekonnt nachlässig gestylten Mähne bekam das Wetter auch nicht gerade. Zu Hause vor dem Spiegel hatte sie noch ausgesehen wie eine dunkelhaarige Avril Lavigne. Wenn sie allerdings nicht allmählich ins Trockene kam, würde davon bald wenig übrig sein.

Mit hochgezogenen Schultern stellte sie sich wieder in den Hauseingang. Ein Auto zischte über den nassen Asphalt, dann noch eins. Von irgendwo her war das Geräusch einer Straßenbahn zu hören.

Ob Neo ihr Geburtstagspäckchen schon geöffnet hatte? Vor zwei Tagen hatte sie es zur Post gebracht, es musste also inzwischen angekommen sein. Sie war sicher, dass er sich wie verrückt über ihr Geschenk freuen würde, den zweiten Teil des PC-Adventures . Er hatte den ersten Teil geliebt und beharrlich behauptet, dass es nie wieder ein so gutes Spiel in diesem Genre geben werde. Illy hatte seine Begeisterung nicht verstanden – die Story war so simpel, dass man sie fast schon als hohl bezeichnen konnte, und die Umsetzung lud auch nicht gerade zum Niederknien ein. Aber als das Spiel herausgekommen war, war es eingeschlagen wie eine Bombe. Inzwischen war so bekannt wie Angela Merkel. Und das hatte Illy auf eine Idee gebracht.

Beim Gedanken daran überlief Illy trotz der kühlen Witterung ein wohliger Schauer. Kat hatte keine Ahnung, wenn sie Illy vorwarf, kein Ziel zu haben. Seit ihrer Kindheit war Illy auf der Suche. Sie zweifelte nicht daran, dass sie eines Tages richtig durchstarten würde. Die Frage war nur womit. Mit neun Jahren hatte sie sich als Aktionskünstlerin versucht, mit zehn als Straßenmusikerin und anschließend als Hundetrainerin. Dann war sie auf die Idee mit dem Horror-Kasperletheater gekommen, was ihr zwar eine Menge Fans unter den Kindern, aber leider nur sehr wenige unter den zahlenden Eltern eingebracht hatte. Quasi als Wiedergutmachung hatte sie daraufhin einen digitalen Gutenachtgeschichtenversand aufgezogen, der eine Zeit lang sogar richtig gut gelaufen war. Danach hatte sie vorübergehend eine Partybegleitagentur betrieben und einen Ausreden- und Alibiservice. Als sich auch das als Flop erwies, hatte sie schließlich ein ganzes Jahr lang auf eine neue Idee gewartet. Und dann war herausgekommen.

Das ist es, hatte Illy gedacht. Die Macher von hatten nichts weiter zustande gebracht als ein Spiel mit einer schwachsinnigen Story und batzdummen Akteuren, und damit waren sie so erfolgreich, dass jetzt sogar der Börsengang anstand. Ha! So etwas konnte Illy schon lange. Es war mit Sicherheit keine unlösbare Aufgabe, sich eine originelle Geschichte und ein paar Charaktere einfallen zu lassen, die diese Bezeichnung verdienten. Wenn sie das geschafft hatte, musste sie nur noch jemanden finden, der den Figuren auf dem Bildschirm Leben einhauchte. Und an dieser Stelle kam Neo ins Spiel. Neo liebte Adventures. Aber das war noch nicht alles. Illy kannte niemanden, der so gut zeichnen konnte wie er. Wenn sie es schaffte, Neo als Grafiker für ihr Projekt zu gewinnen, dann fehlte nur noch ein Programmierer, der das Ganze zum Laufen brachte …

Illy zählte im Geiste die Stationen ihrer bisher nicht eben erfolgreichen Karriere. Sie kam auf sieben. Die Idee mit dem Adventure war also ihr achtes Projekt. War die Acht in China nicht eine Glückszahl? Zumindest hatte ihr Vater etwas in der Richtung erwähnt. Und der musste es wissen, schließlich lebte er seit zwei Jahren dort. Projekt Nummer acht – das konnte doch kein Zufall sein!

Illys Blick blieb an einem rostigen Fahrrad hängen, das mit einer nicht minder rostigen Kette an einem Schildermast festgebunden war. Das Vorderrad fehlte, und von dem verbogenen Hinterrad war nur noch die nackte Felge übrig. Ein durchweichter Pizzakarton auf dem Lenker vervollständigte das triste Stillleben.

Willkommen zurück in der Realität. Illy versetzte ihrem Rucksack einen Tritt. Wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre, hätte Neo bestimmt schon fünfmal »Scheiße« gesagt. Scheiße war sein Lieblingswort. Er benutzte es nicht nur in Situationen, in denen es angemessen war, sondern auch, um alle möglichen anderen Gefühlslagen zum Ausdruck zu bringen: Erstaunen, Anerkennung, sogar Begeisterung. Tja, Neo war ein Phänomen. In vielerlei Hinsicht.

Ohne echte Überzeugung drückte Illy noch einmal auf den Klingelknopf. stand auf dem kleinen Schildchen daneben. Es war der obere von acht Klingelknöpfen. Neben dem unteren war in krakeliger Schrift zu lesen, und dazwischen gab es noch zwei Schmidts, einen Frommann und zwei Namenlose. Illy probierte alle Klingeln bis auf die untere nacheinander aus, ehe sie es noch einmal mit Neos versuchte. Vergeblich.

Verflixt, warum machte niemand auf? Vor allem Neo – hörte er die Klingel nicht? War sie kaputt? Oder hatte er sie ausgeschaltet, weil er immer noch eingeschnappt war? Gut möglich. Illy hatte ihn Anfang der Woche angerufen, um ihm zu sagen, dass sie heute nicht kommen werde. Er war stinksauer gewesen, hatte ihr vorgeworfen, Kats blöde Examensfeier sei ihr wichtiger als sein Geburtstag. Dabei war Kat zwar ihre Schwester, zugleich aber auch der Mensch, der ihr am meisten auf die Nerven ging. Kat war zehn Jahre älter als sie, und seit ihr Vater beruflich nach China gegangen war, wohnte Illy bei ihr. »Bei Kat bist du in besten Händen«, hatte er gesagt. Dabei wollte er sie im Grunde nur loswerden. Er hatte Illy elegant abgeschoben, und damit war der Fall für ihn erledigt gewesen.

Für Illy dagegen hatten die Schwierigkeiten so erst angefangen. Mit ihrer großen Schwester zusammenleben zu müssen, war die Höchststrafe. Kat spielte sich auf, als ob sie die Allwissende Müllhalde wäre. Ständig mischte sie sich in Illys Leben ein und machte ihr Vorschriften. »Du hast kein Ziel« – Illy konnte es nicht mehr hören. Kat selbst dagegen hatte seit jeher gewusst, was sie wollte: Teilhaberin der Anwaltskanzlei werden, in der sie arbeitete. Illy zweifelte nicht daran, dass ihre Schwester dieses Ziel erreichen würde. Sie hatte auch gar nichts dagegen. Wenn Kat nur endlich eingesehen hätte, dass ihre eigenen Vorstellungen vom Leben hatte.

Ärgerlich schob sie den Gedanken an Kat zur Seite. Im Moment hatte sie andere Probleme. Warum antwortete Neo nicht auf ihre SMS? Hatte er am Ende nicht nur die Klingel, sondern auch sein Telefon ausgeschaltet? Vermutlich hockte er schmollend vor dem Fernseher und zappte sich durch die Programme.

Immerhin saß er im Warmen und Trockenen. Ganz im Gegensatz zu ihr. Widerstrebend wagte sie sich ein weiteres Mal unter dem schützenden Vordach hervor und ging dicht an der Hauswand entlang zu dem hohen Holztor, das den Durchgang zum Hinterhof versperrte. Abgeschlossen. Mist.

Um in Bewegung zu bleiben, lief sie ein Stück die Straße hinunter und versuchte dabei den fiesen Nieselregen zu ignorieren, der sich wie ein Eisfilm auf ihre Haut legte und ihre dünne Jacke durchweichte. Was für ein Sommer!

Drei Typen in weiten Rapperhosen und Kapuzenshirts kamen ihr entgegen, breitbeinig und mit hängenden Armen wie Gorillas auf Brautschau. Die drei glotzten sie an, als ob sie noch nie eine Frau in Hotpants gesehen hätten. Einer von ihnen pfiff durch die Zähne.

»Nettes Fahrgestell«, meinte er anerkennend.

Illy verzog das Gesicht und ging an den drei Gorillas vorbei, den Blick starr geradeaus gerichtet. Sie passierte einen mit schlechten Graffiti beschmierten Bauzaun und lief weiter bis zum Ende der Straße. Dort blieb sie stehen und starrte in das Schaufenster einer Metzgerei, das mit Grillzubehör und riesigem Plastikgemüse dekoriert war. Da hatte jemand die Hoffnung auf besseres Wetter offenbar noch nicht aufgegeben.

Sie hörte Stimmen hinter sich. Eine Gruppe junger Leute: zwei kichernde Mädchen mit einem großen giftgrünen Regenschirm und zwei Jungs, die versuchten, sich zu den beiden unter den Schirm zu quetschen. Ein äußerst unangenehmer Gedanke kam Illy in den Sinn. Die Jungs hatten zwar keinerlei Ähnlichkeit mit Neo...



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