E-Book, Deutsch, 323 Seiten
Cullberg Therapie der Psychosen
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-88414-435-0
Verlag: Psychiatrie-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ein interdisziplinärer Ansatz
E-Book, Deutsch, 323 Seiten
ISBN: 978-3-88414-435-0
Verlag: Psychiatrie-Verlag
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Skandinavische Modelle der Behandlung und Versorgung von Psychosen gelten als innovatives Vorbild für die deutsche Psychiatrie. Johan Cullberg ist als ein Vertreter dieser Konzepte und als Autor auch hierzulande sehr bekannt. In seinem Buch führt er neueste Erkenntnisse und Entwicklungen aus Medizin und Psychologie zusammen, um das Verständnis von Psychosen zu vertiefen.
Ausführlich stellt er die Voraussetzungen, Anforderungen und Organisation einer Behandlung dar sowie medikamentöse und therapeutische Interventionen, die entsprechend den Bedürfnissen des Einzelnen aufeinander abgestimmt werden. Nur eine genaue Kenntnis der individuellen Risikofaktoren, des bisherigen Verlaufs und eine gute Einschätzung des Genesungspotenzials können zu einer passgerechten Behandlung führen, die Stärken stützen und krisenauslösende Bedingungen reduzieren. Dieser ganzheitliche Ansatz erfordert entsprechende Versorgungsstrukturen, die man, so zeigt Cullberg anhand skandinavischer Erfahrungen, auch schaffen kann. In dem Nachwort von Nils Greve und Volkmar Aderhold ist nachzulesen, wie dies auch in der Bundesrepublik gelingen könnte.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;8
2;Der Komplexität des Menschen gerecht werden - Vorwort zur deutschen Ausgabe;13
3;Die Integration aller Perspektiven fördern!;15
4;Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen;17
5;TEIL 1 Die psychotische Krise und die schizophrene Behinderung;19
5.1;1 Die Vernunft – ein dünner Schleier über dem Chaos;20
5.1.1;Regression im Dienste des Ichs;21
5.1.2;Normales versus abnormes Denken? Grauzonen schützen!;25
5.1.3;Zusammenfassung;27
5.2;2 Den Kontakt mit der Wirklichkeit verlieren;28
5.2.1;Sechs Erfahrungen, sechs Diagnosen;28
5.2.2;Können wir die Entwicklung der Psychose verstehen?;34
5.2.3;Zusammenfassung;38
5.3;3 Das Konzept der Psychosen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen;39
5.3.1;Das Konzept der Psychosen;39
5.3.2;Fehlinterpretationen;40
5.3.3;Wahnvorstellungen;41
5.3.4;Halluzinationen;47
5.3.5;Zusammenfassung;52
5.4;4 Das Ich, das Selbst und die Psychose;53
5.4.1;Das Ich und das Selbst;53
5.4.2;Die akute Psychose als Aufhebung der »Du«-Beziehung;58
5.4.3;Zusammenfassung;58
5.5;5 Phasen der akuten Psychose – ein Krisenmodell;59
5.5.1;Die Prodromalphase;60
5.5.2;Die Präpsychose;61
5.5.3;Das Frühstadium;61
5.5.4;Das Spätstadium;64
5.5.5;Die postpsychotische Phase der Neuorientierung;65
5.5.6;Zusammenfassung;65
5.6;6 Neurobiologische Vulnerabilitätsfaktoren;67
5.6.1;Vom Krankheits- zum Stress-Vulnerabilitätsmodell;67
5.6.2;Genetische Vulnerabilitätsfaktoren;69
5.6.3;Störungen der neuronalen Entwicklung;74
5.6.4;Zusammenfassung;81
5.7;7 Psychodynamische Vulnerabilitätsfaktoren;82
5.7.1;Frühes Trauma und Probleme des Heranwachsenden;82
5.7.2;Neuropsychodynamische Theorien zu Vulnerabilität und Persönlichkeitsentwicklung;84
5.7.3;Persönlichkeitsstörungen;86
5.7.4;Familienstruktur und Schizophrenie;91
5.7.5;Zusammenfassung: Ein neurodynamisches Modell psychotischer Vulnerabilität;93
5.8;8 Psychoseauslösende Faktoren;96
5.8.1;Psychologischer Stress und Vulnerabilität;96
5.8.2;Unspezifische Stressoren als Auslöser einer Psychose;99
5.8.3;Spezifische Krisen- und Konfliktsituationen als Auslöser;101
5.8.4;Zusammenfassung;107
5.9;9 Schutzfaktoren;108
5.9.1;Psychosoziale Schutzfaktoren;108
5.9.2;Zusammenfassung;113
5.10;10 Psychotische Störungen I;114
5.10.1;Die psychotische Erstepisode – drei klinische Typen;114
5.10.2;Die psychotischen Syndrome diagnostizieren;115
5.10.3;Die kurze psychotische Störung;116
5.10.4;Die affektive Psychose;120
5.10.5;Die wahnhafte Störung;123
5.10.6;Die anderweitig nicht klassifizierbare Psychose;127
5.10.7;Dissoziative (hysterische) »Psychosen«;127
5.11;11 Psychotische Störungen II: Schizophrenie – die Krankheit des Selbst;131
5.11.1;Die historische Entwicklung des Konzepts der Schizophrenie;131
5.11.2;Schizophrene Syndrome;136
5.11.3;Die schizophreniforme Störung;146
5.11.4;Die schizoaffektive Störung – die zykloide Psychose;147
5.11.5;Schlussfolgerung;148
5.12;12 Die Störungen des autistischen Spektrums und Kindheitspsychosen;149
5.12.1;Wesentliche Merkmale des autistischen Syndroms;149
5.12.2;Das Asperger-Syndrom;150
5.12.3;Schizophrenie und andere Psychosen bei Kindern;152
5.13;13 Delirium, Verwirrtheit und organische Psychose;153
5.13.1;Verwirrtheitszustände im Krankenhaus;155
5.13.2;Abgrenzung zwischen Verwirrtheit und Psychose;156
5.14;14 Die beiden kritischen Phasen der Psychose und das Genesungspotenzial;159
5.14.1;Erste kritische Phase: prodromale Symptome und unbehandelte Psychose;160
5.14.2;Zweite kritische Phase: der Genesungsprozess – neue Hoffnung entwickeln;161
5.15;15 Kognitive Störungen und der psychotische Denkprozess;168
5.15.1;Was ist eine Denkstörung?;168
5.15.2;Neurokognition und Schizophrenie;170
5.15.3;Schizophrene Denkstörungen;172
5.15.4;Zusammenfassung;181
5.16;16 Die Konstruktion der Identität eines »chronisch Schizophrenen«;183
5.16.1;Faktoren, die eine Genesung verhindern;183
5.16.2;Eine Strategie gegen psychischen Schmerz?;186
5.16.3;Zusammenfassung;190
5.17;17 Auf dem Weg zu einem bio-psycho-sozialen Modell der Psychosen;191
5.17.1;Ein Modell der realitätsintegrierenden Funktion des Ichs;191
5.17.2;Die psychotische Realitätskonstruktion des Selbst;195
5.17.3;Psychologische Beeinflussung psychotischer Entwicklung – Lernen;195
5.17.4;Zusammenfassung;198
6;TEIL 2 Die Genesung unterstützen;199
6.1;18 Denktraditionen in der Geschichte der Psychiatrie;200
6.1.1;Magisch-dämonisches Denken und das Bedürfnis nach Hoffnung;200
6.1.2;Die vier Säfte und die psychopharmakologische Behandlung;201
6.1.3;Platons Theorie der Leidenschaften und die psychoanalytische Theorie des Unbewussten;202
6.1.4;Die Fragen der Aufklärung und die radikale Psychiatriekritik;202
6.2;19 Psychosebehandlung im 20. Jahrhundert;204
6.2.1;Die ersten Jahrzehnte: bewachen und verwahren;205
6.2.2;Die Ära der »heroischen Behandlungen«: 1930 – 1960;206
6.2.3;Die letzten 50 Jahre: Neuroleptika, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie;211
6.2.4;Demokratisierung und öffentliche Kontrolle;215
6.3;20 Die Behandlung der Psychose – Voraussetzungen, Anforderungen und Organisation;217
6.3.1;Die Einweisung auf eine psychiatrische Notfallstation – aus der Sicht eines Patienten;217
6.3.2;Eine funktionierende Organisation der Betreuung;220
6.3.3;Das Wesen und die Behandlung der akuten Psychose;220
6.4;21 Die Einschätzung und Behandlung von Patientenmit einer akuten psychotischen Episode;224
6.4.1;Die bedürfnisangepasste Behandlung der Psychose;224
6.4.2;Formulierung der Diagnose und Untersuchungen;230
6.4.3;Ein spezielles Team für psychotische Erstpatienten;231
6.4.4;Die Spätphase: den gesunden Anteil der Persönlichkeit stützen;235
6.4.5;Die Genesungsphase: das Ich stärken und die Vulnerabilität reduzieren;235
6.5;22 Psychose und Suizid;238
6.5.1;Vorkommen;238
6.5.2;Suizidalität während der Entwicklung der Psychose;239
6.5.3;Suizidale Handlungen bei schizophrenen Patienten;241
6.5.4;Hochrisikopatienten – ethische Probleme;243
6.5.5;Die emotionalen Bedürfnisse des Personals – Schutz vor dem »Ausbrennen«;245
6.6;23 Menschen mit Langzeitpsychosen in der Gemeinschaft;247
6.6.1;Das Wisconsin-Projekt – »Assertive Community Treatment« (ACT);247
6.6.2;Vom Prinzip der Betreuung Kranker zum Prinzip der Normalisierung;249
6.6.3;Betreutes Wohnen;250
6.6.4;Das Problem des Substanzmissbrauchs und der Doppeldiagnosen;251
6.7;24 Pharmakologische Behandlung der Psychose;253
6.7.1;Rezeptorpharmakologie;253
6.7.2;Antipsychotische Medikamente;254
6.7.3;Der antipsychotische Effekt: Sorgt die Rezeptorhemmung für eine psychologische »Atempause«?;261
6.7.4;Sedierende und schlaffördernde Medikamente;263
6.7.5;Antidepressiva und die Lithium-Behandlung;264
6.7.6;Zusammenfassung;265
6.8;25 Die psychologische Behandlung der Psychose;267
6.8.1;Die psychoanalytische Tradition;267
6.8.2;Die Tradition der kognitiv-behavioralen Therapie;271
6.8.3;Auf dem Weg zu einer Synthese von dynamischer Psychologie und kognitiven Methoden;272
6.8.4;Wohneinrichtungen mit psychotherapeutischer Betreuung;276
6.8.5;Wissen über den Körper und Physiotherapie;276
6.8.6;Arbeit mit Familien und Angehörigen;277
6.9;26 Die Psychose verhindern;280
6.9.1;Primäre Prävention: dem Auftreten der Krankheit zuvorkommen;280
6.9.2;Sekundäre Prävention: frühe wirksame Unterstützung bei Krankheitsbeginn;281
6.9.3;Tertiäre Prävention: Behinderungen reduzieren;283
6.10;27 Die Angehörigen: Betreuer und das Netzwerk für Soforthilfe;284
6.10.1;Erwachsene Angehörige oder Geschwister;284
6.10.2;Wenn man das Kind eines psychisch Erkrankten ist;286
6.11;Epilog;288
6.12;Chancen für eine integrative Psychosentherapie in Deutschland;290
7;ANHANG;297
7.1;Klassifikation;298
7.2;Literatur;304
7.3;Register;316
7.4;Die Autoren;319
Die Angehörigen: Betreuer und das Netzwerk für Soforthilfe (S. 282-283)
Die Probleme enger Bindungen stellen sich in den verschiedenen Phasen der psychotischen Erkrankung verschieden dar, und sie unterscheiden sich natürlich auch für die Angehörigen, je nachdem, ob man ein Elternteil ist, der Lebenspartner, Schwester, Bruder oder auch ein Kind des Patienten.
Erwachsene Angehörige oder Geschwister
Für Eltern dominiert in der ersten Phase der Krankheit ein Gefühl der Ohnmacht – keinerlei Einfluss auf die beängstigenden und destruktiven Ereignisse zu haben – und auch des Schmerzes, weil man nicht versteht, was geschieht. Man fragt sich: Ist das seltsame Verhalten ein Zeichen der Faulheit oder schlechter Erziehung? Wie streng sollte man sein? Und es gibt oft verschiedene Ansichten darüber, warum es zu dieser Situation gekommen ist. Die Schuldzuweisungen bezüglich der Erkrankung oder der resultierenden Probleme erzeugen Konflikte und intensivieren die Spannungen zwischen den zusammenlebenden Personen. Ist es nicht mehr möglich, die Symptome der Psychose zu ignorieren, kann die Wirkung der Ereignisse schockierend sein. Manchmal ist ein Angehöriger gezwungen, die Polizei zu rufen, was ihm später vom Betroffenen vorgeworfen werden kann.
Die Familie befindet sich in einer akuten Krise, das Bedürfnis nach professioneller Unterstützung ist groß. Was ist passiert und was wird weiter geschehen? Gibt es Hoffnung? Gibt es irgendwelche begreiflichen Gründe für den Zusammenbruch? Oftmals geben Vertreter der psychiatrischen Hilfen nur dürftige Informationen und niemand scheint wirklich Interesse zu haben oder die Verantwortung übernehmen zu wollen. Die Interaktion mit dem kranken Familienangehörigen ist eine zusätzliche Last. Wie sollte man reagieren? Wie soll ich mit meinem Sohn sprechen? Viele müssen feststellen, dass nur eines passiert: Medikamente werden verschrieben.
Remittiert die Psychose nicht vollständig oder wird sie über Jahre mit hoch dosierten Medikamenten behandelt, verstärkt sich die Furcht, dass die Erkrankung chronisch wird. In dieser Phase kommt es oft zur Suche nach alternativer Hilfe, möglicherweise aus Bitterkeit gegenüber der Psychiatrie. Diese Bitterkeit kann zu dem Gefühl führen, als Patient oder Familie nicht wirklich Hilfe zu bekommen, missverstanden zu werden und daher zu viel Verantwortung tragen zu müssen. Der Schaden, der im Familienleben angerichtet ist, wird in diesem Stadium unübersehbar, die Beziehungen zwischen den Familienangehörigen werden vernachlässigt. Ein Elternteil übernimmt häufig die Verantwortung, während der andere und/oder die anderen Kinder das Gefühl haben, sie würden übersehen. Nach ein paar Jahren kann die Hoffnung auf Genesung zusammengeschmolzen sein.
Ist es zu einem mehr oder weniger traumatischen Rückfall gekommen, zeichnet sich das nächste Stadium durch großen Kummer oder Verbitterung aus: Trauer über den erlittenen Verlust, darüber, dass ein Familienangehöriger sich so stark verändert hat, und Bitterkeit über den Mangel an Verständnis, auf den man gestoßen ist. In diesem Stadium nehmen die Menschen zumeist mit einer Angehörigenorganisation Kontakt auf, was für den künftigen Verlauf der Ereignisse entscheidend sein kann. Früher oder später wird der Kummer – zumindest an der Oberfläche – durch die Akzeptanz der Situation geheilt. Viele Eltern stellen fest, wie sehr sich ihre soziale Welt durch diesen Prozess reduziert hat. Für sie besteht immer das Risiko, dass der kranke Familienangehörige das Zusammenleben stört, und ihr Gefühl ist, dass ihre Energie nicht mehr ausreicht, um sich noch mit anderem zu beschäftigen.




